Tag 240: Immer weiter gehen


Von meinem Vergebungsritual werden ich morgen mehr erzählen. Eigentlich wollte ich es heute machen, doch der Tag wurde wieder einmal ganz anders als geplant.
Es begann bereits damit, dass wir es fast nicht schafften aus Tembleque herauszukommen. Gleich hinter unserem Hotel verlief eine Eisenbahnstrecke, die man früher einmal mit einer Fußgängerbrücke überqueren konnte. Heute ist diese Brücke wie so vieles in dieser Region jedoch verfallen und gesperrt. Das hält die Einheimischen natürlich nicht davon ab, sie trotzdem zu benutzen. Doch für uns war es nahezu unmöglich, denn man musste dazu eine Absperrung übersteigen und das war mit den Wagen eher ungünstig. Dennoch weigerten sich die Einheimischen, die wir nach dem Weg fragten vehement, uns einen anderen Weg zu zeigen.
- friedhof
- bodegas
- oldtimer citroen
„Da müsstet ihr dann ganz außen herum, aber das ist weit, weit, weit, weit, weit, weit, ....“ sagte die Frau und trieb mich mit ihren Worten fast in den Wahnsinn.
„Was bedeutet denn weit?“ fragte ich
„Oh, keine Ahnung! sehr weit!“
Als wir schließlich gehen wollten, fragte sie: „Wollt ihr nach Santiago? Dann müsst ihr nämlich in die andere Richtung!“
Wir versuchten es wirklich, aber man konnte diese Menschen einfach nicht lieb haben. Sie waren so bemüht und wollten so gerne helfen und waren dabei so nervig und unhilfreich, wie man es sich nur vorstellen kann.
Wir liefen also den ganzen Weg außenrum, was ungefähr einen Umweg von 2km ausmachte und waren schließlich wieder direkt vor unserem Hotel, nur eben auf der anderen Seite der Gleise.
Da uns der Camino de Santiago in den letzten Tagen nicht besonders viel Glück gebracht hatte, folgten wir der Ruta del Don Quijote in Richtung Quero. Der Weg war etwa 25km lang und führte mitten durch ein Niemandsland aus Steppe, Weinfeldern und Olivenbaumplantagen. Hin und wieder kamen wir an einem ausgetrockneten Salzsee vorbei und zweimal sogar an einem See, der noch Wasser führte. Dort tummelten sich hunderte von Vögeln.
- frische weinsaetzlinge
- ruderalflaechen
- ein mal um die welt
Nach gut 13km überholte uns ein Landrover und hielt neben uns an. Zwei männer saßen darin und luden uns auf ein Getränk in ihr Weingut ein. Bei eisgekühltem Wasser erzählten sie uns, dass sie zur Weinlese hier hergekommen waren und außerdem passionierte Birdwatcher waren. Einer von beiden hatte faszinierende Fotos auf seinem Handy, die er mit einer großen Kamera rings um sein Haus herum von den kleinen Federtieren gemacht hatte. Sie hatten vor, ihr Gutshaus auch für Birdwatcher als Gästehaus zu verwenden. Die ganze Zeit über hatten wir das Gefühl, dass sie uns eigentlich einladen wollten, doch sie taten es nicht. Schließlich verabschiedeten wir uns und wanderten weiter nach Quero. Es war schade, denn die beiden waren nette und interessante Leute und wir hätten bestimmt einiges voneinander lernen können. Vor allem hätten wir ihr Gasthaus anderen Tierfotografen empfehlen können, doch so haben wir nun nicht einmal einen Namen.
- natrix natter
- natrix
- natter
Nach weiteren 12km Hitzewandern erreichten wir Quero. Dort traf ich auf einen Mann, der ebenfalls nur im Sommer hier verbrachte und den Rest des Jahres in Madrid wohnte und arbeitete. Er hieß Julio und bot sich an, mich in der Stadt herumzuführen, um mir die Häuser der beiden Pfarrer und des Bürgermeisters zu zeigen. Leider war keiner von ihnen zuhause. Der Bürgermeister würde um 18:00 Uhr kommen. Das wan noch genau eine Stunde. In dieser Zeit lud uns Julio zu sich nach hause ein. Er lebte dort mit seiner Mutter und bis gestern war auch noch seine Schwester mit ihrer Familie da. Die Oma war eine urige, tattrige alte Dame, die uns gleich mit der rumänischen Haushälterin verkuppeln wollte. Wir saßen in der Küche zusammen und bekamen Wassermelone, Birnen, Bananen, Tomatensaft und etwas Putenschinken. Nach einer Stunde gingen wir gemeinsam zum Bürgermeister. Dieser hatte zwar einige Räume, die er uns hätte geben können, lehnte uns jedoch entschieden ab. Er hätte noch nie jemandem eine Unterkunft gewährt und er würde wegen uns jetzt sicher nicht damit anfangen. Wir sollten den Pfarrer fragen, denn der habe schließlich ein Gemeindehaus. Der Pfarrer war jedoch noch immer nicht da und kam erst in etwa 2,5 Stunden.
„So lange müsst ihr dann halt warten!“ sagte der Bürgermeister.
„Kann man den nicht anrufen?“ fragte ich.
„Könnte man schon! Ich habe seine Nummer. Aber anrufen musst du, Julio!“ antwortete der Bürgermeister, der übrigens gleichzeitig auch noch der Leiter der Apotheke war.
„Ok, dann klingel mich kurz an, damit ich die Nummer habe!“ sagte Julio und merkte erst nach einem deutlichen Hinweis seines Gegenübers, wie sinnlos sein Gedankengang war.
Der Pfarrer sagte sofort ab, hielt Julio aber noch rund 10 Minuten lang an der Strippe, um sich für die Absage zu entschuldigen. Das half nichts, kostete aber Zeit. Der Grund: Der Pfarrer war gerade im Urlaub und wenn wir im Gemeindehaus übernachteten, dann fühlte er sich verpflichtet, im Haus nebenan zu schlafen, was seinen Urlaub ruiniert hätte.
Bis jetzt fassten wir alles noch recht neutral auf, da wir fest auf Julio bauten. Er hatte uns bereits eingeladen, nannte uns Freunde und seine Mutter hatte uns ebenfalls adoptiert. Außerdem gab es allein im unteren und vorderen Bereich seines Hauses drei Zimmer mit je zwei Betten für Gäste. Doch Julio lehnte ab. Er würde uns ja helfen, aber seine Mutter könnte nicht schlafen, wenn Fremde im Haus wären. Das habe nichts mit uns zu tun, das wäre einfach so.
- weinverkostung
- traubenernte
- mit dem pilgerwagen um die welt1
Laut des Bürgermeisters gab es eine Herberge im 14km entfernten Alcazar. Da dieser Ort hoffnungslos erschien und da es auch keine Möglichkeit zum Zelten gab, blieb uns nichts anderes Übrig, als die Strecke auf uns zu nehmen. Es war erschreckend zu sehen, wie sehr es Julio leid tat uns nicht zu helfen und wie sehr er darunter litt. Und doch war seine Angst so groß, dass er es einfach nicht konnte. Die Frage war nur, wovor hatte er Angst?
Kurz vor Quero hatte der Akku unserer kleinen Kamera den letzten Funken Energie ausgehaucht. Jetzt mussten wir mit kaputten Füßen und müden beinen noch einmal 12km wandern und hatten dabei einen wunderschönen Sonnenuntergang. Es war eine herrliche Stimmung, die wir immer wieder gut genießen konnten. Doch genauso oft mischten sich auch negative Stimmungen mit ein. Zum einen war es ärgerlich, dass wir nichts davon auf Bildern festhalten konnten. Zum anderen viel es uns wirklich schwer, Julio für die kleine Unterstützung durch Essen und durch die Versuche einen Platz für uns aufzutreiben dankbar zu sein, nachdem er uns wissentlich in die Wüste geschickt hatte. Es war klasse, was er alles für uns getan hatte und doch fühlten wir uns von ihm im Stich gelassen. Noch schlimmer war jedoch, dass wir wussten, dass am Ende des Weges eine 30.000-Einwohner-Stadt auf uns wartete. Also eine Stadt in der es schon komplex war, einen Schlafplatz zu bekommen, wenn man am frühen Nachmittag dort ankam. Jetzt war es jedoch bereits nach 21:00 Uhr als wir die Stadt erreichten.
Dennoch hat sich die abendliche Wanderung gelohnt, denn wir bekamen eine wunderschöne Begegnung mit einem Schwarm Störche geschenkt. Sie zogen direkt vor uns vorbei und sammelten sich für ihre Reise nach Afrika. Auch die Abendstimmung war unglaublich. Es war eine friedliche Atmosphäre und die rote Erde leuchtete im Licht der untergehenden Sonne. So schön hatte uns sich die Steppe bisher noch nie präsentiert.
Der Pfarrer war auch in Alcazar nicht aufzutreiben und die Caritas hatte geschlossen. Die Herberge, von der uns der Bürgermeister erzählt hat, war ein Mythos. Es gab sie einfach nicht. Dafür gab es jede Menge betrunkenes Partyvolk, dass uns kein allzu gutes Gefühl bescherte. Wenn wir keinen Schlafplatz fanden, dann mussten wir irgendwo einen sicheren Zeltplatz finden und dabei waren besoffene Jugendliche ganz und gar nicht hilfreich.
- panorama steppe
Das erste Hotel lehnte uns ab. Dafür bekamen wir eine Dönerbox, von der Dönerbude nebenan. Wenigsten etwas. Im zweiten Hotel sprach ich mit der Rezeptionistin und erklärte ihr auch unser Projekt. Sie weigerte sich jedoch, ihren Chef anzurufen und die Idee an ihn weiterzuleiten. Ich erklärte ihr, dass wir mit mehr als 12 verschiedenen Fernsehsendern zusammenarbeiteten, dass wir einen Internetblog betrieben, der von Menschen aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal gelesen wurde, dass unsere Reise in der Zeitung erwähnt wurde, und das wir dabei waren, unsere Erfahrungen in Büchern nieder zu schreiben.
„Glauben Sie nicht, dass ihr Chef von einer derartigen Möglichkeit, kostenlose Werbung für ein Millionenpublikum zu bekommen, hören möchte? Normalerweise müsste ein Hotel viel Geld für so etwas bezahlen und ich glaube nicht, dass oft jemand hier vorbei kommt, der Ihnen ein solches Angebot macht“, erklärte ich ihr.
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- heiko gaertner6
Doch die junge Dame blieb stur. Sie hatte die Anweisung, den Chef nicht anzurufen, also rief sie ihn nicht an.
Als ich Heiko von der Situation erzählte, war er ebenso fassungslos wie ich. Für uns war es ärgerlich, aber aus Sicht eines Chefs war die Frau eine Katastrophe. Klar, ich hatte vielleicht etwas übertrieben, aber das wusste die Frau ja nicht. Sie funktionierte so stupide wie ein Roboter, dass sie ihrem Chef eine Möglichkeit auf eine Erfolgssteigerung verbaute, ohne mit der Wimper zu zucken. Selbst als ich sie um eine Visitenkarte bat, weil ich meinte, dass wir ihr Hotel dann leider negativ im Bericht erwähnen müssen, zeigte sie keine Regung. Sie hatte mir freundlich die Karte gegeben und mir dann eine gute Nacht gewünscht.
„Wenn ich ihr Chef wäre und ich würde jemals davon erfahren,“ sagte Heiko, „dann wär sie sofort gefeuert! Ich meine was machst du denn mit so einem Personal, dass nicht einmalmehr selbst denken kann und keine Chancen mehr sieht?“
Uns blieb letztlich nichts anderes übrig, als die Stadt wieder zu verlassen und uns einen Platz etwas
- panorama ackerbau
- panorama steppe
außerhalb zu suchen. Eigentlich wollten wir unser Zelt in einem Park aufbauen, doch der war so voller Menschen, dass es nicht möglich war. Wie wir feststellen mussten, waren wir nicht die einzigen, die hier öffentlich zelten wollten. Überall entlang der Straße waren Zelte und Luftmattratzen aufgebaut. Es waren keine Camper, sondern Festivalgäste und die ganze Nacht hindurch schallte laute Musik vom Sportgelände hinter der Mauer herüber.
Wir entdeckten schließlich einen alten Parkplatz hinter einem Wohnviertel, der abgesperrt und verlassen war. Auf dem dazugehörigen Spielplatz bauten wir unser Zelt auf. Hoffentlich wird es von dem Sturm nicht weggerissen, der jetzt plötzlich aufkommt.
Spruch des Tages: Armut ist nicht das Werk Gottes... sondern das Ergebnis menschlichen Egowahns!
Höhenmeter: 50 m
Tagesetappe: 54 km
Gesamtstrecke: 4765,47 km
