Tag 241: Vergebungsritual

von Franz Bujor
30.08.2014 18:01 Uhr

Ich lag auf meinem Bett im Hotel und atmete tief ein und aus. Heiko hielt meinen Kopf und bat mich, ganz im Hier und Jetzt anzukommen und alles loszulassen, was mich aus den vergangenen Tagen noch beschäftigte.

„Wir laden alle Hüter, Spirits und Keeper ein, alle Helfer, die Krafttiere und auch Jesus, wenn du gerade irgendwo in der Gegend bist und Lust hast uns zu helfen. Wir laden euch ein, Tobias dabei zu helfen, seine alte Wut und sein Ego loszulassen, dass er ein bewusster und aufmerksamer Mann wird, der seine Verantwortung für sich selbst übernimmt!“

Er bat mich, tief einzuatmen und dabei alle meine Muskeln anzuspannen. „Jetzt beim Ausatmen lässt du alle Anspannung und auch alles andere los!“ sagte er dann.

„Jetzt nochmal und diesmal mit mehr Kraft, dass man merkt, dass du es ernst meinst! Und noch einmal richtig! Und noch einmal!“

Ich spannte meinen ganzen Körper an und ließ mit einem kräftigen Atemstoß alles locker. Wieder und wieder.

„Atme nun wieder ruhig ein und aus, und spüre dabei, wie du mit jedem Atemzug immer weiter nach unten gezogen wirst, in den flüssigen, liebenden Kern von Mutter Erde. Du spürst, dass du geborgen und getragen bist und lässt dich immer weiter fallen. Jetzt gelangst du an ein Portal hinter dem sich dein innerer Medizinraum befindet, ein Raum an dem du absolut sicher bist und an dem Heilung stattfinden kann. Schau dich um! Gibt es hier einen Platz, an den es dich hinzieht und an dem du dich für die Helfer und Hüter öffnen kannst? Wenn ja, dann beschreib ihn und am besten so laut, dass sowohl sie als auch ich es hören können!“

Ich sah einen alten, knorrigen Baum mit eine großen ausladenden Krone, die fast bis zum Boden reichte. Zwischen seinen dicken Wurzeln stand ein flacher Stein, etwas mehr als 2m lang und 1m breit, der wie ein Tisch wirkte. Er war hellgrau marmoriert und wirkte einladend.

„Hast du das Gefühl, dass du dich darauflegen willst?“ fragte Heiko als ich ihm den Platz beschrieben hatte.

„Ja!“ antwortete ich.

„Dann leg dich hin!“ fuhr er fort, „Du befindest dich nun in einem metallenen Kubus. Er hat keine Fenster und keine Türen. Die einzelnen Stahlplatten sind dick miteinander vernietet. Der Raum ist komplett leer. Es gibt keine Stühle, keine Tische und auch sonst nichts. Nur du und deine Mutter befinden sich in diesem Raum. Wie fühlt sich das an?“

Ich spürte eine starke Nervosität, eine Angespanntheit und eine innere Unruhe. Mein Brustkorb zog sich zusammen und es lastete ein starker Druck darauf, der mich beklemmte. Ich hatte Angst, doch ich konnte nicht bestimmen warum.

„Wo genau fühlt es sich beklemmend an?“ fragte Heiko.

„Der ganze Oberkörper!“ sagte ich.

„Ok, versuchen wir es noch einmal: Wo genau fühlt es sich beklemmend an?“

Ich spürte genauer hin und sagte dann: „In der Brust! Da wo meine Trichterbrust ist.“

„Dir wird also die Freiheit genommen?“ fragte er.

„Ja“

„Was benötigst du, dass du dich wieder Frei fühlen kannst?“

An den folgenden Teil der Meditation erinnere ich mich nur noch verschwommen. Ich weiß, dass ich irgendwie Angst hatte und das es irgendwie mit meiner Mutter zu tun hatte. Auch sie hatte Angst. Doch ich konnte sie nicht sehen. Alles war schwarz um mich herum. Ich wusste nicht wo sie war, glaubte sie jedoch direkt vor mir zu spüren. Diese Ungewissheit war es auch, die mich ängstigte und dieses Gefühl nicht zu wissen, was Sache war. Durch die Dunkelheit hatte ich vor allem Angst und diese Angst sperrte mich ein. Dann erinnere ich mich noch daran, dass ich eine Art gläsernen Schutzpanzer um mich herum erkannte, den ich mir selbst aufgebaut hatte. Er war wie eine gläserne Röhre, durch die ich alles von mir fernhalten konnte, das auf mich zu kam. Ich ließ nichts an mich heran und glaubte, dass ich dadurch sicherer war. Doch die Röhre war oben und unten offen, so dass sie mich nicht wirklich schützen konnte. Schlimmer noch: Sie nahm mir jeden Handlungsspielraum. Sie war so klein, dass ich mich darin nicht richtig bewegen konnte. Wenn ich versuchte, meine Arme auszustrecken, dass stieß ich dagegen und haute mir die Ellenbogen oder die Hände an. Ich war absolut handlungsunfähig. Ich konnte in der Außenwelt nicht wirken und ich ließ nichts und niemanden an mich heran. Doch das machte die Angst nicht geringer. Ich konnte noch immer alles sehen, was außen vor sich ging und wenn eine Bedrohung auf mich zu kam, dann spürte ich, dass ich ihr ausgeliefert war.

„Ist dieser gläserne Schutz, der gleichzeitig dein Gefängnis ist sinnvoll?“ fragte Heiko.

„Nein,“ sagte ich, „er hilft mir nicht, sondern sperrt mich nur ein!“

„Was kannst du tun, um wieder Frei zu sein? Wen brauchst du, der dir hilft, das Gefängnis loszuwerden?“

„Ich habe das Gefühl, dass ich es zersprengen will! Ich glaube ich kann es selbst, mit einem Energiestoß aus meinem Herzen!“

„Tobias, spüre noch einmal in dich hinein! Ist es kraftvolle Energie, mit der du deinen Panzer zersprengen willst, oder ist es Wut?“

„Es fühlt sich nach kraftvoller Energie an!“

„Dann mache es!“

Ich atmete tief ein und spürte, wie sich Kraft in meinem Herzen sammelte. Mit einem kräftigen Ausatmen war es, als würde ein Energiestoß aus meiner Brust nach außen strömen und das gläserne Gefängnis zerbersten, so dass es sich in Mikroskopisch kleine Teilchen auflöste.

„Wie fühlt es sich jetzt an?“ fragte Heiko.

„Besser!“ sagte ich, „Freier! Aber es ist noch immer so etwas wie ein grauer Schleier um mich herum, dort wo zuvor der Glaspanzer war.“

„Tobias, woraus besteht dieser Schleier?“

„Ich glaube es ist mein eigener Zweifel! Die Angst, dass ich mich noch immer nicht öffnen kann!“

„Wer kann dir dabei helfen, diesen Schleier des Zweifels wegzuwischen? Der Wolf von den sieben Geißlein vielleicht?“

Ich musste kurz lachen und sagte dann: „Ja, der vielleicht auch! Ich dachte eher an den Wind, aber es können gerne beide machen.“

Ich spürte, wie der graue Schleier weggewischt wurde und langsam wurde es klarer und heller in dem dunklen Würfel. Die Wände wurden langsam durchscheinend und ich konnte dahinter eine weite, bergige Landschaft sehen, die sich für mich nach Freiheit anfühlte.

„Was macht es mit dir, diese Freiheit zu sehen?“ fragte Heiko.

„Gerade fühlt es sich sogar noch schlimmer an, weil ich sie sehen, aber nicht erreichen kann. Ich komme nicht aus dem Würfel heraus.

Ich weiß noch, dass Heiko an irgendeinem Punkt meinte, dass er einen unglaublich starken, negativen Energiestoß spürte, der von meinem Kopf ausging. So stark, dass er nicht länger sitzenbleiben und meinen Kopf halten konnte. Er stand auf und setzte sich nebenan auf sein eigenes Bett.

Nun konnte ich auch meine Mutter sehen, die irgendwie in diesem eisernen Würfel stand und recht teilnahmslos wirkte.

„Kannst du eine Verbindung zwischen euch beiden sehen oder spüren?“ fragte Heiko.

„Ja!“ sagte ich, „Jeder von uns trägt schwere Ketten um die Handgelenke und um den Hals, mit denen wir aneinander gefesselt sind.“

„Wie sehen diese Ketten aus?“

„Sie sind silber, irgendwie dunkel und bestehen aus schweren, dicken Kettengliedern.“

„Fühlt sich diese Verbindung gut an?“ fragte Heiko.

„Nein!“ sagte ich entschieden. Es fühlte sich ganz und gar nicht gut an. Keiner von uns konnte aufrecht gehen, die ketten hingen an uns wie bleierne Gewichte, die uns nach unten zogen. Sie verhinderten jede Art der Bewegung. Wenn sich einer Umdrehen wollte, dann wurde der andere Mit herumgerissen und die Ketten an den Hälsen waren so schwer, dass wir uns nicht einmal direkt ansehen konnten, weil wir die Köpfe nicht weit genug nach oben bekamen. Auf uns zugehen war ebenfalls unmöglich, denn dann schien es, als würden die Ketten noch schwerer.“

„Wie kannst du es schaffen, den Würfel gemeinsam mit deiner Mutter zu verlassen, ohne die Ketten zu lösen?“

Ich war ratlos! Ich hatte zwar tausend Gedanken im Kopf, aber keiner schien mir hilfreich zu sein! Es war meine Kopfstimme, die dort sprach, nicht mein höheres Selbst und auch nicht meine Intuition. Das einzige Bild, das mir einigermaßen authentisch vorkam, war eine Art Laserblick, mit der ich den Würfel schmelzen konnte.

„Was passiert, wenn du ihn schmilzt?“ fragte Heiko. „Dann hast du ein Loch in der Wand, aber wie willst du mit den Ketten durch dieses Lock krabbeln?“

„Ich weiß es nicht! Entweder ich muss meine Mutter überreden, dass sie mitkommt, oder ich muss mich einfach umdrehen und sie hinterherschleifen. Aber beides fühlt sich nicht gut an.“

„Kann es sein, dass starrköpfig nur in eine Richtung denkst? Dass du Rechthaben willst und deshalb nicht weiter kommst? Was muss geschehen, damit du wirklich aus dem Würfelgefängnis ausbrechen kannst?“

Plötzlich wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit versucht hatte, in die Freiheit zu gehen, ohne die Fesseln von meiner Mutter zu lösen. Ich wollte sie mitzerren um ihr zu zeigen, dass es draußen schöner ist. Und sie wollte mich hierbehalten, weil sie überzeugt war, dass die Welt draußen nichts für mich war. So waren wir wie zwei Trotzböcke, die sich gegenseitig das Leben schwer machten, weil sie auf ihr Recht beharrten.

„Ich glaube, ich habe es begriffen!“ sagte ich. „Ich muss erst die Fesseln lösen und dann kann ich aus dem Würfel ins Freie klettern. Ich dachte immer, dass ich erst nach draußen muss, weil ich die Ketten nur dort lösen kann, aber das ist ein Irrtum!“

„Was musst du machen, um die Ketten zu lösen?“

„Ich muss uns beiden vergeben! Ich muss begreifen, dass wir aus Mustern heraus gehandelt haben und dass wir einander nicht weh tun wollten, das wir es aber nicht anders konnten. Ich muss begreifen, dass alles seinen Sinn und seine Berechtigung hat. Und ich muss meiner Mutter und mir das Leid verzeihen, dass wir uns gegenseitig zugefügt haben.“

„Du meinst, du musst begreifen, dass eure Handlungen aus eurem Ego heraus entstanden sind, aus eurer Engstirnigkeit und eurer Rechthaberei. Dass ihr euch ein System erschaffen habt, in dem ihr euch gegenseitig gefangen haltet und dass dieses System seine Berechtigung hatte?“

„Ja!“ sagte ich.

„Dann gib die Botschaft, dass du dir und deiner Mutter vergibst und dass du euer System nun begriffen hast laut nach außen, so dass es von allen Helfern gehört werden kann. Gib ihnen dein Versprechen ab, dass du der Welt gibst!“

Ich atmete einige Male tief ein und aus und spürte, dass ich aufgeregt war. Dann sagte ich mit halbwegs überzeugter Stimme: „Liebe Helfer! Ich habe erkannt, nein ich habe begriffen, dass meine Mutter und ich aus unserem Ego heraus gehandelt haben, dass wir Teil eines Systems wurden, dass uns gegenseitig festhielt. Ich vergebe meiner Mutter, dass sie so gehandelt hat, wie sie gehandelt hat, denn ich begreife nun, dass es für sie in diesem Moment der einzige Weg war. Und ich vergebe mir selbst, dass ich nie den Mut hatte, das System zu durchbrechen um sie und mich daraus zu befreien.“

„Wenn du das wirklich machst, Tobi“, sagte Heiko, „warum ist dann noch immer so viel Wut in dir?“

Er hatte Recht! Ich spürte, dass ich vergeben wollte, doch ich spielte mir wieder nur selbst etwas vor. Die Wut und der Groll waren noch immer da. Es waren Worte gewesen, die rein aus meinem Kopf kamen und mit meinem Herzen nichts zu tun hatten.

Heiko stand auf und kam zu mir herüber. Er sprang auf das Bett und drückte mit beiden Händen fest auf meine Trichterbrust. Ein Schmerz durchfuhr mich und ich konnte kaum mehr atmen. Mein Brustkorb fühlte sich an, als würde er zerquetscht werden.

„Spürst du jetzt, was die Wut mit dir macht? Wie sie dir deine Freiheit raubt“

„JAA!“ ächzte ich und konnte unter de Last kaum mehr sprechen. „Ich lasse die Wut los, die mich einengt und die mir meine Freiheit raubt! Ich begreife, dass weder meine Mutter noch ich je etwas Böses wollten, das wir nur zu sehr in unserem Ego verhaftet waren um zu erkennen, welche Konsequenzen unsere Handlungen hatten.“

Heiko wechselte mit seinen Händen von meinem Brustkorb, und drückte sie nun auf meinen Hals.

„Spürst du, wie dir die aufgestaute Wut, die Luft zum Atmen raubt? Wie du langsam daran erstickst? Wie du deine Sprache verlierst und nicht mehr ausdrücken kannst, was in dir los ist, weil du so in deinem Groll verhaftet bist?“

„Ja!“ hauchte ich.

Jetzt wechselte Heiko wieder und presste seine Hände auf meinen Bauch. Dazu sagte er: „Spürst du, wie du dir durch dein Ego und deine Rechthaberei die Verbindung zu deinem Bauchgefühl genommen hast? Spürst du, dass du die Verbindung zu deinen Gefühlen komplett abschirmst und zerstörst, weil du so sehr in deinen Wutgefühlen verhaftet bist, für die du dich schämst, dass du lieber gleich gar nichts mehr spürst?“

Wieder nahm er die Hände weg und als er sie das nächste Mal aufsetzte schrie ich laut auf vor Schmerz. Er hatte seine Daumen tief in meine Seiten gebohrt, so dass er mit aller Kraft auf meine inneren Sexualorgane drückte. Der Schmerz war fast unerträglich und ich wand mich wie ein Aal um seinem Griff zu entkommen. Doch es war vergeblich.

„Spürst du, dass du dir deine Männlichkeit und deine Sexualität komplett aberkennst, weil du noch immer in der Harmoniesucht verhaftet bist? Spürst du, wie du Wut und Aggression mit Männlichkeit verwechselst und dir dadurch selbst einen Teil deines Lebens weg nimmst? Hier heraus, kommt dein eigenes, bewusstes Handeln! Nicht aus einer Opferhaltung und einem Gefühl des nicht-gut-genug-Seins!“

Ich spürte es. Alle Punkte, die er gedrückt hatte, hätten unter anderen Umständen keine Schmerzen verursachen dürfen. Es waren nicht seine Hände, die weh taten, es waren meine eigenen angestauten Blockaden, Ängste und Aggressionen. Mein Kopf war nun ausgeschaltet. Die Gehirnstimme war zu sehr mit der Verarbeitung des Schmerzes beschäftigt, als dass sie sich noch hätte einmischen können. Ich versuchte in den Schmerz hinein zu atmen und mich dabei zu entspannen. Gleichzeitig rief ich laut, dass ich nun wirklich begriffen hatte, wie sehr mich mein Festhalten an alter Wut schädigte. Jetzt war ich wirklich bereit, loszulassen und zu begreifen, dass meine Mutter für jede Handlung einen Grund gehabt hatte und dass auch ich immer so gehandelt hatte, wie ich es in diesem Moment für das beste hielt. Es hatte viel Leid und viel Schmerz verursacht, und es gab vieles, das geändert werden musste. Doch es gab nichts zu verurteilen.

Heiko ließ wieder locker und ich atmete tief und kräftige ein und aus.

„Wie siehst du die Ketten jetzt?“ fragte er.

Ich spürte deutlich, dass sich das Bild der Ketten gewandelt hatte. Meine Mutter und ich standen noch immer mit einigem Abstand vor einander, doch es waren nun keine Ketten mehr zwischen uns, sondern nur noch dünne Fäden. Sie wirkten sogar ein bisschen wie Luftschlangen.

„Ich kann sie einfach abstreifen!“ sagte ich erleichtert.

„Was willst du mit den Ketten machen?“ fragte Heiko.

„Ich möchte sie in ein Wandlungsfeuer geben!“ antwortete ich, „Ich sehe ein rot-orangenes Feuer, dass in der Mitte zwischen uns brennt. Dort werfe ich die Bänder hinein. Auch meine Mutter streift ihre ab und wirft die anderen Seiten ebenfalls ins Feuer. Es knistert ein wenig und flammt einmal hell auf. Dann fließt der Rauch der verbrannten Ketten mit den Flammen nach oben ins Licht.“

„Möchtest du eine neue Kordel zwischen dir und deiner Mutter erschaffen?“ fragte Heiko.

„Ja,“ antwortete ich, „ich sehe eine Kordel, die unsere beiden Herzen miteinander verbindet. Sie ist grün und sieht aus, wie eine Pflanze. Sie lebt und ist dynamisch, kann sich also bewegen und unendlich weit ausdehnen, ohne zu zerreißen. Sie hat sogar ein Blatt.“

„Willst du einen Filter einbauen, durch den nur einige Informationen oder Gefühle hindurchkommen?“

„Ja, ich glaube schon!“ sagte ich.

„Kann es sein, dass da noch immer Wut in dir ist, die du nicht losgelassen hast?“ fragte er und saß schon wieder auf mir. Diesmal drückte er mit den Händen in die Muskeln neben meinem Hals. „Warum trägst du noch immer so eine Last mit dir herum?“

Ein Schmerz durchfuhr mich und wieder konnte ich kaum sprechen. „Ich glaube, ich habe mir selbst noch immer nicht wirklich vergeben. Ich lasse meine eigene Schuld und die Wut auf mich selbst los, dafür dass ich so lange nicht den Mut hatte, zu mir zu stehen. Ich vergebe mir, dafür dass ich mich immer verstecken wollte und ich begreife, dass es eine wichtige Schutzreaktion von mir war, die ich nun jedoch nicht mehr benötige! Ich lasse die Wut und den Ärger über mich selbst los!“

„Obwohl ich diesen Schmerz spüre, den ich mir selbst verursacht habe, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin!“ sprach Heiko mir vor.

„Obwohl ich diesen Schmerz spüre, den ich mir selbst verursacht habe, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin!“ widerholte ich.

„Lauter!“

„Obwohl ich diesen Schmerz spüre, den ich mir selbst verursacht habe, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin!“ rief ich nun lauter.

„Noch einmal! Und noch lauter!“ rief Heiko.

„Obwohl ich diesen Schmerz spüre, den ich mir selbst verursacht habe, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin!“ diesmal sagte ich es noch kräftiger.

„Nochmal! Und entspann dich dabei!“

„Obwohl ich diesen Schmerz spüre, den ich mir selbst verursacht habe, liebe und akzeptiere ich mich so wie ich bin!“

Jetzt trommelte Heiko mit seiner Faust auf meine Thymusdrüse, direkt auf meiner Brust. Es ist der Punkt auf den sich auch Gorillas trommeln um sich selbst zu stärken. Die Anregung der Thymusdrüse sorgt dafür, dass der ganze Organismus mehr Kraft und Energie bekommt.

An das Ende des Rituals erinnere ich mich nicht mehr wirklich. Ich weiß noch, dass ich mich freier und leichter fühlte. Ich bedankte mich bei allen Helfern, Geistern, Spirits und auch bei Jesus, sowie bei Maria-Magdalena dafür, dass sie ihn mir für die Zeit geborgt hatte. Und natürlich bedankte ich mich bei Heiko.

Meine Schultern schmerzen noch heute und auch meine Brust tut an einigen Stellen noch immer weh. Ich kann noch nicht genau sagen, was sich durch das Ritual verändert hat, doch es fühlt sich stark so an, als wäre wirklich ein großer Stein von mir abgefallen. Das sich dadurch jetzt alle Probleme in Sachen Aufmerksamkeit und überlegtes Handeln gelöst haben, kann ich nicht behaupten. Beim Zeltaufbau gestern Abend habe ich jedenfalls wieder einiges verplant. Aber man sagt auch, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis man eine Veränderung bemerkt.

Was ich sagen kann ist, dass ich einige Male wirklich das Gefühl hatte, dass es mehr als nur Heiko und mich in diesem Raum gab. Heiko meinte, dass er hin und wieder ein komisches Gefühl bei der Heilung hatte. Es gab viele störende Nebengeräusche und der Raum war klein und eng. Einige male bin ich ziemlich rausgekommen und war nur noch in meinem Kopf, dann bin ich wieder eingetaucht. Was immer auch dadurch ausgelöst wurde, ich werde in den nächsten Tagen auf jeden Fall die Augen und Ohren offen halten.

Das alles fand vorgestern Abend statt. Heute war wieder einmal ein heißer und trockener Tag, an dem wir kreuz und quer durch die Steppe liefen. Nach dem gestrigen Tag starteten wir heute komplett ohne Nahrungsvorräte. Das gute war, dass wir immer wieder an Weinfeldern vorbei kamen, an denen wir uns bedienen konnten.

Nach 14km erreichten wir Campo de Criptana, eine Stadt die leider wieder groß, tot und voller Industrie war. Bei der Polizei wurde ich nach 20 Minuten mit einem Schulterzucken abserviert. Weder die vier Polizisten noch der Bürgermeister wollten uns auch nur eine Garage anbieten. Zum Glück gab es zwei Hotels, von denen eines unsere Rettung war. Es hieß Hostal Ego´s und der Besitzer war ein gemütlicher, älterer Herr, der uns freundlich willkommen hieß.

Dennoch müssen wir an unserer Strategie in den nächsten Tagen noch einmal ändern, denn es scheint sich wieder einmal einiges geändert zu haben.

 

Spruch des Tages: Die Erde gehört den Menschen nicht, die Menschen gehören der Erde. Alle Dinge sind miteinander verbunden, wie das Blut, welches eine Familie vereint. Das wissen wir. (Chief Seattle)

 

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 4779,47 km

 

 

 

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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