Tag 250: Europas Wüste

von Heiko Gärtner
08.09.2014 18:45 Uhr

Heute wurden wir wieder einmal vom Plattenmonster heimgesucht. Insgesamt vier Mal mussten wir eine Pause einlegen, um meinen Reifen zu flicken. Immer den gleichen. Ich freue mich nun schon ohne Ende auf die Pakete mit den neuen Mänteln, die in 50km Entfernung auf uns warten.

Doch wie auch zuvor haben mich die Platten wieder auf eine wichtige Sache hingewiesen. Dass unsere Bremsen am Wagen nicht perfekt sind und ihre Schwachstellen haben, das wussten wir bereits. Heiko hat seine daher vor einiger Zeit einmal mit Panzertape und Sekundenkleber stabilisiert, damit sie nicht ausschlagen, nicht die Bremsen selbst natürlich, sondern ihre Aufhängung. Als wir das Problem erkannt hatten, hatte ich mir fest vorgenommen, bei meinen Bremsen bei nächster Gelegenheit das gleiche zu machen. Doch dann tauchten andere Probleme auf, über die ich mir einen Kopf machte und alles geriet wieder in Vergessenheit. Ich verlor den Fokus aus den Augen und schon bald wusste ich nicht einmal mehr, dass meine Bremsen eine Reparatur benötigten. Dadurch schlugen ihre Fixierungsschrauben ganz langsam immer wieder aus und irgendwann kam es, dass der Reifen nicht mehr richtig rund lief. Ich bekam von all dem jedoch nichts mit und wurde erst heute darauf aufmerksam, als mein Reifen zu klappern begann, nachdem ich ihn wieder eingebaut hatte. Jetzt jedoch waren die Schrauben und ihre Kunststofffassung bereits ausgeschlagen und hielten nicht mehr so, wie sie es eigentlich wollten. Am Abend konnte ich es noch mit Sekundenkleber verstärken, doch es bleibt natürlich eine Notlösung. Die Frage ist also, warum ich auf all diese Sachen immer erst aufmerksam werde, wenn bereits etwas kaputt ist. Gerade, wo es für mich doch besonders wichtig wäre, dass meine Ausrüstung lange hält, weil es für mich ein riesiger Akt ist, neue zu besorgen. Ist es vielleicht gerade die Angst davor, dass es kaputtgehen könnte, die mich dazu bringt, alles unbewusst so zu tun, dass die Angst auch begründet wird?

Und warum fallen die Sachen wenn sie dann auffallen immer in den ungünstigsten Situationen auf? Heute beispielsweise mussten wir dann die Bremsen mitten in der Wüste, in der prallen Sonne reparieren, ohne dass es irgendwo einen Schutz gab. Dabei war es dann auch noch Heiko, der die Hauptarbeit übernehmen musste, weil ich selbst eigentlich überhaupt keinen Plan hatte, was zu tun war. Auch das war eine neue Erkenntnis für mich, die ich heute gewonnen habe. Ich bin, was handwerkliche Dinge anbelangt eine absolute Niete! Ich habe das nie wahr haben wollen, weil es mir als Kind immer Spaß gemacht hat, Dinge zu basteln und zu bauen. Doch jetzt stehe ich vor all diesen Problemen wie ein Volldepp und weiß oft nicht einmal, wie man eine Zange richtig herum hält. Das ist schon lange so, doch bislang habe ich mir immer eingeredet, dass ich trotzdem gut in diesen Sachen bin und habe versucht meine zwei linken Hände zu verstecken. Gerade wo mir klar wird, dass ich sie habe, habe ich plötzlich auch zum ersten Mal das Gefühl, dass ich es wieder lernen kann, gut in diesen Dingen zu werden. Denn lernen kann man offensichtlich nur dann, wenn man weiß, auf welchem Stand man gerade ist. Schließlich fängt man mit einem Basketballtraining ja auch nicht in der Bundesliga an, weil man glaubt, dass man als Kind ganz gut werfen konnte.

„Ich glaube, das Kernthema, das du im Moment wieder lernen musst,“ sagte Heiko, „ist es, die Übersicht zu behalten. Du bist gerade zu sehr im Fokus. Das ist besser als nichts wahrzunehmen, aber du darfst dabei das große und ganze nicht aus den Augen verlieren. Du bist immer etwas zu nah dran. Nicht nur beim Reparieren, auch bei den Texten, bei den Gesprächen mit den Leuten und so weiter. Dir fehlt der nötige Abstand um den Überblick zu behalten. Ich glaube, das hat auch mit deiner Kurzsichtigkeit zu tun. Nur was direkt vor dir liegt ist klar für dich. Alles andere verschwimmt. Ich denke dass darin noch einmal ein wichtiger Lernfaktor begraben liegt!

Der zweite Platten wurde uns durch den Besuch von zwei österreichischen Pilgern versüßt, die uns entgegenkamen. Es tat so gut, endlich wieder einmal herzliche und wirklich freundliche Menschen zu treffen, mit denen man sich richtig gerne unterhielt. Die beiden hatten schon viele Jakobswege hinter sich und genossen ihre Rente nun als Teilzeitabenteurer.

„Unsere Kinder sind aus dem Haus! Wir sind also endlich wieder frei und können machen was wir wollen!“ sagten sie. Wie oft hatten wir diesen Satz schon von älteren Menschen überall auf unserer Reise gehört! Auf der einen Seite hatten sie natürlich vollkommen Recht und sie hatten sich die Freiheit ja auch redlich verdient. Doch ist es nicht auch ein bisschen erschreckend, dass so viele Menschen so froh sind, wenn ihre Kinder das Haus verlassen haben. Klar sollten sie sich darüber freuen, wenn die Kinder nun auf eigenen Beinen stehen und ihr eigenes Leben leben. Doch ein bisschen klingt die Aussage immer auch, als wäre nun endlich ein schwerer Ballast abgefallen, der wie ein Klotz am Bein hing. Heiko übersetzte die indirekte Aussage die dahinter stand ins bayrische: „Gottseidank sind´s weg, die Mitsschratzen, die elenden! Da könnma endlich wieder machen, was wir wollen!“ Ist das wirklich unsere Wahrnehmung, von unseren Kindern und unserem Familienleben? Es klingt mehr nach einem Job, als nach einer Herzensaufgabe. Ist das wirklich der richtige Weg?

Was den Weg durch Spanien anbelangte, waren die beiden Österreicher davon ebenfalls recht geschafft. „Das hier ist Europas Wüste!“ sagten sie und trafen damit genau unseren eigene Wahrnehmung. Vor Valencia sollten jetzt aber wieder mehr Obstplantagen kommen, die uns zumindest gut versorgen würden. Wenngleich sie natürlich einen Haken hatten.

„Mit ist bei ihrem Anblick ganz schlecht geworden!“ sagte die Pilgerin, „Wenn man sieht, wie das Wasser in den Sprenkleranlagen von vornherein mit giftigem Pulver gemischt wird, dass alles nur noch schäumt und stinkt, dann kann einem dabei wirklich der Appetit vergehen! Unter den Bäumen wächst nichts mehr, kein einziger Halm. Alles ist vergiftet, außer der Obstbäume selbst.

In Hoya Gonzalo bekamen wir von einem Mitarbeiter der Stadt eine schöne kleine Herberge zur Verfügung gestellt, die wir ganz für uns allein haben. Die beiden Österreicher hatten uns ebenfalls bereits davon vorgeschwärmt und sie hatten nicht übertrieben. Es gab ein Wohnzimmer mit Küche, zwei Schlafräume und sehr neue, sehr saubere Betten. Was wollte man mehr!

Am Abend kam es dann wirklich, das große Gewitter, das angekündigt wurde. Zum ersten Mal seit 6 Monaten regnete es. Nicht lang und nicht stark, aber immerhin ein bisschen.

Spruch des Tages: „Wenn du am Morgen aufstehst, dann sage Dank für das Morgenlicht, für dein Leben und deine Kraft. Sage Dank für deine Nahrung und für die Freude am Leben. Und wenn du keinen Grund zur Dankbarkeit hast, dann liegt der Fehler bei dir.“ (Spruch des Indianer Häuptlings Shawnee)

 

 

Höhenmeter: 60 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 4967,97 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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