Tag 335: Der Essensgutschein

von Heiko Gärtner
04.12.2014 00:44 Uhr

Am späten Nachmittag wurden wir von unseren Gastgebern im Rathaus abgeholt. Sie wohnten etwas außerhalb der Innenstadt in einem eigensinnigen Haus mit eineinhalb Etagen. Die untere sah ganz normal aus, so wie man sich ein Wohnhaus mit Küche, Wohn- und Arbeitszimmer so vorstellt. Die obere Etage jedoch wirkte so, als wäre sie direkt aus dem Auenland entsprungen. Kaum hatten wir das obere Ende der Treppe erreicht, stieß ich mit dem Kopf bereits an den ersten Dachbalken.

"Vorsichtig!" Warnte uns Jean-Claude, "die Decke ist etwas niedrig." Das war sehr vorsichtig ausgedrückt. Tief gebeugt, so dass wir mit unseren Nasen fast unsere Knie berührten, gingen wir durch den Gang in unser Zimmer. Dort riss Heiko als aller erstes einmal ein kleines Glockenspiel von der Decke. Und zwar mit seinem Hintern. Dieses Glockenspiel sollte uns noch viele Male in die Quere kommen, denn es hing genau im Gang zwischen dem Bett und dem kleinen Tisch.

"Ohje" meinte Heiko nur knapp, wenn wir hier nachts auf die Toilette müssen, dann haben wir auf jeden Fall verloren!" Die Sorge war nicht unbegründet, denn auf dem Klo war ein Schild mit 'nur im Sitzen pinkeln' definitiv überflüssig. Man musste sich bereits hinhocken, bevor man es erreichte und wenn man nach Erledigung des Geschäftes zu schnell wieder aufstand, dann stieß man sich so heftig den Kopf an, dass man sich gleich wieder hinsetzte. Alles, bis hin zur Dusche, wirkte, als wäre es für Zwerge oder Hobbits gebaut worden. Nicht besonders praktisch, für Menschen in unserer Größe, aber auf seine Art auch irgendwie cool. Nur Leben könnten wir hier auf Dauer nicht. Aber ich kann mich nicht beschweren. Vor ein paar Tagen erst habe ich nun beschlossen, meine Aufmerksamkeit zu trainieren und jetzt bekamen wir eine Unterkunft, die ein wahres Trainingslager dafür war.

Nachdem wir nun zum 1. Dezember unser Advendskallendertürchen in Form eines Präsentkorbes vor unserer Schlafzimmertür bekommen hatten, bekamen wir heute ein sogar noch größeres Geschenk. In Eguilles fragten wir in einer Art Sozialamt nach einem Schlafplatz, was wieder einmal irgendwie besonders kompliziert war. Wir verstanden nicht viel von dem, was die Damen hinter dem Schalter sprachen, doch irgendwie erinnerte es uns an die Situation von gestern. Es gäbe schon eine Möglichkeit, aber man wisse noch nichts genaues und wir müssten erst einmal warten und dann würde schon jemand kommen und etwas für uns parat haben. Nur wann, wer, wo und wie wusste zunächst niemand. Dafür aber fragte uns die zuständige Dame, ob wir etwas zu Essen brauchten und stellte uns daraufhin einen Gutschein für den kleinen Supermarkt aus.

Er wäre allerdings auf die Höhe eines gewissen Betrages beschränkt. Wenn wir mehr einkaufen würden, dann müssten wir es selbst bezahlen. Wir dachten dabei zunächst an so etwas wie 8 oder 10€, doch als wir den Gutschein sahen, fielen uns fast die Augen aus dem Kopf. Die Frau hatte uns einen Essensgutschein über 40€ ausgestellt! Und das, nachdem wir schon die Grundnahrungsmittel beisammen hatten. Wir fühlten uns ein bisschen wie bei der Shopping-Queen und durchstöberten den Laden nach den teuersten und besten Dingen, die man kaufen konnte. Wir durften nicht zu sparsam sein, denn große Mengen konnten wir nicht mehr tragen. Also musste Qualität her. Biohonig für 5€, ein Balsamiko-Essig für 6€, die Edelsten Pilze, ein großes Glas Oliven, eine ordentliche Portion Erdnüsse, Spargel, ein leckerer Saft, ... Fast hätte ich nicht geglaubt, dass wir die vierzig Euro überhaupt ausgeben könnten, doch dann waren sie schließlich erreicht. Genau 11Cent mussten wir selber zahlen. Das wird auf jeden Fall ein Schlemmerabend, wie er im Buche steht!

Spruch des Tages: Manchmal bekommt man nichts und manchmal bekommt man alles auf einmal...

Höhenmeter: 60 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 6301,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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