Tag 342: Holzarbeiter

von Heiko Gärtner
09.12.2014 16:06 Uhr

Unsere Übernachtungssituation von gestern zählt wahrscheinlich zu den abstraktesten der ganzen Reise. In Saint Maximin fragten wir zunächst am Rathaus und wurden von dort zum Pfarramt weiterverwiesen. Eine kleine, alte Frau mit liebevollen Augen öffnete die Tür und bat mich herein. Sie rief den Pfarrer an und reichte mir das Telefon, nachdem sie ihm unser grobes Anliegen erklärt hatte.

„Ich habe einen kleinen Raum mit Heizung, den ich euch geben kann!“ erklärte er mir, was sich in meinen Ohren nach einem großartigen Schlafplatz anhörte. Um 12:30Uhr würden wir uns mit seiner Frau vor dem Eingang der Basilika treffen. Wir hatten also noch eine gute Dreiviertelstunde Zeit um dem Dönermann und der Basilika einen Besuch abzustatten. In dem Gotteshaus lagen unter dem Altar in einer Krypta die Gebeine der Maria Magdalena. Eigentlich hatte ich gedacht, dass sie bereits in Vézeley lagen, doch das gute an einem Skelett ist offenbar, dass man es nach belieben in seine Einzelteile zerlegen und über das ganze Land verteilen kann. Ob das der Seele der guten Dame so taugt bin ich mir zwar nicht sicher, aber wahrscheinlich hat sie nach über 2000 Jahren genug abstand zu ihrem Körper gewonnen, um der Sache eher gelassen entgegen zu sehen. Hier in Saint Maximin wurde, wenn die Knochen echt sind, jedenfalls ihr Kopf aufbewahrt und so schaute sie einen mit großen Augenhöhlen an, wenn man das Kellergewölbe unter dem Altar betrat. Ihr Taint hat seit ihrer Liebschaft mit Jesus wahrscheinlich etwas nachgelassen aber ansonsten war sie noch recht gut in Form.

Kurze Zeit später trafen wir auf dem Vorplatz von Marias vorerst letzter Ruhestädte die Frau des Pastors. Zu unserer Überraschung wollte sie uns nicht zu einem Gemeindesaal führen, sondern mit den Auto in ein vier Kilometer entferntes Dorf fahren, wo sie und ihr Mann lebten. Dort betrieben sie auch eine kleine Pilgerherberge. Ihr Hochdachkombi war gerade so groß, dass man die Wagen mit aller Mühe einzeln hineinbringen konnte. Doch nach einer guten Idee klang das nicht. Also sahen wir uns nach einer Unterbringungsmöglichkeit für die Wagen um. Doch die liebe alte Dame aus dem Pfarramt war nun in ihrer Mittagspause und die Damen aus dem Rathaus konnten sich nicht so recht dazu durchringen, die Babysitter für zwei Gepäckwagen zu spielen. Also hieften wir erst Heikos und eine Viertelstunde später meinen Wagen in das Auto. Die vier Kilometer führten uns direkt in die Richtung zurück, aus der wir zuvor gekommen waren. Nur etwas nördlicher.

Während ich an der Kirche wartete, hatte Heiko seinen Erstkontakt mit unserem Gastgeber. Heiko gegenüber wurde das Thema Geld nicht angesprochen, doch er bekam mit, dass der Pfarrer und seine Frau darüber diskutierten, wo sie uns unterbringen sollten, wo wir doch nichts zahlten. Das Gästehaus, jedenfalls kam nicht in Frage, den das kostete 35€ pro Nacht und Person. Die kleine Pilgerabsteige, die aus einem kalten Raum mit ein paar alten Couches bestand, konnte man uns schon anbieten. Anschließend setzten sich Heiko und der Pastor in die Küche vor den Ofen und unterhielten sich, so gut es auf Französisch eben ging. Heiko erklärte ihm, unseren Speiseplan, was bei dem völligen Mann eher auf Unverständnis stieß. Er erzählte von einem Kloster, dass sich um Alkoholiker kümmerte, die trocken werden wollten. Uns selbst die würden in der Messe Wein trinken. Da wäre es doch nicht einzusehen, dass wir als einfache Wandersleute abstinent lebten. Heiko versuchte ihm zu erklären, dass er von dieser Praxis des Klosters nicht besonders viel hielt, scheiterte jedoch am geringen Wortschatz.

Als ich ebenfalls eintraf, war die Diskussion jedoch bereits wieder beendet und es ging ans Mittagessen. Das Essen war reichlich und reichhaltig, wenngleich kein geschmackliches Highlight. Dafür aber gab es frische Avocados und die haben für das säuerlich schmeckende Gemüse entschädigt. Irgendwie herrschte jedoch die ganze Zeit über eine komische Atmosphäre. Die Leute waren nicht unfreundlich und wir waren Dankbar für den Schlafplatz und vor allem für den warmen Platz am Ofen. Doch es wirkte, als wären wir nicht wirklich willkommen. Das Beherbergen von Pilgern war auch hier wieder ein Business und hatte wenig mit einer Herzenspassion zu tun.

Den Nachmittag hatten wir dann für uns. Wir durften in der Küche vor dem Ofen arbeiten, während der Hausherr nebenan vor dem Fernseher auf dem Sofa saß und schnarchte.

Am Abend kam die chinesische Adoptivtochter der beiden nach hause. Schüchtern tauschte sie ein paar Sätze mit uns und verschwand dann in ihrem Zimmer, um Klavier zu spielen.

Eigentlich war der Plan, dass wir alle gemeinsam zu Abend essen, doch dann wurde der Plan kurzfristig wieder umgeworfen und wir bekamen doch das Gästehaus zum Kochen und Essen zur Verfügung gestellt.

Unser Raum für die Nacht war inzwischen so kalt, dass uns die Schuhe fast am Boden festfroren. Daher fragten wir noch einmal nach, ob wir unsere Matratzen nicht auf dem Boden im Gästehaus ausbreiten konnten, wo es bereits warm war. Wiederwillig sagten sie zu. Wieder hatten wir ein gemischtes Gefühl dabei, denn auf der einen Seite waren wir froh über die Wärme und auf der anderen Seite hatten wir wieder das Gefühl nicht wirklich willkommen zu sein.

Das Gefühl bestärkte sich in der Früh, als wir uns verabschiedeten. Denn jetzt rückten die beiden mit dem Preis für die Nacht und die Verköstigung heraus: „Hinten hinter dem Haus lagern zwei Steher Holz. Die müsst ihr nun nach vorne vor die Haustür verkarren.“ Erklärte er uns. Es war an sich kein Problem, doch wäre es einfach höflich gewesen, wenn die Bedingungen zuvor vereinbart worden wären.

Lustiger Weise handelte es sich bei dem Holz um komplett durchgeweichte und halb vermoderte Stempen voller Schimmel und Pilze, mit denen man eigentlich nichts mehr anfangen konnte. Das Umschlichten war ja ok, aber musste es wirklich eine so sinnlose Arbeit sein?

Als wir unser Soll nach einer Stunde soll erfüllt haben brachen wir schließlich auf. Die Sonne stand nun hoch am Himmel und langsam wurde es warm. Die vom nassen Holz tiefgekühlten Hände tauten langsam wieder auf.

Es wurde ein richtig schöner Tag, an dem das Wandern wirklich spaß machte. In Bras, einem kleinen Ort mitten in den Bergen wurden wir von einer Nonne aufgenommen. Hier war es wieder etwas ganz anderes. Die Situation war von der ersten Sekunde an entspannt und freundlich. Wir wurden sogar ein bisschen an unsere Nacht in Clairveaux erinnert. Auch hier wurde die Übernachtungsfrage erst einmal nach hinten verlagert. Da wird sich schon was finden. Jetzt wird erstmal etwas gegessen.

Spruch des Tages:

Geld ist nicht alles!

Du kannst ein Bett kaufen, aber keine Träume

Du kannst eine Uhr kaufen, aber keine Zeit

Du kannst ein Buch kaufen, aber keine Intelligenz

Du kannst eine Position kaufen, aber keinen Respekt

Du kannst Medikamente kaufen, aber keine Gesundheit

Du kannst Sex kaufen aber keine Liebe

Höhenmeter: 70 m

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 6355,37 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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