Tag 362: Die dunkle Wahrheit hinter der Daunenproduktion

von Heiko Gärtner
30.12.2014 19:08 Uhr

 Vor zwei Tagen haben wir euch ja bereits von der grausamen Behandlung der Weihnachtsgänse in den Stopfmastbetrieben berichtet. Dabei hatten wir auch erwähnt, dass ein Teil der Daunen, die später in unseren Kopfkissen, Deckbetten, Schlafsäcken und Winterjacken landen, ebenfalls aus diesen Betrieben kommen. Wenn die Gänse nach ihrem kurzen aber qualvollen Leben unter der Fressfolter schließlich getötet werden, dann werden sie gerupft und die Daunen kommen in den normalen Handel. Doch natürlich reichen die Daunen aus diesen Betrieben nicht aus, um den kompletten Bedarf zu decken. Woher also stammen die restlichen Daunen? Werden sie auf humanere Weise gewonnen oder leiden die Gänse, die uns ihr Federkleid zum Wärmen spenden genauso?

Gerne würden wir euch an dieser Stelle beruhigen und doch die Wahrheit lässt das leider nicht zu. Wie alle Tiere, die für die Produktion von irgendeiner Ware gezüchtet und gehalten werden, ist auch das Leben der Daunen-Gänse alles andere als ein Zuckerschlecken. Auch sie werden in Massentierhaltung zu tausenden auf engstem Raum zusammengepfercht und leben dort ähnlich wie Schlachthühner. Das allein dies schon grausam ist, ist keine Frage, doch darauf will ich an dieser Stelle nicht hinaus. Stellt euch einfach vor, ihr verbringt euer ganzes Leben lang aus einer Isomatte in einer riesigen Fabrikhalle in der gemeinsam mit euch rund 80.000 Menschen eingesperrt sind, die ihre Schlafplätze auf den Zentimeter genau aneinandergereiht haben. Drei Mal am Tag senken sich Schläuche von der Decke herab, durch die ihr per Knopfdruck einen faden, geschmacksneutralen Essensbrei sowie ausreichend Wasser bekommt. Wenn ihr euch in diese Situation hineinversetzen könnt, dann könnt ihr auch ungefähr nachvollziehen, wie sich ein Tier in der Massenhaltung fühlen muss.

Doch wie gesagt, das ist erst der normale Massentieraltag und hat noch nichts mit den Besonderheiten eines Daunenproduktionsbetriebes zu tun.

Weil in Deutschland die lästigen Tierschutzrechtlinien wieder einmal strenger sind als in anderen Ländern sind die meisten dieser Betriebe in Osteuropa oder in anderen Ländern stationiert, in denen es keine oder jedenfalls keine störenden Gesetze in Bezug auf Tierquälerei gibt.

Früher wurden die Daunen von den Gänsen verwendet, die geschlachtet und gegessen wurden. Das ist durchaus auch sinnvoll, denn auf diese Weise kann man das gesamte Tier verwenden und muss nichts wegwerfen. Es ist also auch eine gewisse Ehrerbietung dem Tier gegenüber, dessen Leben man nimmt. Doch wenn jede Gans nur ein einziges Mal in ihrem Leben Daunen spendet, dann ist das aus wirtschaftlicher Sicht nicht besonders effektiv. Ihr ahnt vielleicht schon, worauf das hinausläuft.

Wenn die Gänse ihr volles Federkleid entwickelt haben, dann werden sie von den Arbeiterinnen und Arbeitern am Hals gepackt und in einen separaten Raum gebracht. Hier warten bereits andere Arbeiter, die auf langen Reihen von Stühlen sitzen. Sie legen sich die Gänse auf den Schoß, mit dem Bauch nach oben, klemmen die Hälse unter dem Arm ein und reißen den Vögeln in einer unglaublichen Routine und Geschwindigkeit die Federn aus. Die Gänse schreien vor Schmerz. Sie bekommen keine Betäubung und sind bei vollem Bewusstsein. Hilflos müssen sie die Prozedur über sich ergehen lassen. Könnt ihr euch vorstellen, was das für Schmerzen bedeuten muss? Wenn nicht, dann krempelt einmal euren linken Ärmel hoch, packt mit der rechten Hand so viele Armhaare wie ihr könnt und zieht mit einem kräftigen Ruck daran. Nicht doll, nicht so sehr, dass ihr sie wirklich herausreißt, sondern nur so stark, dass ihr sie ordentlich anzieht. Allein dies ist schon schmerzhaft. Jetzt stellt euch vor, wie es wäre, sie wirklich ganz herauszureißen. Und dann stellt euch das am ganzen Körper vor. Zunächst wird der Bauch bearbeitet, bis keine Daune übrig ist. Dann geht es an den Rücken. Nur der Hals, der Kopf und die Flügel werden ausgespart, da man die Federn hier nicht verwenden kann. Wenn die Gans fast vollkommen nackt ist, steht der Rupfer auf und bringt sie zu einem Zaun. Auf der anderen Seite wartet bereits ein weiterer Arbeiter, der dabei hilft, auch die letzten weißen Daunen aus der Haut des Tieres zu reißen. Dann packt er den Vogel bei den Flügeln und wirft ihn in den Bereich für fertig gerupfte Gänse. Der Rupfer geht zurück auf seinen Platz und nimmt die nächste Gans entgegen. Die nackten Gänse laufen nun völlig verstört umher und versuchen sich hinter Heuballen zu verstecken. Sie frieren furchtbar und überleben die Qual nur aufgrund von Medikamenten. Gänse sind Fluchttiere. Sie greifen in der Regel nicht an, sondern versuchen vor einer drohenden Gefahr zu flüchten. Doch hier haben sie keine Chance. Sie können sich nicht verstecken können nicht entkommen und finden nirgendwo Schutz. Nach einiger Zeit kauern sie sich alle in eine Ecke und versuchen sich gegenseitig zu wärmen. Doch durch die große Nähe steigt auch die Gefahr, dass sich ihre Angst zu einer Massenpanik steigert. Darum werden sie von den Aufsehern immer wieder gepackt und verscheucht, so dass sie sich gleichmäßig über das ganze Gehege verteilen.

Doch die Vögel, die nach dem Verlust ihres Federkleides gleich in der Nacktzelle landen haben noch Glück. Denn wie fast immer in solchen betrieben, sind nicht nur die Tiere die Leidtragenden, sondern auch die Menschen, die ihnen die Qualen antun. Es sind fast immer unterbezahlte Arbeitskräfte, die so sehr unter Stress und Zeitdruck stehen, dass sie in größter Hektik arbeiten Müssen. Nicht selten passiert es dabei, dass die Arbeiter den Tieren nicht nur die Federn sondern auch Teile der Haut ab- oder zumindest tief einreißen. Wenn dies passiert kommen die verwundeten Gänse zu einer anderen Gruppe von Arbeitern, die ihnen mit gewöhnlichen Nadeln und handelsüblichen Fäden die offenen Wunden zusammennähen. Auch hierbei gibt es keine Betäubung. Die Tiere spüren jeden Stich und winden sich vor Schmerz.

Wenn der ganze Spuk vorbei ist, kommen die nackten und traumatisierten Gänse zurück in ihren Massenkäfig. Hier werden sie weiterhin gemästet, bis ihnen einige Monate später die Federn nachgewachsen sind. Hat ihr Daunenkleid seine volle Pracht wieder erreicht, beginnt die Qual von vorne. Dieses Mal ist es jedoch noch etwas schlimmer, den nun wissen die Gänse bereits, was auf sie zukommt. Etwa alle drei Monate werden sie nun vollkommen gerupft. Wenn sie so zerstört sind, dass sich ein weiterer Durchgang nicht mehr tragen würde, dann kommen sie auf die Schlachtbank. Die letzten 14 Stunden ihres Lebens müssen sie hungern. Dann werden sie zusammengetrieben und in enge Transportkäfige gesperrt. Dabei verletzen sich die Tiere oft gegenseitig und viele von ihnen sterben bereits auf dem Weg in den Schlachthof. Sie werden erdrückt und ersticken oder sie fallen einfach ihrer übermäßigen Überlastung zum Opfer. Es ist das finale eines trostlosen und qualvollen Lebens, eines Lebens als Daunenproduktionsmaschine, die nicht einmal als ein Lebewesen anerkannt wird. Kein Wunder also, dass wir hin und wieder Alpträume bekommen, wenn wir unsere Köpfe auf die weichen, stummen Zeugen dieses Leides Betten und wenn wir uns mit ihren Kameraden zudecken um uns vor der Kälte der Nacht zu schützen.

Doch was ist die Alternative?

Leider gibt es heute so gut wie keine Daunenproduktion mehr, die nicht auch eine Tierquälerei beinhaltet. Und dies ist das eigentlich Fatale an der Geschichte. Daunen sind wie Wolle, Leder und Felle einige der wenigen Naturprodukte, die sich in unserer Gesellschaft noch halten konnten. Doch dadurch, dass sie so qualvoll produziert werden kann man sie mit gutem Gewissen nicht mehr verwenden. Was jedoch ist die Alternative? Es bleiben letztlich nur unnatürliche Produkte übrig, was bedeutet, dass wir uns noch mehr mit Erdöl, Plastik, Kunstfasern und Chemikalien umgeben, als wir es ohnehin schon tun. Und dies bedeutet wiederum, dass wir den Öl- und Chemiekonzernen noch mehr Macht geben, dass wir uns noch weiter von der Natur entfremden und dass wir uns noch mehr mit giftigen Weichmachern und Chemikalien umgeben, die uns steril und krank machen. Fast alle Dokumentationen und Artikel, die die wir über die Aufklärung der Daunenproduktion finden konnten, empfehlen am Ende auf „tierfreundliche“ Produkte umzusteigen. Doch wie sollen diese aussehen? Kann Chemie hier wirklich eine Antwort sein? Man darf dabei nicht vergessen, wie groß die Umweltzerstörung ist, die durch die Ölgewinnung entsteht und auch nicht, wie viel Schaden durch den Müll verursacht wird, der aufgrund der Unmengen an Kunststoffen in unserem Alltag produziert wird. Es ist also nur eine Entscheidung zwischen dem einen oder dem anderen Übel. Gerne würden wir euch an dieser Stelle eine gute, verträgliche Lösung aufzeigen, doch zurzeit können wir das nicht, weil wir selbst keine kennen. Jedenfalls keine, die umsetzbar ist, wenn man weiterhin ein normales Leben in der Zivilisation lebt. Ansonsten kann man natürlich nach Kanada oder Russland auswandern und sich wilde Gänse schießen, die man als Braten und als Quelle für Daunen nutzen kann. Doch ich schätze die wenigsten von euch werden dazu bereit sein. Aber vielleicht habt ihr ja eine Idee für eine tier-, mensch- und umweltfreundliche Alternative zur industriellen Daunen oder Kunstfaserproduktion. Dann freuen wir uns über Hinweise und Kommentare. Wenn wir eine finden, dann erfahrt ihr es natürlich als erstes!

Spruch des Tages: Wenn jemand ein Problem erkannt hat und nichts zur Lösung des Problems beiträgt, ist er selbst ein Teil des Problems (Altes indianisches Sprichwort)

Höhenmeter: 220 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 6732,37 km

Wetter: Heiter bis Wolkig, 8°C im Schatten, 14°C in der Sonne.

Etappenziel: Italien, 17047 Vado Centro

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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