Tag 375: Das Zwei-Mann-Kloster

von Heiko Gärtner
12.01.2015 22:18 Uhr

Die Nacht war eine der kältesten auf unserer Reise. Der nette, grauhaarige Mann von der Kirchengemeinde, der uns die Tür aufgeschlossen hatte, hatte also nicht übertrieben, als er uns davor warnte, dass es vielleicht etwas frischer sein könnte. 600m höher machten also doch noch einmal einen Unterschied. Wir konnten sogar unseren eigenen Atem sehen, während wir bereits in unseren Schlafsäcken lagen.

Heute folgte dann ein kühler, nebliger Tag. Die Wolken standen niedrig und wir befanden uns auf unserem Bergkamm bereits mittendrinn. Es war teilweise kaum noch auszumachen, ob wir uns noch immer in den Bergen befanden, denn die Sicht reichte oft nicht bis zur nächsten Klippe. Dann riss es ein bisschen auf und ein gespenstisches Bergpanorama wurde sichtbar. Knorrige Bäume, schroffe Felsen und tief unter uns ein glasklarer Gebirgsbach. Alles in einen grauen Schleier gehüllt.

Schließlich erreichten wir eine Autobahnauffahrt neben der sich ein verlassen wirkendes Kloster befand. Es wirkte so verlassen, dass wir nicht einmal klingeln und nach einem Schlafplatz fragen wollten, weil wir nicht glaubten, dass es irgendeinen Sinn gehabt hätte. Einen Kilometer weiter erreichten wir einen kleinen Ort. Der hier ansässige Pfarrer schickte uns zurück zu besagtem Kloster. Er hätte nichts für uns, und die Mönche würden sich normalerweise um Pilger kümmern. Also Marschierten wir wieder zurück und klingelten doch an der alten verfallenen Pforte. Ein großer Mann mit langem Mantel und fast ebenso langem Schal um den Hals öffnete die Tür. Er wirkte wie ein alter Seebär und begrüßte mich auch genauso schroff, rau und herzlich, wie man es von einem solchen erwartet hätte.

Wenige Minuten später saßen wir im übergroßen Speisesaal gegenüber von einem riesigen Wandgemälde auf dem das letzte Abendmahl zu sehen war. Anders als bei Da Vincis berühmten Werk zeigte dieses Bild jedoch den Moment, in dem Jesus seinen Jüngern von seiner bevorstehenden Kreuzigung berichtete. Die zwölf Männer waren dabei mit ihrer ersten Spontanreaktion abgebildet worden, was dem Gemälde eine ungeheure Dynamik und Spannung verlieh. Unser Gastgeber hingegen war eher der entspanntere Typ. Er stellte uns zunächst einem Bruder und dann der Köchin vor. Als wir ihn fragten, wie viele Mönche sonst noch hier lebten, antwortete er: „Nur wir zwei!“

Der Gebäudekomplex umfasste mindestens 20 Räume, einen Innenhof mit Park, eine eigene Kirche, einen Friedhof, ein großes Außengrundstück mit Gemüsegärten und Schafsweiden, einen riesigen Speisesaal, eine Industrieküche, ein Fernsehzimmer, einige andere Aufenthaltsräume und eine kleine Tee-Küche. Und all dies wurde von nur zwei Männern bewohnt und betreut! Wenn das nicht mal ein entspannter Job war! Es war unglaublich, was die Kirche an Werten überall auf der Welt hatte, die langsam mehr und mehr verfielen, weil es niemanden mehr gab, der sie betreuen wollte. Das Kloster hier war einmal wirklich belebt gewesen. Wenn nun die beiden letzten Mönche auch noch eines Tages verstarben, dann war es fraglich, ob überhaupt noch jemand übrig blieb. Spannend war auch diese große Ambivalenz zwischen dem ungeheuren Reichtum auf der einen und der Armut auf der anderen Seite. Das Gebäude war locker seine drei bis vier Millionen wert und gleichzeitig gab es nicht genügend Geld um die Möbel und Fenster richtig in Stand zu halten. Alles wurde notdürftige geflickt, selbst dann, wenn es einmal viel Geld gekostet hatte. Allein das Gemälde im Speisesaal war ein Vermögen wert, doch ansonsten gab es keinen Luxus. Nicht einmal ein Wasserkocher war vorhanden. Das Wasser für unseren Früchtetee wurde in der Mikrowelle erhitzt. Obwohl die beiden Männer nur zu zweit waren, hatten sie eine eigene Köchin, die sie täglich versorgte, gleichzeitig verzichteten sie aber im kompletten Kloster darauf zu heizen. Beide hielten sich hier in ihren dicksten Wintermänteln auf.

Nach dem Essen machten wir noch einen kleinen Ausflug in die nächste Ortschaft. Hier entdeckten wir in einer großen Einkaufsmeile mit lauter Outlet-Stores einen kleinen Helfer, der uns das leben in Zukunft hoffentlich etwas erleichtern wird. Es ist eine Minikochplatte, die nur rund 600g wiegt und mit der wir unser Essen nun auch zubereiten können, wenn wir kein Gas, kein Benzin und keine Küche in unserem Schlafplatz haben. Die erste Aktion dafür wird heute Nacht eine heiße Wärmflasche sein, denn unser Raum ist natürlich auch nicht geheizt. Langsam sehnen wir uns schon wieder dem Sommer entgegen. Endlich wieder einmal warme Räume. Das wird ein Traum!

Spruch des Tages: Entspannung ist das halbe Leben

 

Höhenmeter: 64m

Tagesetappe: 16

Gesamtstrecke: 6844,37 km

Wetter: Neblig, leichter Nieselregen bei 12°C am Nachmittag kurzer Sonnendurchbruch. (Mann war das schön!)

Etappenziel: Kloster der Passionista-Mönche, 19020 Brugnato, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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