Tag 406: Sauerbraten

von Heiko Gärtner
13.02.2015 18:22 Uhr

Das krönende Highlight des gestrigen Tages war das Abendessen. Denn nun hatten wir endlich die Gelegenheit, den hausgemachten Sauerbraten von Heikos Mutter, den sie uns im Paket mitgeschickt hatte, zuzubereiten. Dazu gab es frische Kartoffelknödel, ganz so wie es sich für eine richtige, bayrische Mahlzeit gehört. Wir hatten vergessen, wie gut dieses heimische Essen schmeckte. Wie gut überhaupt Essen schmecken konnte, wenn es nicht nur aus Reis mit Öl bestand. Nichts gegen Reis mit Öl, aber im Vergleich zu einem ordentlichen Sauerbraten stinkt der schon ganz schön ab. Das Beste an der Sache ist aber, dass wir für heute Abend noch eine zweite Portion parat haben.

Heute war ein so frühlingshafter Tag, dass man fast nicht mehr glauben konnte, dass es noch vor kurzem eine Sintflut nach der nächsten gegeben hatte. Überall erwachte die Natur zu neuem Leben. Die Krokusse sprossen, die Tauben flatterten verliebt durch die Baumwipfel. Die Eichhörnchen jagten hintereinander her und überall in den Böschungen lugten die kleinen Eidechsen hervor, um sich von den Sonnenstrahlen die Winterstarre wegschmelzen zu lassen. Auf unserem Weg durch die bewaldeten Hügel sahen wir heute in nur zwei Stunden mehr Tiere als zuvor im ganzen Monat.

Da es schön sonnig und warm war und wir für heute nur eine kurze Strecke geplant hatten, nutzten wir einen kleinen Platz auf einem Bergkamm um unsere Wagen für das Frühjahr zu entrümpeln. Die neuen Packsäcke, die ich bekommen hatte waren wesentlich größer als die alten und hingen nur allzu gerne an beiden Seiten in die Reifen. So konnte es nicht weitergehen. Wir beschlossen daher, ein paar Einsparungen zu treffen und alles in einem Packsack zu verstauen, was wir brauchten. Gerade als wir den gesamten Inhalt aller Taschen auf dem Boden verteilt hatten, wurden wir von einem kleinen schwarz-braunen Hündchen mit überdimensionierten Riesenzitzen entdeckt. Die Kleine wurde von ihren Herrchen offenbar nicht allzu sehr geliebt, denn sie hatte es sich zur Tagesaufgabe gemacht, so viel wie möglich von unserer Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Immer wenn wir gerade dabei waren, irgend etwas zu sortieren, kam sie angewackelt und setzte sich mitten auf die Sachen.

„Ach komm schon!“ rief ich, als sie sich gerade in das Kameraequipment kuschelte und sich dabei auf das Stativ setzte, „geh weg da, du störst gerade!“

Ich schob sie mit der Hand beiseite um ihr deutlich zu machen, dass sie hier gerade fehl am Platz war, doch sie missdeutete meine Geste als Zeichen dafür, dass ich sie nun streicheln wollte. Sofort warf sie sich wie ein Kefer auf den Rücken, streckte die Beinchen in die Luft und hielt ihr Zitzen in die Sonne. Wiederstand war zwecklos! So sehr man auch versuchte, ihr böse zu sein und sie zu vertreiben, sie war einfach zu knuffig, so dass man gar nicht anders konnte, als sie zu streicheln. Sie freute sich so sehr, dass einmal Menschen da waren, mit denen sie spielen konnte, dass sie mit ihrem Stummelschwänzchen schnell genug wedelte, um damit abheben zu können. Nach einer guten Stunde hatten wir es dennoch geschafft, alles soweit umzupacken, dass es ins Wageninnere und in die eine Aufbautasche passte. Nun galt es, eine Post zu finden und die überschüssigen Dinge ebenfalls heimzuschicken. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was das für eine Odyssee werden würde, hätte ich mir auf jeden Fall ein Buch mitgenommen. Obwohl der Ort winzig war, war die Poststation so stark gefüllt, dass niemand mehr hineinpasste. Auf dem Weg hatte ich mir in einem Obstladen einen Karton besorgt und so konnte ich die erste Zeit nutzen, um alles sicher zu verpacken. Anders als in deutschen Poststellen gibt es in den italienischen leider keine Paketaufkleber, die im Warteraum herumliegen. Man muss sich also erst in die Schlange stellen, warten bis man an der Reihe ist, sich einen Aufkleber geben lassen, ihn ausfüllen und sich dann anschließend noch einmal anstellen. In meinem Fall musste ich diese Prozedur sogar zweimal wiederholen, da ich den Zettel nach Ansicht der strengblickenden Postbeamtin nicht richtig ausgefüllt hatte. Nach dem zweiten Mal machte sie mir dann umständlich klar, dass ich mein Paket so unmöglich abschicken konnte. Es hatte das Bild einer Birne und mehrere Schriftzüge auf der Seite und das durfte nicht sein. Ich müsse also zum nächsten Kiosk gehen, mit Packpapier kaufen und den Karton einmal komplett in Packpapier einschlagen. Dann könne ich es abschicken.

Damit war ich jedoch ganz und gar nicht einverstanden. Es musste doch reichen, wenn man alles an Text, das mit viel Fantasie versehentlich für eine Adresse gehalten werden konnte, mit einem Klebeband abdeckte. Doch das reichte nicht. Jeder noch so kleine und noch so unbedeutende Farbklecks, der irgendwo auf dem Paket war, musste abgedeckt werden. In meinem Fall betraf diese Fläche in etwa den halben Karton. Dafür war das gute Panzertape definitiv zu schade. Doch ein anderes wollte sie mir nicht geben. Mir nicht, doch zum Glück war sie gegenüber der Dame, die hinter mir in der Reihe stand und die das gleiche Problem hatte freundlicher eingestellt. So konnte ich doch noch eine Rolle Paketklebeband ergattern und damit meinen Karton von oben bis unten komplett in braunes Plastik einwickeln. Zwei Mal, denn bei einer Schicht leuchtete noch etwas durch und auch das durfte nicht sein. Stolz präsentierte ich der machtbesessenen Beamtin mein Kunstwerk. Doch nun stand ich vor den nächsten Problem. Der Adressat musste nicht nur auf dem Postaufkleber angegeben, sondern auch noch einmal direkt auf das Paket geschrieben werden. Dafür aber gab es bei all dem Klebeband nun kaum noch einen Platz. Vorsichtig quetschte ich die Zeilen in die einzig noch freie Ecke und versuchte noch einmal das Paket an der Wachhündin des Schalters vorbei ins Postverteilungssystem zu schleusen. Ihre Antwort war ein absolut unverständliches Kauderwelsch auf Italienisch. Englisch sprach sie nicht und auch der Kollege, der zum Übersetzen hinzugezogen wurde, konnte nicht mehr als ein paar Basics. Hilfesuchend schaute ich mich im Warteraum um, ob nicht irgendjemand dabei war, der eine Sprache sprach, die ich verstand. Doch ich schaute nur in verständnislose Gesichter. Dann stand plötzlich doch eine Dolmetscherin hinter mir, woher auch immer sie aufgetaucht ist.

„Du musst angeben,“ sagte sie, „ob das Paket zurückgeschickt werden soll, falls es an der Adresse nicht zugestellt werden kann! Das kostet dann aber extra!“

„Wie bitte?“ sagte ich.

Meine Übersetzerin fasste meine Frage als Verständnisfrage auf und wiederholte das gesagte.

„Was passiert denn mit dem Paket, wenn es nicht zurück geschickt wird?“

„Keine Ahnung, ich arbeite hier ja nicht!“ sagte sie.

„Das ist mir klar,“ antwortete ich und war nun langsam wirklich gereizt, „aber du kannst sie doch einfach fragen!“

„Oh stimmt!“ bemerkte sie und wandte sich der Beamtin zu. Dann übersetzte sie für mich: „Es wird vernichtet!“

Was sollte das denn jetzt!?! Die konnten doch nicht einfach ein Paket zerstückeln, wenn es nicht ankommt.

„Was kostet es denn mehr, wenn ich es zurückschicken lasse?“ fragte ich. Diesmal wandte sich die Übersetzerin gleich an die Beamtin und teilte mir mit, dass auch diese keine Ahnung habe. Es dauerte noch rund 10 Minuten, bis ich herausfand, dass der Preis jetzt der selbe blieb, dass es aber sein konnte, dass die DHL für die Rücksendung noch einmal etwas berechnen würde. Damit war ich einverstanden und so konnte das Paket nun endlich durch die Doppelkammersicherheitsschleuse ins innere der Postfiliale wandern und sich von hier auf seinen Weg nach Deutschland machen.

Als ich wieder auf der Straße stand war es bereits 14:00Uhr. Um 13:30 Uhr hätte die Post eigentlich schließen wollen, doch hinter mir wartete immer noch eine Schlange von mehr als 5 Personen. Selbst schuld, dachte ich mir, wenn du deinen Kunden nicht so viel Zeit stehlen würdest, hättest du schon längst Feierabend!

Ich hatte tatsächlich knapp zwei Stunden im Postamt verbracht, nur um ein Paket abzugeben. Könnt ihr euch das vorstellen?

Als wir am Abend in der Pilgerherberge des Pfarrhauses unseren Platz fanden, lernten wir eine Italienerin kennen, die 20 Jahre lang in den USA gelebt hatte und seither mit der Mentalität ihrer Landsleute nicht mehr zurecht kam.

„Die Italiener machen aus allem ein riesiges Problem! Du kannst hier nicht einmal ein Glas Wasser bestellen, ohne dass ein Drama daraus entsteht!“ sagte sie und wünschte sich, das Land so bald wie möglich wieder verlassen zu können. Wie Recht sie damit hatte.

Spruch des Tages: Was ist die seltenste Flüssigkeit der Erde? Der Schweiß von italienischen Postbeamten.

 

Höhenmeter: 290m

Tagesetappe: 10 km

Gesamtstrecke: 7492,27 km

Wetter: Wirklich frühlingshaft

Etappenziel: Pilgerherberge der Kirchengemeinde, 00063 Campagnano di Roma, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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