Tag 452: Palmsonntag

von Heiko Gärtner
31.03.2015 21:15 Uhr

Als ich gestern Nachmittag meinen Computer einschaltete, ploppten als aller erstes zwei Mitteilungen auf meinem Computer auf, die uns beide vor ein Rätsel stellten. Die erste lautete: „Morgen: Beginn der Sommerzeit“.

„Jetzt schon!?!“ fragte Heiko entgeistert.

„Naja, es sind immerhin schon drei Monate dieses Jahres wieder herum, also wird es theoretisch ja auch langsam mal Zeit.“

„Du immer mit deinen schlauen Sprüchen!“ meinte Heiko nur schnippisch, „heißt das dann, wie bekommen jetzt eine Stunde Schlaf geschenkt?“

„Möglicherweise!“ antwortete ich, „oder es wird uns eine Stunde geklaut. Ich weiß das immer nicht!“

„Na super!“ meinte er, „Ich denke, wir stehen einfach auf wie immer und schauen was passiert!“

Genau das taten wir dann auch. Doch das Problem war nur, es passierte nichts. Wir wachten mit dem Klingeln um 8:30Uhr auf wie immer. Die beiden Computer-Uhren zeigten die gleiche Zeit an. Leider beantwortete das keine Frage, denn die Uhren stellten sich ja automatisch auf die richtige Zeit ein. Entweder hatten sie sich also alle eine Stunde vor oder nach gestellt oder alle zeigten noch die gleiche Zeit wie gestern. Später versuchten wir herauszufinden, ob irgendeine Kirchenuhr eine verräterische Stunde falsch ging, weil man vergessen hatte, sie umzustellen. Doch alle zeigten exakt die gleiche Uhrzeit an wie unsere eigenen Uhren. Auch vom Gefühl her kam es uns nicht so vor, als hätten wir großartig mehr oder weniger geschlafen. Bis zu dieser Minute sind wir noch immer ratlos. Mein Computer sagt mit zum Thema aktuelle Zeitzone: „Mitteleuropäische Sommerzeit“. Doch war das gestern wirklich anders? Oder war die Zeitumstellung vielleicht sogar schon Wochen her und wir hatten es nicht bemerkt.

Wie auch immer. Irgendwann wird es sich schon aufklären und wenn nicht. Wer braucht auf einer Weltreise schon die genaue Zeit?

Die zweite Nachricht lautete: „Morgen: Palmsonntag“.

Das erklärte natürlich, warum das kleine Theater, das uns als Schlafraum zur Verfügung gestellt wurde, über und über mit Grünzeug vollgestopft worden war. Es erklärte auch, warum in der Früh ein ganzer Trupp von Gläubigen in unsere Schlafgemach stürmte und dieses Grünzeug in die Kirche schleppte.

Auf der Wanderung durch die kleinen Städtchen und entlang der Kanäle kam jedoch irgendwann die Frage in uns auf, was dieser Palmsonntag eigentlich war. Im evangelischen Norden, in dem ich aufgewachsen bin, war er als Feiertag so gut wie unbekannt. Heiko kannte zwar die Tradition, dass man an diesem Tag in der Kirche einen Palmwedel oder etwas Vergleichbares bekam, doch welchen Ursprung der Feiertag hatte, wusste auch er nicht. Sofort begann eine wilde Ratestunde. Wieso kam man ausgerechnet auf Palmsonntag? Was hatten die Palmen hier zu suchen? Ich gebe zu, unsere ersten Ideen waren etwas unortodox: „Vielleicht war es der Tag, an dem sich alle Heiligen kräftig einen von der Palme wedeln durften, nachdem sie es geschafft hatten, ein Jahr lang komplett ohne Sexualität zu leben“ schlug Heiko vor und begann zu lachen.

„Oder,“ ergänzte ich, „es war der Tag, an dem die Menschen mit ihrem Starrsinn Jesus so sehr auf die Palme gebracht haben, dass er die Schnauze gestrichen voll hatte und beschloss dem ganzen ein Ende zu setzten, in dem er sich ans Kreuz nageln ließ.“

„Oder,“ setzte Heiko noch einen drauf, „Jesus und seine Jünger feierten an dem Tag eine fette Massage-Party und rieben sich dabei mit Palmöl ein.“

Schließlich mussten wir jedoch zugeben, dass wir einfach keine Ahnung hatten. Heiko vermutete, dass es wohl irgendetwas mit seiner Verhaftung und seinem Prozess zu tun hatte. Mir kam noch der Gedanke, dass es vielleicht auch eine Erinnerung an die Begrüßung sein könnte, mit denen die Kinder Jesus empfangen haben. Ich erinnere mich nicht mehr wo und wie, aber ich habe irgendwo so eine Geschichte im Kopf, dass Jesus in eine Stadt kam und ihm die Menschen mit Palmenwedeln zuwinkten.

Sobald wir in diesem Netzlosen Land mal wieder an Internet kommen, werden wir versuchen, diese Wissenslücke zu stillen.

Ansonsten gab es noch zwei andere recht nette Anekdoten, die uns heute passiert sind. In einer kleinen Ortschaft sprach uns ein Mann mit dem üblichen: „Wo kommt ihr her?“ an. Unser Interesse an einer der typischen, inhaltslosen Unterhaltungen war relativ gering und so widmeten wir ihm nur ein kurzes „Deutschland!“ ohne dabei stehenzubleiben. Der Mann schaute uns einen Moment an, so als zweifelte er daran, ob diese Antwort wahr sein konnte, weil die Entfernung einfach zu weit war. Dann jedoch fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn und meinte: „Achso, ihr seit mit dem Fahrrad unterwegs!“

„Genau!“ rief ich und konnte mir ein Lachen kaum noch verkneifen, „wir fahren mit dem Rad!“

Es dauerte eine Weile bis wir uns wieder einkriegen konnten. Der Mann hatte seine Feststellung vollkommen ernst gemeint und ist sicher noch immer davon überzeugt, dass wir mit dem Rad unterwegs sind, obwohl er uns zu Fuß mit zwei riesigen Wagen vorrübergehen gesehen hat. Seine Fähigkeit, seine Wahrnehmung seinem Gedankenbild anzupassen, war einfach bewundernswert.

In Mira stießen wir dann zunächst auf einen Pfarrer von der Associazione Madonna di Fatima in einer beeindruckend prunkvollen Robe. Er hatte zwar keinen Platz für uns, schenkte uns aber eine riesige Tüte voll mit Kuchen. Eigentlich hatten wir ihn zwar um eine Tomatensauce gebeten, aber so groß war der Unterschied ja nicht, das konnte man schon auch einmal verwechseln. Dann zeigte er auf ein Gebäude auf der anderen Seite des Kanals und meinte, wir sollen es dort versuchen, da es sich um ein Franziskanerkloster handelte. Auf dem Weg dorthin verschenkten wir den Kuchen an vier Türken, die in ihrem Garten saßen und grillten. Zumindest sie profitierten also von dem Prunkpfarrer, denn das Kloster erwies sich als freie Erfindung, die nie in der Realität existiert hatte. Ich spürte, dass ich schon wieder wütend wurde. Wieso konnte der Knilch nicht einfach seine Klappe halten, wenn er doch keine Ahnung hatte. Glaubte er wirklich, dass es uns mehr half, wenn er uns mit einem zusätzlichen Irrweg ablehnte, als wenn er einfach nur sagte, dass er uns nicht aufnehmen wolle? Das musste doch nicht sein! Ich spürte aber auch, dass meine Wut nicht wirklich von ihm herrührte. Wir hatten nun schon so viele nervige und irreführende Menschen getroffen, über die ich mich nicht aufgeregt hatte, dass es außer Frage stand, dass er nur ein Spiegel war. Offensichtlich wird die Panzerschicht, mit der ich meine Gefühle vergrabe, langsam etwas dünner.

Der Pfarrer an der Hauptkirche im Ort war ebenso ein Scherzkeks: „Es tut mir leid, heute können wir euch leider nicht aufnehmen, weil wir ein Problem mit unserem Glockenturm haben. Seht ihr: da stehen schon vier Feuerwehrleute mit den Händen in den Hosentaschen herum und schauen Löcher in die Luft! Wir haben nur einen Gebäudekomplex mit nicht einmal 1000 Quadratmetern und der Glockenturm befindet sich mitten im Hof, da können wir jetzt unmöglich irgendwo ein Zimmer für euch frei machen. Seht ihr nicht, wie stressig gerade alles ist. Ich muss euch jetzt auch leider bitten zu gehen, denn ich muss mich unbedingt neben die Feuerwehrleute stellen und wichtig aussehen, damit wir dann zu fünft den Rest des Nachmittages nichts tun können.“

Das waren natürlich nicht seine genauen Worte, aber es war in etwa die Botschaft, die er vermitteln wollte. Um uns loszuwerden schickte er uns ins Gemeindezentrum eines kleinen Nachbarortes, das seines Erachtens nur einen knappen Kilometer entfernt lag. Die Streckenangabe war zwar übertrieben, aber dafür war es hier wesentlich ruhiger und der Platz ist nicht ungemütlich.

Der Pfarrer, der dieses Gemeindezentrum verwaltet ist ein ruhiger, gemütlicher und leicht brummiger, alter Teddy der im besitz der wahrscheinlich größten Schlüssel ist, die je ein Mensch gesehen hat.

„Hier ist das Warmwasser!“ erklärte er uns bei unserer Hausführung und hielt seine Hand unter den Wasserhahn. Nach rund 6 Minuten, zog er sie wieder weg und meinte: „Oh, es kommt doch keines. Tut mir leid, dann gibt es hier wohl kein warmes Wasser!“

„Vielleicht muss man den einschalten!“ fragte Heiko und deutete auf den Beuler.

„Nein, nein!“ erwiderte der Alte, „der hat damit nichts zu tun!“

Als er weg war, schaltete Heiko den Beuler selbst ein und nach wenigen Minuten kam heißes Wasser aus dem Hahn. Kurz darauf kam ein Mitarbeiter der Gemeinde, um nach dem Rechten zu sehen. Er ging ins Bad, klopfte einmal auf die Leitungen und öffnete den Wasserhahn.

„Es geht jetzt!“ rief er stolz. „Ich könnt jetzt also in Ruhe duschen! Ich habe alles wieder repariert.“

Heiko schmunzelte, ließ ihm jedoch das positive Gefühl, mit dem er seinen Arbeitstag nun beendete.

Spruch des Tages:

Daß mir der Hund das Liebste sei,

sagst du, o Mensch, sei Sünde?

Der Hund blieb mir im Sturme treu

der Mensch nicht mal im Winde.

(Franz von Assisi)

Höhenmeter: 12

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 8268,77 km

Wetter: sonnig mit leichten Wolkenschleiern

Etappenziel: Gemeindehaus, 30034 Gambarare, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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