Tag 473: Reif für den Urlaub

von Heiko Gärtner
27.04.2015 17:23 Uhr

Der Regenspuk war zum Glück fürs erste vorbei und wir konnten unser Zelt im Trockenen zusammenpacken. Doch all unsere Sachen waren noch immer nass. Das Zelt und unsere durchweichten Kleider erhöhten die Last auf unseren Wagen noch einmal um rund 15 Kilo. Als wir die Sachen später am Abend wieder auspackten, kamen uns ganze Wasserschwalle entgegen.

Bis nach Novo Mesto waren es von unserem Zeltplatz nun noch rund 16km. Das meiste davon wanderten wir auf kleinen Straßen. Doch einen kleinen Teil der Strecke konnten wir dem Jakobsweg folgen, der wieder einmal aus dem Nichts auftauchte. Auch der Jerusalemway verlief wieder ein Stück weit parallel.

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Je näher wir der Stadt kamen, desto stärker wurde der Verkehr. Kurioser Weise hat Novo Mesto das gleiche Autokennzeichen wie Neumarkt. Gerade an dem Tag, an dem wir Heikos Eltern treffen würden, kamen uns also lauter Autos entgegen, die aussahen, als kämen sie aus unserer alten Heimatstadt. Dazu kam, dass auch die Landschaft ein bisschen wirkte, wie in der Oberpfalz und somit hatten wir immer mehr das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Von Novo Mesto aus mussten wir noch rund 6km weiter in ein kleines Dorf namens Krize, das sich auf der anderen Seite eines großen Berges befand. Die Wegbeschreibung, die ich letzte Woche herausgesucht habe, führte und mitten durch den Wald. Doch der starke Regen der letzten Tage hatte die Waldwege so aufgeweicht, dass sie kaum noch passierbar waren. Bereits beim Betreten des Waldes hatte ich ein ungutes Gefühl, doch aus irgendeinem Grund ignorierte ich es und versuchte uns anhand der Google-Karten durch den Wald zu navigieren. Bereits nach wenigen Metern stimmten die Wege nicht mehr wirklich mit meiner Karte überein, doch auch diesmal überhörte ich mich mein Bauchgefühl und versuchte die Kreuzungen in der Wirklichkeit und auf der Karte so zu interpretieren, dass sie zueinander passten. Zunächst stimmte zumindest die Himmelsrichtung noch, doch dann bog der Weg nach links ab und führte in einem weiten Bogen wieder zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

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Der Weg war nun nicht mehr nur eine Schlammpiste, sondern auch noch vollkommen schräg. Zu meiner Unsicherheit über den Weg kam nun also auch noch eine Unsicherheit über die Wagenführung hinzu und ehe ich mich versah, drohte er bereits zur Seite zu kippen. Die zusätzliche Last in Form der nassen Kleidung die komplett oben aufgespannt war, sorgte natürlich noch einmal für zusätzliche Instabilität. In letzter Sekunde schaffte ich es, das Gleichgewicht wieder herzustellen und den Sturz aufzufangen. Doch dann veranlasste mich irgendeine Stimme in mir, die zu Kurzschlussreaktionen neigte dazu, das dümmste zu tun, das man in diesem Moment tun konnte. Der Wagen schien gesichert zu sein, also war das Hauptproblem nun die Frage nach dem richtigen Weg. Ich ließ meine rechte, dem Hang zugeneigte Deichsel los, um nach dem Handy mit dem Kartenmaterial zu greifen. Es kam, wie es kommen musste. Der Wagen stand so schräg, dass er ohne den Druck meiner Hand sofort wieder das Gleichgewicht verlor. Diesmal konnte ich ihn nicht mehr halten und er kippte seitlich in den Schlamm. Ich war eingeklemmt zwischen den beiden Deichseln und konnte mich nicht mehr rühren. In einem vollkommen fehlgeleiteten Anfall von Panik, der mir sagte, dass ich nun schnell handeln müsse, löste ich die Wagenaufhängung, sprang zur Seite und bog die Deichsel, die sich beim Sturz leicht verformt hatte wieder gerade. Heiko stand fassungslos daneben und versuchte mich aufzuhalten, doch es war schon zu spät.

„Verdammt, Tobi! Was machst du denn da? Der Wagen lag doch schon, du hattest jetzt doch alle Zeit der Welt. Weißt du wie gefährlich es ist, das Aluminium so Hals über Kopf zu biegen? Wir können dass doch am Abend in Ruhe machen.“

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Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der Stress, der in meinem Kopf durch den Unfall ausgelöst worden war überhaupt nicht existierte. Ich hatte ja alle Zeit der Welt und konnte wirklich in Ruhe handeln. Auch vor dem Sturz hatte es schon keinen Grund für nervöse Kurzschlussreaktionen gegeben. Der Weg war an dieser Stelle genauso schlammig und falsch, wie an jeder anderen. Ich hätte also ganz in Ruhe einen sicheren Stand suchen und dann entspannt auf die Karte schauen können. Was war also los? Es war nicht das erste Mal, dass wir uns im Wald verfranzten und die letzten Male war ich dabei auch ruhig geblieben. Es musste also mehr dahinter stehen.

„Mir fällt auf,“ sagte Heiko, nachdem er sich von seinem kurzen Zornesausbruch wieder beruhigt hatte, der ihn überkam, als er mein unüberlegtes Handeln sah, dass in ihm bereits Bilder von komplett zerstörten Wagen und vollkommener Verlorenheit im Wald hervorzauberte, „dass dir diese Sachen immer vor wichtigen Ereignissen passieren. Wenn Pakete kommen, wenn wir eine Verabredung haben oder jetzt, wenn uns meine Eltern besuchen. Es ist, als würde irgendetwas in dir unbewusst verhindern, dass wir diese Dinge entspannt angehen können. Hast du eine Idee, was das sein kann?“

Ich überlegte, kam aber auf keinen grünen Zweig.

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„Ich könnte mir vorstellen,“ vermutete Heiko, „dass es auch mit der Wut auf deine Eltern zu tun hat, die immer noch in dir steckt. Du lässt die Gefühle einfach nicht raus, kannst sie aber auch nicht loslassen. Irgendwie steckt da noch immer ein dicker Klotz in dir, den du deinen Eltern am liebsten um die Ohren hauen würdest. Aber weil das nicht geht, versuchst du ihn zu ignorieren und so muss er sich immer wieder in anderer Form bemerkbar machen. Spür nochmal nach, ich glaube das ist ein größeres und wichtigeres Thema, als du gerade denkst.“

Da es keinen Weg gab, der in die richtige Richtung führte, folgten wir dem Schlammpfad geradeaus, bis er uns aus dem Wald heraus in einen kleinen Ort führte. Hier konnten wir uns anhand des Ortsschildes zumindest schon mal einen Überblick verschaffen, wo wir uns überhaupt befanden. Und genau in diesem Moment rief Heikos Vater an, der wenige Stunden zuvor durch den gleichen Ort gefahren war. Gemeinsam mit der Hilfe einer Französisch sprechenden Einheimischen lotste er uns ans Ziel. So falsch waren wir gar nicht. Der Ort Krize, in dem sich unser Ferienhaus befand, lag gerade einmal drei Kilometer entfernt. Wir folgten der Straße und nach einigen Hügeln und Kurven kamen uns Annelise und Karl Gärtner bereits entgegen. Freudig begrüßten und umarmten wir uns. Es fühlte sich nicht an, wie ein Wiedersehen nach mehr als einem Jahr der Trennung, sondern eher so, als wären wir nie weg gewesen. Es war wie immer, so wie zu den Zeiten, in denen wir nach einem Wochenseminar zum Essen zu Besuch kamen.

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Das letzte Stück wanderten wir dann gemeinsam und schließlich erreichten wir das kleine Ferienhäuschen, dass für die kommende Woche unser Heim sein sollte. Es war ein gemütliches Steinhaus mit großem Kamin und einer wunderschönen Aussicht über die Berge und Wälder. Nach 8600km war dies wirklich ein Ort, an dem man sich für längere Zeit wohl fühlen konnte.

Spruch des Tages: Eine Woche Urlaub vom Urlaub

 

 

Höhenmeter: 230

Tagesetappe: 27 km

Gesamtstrecke: 8668,77 km

Wetter: bewölkt, später sonnig und warm

Etappenziel: Ferienhaus, Krize 98, 8000 Novo Mesto, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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