Tag 474: Urlaub von der Reise – Teil 1

von Heiko Gärtner
27.04.2015 18:09 Uhr

Genaugenommen ist heute nicht der erste, sondern bereits der letzte Tag unseres Weltreiseurlaubs in Krize bei Novo Mesto. Die Woche ist so unglaublich schnell vergangen, dass wir gar nicht sagen können, wo die viele Zeit hin ist, die wir hatten.

Die ersten drei Tage haben wir hauptsächlich damit verbracht, unsere Pilgerwagen aufzurüsten. Alles musste ausgeräumt werden und anschließend wurden die alten Deichseln und Achsen abmontiert, um Platz für die neuen zu schaffen. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich der Platz vor unserem kleinen Häuschen in eine Open-Air-Werkstatt. Heikos Eltern halfen uns als fleißige Engel bei allem, was es zu tun gab. Während Karl uns bei den Wagen zur Hand ging, kümmerte sich Anneliese um unsere Wäsche, nähte alles, was im Laufe der Zeit irgendwo eine Schwachstelle oder ein Loch bekommen hatte und passte auf, dass wir unter all dem Schaffen nicht verhungerten. So verwöhnt wie in dieser Woche wurden wir lange nicht mehr. Täglich um die Mittags- und Abendzeit duftete es verführerisch aus unserer Wohnküche und lockte uns an den Tisch. Alles, was wir an heimischem Essen im letzten Jahr vermisst hatten, durften wir nun frisch serviert von Anneliese nachholen. Sauerbraten mit Kartoffelknödeln, Schaschlikpfanne, Currywurst mit Pommes, eine große Auswahl an erlesenen Suppen, Salzkartoffeln mit Blaukraut und zartem Rindfleisch und knusprige Rippchen. Unseren üblichen Speiseplan konnten wir dabei natürlich nicht ganz einhalten, doch es war schließlich Urlaub und da mussten einige Ausnahmen drin sein.

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Doch nicht nur Anneliese verwöhnte uns die Woche über mit ihren heimischen Spezialitäten. Auch das Ferienhaus, das wir nun unser Zuhause nennen durften, bot alles, was man zum Wohlfühlen brauchte. Bereits als wir ankamen, wurden wir schon von einem liebevoll gedeckten Tisch mit frischem Brot, hausgemachter Salami, landestypischem Käse und hauseigenem Wein begrüßt. Das kleine Eckschränkchen bot außerdem eine große Auswahl an selbstgebrannten Schnäpsen, von denen wir zwar keinen probierten, auf die unser Vermieter jedoch sehr stolz war. Wahrscheinlich zu Recht. Das einzige kleine Manko an unserem Feriendomizil war, dass es nicht wirklich zwei Schlafzimmer gab. Das Haus bestand aus einem großen Wohnraum im Erdgeschoss und einer oberen Etage, die man über eine Außentreppe erreichte. Hier befanden sich das Bad und ein großer Schlafraum, der durch einen Raumteiler-Schrank in zwei Teile geteilt wurde. Rechts lag das Schlafzimmer und links befand sich ein kleines Wohnzimmer mit ausziehbarem Schlafsofa, das man ebenfalls in einen Schlafraum verwandeln konnte. Doch für Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett gingen, war es nicht unbedingt geeignet. Wir entschieden uns also kurzer Hand dafür, unsere mobilen Betten im Erdgeschoss aufzubauen. So hatten wir dann immerhin noch ein bisschen Reisefeeling, auch wenn wir nun sesshaft waren.

Das Wetter war mit Ausnahme von einem einzigen Regentag absolut großartig. Wir konnten sogar im Freien Essen und Grillen, konnten tägliche Spaziergänge machen und unsere Wagen im strahlenden Sonnenschein bearbeiten. Rundum war es also ein gelungener Kurzurlaub.

Natürlich lief auch hier nicht alles zu einhundert Prozent reibungslos und bereits am ersten Abend tauchte ein Problem auf, das unsere gesamte Expedition wieder einmal ins Wanken brachte.

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Heikos Wagen war bereits fast fertig. Alles war geputzt, umgebaut, gestriegelt und auf Hochglanz poliert. Jetzt kam die Stunde der Wahrheit. Es fehlten nur noch die Reifen und dann konnten wir die neue, stabile Wagenkonstruktion das erste Mal austesten. Es war Zeit zum Feiern und zum symbolischen Eintragen der Ernte unserer eigenen Arbeit und vor allem der mühevollen Arbeit von Hans, der uns die neuen Deichseln und Achsen überhaupt ermöglicht hatte. Doch was war das? Die linke Steckachse verklemmte sich und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Es ging nichts vor uns nichts zurück. Irgendwo schien sie sich verkanntet zu haben. Zunächst dachten wir, dass die neue Achse von Hans nicht passte, doch dann stellten wir fest, dass das Problem bereits im Rad zu suchen war. Vorsichtig aber doch mit Nachdruck packte Heiko die Steckachse an und versuchte sie mit einer Drehbewegung herauszuziehen. Es tat sich etwas, doch leider nicht das, was wir uns erhofft hatten. Plötzlich hatte Heiko den hinteren Kopf der Steckachse in der Hand. Den Teil also, der verhinderte, dass das Rad einfach nach außen wegrutschte und allein, ohne Wagen auf Wanderschaft ging. Ohne diesen Kopf war die Steckachse absolut nutzlos. Erschreckenderweise war die Steckachse so ziemlich das letzte Teil, das wir noch nicht verstärkt hatten und von dem wir auch keinen Ersatz besaßen. Noch erschreckender war es jedoch zu sehen, dass der Achskopf tatsächlich nur auf Plastik bestand. Wir hatten bislang geglaubt, dass er ein Stahlkopf mit einer Kunststoffkappe war, doch das war offensichtlich ein Irrtum.

Da war sie hinfort, die gute Feierabendstimmung. Wo sollten wir nun einen Ersatz bekommen? Und wenn Ersatz unmöglich war, wie konnten wir dann die alte reparieren? Hier mitten in den slowenischen Bergen, fern von jeder Werkstatt, ohne eine Idee, wo sich ein Baumarkt befinden konnte. Und dazu noch in einem Land in dem uns die Sprache so fremd war wie Suaheli. Den ganzen Abend und auch in der Nacht noch grübelten wir über eine Lösung. Heikos Idee war es, ein Loch durch die Achse zu bohren und einen Bauernsplint hindurchzustecken, so wie es in der Landwirtschaft üblich war. Doch wie sollten wir das hier jetzt umsetzen?

Roko, der Sohn unseres Ferienhausvermieters hatte uns am Vortag gesagt, dass wir uns jederzeit bei ihm melden sollten, wenn es irgendein Problem gab. Diese Art von Problem hatte er sicher nicht gemeint, doch es konnte vielleicht trotzdem nicht schaden, ihn einmal anzurufen.

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Gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen schnappte ich mir den Hörer und wählte seine Nummer.

„Ich komm am besten vorbei!“ meinte er nur kurz, „so am Telefon ist das immer schwer zu verstehen.“

Eine gute halbe Stunde später stand er vor unserer Tür. Dass wir sein Ferienhaus in eine Pilgerwagenwerkstatt verwandelt hatten störte ihm nicht im Geringsten. Er schaute mit einer solchen Selbstverständlichkeit nach unseren Wagen, als wären wir schon immer seine Nachbarn und hätten ihn gerade um einen Hammer gebeten. Heiko zeichnete ihm eine kleine Skizze mit allen nötigen Maßen und zeigte ihm die verunglückte Achse.

„Ich hab da schon ein paar Ideen!“ meinte er dann. „Ein Freund von mir ist Ingenieur und ein anderer hat einen Laden mit Ersatzteilen für Landmaschinen. Ich werde wohl ein paar Stunden brauchen, aber ich kümmere mich darum!“

Kaum hatte er das gesagt, war er auch schon mitsamt der Steckachse verschwunden. Wir waren baff. Eigentlich hatten wir damit gerechnet, dass er uns eine Adresse geben würde und ich hatte mich die ganze Nacht lang im Traum schon dabei gesehen, wie ich von einer Werkstatt zur nächsten eilte und mit Händen und Füßen versuchte, den Mechanikern irgendwie klar zu machen was wir brauchten. Wir hatten sogar schon Angst gehabt, dass wir mit den Umbauaktionen diese Woche überhaupt nicht mehr fertig werden würden, wenn sich das Achsenproblem zu lange hinzögerte. Doch wie es aussah konnten wir nun einfach ganz normal weiterwerkeln und das Problem erledigte sich von alleine. Wie sehr es sich erledigte, konnten wir uns zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht vorstellen. Etwa zwei Stunden später kam Roko zurück und präsentierte uns die fertige Lösung. Der Freund von ihm, der als Ingenieur arbeitete, hatte nicht nur eine Idee gehabt, wie man die Räder befestigen konnte, er hatte sie auch direkt umgesetzt. Das Ergebnis war eine Steckachse, die stabiler war, als je zuvor.

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„Meinst du, dein Freund könnte das mit den anderen dreien auch noch machen?“ fragte Heiko.

„Sicher,“ antwortete Roko, nur wahrscheinlich nicht mehr heute. Wenn es auch morgen noch passt, dann dürfte er kein Problem sein.“

„Klar, auf jeden Fall!“ gab Heiko begeistert zurück, „wir sind die ganze Woche hier, wie du ja weißt, und es reicht, wenn wir sie irgendwann in der Zeit zurückbekommen.“

Roko verabschiedete sich und wir kümmerten uns wieder um den Wagenumbau. Am nächsten Morgen tauchte plötzlich ein älterer Herr an unserer Tür auf, der uns fröhlich auf Deutsch begrüßte. Es war Anton, Rokos Vater und unser eigentlicher Vermieter. Er brachte uns die fertigen Steckachsen zurück. Doch zu unserer Überraschung, hatte er die alten nicht zerstört, um neue daraus zu bauen. Er hatte einfach neue angefertigt und meinte, wir sollten die alten als Ersatz aufheben. Wir waren so begeistert, dass wir ihm am liebsten um den Hals gefallen wären. Das war mal ein Service in einem Ferienhaus, den man sich gefallen ließ. Anton und Roko hatten wirklich nicht nur aus Höflichkeit gesagt, dass sie uns bei allen Problemen weiterhelfen würden. Sie hatten es ernst gemeinte und die Betonung lag wirklich auf ALLEN Problemen. Wir waren heilfroh, dass wir uns als Umbauplatz genau dieses Land und genau diesen Platz hier ausgesucht hatten. Nirgendwo sonst auf der Welt wäre dies so reibungslos und so einfach möglich gewesen.

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Als Dank für die Arbeit und dafür, dass er unsere Wagen und damit auch unsere Reise gerettet hatte, gaben wir Anton 20€. Doch er schüttelte den Kopf und wollte er ablehnen. Als Heiko nicht locker ließ, nahm er es an, gab ihm jedoch einen Zehner als Wechselgeld zurück.

„Wie schmeckt euch denn mein Schnaps und mein Wein?“ fragte er, bevor er sich verabschiedete. Karl bestätigte, dass der Wein sehr gut sei, doch über den Schnaps konnten wir natürlich nichts sagen. Das wir ihn verschmäht hatten bedauerte Anton zwar, doch offensichtlich mochte er uns trotzdem noch.

So kam es, dass wir unsere Wagen doch noch wieder zusammenbauen konnten und sie nun in der verstärkten, verbesserten Version fertig vor uns hatten. Jetzt kam sie wirklich, die Stunde der Wahrheit. Zum ersten Mal setzten wir Heikos Wagen an die Hüfte, um zu testen, wie viel schwerer er geworden war. Zunächst wurde Heiko ganz blass.

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„Das ist unmöglich!“ sagte er, „er ist ja jetzt schon schwerer als sonst, wenn er voll beladen ist.“ Die zusätzliche Stabilität hatte natürlich ihren Preis. Der Wagen war nicht mehr so austariert wie zuvor und drückte nun stärker auf die Hüfte. Doch ehe wir uns davon wirklich deprimieren ließen, wollten wir einmal testen, wie es sich mit dem Gepäck verhielt. Wenn wir die wirklich schweren Teile hinter die Achse brachten, dann hob sich das Gewicht gegenseitig auf und es würde wieder passen. Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis dauerte es eine Weile, bis Heiko den perfekten Balancepunkt gefunden hatte, dann aber zeigte sich, dass er sich fast genauso ziehen ließ wie zuvor. Er war nun natürlich insgesamt etwas schwerer geworden, was man vor allem dann merkte, wenn es bergauf oder bergab ging. Auf gerader Strecke jedoch spürte man keinen Unterschied. Dafür spürte man jedoch deutlich den Stabilitätszuwachs. Nichts bog oder verwand sich mehr, nichts wackelte mehr beim Einpacken, dass man meinte, es sei ein Kuhschwanz, man hatte keine Angst mehr beim Absetzen, dass die Deichseln nicht mehr am Wagen sein würden, wenn man ihn wieder anhob und man hatte plötzlich Kontrolle über den Anhänger, auch wenn das Gelände einmal nicht so eben war. Natürlich mussten die Langzeittests noch zeigen, wie sich das neue System bewährte, aber fürs erste waren wir schon einmal begeistert. Vielen, vielen Dank noch einmal an Hans für den Bau dieser großartigen Konstruktion. Vor allem, wenn man bedenkt wie passgenau du alles aufeinander abgestimmt hast, ohne dass du die Gegenstücke je zu Gesicht bekommen hast.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Jenseits von Gut und Böse gibt es einen Ort, dort treffen wir uns (Rami)

Höhenmeter: 30

Tagesetappe: 3 km

Gesamtstrecke: 8671,77 km

Wetter: sonnig

Etappenziel: Ferienhaus, Krize 98, 8000 Novo Mesto, Slowenien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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