Tag 485: Goodbye Slowenien

von Heiko Gärtner
02.05.2015 21:14 Uhr

Mit jedem Schritt, den wir heute vorankamen, näherten wir uns der Slowenischen Grenze. Kroatien war sicher auch ein schönes Land, doch noch näherten wir uns der Grenze nur mit Widerwillen. Slowenien war uns wirklich ans Herz gewachsen und wir wären gerne noch etwas länger hier geblieben. Doch leider war das Land nun mal nicht größer. Später am Abend sollten wir erfahren, dass sich die Kroaten aus genau diesem Grund sehr gerne über ihren Nachbarstaat lustig machten. Es heißt hier, wenn man mit einem Schritt nach Slowenien geht, ist man mit dem zweiten schon wieder hinaus. So in etwa kam es uns ehrlich gesagt wirklich vor. Eine andere junge Dame meinte zu diesem Thema: „Als ich das letzte Mal in Slowenien war, habe ich einen Kollegen angerufen der dort wohn und meinte: ‚Hi, ich bin in Slowenien, kannst du mich sehen? Ich winke gerade!“

Nach gut 12km erreichten wir die Grenze dann wirklich. Sie schlängelte sich laut Karte kreuz und quer an einem Fluss entlang. Paradoxer Weise verläuft sie jedoch nicht im Fluss, wie es sonst oft der Fall ist, sondern mal ein paar Meter links von ihm und dann wieder einige Meter rechts davon. Wir hatten nach unseren letzten unspektakulären Grenzübergängen nicht erwartet, dass wir hier an einen echten Wachposten stoßen würden, doch diesmal wurde die Straße wirklich von einer Schranke versperrt. Als wir uns ihr näherten traten zwei junge Herren aus dem Grenzhäuschen hervor und schauten uns leicht verdutzt an.

„Dober Dan!“ – „Guten Tag!“ riefen wir ihnen zu. Sie grüßten zurück.

„Was habt ihr denn vor?“ fragte der ältere von beiden, nachdem wir uns auf Englisch als Verständigungssprache geeinigt hatten.

„Wir wandern ein bisschen um die Welt“, antwortete ich und wir erklärten ein bisschen mehr, über unsere Reise. Dann bat der ältere um unsere Ausweise. Einen Stempel bekamen wir aber leider nicht. Kroatien ist eben heute auch ein Teil der EU.

„Was ist denn das?“ fragte der jüngere und kleinere Beamte, als sein größerer Kollege gerade mit unseren Pässen im Grenzhäuschen verschwunden war. Dabei ging er auf unsere Wagen zu und deutete auf die verdächtig ausschauenden, langen grünen Stängel, die Heiko hinter seine Sitzmatte gespannt hatte.

„Oh,“ sagte ich, „das ist, ...mmh.... auf Deutsch heißt es Knoblauchrauke, aber den Englischen Namen kenne ich nicht.“

Interessiert näherte sich der Beamte und überlegte, ob er uns nicht gerade beim Drogenschmuggel erwischt hatte. Bevor er etwas sagen konnte fügte ich hinzu: „Es ist ein Wildkraut, das dort hinten wächst. Es schmeckt ein bisschen wie Knoblauch und wir haben es für unser Abendessen geerntet. Möchten Sie es probieren?“

Heiko rupfte ein Blatt von einem Stängel ab und hielt es dem Mann hin. Zögerlich griff er danach. In seinem Kopf schien sich folgende Überlegung abzuspielen: „Ok, ich habe keine Ahnung was das ist. Wahrscheinlich ist es eine Art Droge und ich sollte sie vielleicht konfiszieren. Andererseits riecht es echt lecker. Ein bisschen probieren kann ja nicht schaden. Und vielleicht ist es ja eine wirklich gute Droge, die ich noch nicht kenne. Aber ich bin natürlich im Dienst und sollte daher nichts einwerfen, von dessen Wirkung ich keine Ahnung habe. Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich wirklich nur ein Gewürzkraut für ein Abendessen und niemand wird mir einen Vorwurf machen, wenn ich einmal hineinbeiße.“

Anschließend steckte er sich das Blatt in den Mund und merkte, dass es wirklich nach Knoblauch schmeckte. Beruhigt und zufrieden nickte er und hatte keine Einwände mehr gegen die unverzollte Einfuhr von drei Stängeln Knoblauchrauke nach Kroatien.

Genau in diesem Moment kehrte sein Kollege mit unseren Ausweisen zurück. Es war alles in Ordnung und sie wünschten uns eine gute Reise.

„Wisst ihr schon, wo ihr heute übernachtet?“ fragte der große.

„Nein!“ antwortete Heiko, „wahrscheinlich in irgendeiner Pension oder bei einem Pfarrer. Wir werden sehen was sich so ergibt. Haben Sie vielleicht einen guten Tipp für uns, wo wir uns hinwenden können?“

„Da müssen Sie schon meinen Kollegen fragen!“ meinte er und deutete auf den kleineren Mann. „Ich bin von dieser Seite hier!“

Erwartungsvoll schauten wir den Grenzbeamten an, der für die kroatische Seite zuständig war doch dieser zuckte nur schüchtern die Schultern. Es kam wahrscheinlich nicht allzu oft vor, dass er an diesem Posten mit zwei seltsamen Wanderern konfrontiert war, die ihn erst mit komischen Wildpflanzen verwirrten und dann auch noch um rat bei ihrer Schlafplatzsuche fragten. Auch für uns war es die erste richtige Grenzüberquerung, bei der wir sogar auf Menschen getroffen sind. Abgesehen von Andorra natürlich. Doch nachdem alle anderen Grenzen so unauffällig gewesen waren, hatten wir nicht einmal damit gerechnet, dass uns überhaupt jemand nach irgendetwas fragt. Sonst hätten wir unsere Wildkräuter wohl erst auf der anderen Seite der Grenze gesammelt.

Dass sich mit einem Grenzübertritt plötzlich alles ändert waren wir ja schon gewohnt. Doch dieses Mal haben wir nicht damit gerechnet. Immerhin waren Slowenien und Kroatien vor nicht allzu langer Zeit noch ein und das selbe Land. Beide waren früher kommunistisch gewesen und gehörten heute als zwei der jüngsten Mitgliedsstaaten zur EU. So viel dürfte sich eigentlich nicht unterscheiden. Oder doch?

Wir waren mehr als nur überrascht, wie viel sich unterschied. Alles wirkte plötzlich wieder viel ärmlicher. Die Häuser waren nicht mehr so gepflegt, der Müll lag wieder an den Straßenrändern, die Gärten waren an vielen Stellen voll von Gerümpel und viele der Häuser waren verfallen. Dazwischen standen dann jedoch immer wieder auch frisch renovierte und sauber gepflegte Häuser, die fast gar nicht mehr ins Umgebungsbild passen wollten. Am kuriosesten waren jedoch die Gebäude, die zwar sauber und ordentlich waren, strahlend neue Dächer und neue Fensterscheiben hatten und in deren Balkonkästen uns frisch gepflanzte Blumen entgegenleuchteten, die aber ansonsten eher wie Bauruinen aussahen, weil beispielsweise der komplette Putz fehlte. Wir vermuteten bereits, dass es hier vielleicht eine ähnliche Regelung gab wie in Griechenland, dass man auf ein unfertiges Haus noch keine Steuern zahlen musste und dass deshalb viele Häuslebauer ihr Eigenheim lieber wie eine Baustelle aussehen ließen. Doch als wir am Abend danach fragten, erklärte man uns, dass dies nicht der Fall sei. Die Menschen bauten einfach soweit wie sie kamen und wenn ihnen das Geld ausging dann musste alles erst einmal warten, bis neues da war. Daher baute Man Wände, Dächer und Fenster zuerst, denn sobald das da war konnte man schon einmal einziehen. Verputzen konnte man sein Heim dann schließlich immer noch irgendwann.

Der zweite große Unterschied war, dass es hier nun gar keine Infrastruktur mehr zu geben schien. Die Ortschaften waren winzig und bestanden meist nur aus einigen Häusern, die sich links und rechts an die Hauptstraße reihten. Ideen, wo und wie wir hier unterkommen konnten hatten wir zunächst keine. Nach rund 6km kamen wir das erste Mal an eine Kirche.

Links davon befand sich das Pfarrhaus, das von allen Möglichkeiten die erfolgsversprechende war. Man könnte auch sagen, es war die einzige Möglichkeit, die wir überhaupt sahen.

Der Pfarrer öffnete schon mal die Haustür, was zumindest ein Anfang war. Fremdsprachen beherrschte er leider nicht und so blieb mir nichts übrig, als ihm den Zettel vor die Nase zu halten. Doch lesen war offensichtlich nicht sein Ding. Er winkte ab und machte eine Bemerkung, die wahrscheinlich bedeuten sollte, dass er keine Lust hatte, sich den ganzen Text zu Gemüte zu führen. Er sagte ein paar Sätze und schlug mir dann die Tür vor der Nase zu. Wenig später öffnete er sie mir erneut und hielt mir einen Zehner hin. Allerdings keinen Zehneuroschein, sondern einen Zehner in einer mir bis dahin vollkommen unbekannten Währung. Kroatien war zwar ein Teil der EU, doch am Euro beteiligte sich das Land noch nicht.

Ich dankte dem Mann, versuchte aber dennoch ihm klar zu machen, dass mir damit nicht wirklich geholfen war, denn es gab nichts, wo man das Geld hätte ausgeben können. Abgesehen davon hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie viel mir da überhaupt gespendet wurde. Es konnte locker mit zehn Euro vergleichbar sein, doch es war ebenso möglich, dass er mir lediglich ein paar Cent zugesteckt hatte. Und selbst wenn ich gewusst hätte, wie viel Geld ich da in der Hand hielt, dann wusste ich ja noch immer nicht, wie viel ich für eine Übernachtung brauchen würde.

Später erfuhren wir, dass dies eine sehr beliebte Taktik in Kroatien war, um jemanden loszuwerden. Man drückte ihm einfach ein bisschen Geld in die Hand und schob ihn aus dem Weg. Genau das machte der Pfarrer auch. Meine symbolischen Gesten, dass wir etwas zum Schlafen brauchten nahm er mit einem kalten Lächeln auf, zuckte mit den Schultern und sagte dann: „Nichts!“

Wenigstens ein deutsches Wort beherrschte er also doch. Anschließend verabschiedete er sich aus Kroatisch und ließ mich vor seiner Tür stehen.

Mit unserer neuen Beute in der Hand und der Erkenntnis, dass unser nutzbares Barvermögen gerade auf 10 Einheiten einer unbekannten Währung geschrumpft war, machten wir uns wieder auf den Weg. Zwei Kilometer weiter kamen wir an eine Bar. In Slowenien hatten uns diese schon des Öfteren geholfen, also versuchten wir auch hier unser Glück.

An der Theke stand ein hübsches, junges Mädel mit einer langen, zotteligen Mähne und freundlichen Augen. Zu meiner Erleichterung sprach sie Englisch und versuchte mir wirklich weiterzuhelfen. Zunächst hatten wir die Idee, in der Freiwilligen Feuerwehr zu übernachten, doch der Verantwortliche für die Feuerwehrgebäude teilte ihr mit, dass dort heute Abend eine Feier abgehalten wurde, so dass kein Platz für uns war. Rein Theoretisch schien es aber dennoch keine schlechte Adresse zu sein. Die junge Dame versprach mir, einige weitere Kontakte aus dem Ort anzurufen und zu versuchen uns etwas ausfindig zu machen. Solange wir warteten, sollten wir es uns auf der Terrasse gemütlich machen. Ohne dass wir danach fragten, schenkte sie uns je ein Brötchen mit einem Steak darin und einen Blaubeersaft, sowie eine Packung Kekse, die wir für den Notfall mitnahmen. Sie klärte uns auch über den Wert unseres neuen Vermögens auf. Ein Euro entsprach rund 7,50 HRK. Die Währung hieß Kroatische Kuna und wir besaßen nun umgerechnet immerhin schon 1,30€ in diesem Zahlungsmittel. Ob damit wohl schon ein Hotelzimmer drin war?

Leider stellte sich heraus, dass keiner der möglichen Kandidaten erreichbar waren und so konnte sie am Ende nichts weiter tun, als uns eine Skizze mit einer Wegbeschreibung zu zeichnen. Diese führte zu einem Haus, in dem eine Familie wohnte, die auch die Caritas betreute und die möglicherweise einen Platz für uns hatte. Der Haken war nur, dass dieses Haus genau in der Richtung lag, aus der wir gerade gekommen waren. Nach einiger Überlegung entschieden wir uns daher weiterzugehen und unser Glück an anderer Stelle zu suchen.

Nahrung hatten wir genug und unser Gaskocher war wieder repariert, es sprach also im Grunde nichts dagegen, uns einen Zeltplatz zu suchen. Doch auch das war leichter gesagt als getan. Es gab nahezu keine einzige gerade Fläche, die das Zelten erlaubt hätte. Und wenn es eine gab, dann lag sie direkt an der Hauptstraße oder es handelte sich um eine Feuchtwiese an einem Fluss auf der man unmöglich zelten konnte. Hinzu kam, dass es hier einfach keinen ungestörten Platz gab. In Slowenien hatte es immer kleine Ortschaften gegeben, zwischen denen sich reine Naturflächen befunden hatten. Hier jedoch gab es nur winzige Dörfchen mit drei oder vier Häusern und die waren so verteilt, dass man immer von einem gesehen wurde, egal wo man sich befand. Natürlich hätten wir auch einfach in Sichtweite eines Hauses zelten können, doch wir hatten keine Ahnung, wie die Menschen hier drauf waren und was sie von Wildcampern in ihrem Vorgarten hielten. Denn so wie es aussah war jede Wiese in Privatbesitz.

Schließlich kamen wir wieder in eine etwas größere Ortschaft. Größer bedeutete in diesem Fall, dass es eine Kirche und einen Sportplatz sowie drei oder vier Nebenstraßen gab, an denen ebenfalls Häuser lagen. Die Chancen waren also nicht schlecht, dass hier wieder ein Pfarrer lebte und vielleicht war dieser ja etwas Gastfreundlicher.

Ich klingelte an der Tür des Hauses neben der Kirche. Eine Frau öffnete und auf meine Frage hin, ob sie Englisch, Deutsch oder Spanisch spreche, drehte sie sich um und rief nach oben. Kurz darauf erschien ihre Tochter in der Tür. Sie war eine lustige junge Frau mit einem wirklich guten Sinn für Humor und bot mir an, mich zum Pfarrer zu begleiten, um ihn nach einem Schlafplatz zu fragen. Der Pfarrer wohnte auf der anderen Seite der Kirche und war noch weniger begeistert von unserem Besuch, als der letzte. Diesmal bekamen wir nicht einmal einen Geldschein, bevor er die Tür vor uns ins Schloss warf.

„Es ist unglaublich!“ meinte die junge Frau, „Ich wohne quasi direkt neben ihm und er wusste nicht einmal wer ich bin! Es ist wirklich schade, denn der letzte Pfarrer, den wir hier hatten, war wirklich cool und er hätte euch sicher hier übernachten lassen. Aber dieser ist nicht zu gebrauchen. Er säuft nur den ganzen Tag und sonst macht er nichts. Aber keine Sorge! Ich finde schon einen Platz für euch.“

Sie ging zurück ins Haus und tätigte ein paar Telefonate. Dann kam sie zurück und meinte: „Der Bürgermeister von diesem Ort hier, hat mir gerade das Ok gegeben, dass ihr im Veranstaltungssaal übernachten könnt. Es riecht noch ein bisschen nach der Party von gestern, aber wenn euch das nicht stört habt ihr den Platz. Es störte uns nicht. Vor allem auch deshalb, weil es gerade in diesem Moment zu regnen begann.

Spruch des Tages: Hinter jeder Grenze verbirgt sich eine neue Welt.

 

Höhenmeter: 330

Tagesetappe: 28 km

Gesamtstrecke: 8779,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt, später leichter Regen

Etappenziel: Veranstaltungssaal der Stadtgemeinde, 10296 Luka, Kroatien

 

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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