Tag 492: Der Maulwurf

von Heiko Gärtner
08.05.2015 20:28 Uhr

Janko hatte nicht übertrieben, was die Schönheit seiner Heimat anbelangte. Unser Abendspaziergang führte uns durch eine idyllische Wald- und Moorlandschaft in der sich neben Rehen und Dachsen auch Biber zuhause fühlten. Plötzlich stolperten wir mitten auf unserem Weg über die schmalen Trampelpfade beinahe in eine gewaltige Biberburg hinein. Rings um den See konnten wir außerdem mehrere Schleifpfade entdecken, die der schwimmende Baumeister hier hinterlassen hatte.

Am Morgen bekamen wir dann noch einmal eine ausgiebige Führung über den Hof. Die Familie Kezele hatte nicht nur einen wirklich beeindruckenden Weinkeller vorzuweisen, der selbst dann irgendwie faszinierend war, wenn man selbst überhaupt keinen Wein trank. Es gab auch eine Art Streichelzoo mit einem prächtigen Truthahn, der sein Federkleid stolz aufplusterte, als wir ankamen. Anschließend wurden wir in das private Museum des Hofes geführt. Hier fanden sich Haushaltsgegenstände, Werkzeuge und andere interessante Dinge aus der Region, wie sie zu Zeiten unserer Großeltern, Urgroßeltern und Ururgroßeltern genutzt wurden. Kein Museum, das wir je besucht hatten, konnte mit so einer Sammlung aufwarten.

Nach dem Rundgang war es dann langsam wieder Zeit für uns, an die Weiterreise zu denken. Wir verabschiedeten uns von unseren Gastgebern und machten uns auf den Weg in Richtung Süden.

Nach rund eineinhalb Stunden suchten wir uns einen ruhigen Rastplatz, was jedoch wieder einmal nicht so leicht war. Es war, als gäbe es eine internationale Verschwörung, die dafür sorgte, dass neben jedem schönen, schattigen Plätzchen irgendjemand stehen musste, der mit einem Freischneider seinen Vorgarten malträtierte. Wir hatten uns ja schon oft gefragt ob es nicht viel einfacher und effizienter wäre, wenn die Menschen wieder die guten, alten Sensen verwenden würden. Hier hatten wir nun zum ersten Mal den Direktvergleich, denn in dieser Region benutzen wirklich noch viele Menschen eine Sense. Zunächst sahen wir eine ältere Frau und dann einen Mann mittleren Alters, die beide nicht wirklich geübt im Sensen waren. Doch trotz ihres etwas unbeholfenen Umgangs mit der Sense waren sie noch immer genauso schnell wie die Elektrosensenbenutzer. Schließlich sahen wir dann einen alten Mann, der den Umgang mit der Sense noch richtig gelernt hatte. Er schnitt das Gras so locker, schnell und sauber, dass es richtig Spaß machte, ihm dabei zuzuschauen. Selbst wenn man einen Turboantrieb in seinen Motorschneider bauen würde, hatte man gegen diesen Mann mit seiner Handsense keine Chance. Wir hatten also Recht mit der Annahme, dass diese Erfindung keinen wirklichen Nutzen gebracht hatte. Doch eigentlich wollte ich ja auf unsere Pause hinaus.

Schließlich fanden wir einen Platz auf einer Wiese unter einem Baum, der genau so gelegen war, dass er sich in einem Dreieck zwischen der Schnellstraße, einer Kettensäge und einem Freischneider befand. Jede dieser Lärmquellen war nun also etwa gleich weit weg und damit dürfte dieser Platz der ruhigstmögliche gewesen sein.

Wir legten uns auf die Wiese und machten eine Meditation, bei der es darum ging, alles an Empfindungen, Gefühlen und Gedanken in einem anzunehmen, das gerade da war. Oft schon hatte bei solchen Meditationen die Natur mitgemacht und auf unsere Prozesse reagiert, doch dieses Mal war es besonders intensiv. Ein Teil der Übung drehte sich um innere Unruhe und genau in diesem Moment begannen alle möglichen Insekten und Kleintiere auf uns herumzukrabbeln. Als es darum ging, sich von einem silbernen Energiefluss reinigen zu lassen, kam plötzlich ein starker Wind auf, der uns kräftig durchpustete.

Das Kurioseste war jedoch das, was sich unter mir abspielte. Während ich so da lag und mich nicht bewegte, spürte ich plötzlich einen leichten Druck im Rücken. So als würde mich etwas anstupsen. Dann verschwand es für eine Weile und kurz darauf tauchte es unter meinem linken Schulterblatt erneut auf. Ein bisschen so, als würde mir jemand auf die Schulter tippen. Ich fühlte genauer hin und merkte, dass ich mir das nicht nur einbildete. Irgend ein kleines Tier hatte sich von unten durch die Erde gebuddelt und wollte nun an die Oberfläche. Doch weil ich dort lag, kam er nicht durch. Ich weiß nicht genau was es war, aber meine Intuition sagte mir, dass es sich dabei um einen Maulwurf handelte. Er stupste mich die ganze Meditation über immer mal wieder irgendwo an meinem oberen Rücken an. Als ich mich später aufsetzte und die Wiese unter mir betrachtete, konnte ich jedoch leider niemanden finden. Er musste meine Bewegung gespürt haben und hatte Reißaus genommen.

Nach einigen weiteren Kilometern erreichten wir Kriz, eine Kleinstadt, die der letzte bewohnte Ort für die nächsten 24km war. Zumindest in unsere Richtung. Es blieb also nur die Möglichkeit, entweder hier eine Übernachtungsgelegenheit zu finden oder uns später im Wald einen Zeltplatz zu suchen. Der Pfarrer hielt gerade sein Mittagsschläfchen und auch im Rathaus wollte man uns nichts zur Verfügung stellen. Dafür empfahl man mir dort das Hotel Villa Noa, das am Rande des Stadtparks lag. Es wurde von einem älteren Pärchen geleitet und war ein wirklich schönes und geschmackvolles Hotel. Im Speisesaal war passend zum Namen des Hotels die Geschichte der Arche Noah in einem Wandgemälde abgebildet worden. Direkt neben Adam und Eva, die sich gerade die Paradiesäpfel schmecken ließen.

Als ich das Hotel betrat wurde ich zunächst vom Inhaber in die obere Etage geführt. Ich brauchte eine Weile bis ich zuordnen konnte, woher die Stimme seiner Frau kam, sie mit mir sprach. Sie stand oben über dem Treppenaufgang auf einer Leiter, die zwischen zwei Blumenbeete gelegt worden war und hängte die neuen Gardinen auf. Keiner der beiden sprach genug Deutsch oder Englisch um zu verstehen, was ich von ihnen wollte. Daher riefen sie ihre Tochter an, der ich am Telefon alles erklären konnte. Es entstand ein recht komplexes und verwirrendes Kommunikationsspiel, bei dem das Telefon wie eine Friedenspfeife immer im Kreis herumgereicht wurde. Ich erklärte etwas auf Englisch, dann gab ich den Hörer der Mutter, die sich die Übersetzung anhörte und dann Fragen zurückstellte, die wiederum für mich übersetzt wurden. Am Ende waren alle Einverstanden und wir durften unser Zimmer beziehen.

Zuvor jedoch wollte mir der Hotelbesitzer noch von seinem eigenen Projekt erzählen, das er gerade aufbaute. Dafür stand uns leider keine Dolmetscherin mehr zur Verfügung, so dass ich nicht das geringste von dem Verstehen konnte, was er mir da sagte. Ich weiß, dass es um ein Benefiz-Projekt geht und dass es irgendwie mit der Vermehrung von Kapital zu einem guten Zweck zu tun hat, doch dann stieg ich vollkommen aus. Der Mann war jedoch so begeistert und es schien so spannend zu sein, dass ich es nicht schaffte, ihm klar zu machen, dass ich ihn nicht verstand. Mit Händen und Füßen und mit der Hilfe von Grafiken auf dem Computer erklärte er mir haargenau was es hier zu wissen gab. Ich stand neben ihm und nickte. Irgendwie schaffte ich es dabei genau mit den richtigen Gesten, Mimiken und Zustimmungslauten zu reagieren, die das Gespräch erforderte, auch wenn ich den Inhalt nicht verstand.

Als ich anschließend in den Park zurückkam, um Heiko die frohe Kunde zu überbringen, fand ich ihn inmitten einer Fangemeinschaft aus Jugendlichen vor. Sie hatten gerade Schulschluss und fragten ihn nach allen möglichen Details unserer Reise und unseres Lebens. Zwei Wochen mussten sie noch zur Schule gehen, dann hatten sie diese Phase ihres Lebens hinter sich und eine neue begann. Wie diese aussehen würde wussten sie noch nicht. Erst einmal musste natürlich gefeiert werden. Doch ein Berufsleben konnten sich die meisten nicht wirklich vorstellen, vor allem nicht bei der aktuellen Wirtschaftslage. Die Idee einfach so ohne Geld durch die Welt zu reisen, schien daher ganz verlockend und sie wollten unbedingt so viel wie möglich darüber wissen. Selbst, wenn es wahrscheinlich nicht mehr als eine Idee bleiben würde.

Spruch des Tages: Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ist. (Jean Paul)

Höhenmeter: 30

Tagesetappe: 9 km

Gesamtstrecke: 8897,77 km

Wetter: sonnig und warm

Etappenziel: Villa Noa, Trg Svetog Križa 8, 10314 Križ, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare