Tag 493: Ölfelder

von Heiko Gärtner
11.05.2015 19:14 Uhr

Freudig und mit einem breiten Lächeln begrüßte uns der Hotelbesitzer, als wir die Treppe nach unten kamen. Heiko hatte den Computerbeutel auf dem Rücken, seine beiden Plastik-Packtaschen in der linken Hand, die Teekanne unterm Arm und den Sack mit den Schlafsäcken in der rechten Hand. Ich trug den Rucksack, hielt den Kocher und die Küchenbox in den Händen und versuchte den Tauchsieder und die Tüte mit meinen Hausschlappen darauf zu balancieren, während unsere Töpfe an einer Schnur von meiner rechten Hand herunter baumelte. Ein ganz normales Auschecken aus einem Hotel also. Doch noch ehe wir unsere Wagen erreichten, winkte uns der Hotelchef zu sich herüber. Er sagte ein paar Sätze, auf Kroatisch und als er merkte, dass wir sie nicht verstanden führte er seine Hand zum Mund, sagte „Ham, ham!“ und deutete dann auf den Speisesaal.

„Ohh!“ sagten wir und strahlten über die gute Nachricht. „Es gibt Frühstück!“

Gestern hatte mich seine Frau durch ihre Tochter extra noch einmal fragen lassen, ob wir auch ein Frühstück wollten. Ich meinte, das sei nicht nötig, es reiche ein Zimmer, doch offensichtlich war das wohl eine rhetorische Frage gewesen.

Leider gab es nichts, das auch nur annähernd in unseren Speiseplan gepasst hätte, denn da wir ja nicht wussten, dass wir ein Frühstück bekommen würden, konnten wir auch nichts dazu sagen. Dies war ein bisschen die Schwierigkeit hier im Land. Die Menschen fragten nicht ob man etwas wollte und sie fragten vor allem nicht was man mochte. Man bekam einfach etwas und das meist an Stellen und von Personen, bei denen man nicht damit rechnete.

Vor uns lagen jedoch gute 24km Strecke auf denen es nahezu kein einziges Haus gab. Die Läden in diesem Ort hatten wir bereits am Abend abgeforstet und somit war das Frühstück die einzige Hoffnung auf Nahrung, die wir überhaupt hatten. Man konnte also nicht so wählerisch sein. Wir stärkten uns mit Käse- und Wurstbrötchen und verabschiedeten uns anschließend von unserem Gastgeber.

Kurz bevor wir die Stadt verließen entdeckten wir links der Straße einen Stand mit Erdbeeren. Wir hatten bislang noch nicht bemerkt, dass sie Saison dafür hier bereits begonnen hatte, doch wie es aussah waren wir schon mitten drin. Die Frau, die die leuchtend roten Früchte verkaufte, schenkte uns sogar gleich zwei Schachteln voll. Damit waren wir nun doch wieder eine Weile versorgt.

Die ersten Kilometer wanderten wir über Feldwege und kreuzten die Autobahn. Dann führte uns die Straße in ein großes Waldgebiet. Anhand der Karte hatten wir zunächst geglaubt, dass die große Waldfläche zu einem Sumpfgebiet gehörte, doch wie sich herausstellte, war dies ein Irrtum. Bereits beim Betreten des Waldes kamen wir an einer alten verlassenen Ölbohrpumpe vorbei. Jedenfalls glaubten wir zunächst, dass sie verlassen war, denn der Kopf, der sich normalerweise auf- und absenkte stand still. Doch aus der Nähe konnte man erkennen, dass noch immer Erdöl durch die Rohre floss, die neben dem Bohrkopf aus der Erde ragten. Es stank nach Pech und Schwefel und die Rohre waren schwarz vor durchsickerndem Öl. Eine Anzeigetafel verriet, dass das Öl mit rund 11 Bar aus dem Boden in den Tank schoss.

Kurz nachdem wir den Wald betreten hatten tauchte die zweite Bohrstelle auf, diesmal mit einem Bohrkopf, der noch richtig schön nach oben und unten schwang, wie es sich gehörte. Dann kam die dritte und etwas später folgte die vierte. Die Kennzeichnungsschilder an den Bohrstellen trugen Nummern und die höchste die wir entdeckten lautete 224. Einige waren nicht mehr in Betrieb aber früher musste es einmal eine wirklich beeindruckende Ölquelle gewesen sein.

Es war schon paradox, dass ausgerechnet dieser hochgiftige Rohstoff, der hier zu Tage gefördert wurde, der Grund dafür war, dass dieses Naturreservat noch erhalten geblieben war. Auf der einen Seite sah man immer wieder die schwarze Masse die in die kleinen Bäche und Teiche floss und die zehn Meilen gegen den Wind stank, dass einem fast die Nase abfiel. An den Stellen, an denen die Bohrlöcher geschlossen worden waren, konnte man noch immer deutlich erkennen, wie das Öl mit den obersten Erdschichten vermischt war. Auf der anderen Seite musste man aber sagen, dass der gesamte Wald ohne die Ölbohrungen sicher längst abgeholzt und in eine Agrarwüste verwandelt worden wäre. Die vielen Frösche die in das ölig stinkende Wasser sprangen, wenn man an ihnen vorbeiging, verdankten ihr Leben also genau jenem Stoff, der ihre Tümpel kontaminiert hatte. Doch das Leben schien sich von dem Öl nicht allzu sehr abschrecken zu lassen. Denn neben den Fröschen sahen wir auch Schildkröten, unzählige Libellen, darunter sogar äußerst seltene Plattbauchlibellen, Graureiher, Ringelnattern und vieles mehr. Natürlich waren auch große Mengen an Fliegen und Mücken dabei, die nicht ganz so spektakulär, dafür aber umso nerviger waren. Aber das Leben hat halt unterschiedliche Facetten.

Am anderen Ende des Waldes stießen wir auf einen Kanal, der uns den Weg versperrte. Für knapp 10km mussten wir nun über einen Pfad der eher eine holprige Wiese als ein Weg war, am Kanal entlang wandern, bevor wir auf eine Brücke stießen. Auf halber Strecke kamen wir dabei an einem Schäfer vorbei, der gerade seine Schafsherde hütete. Abseits der Wiese hatte er einige Schafsfelle und ein Leinentarp als Schlafstätte zurechtgelegt und zwischen den Schafen befanden sich zwei Esel, die sein Hab und Gut transportieren konnten. Als wir auf die Herde zukamen war der Schäfer gerade dabei, sein Halstuch im Kanal zu tränken um sich damit zu kühlen. Dann legte er seine Lederne Jacke auf den Boden und setzte sich darauf. Er sprach leider keine der uns bekannten Sprachen und so lief die Kommunikation nur auf ein „Hallo!“ – „Auf Wiedersehen!“ – „Gute Reise!“ hinaus. Es war schade, denn er war was uns an ging genauso neugierig wie anders herum. Der Mann war vollkommen Natur. Er fügte sich in die Wiese und in seine Schafsherde ein, als wäre er ein Teil davon.

Nachdem wir die Straße erreicht hatten wollten wir bei den umliegenden Häusern nach etwas zu Essen fragen. Unserer Erdbeeren waren schon lange aufgebraucht und nach dem ansträngenden Trip über die Buckelpiste schrien unsere Mägen nach neuem Futter. Außerdem wurde es Zeit herauszufinden, wie gut wir mit den Menschen in den kleinen Ortschaften zurecht kamen. Gestern Nachmittag hatte ich unsere weitere Strecke durch Bosnien und runter zur Kroatischen Küste herausgesucht. Uns standen definitiv herausfordernde Zeiten bevor, denn ab der Bosnischen Grenze erwartete uns ein Niemandsland, das fast nur aus Bergen bestand. Es waren Strecken von fast hundert Kilometern darunter, in denen es nicht mehr Zivilisation gab, als ein Dorf mit drei Häusern, alle 20km. Infrastrukturen, an die wir uns halten konnten waren dann also nicht mehr zu finden. Wir mussten uns an die Privatleute halten und hoffen, dass sie ähnlich Gastfreundlich waren, wie die in Frankreich und Slowenien.

Doch unser erster Versuch war mehr als nur ernüchternd. Es war geradezu niederschmetternd. In der kleinen Ortschaft gab es insgesamt vier Häuser. Im ersten und im dritten wurde mir die Tür vor der Nase zugeschlagen, noch ehe ich überhaupt eine Frage stellen konnte. Englisch sprach niemand und so hatte ich versucht, mit meinem Zettel weiterzukommen. Doch sobald die Hausbesitzer den Zettel in meiner Hand sahen machten sie zu und waren nicht mal mehr bereit, mir etwas Leitungswasser zu geben. Im zweiten Haus meinte die Frau, dass sie etwas Deutsch verstehe. Als ich sie dann um Unterstützung bat, verstand sie aber doch nichts. Es gelang mir sie um Wasser zu bitten, was sie mir auch brachte. Doch einen Apfel oder etwas Ähnliches hatte sie angeblich nicht im Haus. Bei der vierten Frau mühte ich mich dann ab, ihr meine Frage auf Kroatisch vorzulesen. Es entstand sogar eine ganz lockere Atmosphäre dabei, doch geben wollte sie mir trotzdem nichts. Auch sie behauptete, keinerlei Nahrung im Haus zu haben. Nicht einmal einen schrumpeligen Apfel oder eine Tomate.

Niedergeschlagen gab ich auf und wir zogen ohne Stärkung weiter bis in unser Zieldorf. Hier gab es eine kleine Kneipe, in der ich um Unterstützung bei der Schlafplatzsuche fragen konnte. Das Ergebnis war das komplette Gegenteil von meinen Erfahrungen von zuvor. Wir mussten eine gute halbe Stunde warten, dann kam der Vorsitzende der freiwilligen Feuerwehr und stellte uns einen Raum in der ehemaligen Schule zur Verfügung, die nun für Veranstaltungen genutzt wurde. Innerhalb weniger Minuten wurden wir zu den neuen Dorfmaskottchen. Jeder grüßte uns, wünschte uns einen schönen Aufenthalt und eine gute Reise. Ein Mann brachte uns ein Abendessen vorbei, dann wurden wir eingeladen, die Kirche zu besichtigen und anschließend nahm uns eine Frau mit zu sich nach Hause, die uns mit Tee und einem „Salat“ versorgte.

Bei dem Salat handelte es sich jedoch nicht, wie wir dachten um Grünfutter, sondern um einen Nudelsalat, der zu rund 90% aus Majonäse bestand. Salat hieß er wahrscheinlich vor allem deshalb, weil drei Paprikakrümel hineingefallen waren.

Die Frau lebte hier mit ihrem Mann und ihren drei Kindern, war mit ihrer Lebenssituation jedoch alles andere als zufrieden. Sie fühlte sich überfordert und hatte das Gefühl, dass sie alles alleine managen musste. Um die beiden jüngeren Söhne zu bändigen hatte sie dem Älteren die Aufgabe übertragen, ihr mit allem zu helfen, was sie von ihm wollte. Doch damit war der Junge ebenfalls überfordert und man spürte bereits deutlich, dass er sich unbewusste Rebellionsstrategien angeeignet hatte. Er konnte seiner Mutter nicht sagen, dass er keine Lust hatte, die Dinge, die sie ihm auftrug zu erledigen, denn sie duldete keine Widerrede. Doch er konnte sich dabei langsam und trottelig anstellen, so dass sie ihn für die Dinge, die er nicht mochte, als untauglich befand. Eine gefährliche Strategie, die ich nur zugut kannte.

Eines haben wir jedenfalls verstanden. In Kroatien gibt es noch einmal ein neues System, das wir bislang nicht kannten. Man kann hier entweder der furchteinflößende Fremde sein, vor dem man die Rollläden herunterlässt, wenn man ihm begegnet und mit dem man auf keinen Fall etwas zu tun haben will. Oder aber man kann das Maskottchen des Ortes werden, die Attraktion des Tages, die von allen umsorgt und gepflegt wird. Die Frage ist dabei nur, wie man es schafft ein Maskottchen zu werden. Dann ist es ein Spaziergang. Der erste Schritt dazu wird wahrscheinlich doch sein, dass wir wesentlich mehr von der Sprache lernen müssen, als wir zunächst dachten und wollten.

Spruch des Tages: Freund oder Feind, das ist hier die Frage.

 

Höhenmeter: 40

Tagesetappe: 24 km

Gesamtstrecke: 8921,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt und schwülwarm

Etappenziel: Alte Schule, 10316 Lijevi Dubrovčak, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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