Tag 495: Shopping: Impossible

von Heiko Gärtner
11.05.2015 19:42 Uhr

Die Nacht wurde etwas unruhiger als erwartet, denn die Klimaanlage gab ein permanentes Wummern von sich, dass sich einem ins Trommelfell einbrannte und einen fast wahnsinnig machte. Zum Glück hörte es immer mal wieder für einen Moment auf und irgendwie schaffte ich es, genau in einer solchen Ruhephase einzuschlafen. Heiko nutzte eine andere Taktik und stopfte sich seine Ohropacks so tief in die Ohren, dass sie sich fast in der Mitte seines Kopfes berührten. Dabei drückte er aber wohl auch etwas Ohrenschmalz nach innen, das sich nun wieder vor das Trommelfell geschoben hat, wie damals in Spanien. Am Nachmittag besorgten wir deshalb eine große Spritze in einer Apotheke, um die Ohren wieder frei zu pusten.

Heiko wurde das erste Mal um kurz vor sieben wieder wach. Die Sonne erhellte unseren Raum wie ein Flutscheinwerfer und läutete eindeutig den Morgen ein. Ein Blick aus dem Fenster versetzte ihn in einen Zustand des überraschten Staunens. Auf der Bank vor unserer Tür hatten sich bereits wieder die Männer von gestern Mittag eingefunden und waren nun schon bei ihrem zweiten Bier. Als ich eine knappe Stunde später ebenfalls erwachte, hatten die Herren dann das Pensum erreicht, bei dem sie sich fühlten, wie ein normaler Mensch im nüchternen Zustand. Erst vor kurzem hatte man uns erzählt, dass das Alkoholproblem in Kroatien bereits deutlich gesunken war und verglichen mit dem in Russland fast nicht mehr existierte. Ob das nicht vielleicht doch ein bisschen übertrieben war? Und wenn nicht, wollen wir dann überhaupt wissen, wie schlimm es in Russland ist?

Unser Weg führte uns heute nach Sisak, einer der wenigen großen Städte in Kroatien. Früher war sie einmal der Sitz vieler Industriekonzerne gewesen, doch heute existierte fast keiner mehr davon. Dafür war die Stadt nun ein Zentrum für alles, das man nicht selbst anbauen konnte. Es war der einzige Ort in der Umgebung, in dem es größere Supermärkte und Einkaufszentren gab. Da wir schon länger überlegt hatten, uns vielleicht noch einmal eine weitere kurze Hose zuzulegen, um nicht immer herumzulaufen wie die D-Zwillinge, warfen wir selbst einmal einen Blick in das Einkaufsparadies und schauten und nach Sommerkleidung um. Dabei fielen uns einige Dinge auf, die uns doch sehr in Erstaunen versetzten. Zunächst einmal gab es nicht wirklich etwas, das uns gefiel, doch das waren wir bereits gewöhnt und das war nicht unbedingt etwas Besonderes. Doch selbst wenn wir etwas gefunden hätten, mussten wir feststellen, dass es fast nichts gab, das uns passte. Die Kleidermaße waren allesamt seltsam unförmig und es schien fast nur Übergrößen zu geben. An einem kompletten Stand der so mit kurzen Hosen vollgestopft war, dass man sie sich nicht mehr richtig anschauen konnte, gab es nur Hosen in Größe 50 oder 52. Heiko hätte also das linke und ich gleichzeitig das Rechte Hosenbein anziehen können und wir hätten noch immer einen Gürtel gebraucht. Leider stellte sich heraus, dass diese Variante mit zwei Pilgerwagen recht unpraktisch war. Wie es aussah, war der Durchschnittsmann in diesem Land offensichtlich stark übergewichtig. Ein Blick auf die Straße schien diese These zu bestätigen. Aber es gab trotzdem Ausnahmen und auch die waren nicht nackt. Irgendwo musste man also auch Kleidung für schlanke Menschen bekommen. Wir entdeckten insgesamt drei Läden, in denen es normale Größen gab. Eines davon war ein Sportfachgeschäft und die anderen beiden gehörten zu internationalen Ketten die überall auf der Welt mehr oder weniger das gleiche verkauften.

Noch mehr als die Größe irritierte uns jedoch der Preis. So wie wir es nun mehrfach bestätigt bekommen hatten, lag das Durchschnittsgehalt in Kroatien bei rund dreihundert Euro. Die Waren in den Läden kosteten jedoch mindestens genauso viel, wie in Deutschland. Das war uns bereits bei den Lebensmitteln aufgefallen, doch bei der Kleidung war es gleich noch viel schlimmer. Die günstigste kurze Hose, die wir finden konnten, die einigermaßen Annehmbar war, lag bei umgerechnet 30€. Wer konnte ein zehntel seines Monatsgehaltes für eine kurze Hose ausgeben? Ein einfacher Strohhut, dem man bereits jetzt schon ansehen konnte, dass er keine zwei Monate hält, lag bei gut 10€. Und trotzdem standen sich die Menschen in den Warteschlangen vor den Kassen die Beine in den Bauch. Wie machten sie das? Kein Mensch wäre in Deutschland bereit für einen solchen Strohhut vom Kick 50€ auszugeben, was sein Preis wäre, wenn man ihn auf unser Durchschnittsgehalt umrechnen würde. Selbst die zehn Euro, die er hier kostete, wären uns ja bereits zu teuer für ein Produkt, dass man nicht einmal schief ansehen darf, wenn man es nicht zerstören will.

Wir beschlossen jedenfalls, dass wir diesen Wahnsinn nicht unterstützen wollten, auch oder schon gar nicht mit den Spenden, die man uns hier in Kuna geschenkt hatte. Stattdessen verließen wir den Laden in dem Bewusstsein, dass unsere aktuelle Kleidung wohl doch nicht so schlecht war. Und was sprach schon gegen einen D-Zwilling-Look?

Im Zentrum von Sisak suchten wir als erstes die Kirche auf. Der Pfarrer wies uns zunächst ab, da er meinte, keinen geeigneten Saal zu besitzen. Da er weder Deutsch noch Englisch sprach und wir daher nicht mit ihm diskutieren konnten, holten wir uns zwei Damen als Dolmetscher hinzu. Es ist wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass die einzigen beiden englischsprachigen Personen im Umkreis zwei hübsche Frauen waren, von denen eine im gleichen Alter war wie unser Pfarrer, dass er sich schließlich doch noch einmal umstimmen ließ. Die beiden Frauen und ich waren uns darüber einig, dass es für eine so große Stadt wie Sisak irgendwie peinlich war, dass sie keinen einzigen, annehmbaren Raum besaß, wo uns doch sogar die Pfarreien in den kleinsten Käffern des Landes ein Obdach gewähren konnten. Die jüngere der beiden Frauen fragte den Geistlichen schließlich, ob die Kinder dann auf der Straße unterrichtet würden. Dies war dann auch für seine Schamgrenze zu viel und er sagte zu, dass er uns helfen würde.

Nachdem sich die beiden Frauen verabschiedet hatten, führte er uns in den Innenhof seines Anwesens und von dort in einen Außenflügel in dem sich zwei große Veranstaltungsräume befanden. Einen davon durften wir uns für die Nacht aussuchen.

Spruch des Tages: Soviel zum Thema ‚Geiz ist Geil’

 

Höhenmeter: 10

Tagesetappe: 13 km

Gesamtstrecke: 8946,77 km

Wetter: sonnig, leicht bewölkt und warm

Etappenziel: Pfarrhaus, 44000 Sisak, Kroatien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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