Tag 508: Tagebuch der Wildnis – Teil 5

von Heiko Gärtner
25.05.2015 18:12 Uhr

Bevor wir euch heute erzählen, was wir in den vergangenen Tagen so erlebt haben, möchsten wir euch erst einmal unseren neuen Trailer vorstellen. Heiko hat ihn bereits vor einer ganzen Weile an einem kalten, ungemütlichen Regentag fertiggestellt, als wir noch regelmäßig trockene Plätze bei Pfarrern gekommen haben. Heute hatten wir nun endlich einmal die Zeit und die passende Internetverbindung, um ihn euch präsentieren zu können:

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Donnerstag, 21. Mai 2015

Die Sonne scheint nun endgültig hinter den Wolken verloren zu sein. Gestern dachten wir noch dass wir vor Hitze draufgehen würden und heute wurde es plötzlich so kalt, dass wir wieder die langen Hosen und die dicken Jacken auspacken mussten und noch immer froren. Die kommenden Nächte soll die Temperatur teilweise sogar auf 2-3°C fallen. Und das im Tal. Wir sind aber gerade dabei auf Höhen von rund 800 bis 1200m emporzuwandern. Da kann das Zelten also heiter werden.

Es dauerte nicht lange und es begann zu nieseln. Als wir Kljuc erreichten regnete es bereits ordentlich. Leider war die Stadt wieder genauso wenig hilfreich und angenehm wie die Städte zuvor. Wir hatten eigentlich gehofft, hier ein Pensionszimmer zu finden, in dem wir übernachten können, doch die einzige Pension hatte wieder einmal geschlossen. Öffnungszeiten sind zwischen 8:00 und 11:00 Uhr und dann noch einmal von 17:00 bis 20:00 Uhr. Wie soll da ein Gast anbeißen? Langsam verstanden wir die Arbeitseinstellung der Einheimischen immer weniger. Bosnien war so ein schönes Land, vielleicht eines der letzten Paradiese, die es auf der Erde noch gibt. Doch die Menschen schafften es wirklich, sich das Leben hier zur Hölle zu machen. Bei so viel Wald, Feld und Fruchtbarkeit im Allgemeinden dürfte es hier keine Armut geben. Die vielen Geisterstädte boten außerdem genug Material um die Häuser zu renovieren und instantzuhalten. Egal, was für Deppen die Politiker auch sein mochten, mit ein bisschen Eigeninitiative konnte man das Land leicht wieder florieren lassen. Es brauchte im Prinzip nicht viel mehr als ein bisschen Ökotourismus wie in Slowenien. Das kleine Haus, in dem wir übernachtet haben beispielsweise. Es war nicht viel nötig um ein nettes kleines Feriendomizil daraus zu machen und derartige, leerstehende Immobilien besaß auf dem Land fast jeder. Wenn man dann noch einige Wanderwege auszeichnen würde, wie beispielsweise den Weg nach Medjugorie und das ganze ein bisschen bewerben würden, dann müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn nicht innerhalb von kurzer Zeit die ersten Urlauber im Land wären. Und damit wäre dann auch das Problem gelöst, dass die vielen Kleinbauern keine Abnehmer für ihre ökologisch angebaute Nahrung finden. Was gibt es besseres, als einen Erholungsurlaub in einem wilden, ursprünglichen Land, voller reiner Quellen, mit guter Luft und unerschöpflichen Naturschönheiten, bei dem man dann auch noch selbstgemachten Honig und richtig gutes Bio-Essen bekam, wie man es sonst nirgendwo finden konnte?

Da es diesen Biotourismus jedoch nicht gab, brauchten wir eine andere Lösung. Die Moschee und die Kirche lagen einander direkt gegenüber, wirkten jedoch beide etwas zu klein, um vielversprechend zu sein. Außerdem wimmelte es hier vor Polizisten und wir hatten keine Lust schon wieder kontrolliert zu werden. Also verließen wir die Stadt um unser Glück woanders zu versuchen. Dabei kamen wir an einem Forstamt oder etwas in der Art vorbei. Hier trafen wir eine Frau, die uns anbot, im Haus ihres Großvaters zu übernachten. Allerdings müssten wir dafür noch fast frei Stunden warten, bis sie Feierabend hatte. Es regnete noch immer in Strömen und somit war das Angebot, einen Indoor-Schlafplatz zu bekommen durchaus verlockend. Aber die Aussichten drei Stunden lang in Kälte und Regen zu warten, schreckten uns etwas ab. Auch die Bar, die direkt neben der Hauptstraße lag, wirkte nicht viel einladender. Außerdem wussten wir nicht, was uns im Haus ihres Großvaters erwartete. Bekamen wir ein Gästezimmer oder waren wir mitten in einem Familientrubel wie wir es zuvor bereits erlebt hatten? Die Entscheidung fiel schwer, doch schließlich zogen wir weiter.

Kurz darauf kamen wir an einen Kanu-Verleih mit angegliedertem Campingplatz. Hier gab es Dächer, unter die wir unser Zelt bauen konnten und es gab sogar Strom und Wasser. Der Nachteil war nur, dass es direkt an der Hauptstraße lag und dass wir keinen Besitzer ausfindig machen konnten. Was war, wenn er später kam und uns vertrieb? Dann saßen wir richtig in der Patsche. Also gaben wir auch diese Idee auf und gingen weiter bis ins nächste Dorf. Hier endlich fanden wir unseren Platz für die Nacht. Ein kleines Holzhaus, das so auf Stelzen gebaut worden war, dass wir unser Zelt darunter errichten konnten. So prasselte uns der Regen nicht auf den Kopf und unser Zelt wurde nicht ganz so schwer, wenn Heiko es morgen wieder tragen musste. Außerdem hatten wir einen Unterstand mit Bänken und Tischen an dem wir umpacken und sogar kochen konnten.

Ein Fischer kam vorbei und setzte sich zu uns um seine Angel vorzubereiten. Als er fertig war, hielt er sie einige Minuten ins Wasser und beschloss dann, dass das Wetter zu ungemütlich war. Also packte er wieder zusammen und ging heim. Dabei bot er uns jedoch an, dass wir zu ihm kommen sollten, wenn wir noch etwas brauchten. So konnten wir zumindest unsere Stromreserven wieder auf 100% auffüllen.

Später am Abend kam der Angler dann noch einmal zu unserem Zelt und brachte uns ein warmes Abendessen. Er erzählte uns dass er sein Leben lang in Slowenien gearbeitet und gelebt hatte und nun in der Rente wieder nach Bosnien zurückgekehrt war. Das Grundstück auf dem wir zelteten gehörte ihm, doch er hatte keine Sekunde etwas dagegen, dass wir hier zelteten. Das Essen wärmte uns von innen und tat wirklich mal wieder gut, vor allem weil es richtig lecker war. Es gab Mettbällchen in einer Paprikasauce mit Reis. Als sich der Angler von uns verabschiedet hatte, kehrte er in sein warmes Haus und wir in unser warmes Zelt zurück, wo wir uns in die Schlafsäcke kuschelten und den Rest des Abends das machten, was jeder vernünftige Mensch an fiesen Regenabenden macht: Wir begannen mit einer Filmnacht.

Freitag, 22. Mai 2015

Der Regen geht weiter! Die ganze Nacht durch regnete es ohne eine Ausnahme und auch am Morgen hatte es noch immer nicht aufgehört. Nur zum Zusammenpacken und Zeltabbauen bekamen wir eine kleine Trockenpause. Als wir aber aufbrachen vielen die ersten Tropfen bereits wieder vom Himmel und machten dort weiter, wo sie wenige Minuten zuvor aufgehört hatten. Besonders weit kamen wir nicht. Wir waren gerade etwas mehr als eine Stunde gegangen, da entdeckten wir eine kleine Pension rechts der Straße, die einfach zu einladend aussah. Wir fragten nach einem Zimmer, was nicht ganz so einfach war, weil keiner der Anwesenden richtig Deutsch oder Englisch sprach. Doch nach einiger Zeit gelang es uns trotzdem einigermaßen uns verständlich zu machen. Nicht alle Beiträge der Gäste waren Hilfreich aber einige waren recht amüsant:

„Deutschland?“ fragte ein Mann, der plötzlich neben mir auftauchte.

„Ja!“ antwortete ich.

„Dann sprichst du einfach Deutsch jetzt!“ meinte er.

„Oh!“ sagte ich erleichtert, „du sprichst Deutsch?“

„Nein!“ gab der Mann zurück, „aber du!“

Der einzige Haken an dem Zimmer war, dass wir wieder einmal einige Stunden warten mussten, bis wir es beziehen konnten. Diesmal war es jedoch nicht so tragisch, weil wir eh noch etwas zum Essen besorgen mussten. Wir ließen unsere Wagen also stehen und gingen die Straße auf und ab. Gerade als wir auf dem Weg zu einem kleinen Supermarkt waren kam uns ein Polizeiauto entgegen und hielt vor uns auf dem Gehsteig.

„Nicht schon wieder!“ sagte Heiko und sprach damit genau das aus, was ich auch gerade gedacht hatte.

Einer der Polizisten stieg aus und kam auf uns zu. Er sprach wieder einmal kein Deutsch und kein Englisch, abgesehen von dem Satz: „Passport please!“

Die ersten beiden Kontrollen waren ja noch ganz witzig, aber langsam fing es an, lästig zu werden. Vor allem weil es in diesem Moment wieder einmal so vom Himmel plätscherte, dass man Angst hatte, in der Luft zu ertrinken. Unsere Pässe wanderten mit dem Polizisten ins Auto und wurden kontrolliert. Die Glücklichen, sie hatten es nun wenigstens warm und trocken.

Wir standen wie zwei begossene Pudel vor dem Auto und ließen uns nass regnen. Der Polizist stieg wieder aus und wartete eine Weile solidarisch mit uns im Nassen. Dabei zündete er sich eine Zigarette an und fragte, ob wir auch eine wollten. Dass sie nicht ausging verdankte er lediglich seiner Schirmmütze, die gerade bis über die Zigarettenglut reichte. Die Kunststofffolie und das Aluminiumpapier, die er von der Zigarettenschachtel entfernt hatte, warf er achtlos in den Grünstreifen neben der Straße.

Wir schauten uns empört an. Als Polizist sollte er es eigentlich besser wissen! Er konnte doch nicht einfach seinen Müll hierher werfen und uns wie zwei Kriminelle festhalten, nur weil wir zu einem Supermarkt gingen! Für einen Moment bedauerten wir zutiefst, dass er von uns dreien derjenige war, der die Polizeimarke hatte und nicht wir. Sonst hätten wir ihm gründlich was erzählt.

Während wir im Regen warteten, fuhren nacheinander ein LKW, der Öl verlor, ein Bully mit Holzleisten im Hinterraum, die ungesichert rund zwei Meter herausschauten und ein Pick-Up mit einigen Holzkübeln auf der Ladefläche, die höchstens mit einem Kaugummi befestigt waren an uns vorbei. Jeder von ihnen war eine ernsthafte Gefahr für sich selbst, für die Umwelt und für alle Verkehrsteilnehmer. Doch die Polizisten ignorierten alle drei, da sie zu sehr damit beschäftigt waren, auf unsere Pässe zu starren.

Schließlich kam der Zigarettenmann, der sich wieder in sein Auto zurückgezogen hatte, wieder hervor und meinte, wir sollen lieber ein Stück die Straße hinaufgehen. Dort gäbe es ein Dach, unter das wir uns stellen konnten um nicht nass zu werden. Eine Viertelstunde früher wäre dieser Vorschlag auch nett gewesen. Aber besser spät als nie.

Wir setzten uns auf eine Mauer, packten ein paar Bananen aus und warteten weiter. Dann kam der Besitzer des Daches, bei dem es sich um eine relativ improvisierte Waschstraße handelte. Er stellte sich zu den Polizisten und rauchte eine mit. Noch immer wussten wir nicht warum wir hier warteten, doch wir machten erst einmal weiter damit. Schließlich fuhr ein weiteres Auto vor. Ein junger Mann mit einer Kettensäge stieg aus und ging zu einem der Häuser in der Nähe. Dann bog der Fahrer in die Einfahrt neben uns ein und ging ebenfalls auf die Polizisten zu. Er war ein älterer, aufgedunsener Herr, dem bereits einige Zähne fehlten. Die übriggebliebenen waren bereits großflächig angefault und sahen auch nicht aus, als wollten sie noch lange in seinem Mund bleiben. Nach einem kurzen Gespräch mit den Beamten kam er zu uns herüber. Er sprach ein bisschen Englisch und ließ sich von uns erklären, was wir hier machten. Dann meinte er, er wünsche uns eine gute Reise und viel Spaß beim wandern.

„Aber was ist nun mit den Polizisten?“ fragten wir ihn, „kannst du sie fragen, was es für ein Problem gibt?“

„Es gibt kein Problem!“ meinte er nur locker, „Ich bin der Polizeichef aus dieser Region und es ist alles in Ordnung. Die Jungs wollten nur wissen, wohin ihr wollt. Das wissen sie jetzt, also könnt ihr eure Pässe zurück haben.“

Auf der einen Seite waren wir schon etwas amüsiert darüber, wie viel Aufhebens man um nichts machen konnte. Andererseits waren wir aber auch fassungslos über die unnötige Schikane. Wir hatten nicht einmal unsere Wagen dabei sondern wurden nur angehalten, weil ich einen Rucksack trug und wir beide die gleichen Jacken anhatten. Dafür mussten wir nun eine knappe Stunde in Kälte und Regen stehen. Wären wir nicht so entspannt gewesen, weil wir bereits ein Zimmer sicher hatten, hätten wir uns sicher ordentlich über die Polizisten aufgeregt. Plötzlich leuchtete uns auch wieder ein, warum es in diesem Land keinen Tourismus gab. Jeder der hier Urlaub machte und dem das gleiche passierte wie uns, der war doch spätestens beim vierten Mal so genervt, dass er nie wieder hier her kam. Vor allem nicht, wo es in den Nachbarländern genauso schön aber weit weniger ansträngend war.

Wir waren jedenfalls heilfroh, als wir unser Zimmer beziehen und unsere nassen Sachen endlich einmal zum Trocknen aufhängen konnten.

Um ein Haar hätten wir dann aber doch noch einmal auf die Straße gemusst. Am Nachmittag kam die Hauswirtin und ließ uns über ihre Tochter fragen, wann wir denn nun bezahlen wollten. Sie schien von dem aufwändigen Gespräch mit den vielen Dolmetschern nichts mehr zu wissen. Also erklärten wir es noch einmal und nach kurzem hin uns her war es wieder in Ordnung. Für einen Moment dachten wir, dass wir es beim ersten Mal nicht richtig erklärt hatten, doch bei genauerer Betrachtung konnte das eigentlich nicht sein, denn auch wenn ich wenig von den Bosnischen Gesprächen verstanden hatte, so hatte es doch gereicht um das Wesentliche mitzubekommen. Außerdem war nie über einen Preis gesprochen worden. Wenn man ein Zimmer regulär mietet, dann sollte doch irgendwann über die Höhe gesprochen werden, damit man sich entscheiden kann. Ein bisschen sonderbar kam uns die Sache schon vor. Aber jetzt schien ja soweit alles klar zu sein.

Spruch des Tages: Nur wer sich tierisch freuen kann, lebt menschlich.

Höhenmeter: 360m

Tagesetappe: 26km

Gesamtstrecke: 9177,77 km

Wetter: Starkregen im Wechsel mit einigen Trockenperioden

Etappenziel: Schafswiese mitten im Wald, irgendwo in der Nähe von Gornji Vrbljani, Bosnien und Herzegowina

 

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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