Tag 514: Menschenleer

von Heiko Gärtner
31.05.2015 22:42 Uhr

Zu berichten gibt es eigentlich nicht viel heute, obwohl es ein schöner Tag war. Von unserem Platz beim Pfarrer wanderten wir zunächst bis nach Kupres, der ersten Kleinstadt in Bosnien, die wir nicht als hässlich empfanden. Sie wirkte eher wie ein großes Dorf. Auf den Berggipfeln im Umkreis lag noch immer Schnee und an einigen Hängen befanden sich sogar Ski-Lifts. Im Winter war es hier offensichtlich ein richtiges Ski-Gebiet.

Nachdem wir Kupres wieder verlassen hatten, kamen wir in eine eher dünnbesiedelte Gegend. Dann wurde es noch dünner besiedelt und schließlich gab es gar keine Menschen mehr. Wir waren wieder in der Wildnis und diesmal war sie noch schöner und beeindruckender als zuvor. Den ganzen Tag verbrachten wir im Grünen, ohne einen Menschen zu sehen. Lediglich ein Schaf kam uns entgegen, das neben einem kleinen Bach graste und uns neugierig anschaute. Am Abend erreichten wir ein Dorf, das aus rund 40 Häusern bestand. Als wir jedoch näher herankamen, stellten wir fest, dass nur ein einziges Haus bewohnt war. Alle anderen waren verbarrikadiert oder halb abmontiert. Bei den meisten fehlten die Dächer. Offensichtlich war das Dorf dem Krieg zum Opfer gefallen. Doch es sah nicht so aus, als wären die Häuser durch Bomben zerstört worden. Es gab keine Brandspuren, keine Explosionsschäden, keine Einschusslöcher oder ähnliches. Auch lagen die Trümmer in den Häusern nicht am Boden, so wie es hätte sein müssen, wenn die Dächer einfach eingestürzt wären. Sonst war hier nichts aufgeräumt, warum also hätten die Menschen diese Trümmer wegräumen sollen? Es sprach alles eher dafür, dass die Dächer als Baumaterialien einfach abmontiert und geklaut worden waren.

Was immer hier auch geschehen war, in Bezug auf Wasser und Nahrung halfen uns die Ruinen nicht weiter. Doch wieder war das Glück auf unserer Seite. Die Bewohner des einzigen Hauses, das noch belebt war, statteten uns mit einem typisch bosnischen Abendessen und mit einer ordentlichen Portion Wasser aus.

Übernachten konnten wir hier jedoch nicht, denn dazu gab es keine geeigneten Wiesen. Stattdessen war hier wieder alles voller zirpender Grillen, die so laut summten, dass man hier definitiv keinen Schlaf finden konnte. Wir zogen also weiter und kamen schließlich zu einer kleinen Forsthütte. Sie war zwar abgeschlossen, doch in ihrem Vorbereich gab es einen guten Zeltplatz. Später stellten wir fest, dass in der Umgebung mehrere Mienen-Warnungs-Schilder standen. Es war also gut, dass wir nicht einfach irgendwo in der Wildnis campierten, sondern uns einen Platz suchten, der zweifelsfrei ungefährlich war.

Spruch des Tages: Die Unendlichkeit kennt hier wirklich keine Grenzen

 

Höhenmeter: 290m

Tagesetappe: 35km

Gesamtstrecke: 9300,77 km

Wetter: sonnig und heiß, in der Nacht Temperaturen um 2°C.

Etappenziel: Platz vor der Forsthütte, Rilic, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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