Tag 539: Frühstücken verboten

von Heiko Gärtner
27.06.2015 01:30 Uhr

Noch 23 Tage bis zum Treffen mit Paulina!

Am nächsten Morgen verließen wir den Kraftplatz mitsamt seiner Krankenstation und wanderten zunächst fünf Kilometer weiter in den nächsten Ort. Da uns nichts drängte und wir ja sogar möglichst langsam vorankommen wollten, hatten wir eigendlich vor hier zu übernachten. Möglich gewesen wäre es auch, denn es gab einen Pfarrer, der sogar zuhause war, einige Kirchenräume und außerdem genug zu essen. Dafür gab es aber auch einige Faktoren, die uns den Platz hier irgendwie madig machten. Zunächst waren da die vier Jugendlichen, die sich in den Tod langweilten und deshalb den lieben langen Tag lang mit ihnen Motorrollern die drei Straßen auf und abfuhren, die es hier gab. Jedes Mal, wenn sie an Heiko vorbeifuhren, schrien sie dabei laut oder hupten ihn an. Als ich von meiner Essenssammeltour zurückkehrte, beschlossen wir daher, uns einen ruhigeren Platz für unser Mittagessen zu suchen. Diesen fanden wir vor der Kirche. So dachten wir jedenfalls. Denn schon bald hatten uns die Jungs wieder aufgespürt und versuchten nun wieder so nah wie möglich an uns heranzufahren, um uns ihre Fahrkünste präsentieren zu können. Irgendwie ließen sie schon durchblicken, dass sie eigentlich interessiert waren und gerne mit uns ins Gespräch gekommen wären. Doch jemanden mit Motorengeräuschen zu nerven und ihn dann noch anzuschreien war nicht unbedingt der ideale Einstieg für ein freundliches, konstruktives Gespräch.

Kurze Zeit später wurde jedoch klar, von wem sie diese Strategie gelernt hatten. Seit wir uns hingesetzt hatten streunte ein Mann mittleren Alters immer wieder um uns herum und betrachtete uns aus sicherem Abstand. Er schien uns ebenfalls ansprechen zu wollen, wusste aber offensichtlich noch nicht wie. Natürlich konnten wir nicht in seinen Kopf hineinschauen, doch aufgrund der später folgenden Reaktionen müssen seine Gedanken etwa folgendermaßen ausgesehen haben: „Mhhh, wie finde ich nur heraus, was diese Fremden hier wollen? Wie spreche ich sie am Besten an? Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht! Oh, jetzt habe ich´s! Am Besten ich gehe einfach hin und beleidige sie! Das mögen die Menschen! Ich mache das schließlich schon mein ganzes Leben so und bislang hat das immer sehr gut funktioniert!“

Und genau das tat er dann auch. Er kam auf uns zu und wir sahen bereits an seinem mürrischen Blick, dass er uns nicht freundlich gesonnen war. Zunächst schnauzte er aus Kroatisch, übersetzte es dann aber ins Deutsche, als er merkte, dass wir ihn nicht verstanden.

„Was wollt ihr hier?“ fuhr er uns an.

„Wir frühstücken!“ erklärte ich ihm freundlich das Offensichtliche.

„Warum hier?“ fauchte er weiter.

„Weil das ein schöner Platz ist!“ erklärte ich weiter, „Hier ist es ruhig, schattig und die Aussicht ist der Knaller!“

„Seht ihr nicht, dass das ein Kirchenplatz ist?“ unterbrach er mich unsanft, „man kann hier nicht einfach Frühstücken! Das ist ein Ort des Gebetes! Geht gefälligst woanders hin!“

„Ich glaube nicht,“ mischte sich nun auch Heiko in das Gespräch ein, „dass Gott etwas dagegen hat, wenn wir hier frühstücken!“

„Glaubst du also!?!“ fauchte der Mann, „Und woher willst du das wissen? Hast du heute mit ihm gesprochen und ihn um Erlaubnis gefragt?“

„Nun!“ sagte Heiko so ruhig und gelassen wie er konnte, „wenn du so willst ja! Wir haben die letzten 12 Jahre in einem Kloster gelebt und befinden uns nun auf einer heiligen Pilgerreise nach Jerusalem. Wir haben also wirklich einen guten Kontakt zu Gott und wie gesagt, ich glaube er macht sich nichts daraus, ob wir hier frühstücken oder nicht.“

Der Mann erblasste. Damit hatte er nicht gerechnet. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er versucht hatte, Mönche von einer Kirche zu vertreiben! Das machte ihn vom Helden zum Sünder. Seine Aggression verwandelte sich nun von einem Schlag auf den anderen in Ehrfurcht.

„Wo ist denn euer Kloster?“ fragte er nun vorsichtig und versuchte den Argwohn dabei so gut es ging aus seiner Stimme zu verbannen.

„Bei Nürnberg!“ antwortete Heiko.

„Ok,“ sagte er dann und suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus seinem Vertreibungsversuch, „dann schaut halt einfach, dass ihr hier keinen Müll liegen lasst!“

Plötzlich tauchten zwei weitere Männer und eine Frau auf, die Heiko zuvor hatten warten sehen. Sie fragten uns, ob wir etwas zum Essen brauchten und mit zu ihnen kommen wollten. Wir bedankten uns für die Einladung, verwiesen aber auf das Picknick, das bereits vor uns ausgebreitet lag und das genug Nahrung für ein Bataillon beinhaltete.

„Wenn ihr etwas braucht, dann gebt einfach bescheid!“ meinten sie und verschwanden. Das war zu viel für unseren Störenfried. Nicht nur, dass sich seine erklärten Feinde als Mönche entpuppt hatten, jetzt wurden sie auch noch eingeladen. Er switchte seine Taktig nun vollkommen und begann damit, sich nach allen Regeln der Kunst bei uns einzuschleimen. Leider war das fast genauso nervig und unangenehm wie die Anmache von zuvor und es wirkte auch nicht besonders authentisch. Es war einfach nicht sinnvoll ein Gespräch mit einer Anfeindung zu beginnen und dann zu hoffen, dass man dafür gemocht wurde. Das beste war jedoch, dass sich der Mann nun neben uns setzte und sich eine Zigarette anzündete. Damit war nun jedes seiner Argumente ins Absurde geführt, denn wenn Gott keine Frühstücker vor seiner Kirche haben wollte, dann doch bitteschön auch keine Raucher.

Auch wenn es spannend war zu sehen, wie viel so ein kleines Wort wie Mönch in einem Menschen plötzlich verändern konnte, so war doch klar, dass der Mann den ganzen Tag hier vor der Kirche herumlungern und uns nerven würde, wenn wir blieben. Der Rest der Ortschaft war jedoch das Herrschaftsgebiet der Jugendlichen und somit war auch dort jede Hoffnung auf Ruhe verloren. Es blieb also nur die Flucht nach vorne. Und das bedeutete eine Wanderung von 15 Kilometern bis in die nächste Ortschaft. Soviel also zum Thema „Langsam gehen um auf Paulina zu warten“...

Der Weg dem wir folgten war eine ehemalige Bahnstrecke, die sich spiegelglatt am Berghang entlangschlängelte. Rechts von uns hoben sich die felsigen Berge empor und links von uns befand sich ein Tal, dessen Boden so eben war wie die Oberfläche eines Sees. Noch immer haben wir keine Idee, wie so etwas entsteht, vor allem nicht über eine Länge von nun mehr 35km. Es wirkt so, als hätten sich die Berge einfach aus dem flachen Boden aufgewölbt, oder so als hätte man die Lücke zwischen den Bergen mit flüssiger Erde ausgegossen, die dann erhärtet ist.

Plötzlich zuckte eine dicke braune Schlange aus dem Gebüsch und querte etwa einen halben Meter vor uns die Straße. Ich kann noch immer nicht sagen, wer von uns dreien sich am meisten erschreckt hat, aber mein Herz klopfte bis zum Hals. Irgendwie wirkte das Wesen ungefährlich, fast ein bisschen plump und es bewegte sich untypisch für eine Schlange. Doch das machte es nicht im geringsten weniger respekteinflößend. Am Abend erfuhren wir, dass wir mit unserer Vermutung recht gehabt hatten. Das lange, braune, schlängelige Tier sah zwar aus wie eine Schlange, war aber keine. Es gehörte zu den Schleichen und hatte sogar winzige Arme am Bauch. Deshalb machte es auch so einen Lärm, wenn es durchs Unterholz kroch und daher kamen auch seine fast hüpfenden Bewegungen.

Nach dieser ersten Begegnung sahen wir noch ein Dutzend weitere seiner Artgenossen und kurz darauf sogar noch einige echte Schlangen. Als dann schließlich auch noch ein Reh vor uns auf der Straße entlang galoppierte, fühlten wir uns fast wie auf einer Safari.

Am späten Nachmittag erreichten wir ein kleines Dorf mit dem Unaussprechlichen Namen Trncina, wo wir von einer Großfamilie aufgenommen wurden. Es waren Kroaten, die den Sommer hier im Elternhaus des Vaters verbrachten und da die ganze Familie mit Tanten, Onkel und Enkel angereist war, waren alle Zimmer belegt. Wir konnten jedoch auf einem kleinen Vorplatz zelten und durften das Badezimmer mitbenutzen. Außerdem verwandelte die Mutter unsere Kartoffeln, die wir am Mittag geschenkt bekommen haben in leckere Pommes, zu dem es einen saftigen Tomatensalat gab. Das einzige was sie irritierte war, dass wir in ihren Augen so unverschämt lange schliefen. Wir standen wie immer um 8:30 Uhr auf und packten unser Zelt zusammen. Doch ähnlich wie in Spanien war es hier anscheinend üblich, dass die Nacht um 5:00 Uhr vorbei war und dass man sich dafür am Nachmittag noch einmal auf’s Ohr haute.

„Wieso wollen eigentlich immer alle, dass wir so früh aufstehen?“ fragte Heiko als wir uns schließlich wieder auf den Weg gemacht hatten.

„Gute Frage!“ antwortete ich und fügte dann ironisch hinzu, „Es stimmt schon, man hat sonst jede Freiheit und kann machen was man will. Es ist wahrscheinlich sogar ok, wenn man auf kleine Kinder schießt, solange man dafür nur früh genug aufsteht.

Unser Tagesetappenziel befand sich eigentlich nur 5km entfernt auf der anderen Seite des Berges. Da wir mit der Zugstrecke jedoch sehr gute Erfahrungen gemacht hatten, beschlossen wir außen herumzugehen. Der Weg war dann zwar 15km lang, aber uns drängte ja nichts. Dummerweise war der Pfarrer in besagtem Ort wieder einmal auf einer Konferenz und im Rathaus wollte man uns zwar helfen, kam dabei aber auf keinen grünen Zweig. Das einzige, was den freundlichen Beamten einfiel, war das Verwaltungshäuschen einer Pumpstation. „Die ist allerdings nicht direkt hier im Ort, sondern in einem der umliegenden Dörfer. Das ist aber nicht weit! Nur 5km in diese Richtung hinter dem Berg. Es heißt Trncina.“

Wo immer es uns auch hintreiben würde, wieder dorthin zurückzukehren, wo wir gerade herkamen, war keine Option. Stattdessen wanderten wir noch einmal gute 6km weiter in einen Ort, der zwar ebenfalls nicht in unserer Richtung lag, in dem es aber eine Tropfsteinhöhle und ein Orthodoxes Kloster gab. Wenn wir schon Zeit hatten, dann konnten wir ja auch etwas Sight-Seeing betreiben.

Spruch des Tages: Warum gönnt einem eigentlich keiner ein gutes Frühstück?

Höhenmeter: 150m

Tagesetappe: 23 km

Gesamtstrecke: 9740,77 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Zeltplatz auf einem Kiesfeld neben der Hauptstraße, Prhinje, Bosnien und Herzegowina

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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