Tag 590: Schönheitswettbewerb

von Heiko Gärtner
17.08.2015 22:04 Uhr

Der Regen des gestrigen Gewitters hatte genug Feuchtigkeit für einen anständigen Morgennebel hinterlassen, der sich geheimnisvoll auf die Hügel und in die Täler legte. Bis nach Baijna Bašta waren es noch etwa 12km, die wir relativ ereignislos hinter uns brachten. Kurz vor dem Ortseingang leuchtete uns bereits ein großes Schild mit der Aufschrift Hotel Restoran Odmor na Drini entgegen. Es wurde von einem Ehepaar betrieben, das eine Weile in der Schweiz gelebt hatte und fließend Deutsch sprach. Wir bekamen sogar gleich zwei Zimmer, so dass wir uns etwas ausbreiten und wieder einmal einen Waschtag einlegen konnten. Dummerweise war gerade das Internet zusammengebrochen, so dass ich einen kleinen Ausflug in das nahegelegene Restaurant machen musste, um für weitere Orientierung zu sorgen. Jetzt aber haben wir wieder eine Wegbeschreibung bis nach Montenegro. Und so wie es aussieht, kommt da einiges auf uns zu! Die kommenden Wochen werden hügelig, wirklich hügelig. Montenegro heißt nicht umsonst übersetzt schwarzes Gebirge und der Süden Serbiens steht dem um nichts nach. Wir können uns also auf die bisher härteste Zeit unserer Reise einstellen: Hitze, Höhenmeter und fast keine Infrastruktur, so dass wir gut neun von zehn Nächten im Freien verbringen werden. Dafür wird es aber Landschaftlich auch sicher eine der schönsten Etappen. Und es gibt endlich wieder kleine Straßen und Wege auf denen man wirklich wandern kann. Südserbien ist definitiv nichts für Anfänger und oder Weicheier, aber für jeden der es etwas rauer, wilder und ursprünglicher mag, ist es ein absolutes Wanderparadies.

Baijna Basta selbst konnten wir erst am nächsten Tag besichtigen. Die Stadt war nicht übermäßig schön aber schon um einiges angenehmer als die bosnischen Städte. Es machte sogar spaß, ein bisschen umherzubummeln. Dabei entdeckten wir unter anderem eine Wechselstube, in der wir unser Kroatisches Geld in Bosnisches wechseln konnten. Während ich mich um die Finanzen kümmerte, warteten Paulina und Heiko auf dem Fußweg und bewachten unsere Sachen. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, bis schließlich ein Auto vorfuhr, aus dem eine junge, blonde Frau ausstieg. Sie war groß, schlank und hatte eine absolute Top-Figur, die sie mit einem kurzen, hautengen Lederrock und einem schicken, weißen Oberteil gekonnt zur Geltung brachte. Sie war nicht unbedingt schön, vor allem nicht, was ihr freudloses Gesicht und ihre glanzlosen Haare anbelangte, aber sie war heiß! Brandheiß!

Als ich aus der Wechselstube kam stand sie gerade mit dem Rücken zu mir und lehnte sich dabei passiv an das Auto um mit ihrem Fahrer zu sprechen.

„Na, hat dich was abgelenkt?“ fragte Heiko, der grinsend bemerkt hatte wie mein Blick erst auf ihm und Paulina gelegen hatte und dann abrupt zur Seite gewandert war, genau an die Stelle, an der sich der Hintern der Frau befand.

„Ja!“ sagte ich und grinste ebenfalls, „du warst einfach nicht mehr das interessanteste hier auf der Straße!“

Bei unserem weiteren Weg durch die Stadt sprachen wir darüber, wie jeder von uns die Frau wahrgenommen hatte. Wir waren uns alle drei einig darüber, dass sie keinen Sympathiebonus bekam und dass sie nicht der Typ Mensch war, mit dem man sich gerne unterhielt. Darüber hinaus gingen unsere Ansichten aber weit auseinander. Heiko und ich waren beide der Meinung, dass die Frau eine sehr starke erotische Ausstrahlung hatte und es stand außer Frage, dass wir sie nicht von der Bettkante stoßen würden, wenn sich die Gelegenheit ergab, ohne dass sie eine längere Unterhaltung erforderte. Paulina hingegen betrachtete die Frau in erster Linie mit Wut. Sie hielt sie für eine verachtenswerte Schlampe, war aber gleichzeitig Eifersüchtig auf sie, weil sie wusste, dass Heiko sie attraktiv fand. In einer normalen Beziehung laufen derartige Situationen meistens so ab, dass der Mann, der der fremden Frau nachschaut durch diese Handlungsweise zum Arschloch wird und sich anschließend dafür entschuldigen muss. Es gehört sich eben einfach nicht, einer Fremden auf den Hintern zu schauen, wenn man sich in einer Beziehung befindet. Doch was ist schon normal? Schließlich kommen diese Situationen häufig vor und kein Mann reagiert anders darauf. Jedenfalls nicht, wenn er ehrlich ist. Klar kann er sich bewusst zwingen, den Blick abzuwenden oder er kann versuchen es unauffällig zu machen, damit es keinen Streit gibt, aber das ändert an der Grundsituation eigentlich nichts. Die Frage ist doch viel mehr, warum schauen wir überhaupt und warum fühlen sich die Frauen dadurch angegriffen, verletzt oder betrogen?

Genau diese Fragen stellte Heiko an Paulina. Zunächst einmal wollte er wissen, was überhaupt in ihr vorgegangen war, als sie die Frau betrachtet hatte. Denn hieraus entstand ja die Grundhaltung. Paulina wollte nicht besonders gerne darüber sprechen, doch es stellte sich heraus, dass in ihr sofort beim ersten Anblick ein automatisches Scan-Programm gestartet wurde, mit dem sie sich selbst der Fremden gegenüber stellte. Unsere Gedanken lauteten: „Waow! Heiß!“ Ihre hingegen verliefen etwa folgendermaßen: „Verdammt, die Schlampe hat einen viel schlankeren Hintern als ich, eine schmalere Hüfte, einen strafferen Bauch und schönere Beine ohne Zellulite. Dafür habe ich ein hübscheres Gesicht und viel schönere Haare…“ Das Gefühl, dass dabei entstand war jedoch, dass sie den Vergleich unterm Strick schlechter abschnitt als diese Frau, die damit eindeutig zur Konkurrentin wurde. Diese eigenanalyse wurde dann noch bestätigt, als ihr klar wurde, dass auch Heiko die Attraktivität der Fremden nicht entgangen war. Das führte dann automatisch zu einer Verlustangst, denn warum sollte Heiko bei ihr bleiben, wenn die andere doch offensichtlich besser war? Dass die Fremde jedoch keinerlei Gefahr darstellte, weil sie A höchstwahrscheinlich nicht einmal unsere Sprache sprach und B selbst wenn sie es tat definitiv keine Schnittpunkte hatte, auf denen man eine Beziehung oder auch nur ein einziges Gespräch aufbauen konnte, wurde ihr dabei in diesem Moment nicht bewusst. Das Problem lag darin, dass sie sich selbst keinen Wert bemaß, sondern ihren Selbstwert aus dem Vergleich mit und der Anerkennung von anderen bezog. In diesem Fall hätte sie sich dann wertvoll gefühlt, wenn sie das Gefühl gehabt hätte, den Schönheitswettbewerb gegen die Fremde zu gewinnen und wenn sie dafür gleichzeitig Anerkennung von Heiko bekommen hätte. Doch beides war nicht der Fall. Daher fühlte sie sich selbst klein und wertlos und übertrug dieses Gefühl zunächst in Form von Wut und Hass auf die Fremde. Alles im Leben ist ein Spiegel unserer Selbst und in diesem Fall erkannte Paulina in der anderen Person ihre eigenen körperlichen Schwachstellen. Doch wie so oft, wenn wir eine Nachricht bekommen, die wir nicht hören wollen, sind wir zunächst einmal sauer auf den Boten. Sobald die Frau jedoch außer Sichtweise war, schlug dieser Hass in Selbsthass um, dafür, dass sie nicht die Figur hatte, sie sie sich wünschte. Und hierin liegt auch der Kernpunkt, warum Frauen es nicht leiden können, wenn ihre Männer andere Frauen attraktiver finden. Wie bei jedem Tier gibt es auch beim Menschen eine gesunde Körperform, die wir dann haben, wenn wir komplett in unserer Kraft stehen. Und diese Körperform wird von jedem Mitglied der entsprechenden Spezies als besonders attraktiv wahrgenommen, wohingegen jede Abweichung die Attraktivität verringert. Männer untereinander legen darauf keinen allzu großen Wert. Wir fühlen uns im allgemeinen nicht klein und unattraktiv, wenn wir einen Mann sehen, der eine bessere Figur hat und der muskulöser und durchtrainierter ist als wir. Die meisten Männer haben stattdessen eher ein Problem damit, wenn ein anderer bessere, größere oder teurere Statussymbole besitzt, wenn er das dickere Auto, das größere Haus oder die schönere Frau hat, denn bei Männern wird über diese Faktoren in unserer Gesellschaft der Erfolgsstatus und damit auch der Wert bestimmt. Frauen hingegen müssen im allgemeinen schön sein, um etwas wert zu sein und somit passiert es leicht, dass es als persönlicher Angriff wahrgenommen wird, wenn eine andere Frau näher an ihrem göttlichen Körper dran ist, als man selbst.

Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, führte uns unser Weg noch eine Weile an der Straße entlang, bevor er sich in engen Kurven steil den Berg hinaufwand. Die letzten Tage am Fluss entlang waren relativ entspannt verlaufen, nun aber wurde es wieder richtig anstrengend. Und mit jedem neuen Höhenmeter stieg in Paulina der Wutpegel wieder an. Sie wurde wütend auf den Berg, auf sich selbst, auf die Frau vor dem Auto, auf Heiko, auf die ganze Welt und wieder auf sich und den Berg. Als Heiko dann in einer Pause auch noch ein bisschen zu sticheln begann und versuchte, sie mit einigen dummen Witzen wieder etwas aufzuheitern, platzte es aus ihr heraus. Sie war kurz vor der Explosion und die Stimmung war wieder einmal am Tiefpunkt.

Auf einer Wiese oben auf einer Alm bauten wir die Zelte auf, nachdem wir von einer netten Familie eine kleine Brotzeit auf ihrer Terrasse bekommen hatten. Es dauerte jedoch nicht lange, dann hatte sich die Stimmung wieder soweit hochgekocht, dass es zu weiteren Explosionen kam. Diesmal stand die Frage im Raum, ob Paulina und Heiko überhaupt eine Beziehung führten, ob sie eine führen wollten und wenn ja, wie sie dann aussehen sollte. Beide hatten Konzepte im Kopf was eine heilige, energiebringende Beziehung war, doch keiner hatte je eine solche Beziehung geführt. Dafür hatten sie einige Beispiele erlebt, wie es nicht sein sollte und auf seine Art hatte jeder Angst davor, wieder in genau so eine schiene zu rutschen. Auf der einen Seite war sich Heiko sicher, dass Paulina eine Bestimmungspartnerin war und dass er mit ihr durchs Leben gehen wollte. Auf der anderen Seite spürte er aber auch, dass es aufgrund ihrer körperlichen Konstitution keine dauerhafte Anziehung und erotische Spannung geben würde, wenn sich nichts veränderte. Aus diesem Grund war er sich unsicher, ob eine feste sexuelle Beziehung in Frage kam, oder ob es nicht vielleicht entspannter war, das ganze etwas offener zu halten, so dass Paulina weniger Druck für ihre Wandlung bekam, er sich aber auch nicht kasteien musste. Paulina hingegen spürte allein bei diesem Gedanken sofort wieder ihre eigene Existenzangst und ihr Ego sträubte sich mit Händen und Füßen.

„Wenn du dich durch die Gegend vögeln willst, dann mach das, aber ich kann da nicht mitgehen!“ schnaubte sie wütend und war nicht in der Lage, weiter zuzuhören. Das wiederum war nicht das, worauf Heiko hinausgewollt hatte. Er wollte einfach nur in seinen Bedenken gehört werden, dass er sich nicht dazu in der Lage fühlte, Paulinas Körper zu 100% zu lieben, so lange sie es selbst nicht konnte. Für ihn fühlte es sich so an, als wäre es seine Aufgabe, Paulina die Liebe zu geben, die sie sich selbst nicht geben konnte. Das mag in den meisten Beziehungen die Regel sein, doch es führt unweigerlich dazu, dass sich die Partner gegenseitig ihre Lebensenergie rauben. Ich kann mich nicht lieben und nicht ins Leben vertrauen, deshalb musst du das übernehmen. Doch der andere Partner tut das gleiche und so entsteht die selbe Situation, wie wenn sich zwei Bettler gegenseitig in die Tasche greifen, um sich am anderen zu bereichern. Auf ein solches Spiel wollte sich Heiko unter keinen Umständen einlassen und er war eher bereit, die Beziehung zu beenden, als wieder in die alten Muster zu verfallen. Paulina wünschte sich ebenfalls eine heilige, bereichernde Beziehung, konnte aber nicht verstehen, warum Heiko ihr nicht einfach mal etwas nettes sagen und sie loben konnte. Für sie kamen all seine Worte als Kritik und Angriff an, während sie den Zuspruch tatsächlich nicht einmal mehr wahrnehmen konnte. Auch hier griff wieder das Prinzip, dass sie ihren Selbstwert nicht von innen heraus erkennen konnte, sondern durch die Anerkennung von anderen definieren musste. Dieser Umstand führte zu einer Sucht nach Anerkennung und Heiko setzte sie gerade ganz bewusst auf Entzug, damit sie lernen konnte, sich selbst zu lieben, ohne dass es jemand anderes tat.

Die Wogen glätteten sich schließlich wieder, doch eine wirklich Lösung gab es nicht. Nach dem Abendessen war eine weitere Runde Needling dran und dadurch kam es dann wieder zu einer weiteren Explosion. Paulina war noch immer im Kreislauf ihrer Wut gefangen und nahm so auch die Nadelstiche als bewussten, bösartigen Angriff von Heiko wahr. Dadurch wiederum spürte sie den Schmerz um ein vielfaches stärker als sonst. Heiko hingegen konnte nicht begreifen, warum ihm so viel Hass und Zorn entgegengebracht wurde, wo er sich doch so viel Mühe gab, Paulina auf ihrem Heilungsweg zu unterstützen und ihr dabei zu helfen, den göttlichen Körper zu bekommen, den sie sich wünschte.

Ich selbst saß in der Zeit draußen vor den Zelten und schaute in den Sternenhimmel, der übrigens absolut großartig war. Weit hinten am Horizont zuckten noch immer Blitze aus den schwarzen Gewitterwolken, die wenige Stunden zuvor auch über unsere Kopfe hinweggezogen sind. Ohne die wütenden Stimmen hinter mir war es eigentlich eine echt romantische Stimmung. Schade dass die beiden anderen es nicht sehen konnten. Es ist schon krass, wie viel Schönheit wir uns im Leben selbst wegnehmen, weil wir uns in unseren Gedankenkonzepten verstricken und dadurch nicht einmal mehr sehen können, was um uns herum los ist. An wie vielen großartigen Bergen, Wäldern, Tälern, Flüssen und Küsten war ich nun schon vorbeigelaufen, ohne sie wahrzunehmen, weil ich ununterbrochen in meinem Kopf war? Weil ich gedankliche Diskussionen mit mir selbst mit meinen Eltern, mit Heiko oder mit irgendwelchen Pfarrern, Nonnen oder Bürgermeistern ausfocht, die niemals zu etwas führten?

Als Paulina schließlich in ihr Zelt ging, weinte sie bitterlich. Wieder einmal stand es auf der Kippe, ob wir überhaupt gemeinsam reisen wollten, oder ob eine Trennung nicht doch besser sei.

Spruch des Tages: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft!

 

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 6 km

Gesamtstrecke: 10.369,27 km

Wetter: sonnig und heiß

Etappenziel: Zeltplatz auf einem Feld, Rutoši, Serbien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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