Tag 602: Campieren polizeilich verboten

von Heiko Gärtner
16.09.2015 11:46 Uhr

Nach dem Picknick ging es noch einmal ein gutes, kräftiges Stück bergauf. An einer Kreuzung warteten Heiko und ich, bis Paulina uns wieder eingeholt hatte. Sie kam gerade, als wir beschlossen hatten, die Pause in einen Mittagsschlaf umzumünzen. Von da an gingen wir auf der nun seicht abschüssigen Straße gemeinsam weiter, bis wir an ein Fußballfeld kamen. Es war sicher lange nicht benutzt worden, wurde aber noch immer gemäht und instand gehalten. Früher musste es hier einmal einen florierenden Ort gegeben haben, denn sonst hätte man kaum so einen Auffand für ein Fußballfeld auf sich genommen. Wir befanden uns in einem schmalen Tal, das zwischen zwei felsigen Bergen lag. Um hier Fußball spielen zu können hatte man Felsgestein auf einer Fläche von mehr als der Hälfte des Feldes aus dem Berg sprengen und abtransportieren müssen. Für ein paar Kinder, die gerne hin und wieder bolzen hätte man das sicher nicht gemacht.

Neben dem Feld stand eine kleine Hütte, die in unseren Augen wie ein verlassenes und halb verfallenes Vereinshaus aussah. Der Platz dahinter schien zum Wildcampen wie geschaffen zu sein, denn er war fast genauso eben wie das Fußballfeld darüber hinaus aber von der Straße fast nicht einsehbar. Bevor wir die Zelte aufbauten inspizierten wir die Hütte aber noch einmal genauer. Vielleicht gab es dort ja sogar Strom oder Wasser. Sämtliche Türen waren jedoch verschlossen und das was man durch die staubigen Fenster sehen konnte wirkte nicht besonders vielversprechend. Über einer der Türen war ein breiter Spalt, durch den man hineinsehen konnte, wenn man groß genug war. Und groß genug bedeutete in diesem Fall etwa einen halben Meter größer als Heiko. Da half nur eine Räuberleiter, um die Neugierde zu befriedigen. Befriedigend war das Ergebnis allerdings nicht besonders, denn es gab nichts zu sehen als Schmutz, Staub und einen leeren Raum.

„Oh, man hätte es sich wohl auch einfacher machen können!“ bemerkte Heiko schnippisch, als er feststellte, dass die obersten Bretter, die die Tür darstellten, nur lose in der Fassung steckten, so dass man sie nach belieben herausnehmen und wieder hineinstecken konnte.

Nachdem wir die Zelte aufgestellt hatten, machte ich mich auf den Weg ins Dorf um nach Wasser und Essen zu fragen. Wie sich herausstellte, war das deutlich schwerer als gedacht, denn das Dorf war nahezu ausgestorben. Es gab noch immer die alten Gebäude, die zeigten, dass hier einst einiges los war, aber alle waren tot, von der Tankstelle, über den Supermarkt und den Bäcker bis hin zur Schule. Auch die meisten Wohnhäuser waren leer und verfallen. Es existierten lediglich noch zwei Bars und zwei oder drei Höfe, die allerdings nicht im Ort, sondern etwas außerhalb am Berghang lagen. Vor einer kleinen, halbverfallenen Baracke traf ich einen jungen Mann, der etwas Englisch sprach. Er war gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester nur im Urlaub hier und so konnte uns die Familie nicht allzu viel vermachen, da sie selbst kaum etwas im Haus hatten. Nichts desto trotz war das Gespräch mit ihnen spannend. Die Baracke hatte einst den Großeltern gehört und früher waren sie immer hier her gefahren, um diese zu besuchen. Sie waren nun bereits vor einigen Jahren verstorben, aber die Familie kam trotzdem jeden Sommer zum Urlaub machen hier her. Es war die gleiche Tradition, von der uns auch die Höhlenführerin in Bosnien erzählt hatte. Man hielt das Haus seiner Eltern einfach in Ehren, auch wenn es an einem Ort stand, an dem es längst nichts mehr gab und auch wenn es bereits so verfallen war, dass man kaum noch darin leben konnte. Die Türen zum Untergeschoss standen offen und waren, so wie es aussah, gar nicht mehr dazu im Stande, geschlossen zu werden. Dahinter stapelte sich die alte Einrichtung des Hauses, oben auf eine auf den Kopf gedrehtes Blümchensofa. Was brachte die Familie wohl dazu, jedes Jahr wieder herzukommen, wenn es hier doch nichts mehr gab außer Trostlosigkeit? Natürlich war die Gegend wunderschön, aber dieses Dorf bestand nur noch aus Ruinen. Von der bröckligen Terrasse aus konnte man den ganzen tag lang auf den ausgestorbenen Bolzplatz schauen, der sich hinter der toten Schule befand. Einst war er einmal betoniert gewesen, doch jetzt war die Natur bereits dabei, ihn sich wieder zurück zu erobern. Wenn man auf diesem Betonfeld zwei Grabsteine mit der Aufschrift „Hoffnung“ und „Lebensfreude“ und jeweils dem Schriftzug „Ruhe in Frieden“ darunter aufgestellt hätte, hätte er nicht deprimierender wirken können.

Sobald man sich jedoch von der Straße entfernte und die Seitenwege in die hinteren Bereiche einschlug, war man wieder mitten im grünen Nirgendwo, wo man von der Trostlosigkeit des toten Ortskerns kaum noch etwas spüren konnte. Hier traf ich dann auch wieder Familien, die sich darüber freuten, uns mit den Erzeugnissen aus ihrem eigenen Garten unterstützen zu können. Es war schon spannend, denn kurz zuvor hatte ich mich mit dem Jungen über den Reichtum bzw. die Armut seines Heimatlandes unterhalten. Er war der Meinung, dass wir hier kaum je etwas bekommen würden, weil Serbien nunmal ein unglaublich armes Land sei, in dem jeder schauen musste, dass er selbst überleben konnte. Nächstenliebe und Großzügigkeit waren hier seiner Meinung nach ein Luxus, den sich kaum jemand leisten konnte. Ich hatte daraufhin erklärt, dass ich das deutlich anders sah. Sicher, wenn man ausschließlich den Maßstab Geld anlegte, dann war Serbien definitiv ein armes Land. Zumindest im Vergleich zu anderen Staaten auf dem europäischen Kontinent. Doch ging man von diesem künstlichen Tauschmittel weg und schaute sich an, was dieses Land für Lebensqualität bot, nach der man nur greifen musste, dann war es eines der reichsten, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Vor allem in dieser Region. Fast jeder Haushalt hatte seine eigene Quelle mit frischem Wasser, dem weder Pestizide noch sonstige chemische Zusatzstoffe beigemengt wurden. Nahezu jeder hatte die Möglichkeit, alles was er zum Leben brauchte selbst anzubauen und konnte dabei vollkommen auf Chemikalien verzichten. Nicht umsonst erwähnte fast jeder, der uns etwas schenkte, dass sein Gemüse und sein Obst vollkommen organisch angebaut waren und keinerlei Gifte enthielten. Der Junge hatte mir zwar Recht gegeben, war aber dennoch skeptisch geblieben. Als ich nun jedoch mit zwei Tüten in den Händen, die so voll waren, dass ich sie kaum mehr tragen konnte, wieder an seinem Haus vorbei wanderte, verflog die Skepsis ein wenig.

Auf dem Rückweg kam mit ein kleines, blaues und komplett verrostetes Auto mit einer ebenso rostigen, stählernen Dachreling und einem kleinen, sehr improvisiert wirkenden Blaulicht entgegen. Für einen Moment dachte ich, es sei vielleicht ein Polizeiauto, doch es hatte keine Aufschrift und wirkte so fahruntüchtig, dass es sicher nicht einmal eine Zulassung hatte. Daher kam mir der Gedanke lächerlich vor und ich verwarf ihn wieder. Es dauerte noch eine knappe halbe Stunde, dann wurde ich eines besseren belehrt.

Während ich mit meinem Beutezug beschäftigt war, schauten sich Paulina und Heiko vor unseren Zelten einen Film über Zucker an, um Paulina dabei zu helfen ein Verständnis für ihre Zuckersucht zu bekommen. Es war heiß wie in der Sahara und da sie für sich alleine waren setzten sie sich dabei in Unterwäsche an die Wand des Vereinshäuschens und streckten alle viere von sich. Plötzlich jedoch wurden sie von einem lauten Krachen aufgeschreckt. Es kam von der Tür, durch die wir zuvor einen Blick ins Innere des Hauses geworfen hatten. Wahrscheinlich waren die Holzbretter wieder hinausgefallen, die uns das Sichtfenster freigegeben hatten. Einen Moment überlegten sie, ob sie die Sache wieder richten sollten, entschieden dann jedoch, dass dies auch später noch erledigt werden konnte. Kaum aber hatten sie ihren Film wieder fortgesetzt, wurden sie bereits erneut wieder aufgeschreckt. Diesmal aber nicht durch den Ungehorsam einiger loser Bretter, sondern durch das unvermittelte und völlig unerwartete Auftauchen eines griesgrämigen, bierbäuchigen Mannes in den Sechzigern. Er trug eine dunkle Jogginghose und ein blassblaues, viel zu kleines T-Shirt mit einigen Applikationen und dem leicht verwaschenen Aufdruck „POLIZEI“ darauf. Ähnlich wie das kleine blaue Auto, das ich zuvor gesehen hatte, war auch dieses T-Shirt eigentlich ein Beweis dafür, dass der Mann alles sein konnte, außer ein Polizist. Es war nicht das T-Shirt, das zu einer Polizei-Uniform gehörte, sondern eher ein Shirt, dass man einem kleinen Jungen vom Kick kaufte, weil er gerne im Sandkasten Polizist spielen wollte. Es hatte sogar genau die Größe, die man einem solchen kleinen Jungen im Sandkasten kaufen würde. Das ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu. Entweder, der Mann hatte als kleiner Junge wirklich im Sandkasten Polizist gespielt und war in seinem Spiel so sehr aufgegangen, dass er sein Shirt nie wieder ausgezogen hat, oder aber der Mann hatte gerade einen kleinen lieben polizeispielenden Jungen überfallen und ihm seiner Kleider beraubt. So wie der Mann schaute, war die letztere These wahrscheinlicher. Leider besaß der Mann nicht einmal einen Bruchteil des Humors, den sein Schneider gehabt haben muss und er hatte nicht das geringste Verständnis für zwei halb nackte Menschen, die hier herumsaßen und sich Filme über Zucker anschauen wollten. Heiko und Paulina verstanden nicht viel von dem, was der Mann dort sagte, doch es war klar, dass er ihnen klarmachen wollte, dass sie hier unmöglich zelten konnten. Auch das Sitzen war nicht gestattet. Doch das war noch nicht alles! Mit jenem kriminalistischen Spürsinn, der Polizisten nun mal eigen ist, bemerkte er, dass die Tür zum Vereinshaus auseinander gefallen war. Nicht nur das! Gleich daneben lagen sogar noch Scherben von einer eingeschlagenen Fensterscheibe. Das musste genauer untersucht werden. Er beugte sich leicht vor, was dazu führte, dass sein ohnehin schon zu kurzes T-Shirt bis zu den Schulterblättern nach oben rutschte und den Blick auf seine Po-Ritze frei gab. Mit der gleichen Mischung aus Entsetzen und Faszination , die Menschen auch bei schlimmen Unfällen entwickeln, wurden Heikos und Paulinas Blicke an seine langen, dicht verwobenen Arschhaare gekettet, die fast nahtlos in seine Rückenbehaarung übergingen. Dann richtete der Mann sich wieder auf und drehte sich um. Sein T-Shirt war nun auch vorne so weit nach oben gerutscht, dass es den Blick auf seinen Bauchnabel freigab, der leider nicht weniger behaart war, als sein Rücken. Die Aufschrift „POLIZEI“ hatte sich soweit über seinen Männerbrüsten zusammengekruschelt, dass man sie zum mehr lesen konnte. Dadurch wirkte das T-Shirt nun nicht mehr wie das eines kleinen Jungen, sondern eher wie das einer Stripperin aus den siebziger Jahren. Plötzlich änderten Heiko und Paulina ihre Meinung und begannen zu hoffen, dass der Mann doch ein echter Polizist war. Egal, was er ihnen auch vorwarf und wie schlimm die Strafe dafür auch sein mochte, es konnte bei weitem nicht so hart sein wie die Vorstellung, dass er sich nun langsam und rhythmisch, mit lüsternem Blick und elegantem Hüftschwung vor ihnen auszog, während er die Melodie von „You can leave your hat on“ vor sich hin pfiff.

Doch sie hatten Glück, denn nichts dergleichen geschah. Stattdessen entstand eine finstere Rauchwolke über seinem Kopf, als er zu kombinieren begann und die Indizien zusammen fasste. Die Tür führte zu einem komplett lehren Raum und war bereits so morsch, dass man sie nicht mehr schief ansehen konnte, ohne dass sie in sich zusammen fiel. Das bedeutete, dass sie jemand ganz bewusst zerstört haben musste, um einen teuflischen Plan im Inneren des Gebäudes zu vollführen. Die Glasscherben lagen außen und waren teilweise bereits mit Moos und Gras überzogen. Das konnte nur bedeuten, dass man sie vor wenigen Minuten eingeworfen hatte, wahrscheinlich um in das Gebäude zu gelangen, weil der Einbruchsversuch durch die Tür nicht geklappt hatte. An der Wand des Hauses lehnten zwei Menschen in moralisch nicht vertretbarer Kleidung, die ein hochmodernes, technisches Gerät auf dem Schoß hielten und dazu noch eine Art Basislager errichtet hatten. Das alles ließ nur einen Schluss zu: Es musste sich bei der Angelegenheit um einen versuchten Terroranschlag handeln.

Der Mann hatte schon keinen Humor, wenn er gut drauf war, doch nach dieser Schlussfolgerung wurde es sogar noch schlimmer. Heiko musste all seine Verkäufertricks anwenden um den Mann trotz der Sprachbarriere davon zu überzeugen, dass sie hier einfach nur für eine Nacht schlafen wollten und dass sie mit der Zerstörung dieses kleinen und offenbar sehr bedeutenden Häuschens nichts zu tun hatten. Doch der Mann war eine harte Nuss und wollte zumindest erst einmal die Pässe der beiden sehen. Das war aus zwei Gründen etwas problematisch. Zum einen hatte ich den Rucksack bei mir, in dem sich auch unsere Reisepässe befanden. Heiko hatte also lediglich eine Kopie, die er vorzeigen konnte. Paulina hatte ihren Reisepass zwar im Original in einer Tasche in ihrem Zelt, doch sie trug noch immer nichts als einen BH und einen Tanga, weshalb sie es unter allen umständen vermeiden wollte, vor dem Polizisten aufzustehen. Da aber Heiko nicht wusste, wo sich der Ausweis befand, blieb ihr schließlich nichts anderes übrig. Mit zusammengekniffenen Arschbacken eilte sie zu ihrem Zelt und machte sich auf die Suche, wobei sowohl sie als auch Heiko überrascht waren, wie unbeeindruckt der Beamte von diesem Auftritt blieb.

Er warf einen skeptischen Blick auf die Papiere, diskutierte dann noch eine Weile weiter und verschwand schließlich auf dem gleichen Weg, wie er gekommen war.

Genau in diesem Moment fuhr das kleine blaue Auto mit der rostigen Reling und dem Blaulicht auf dem Dach die Straße entlang in Richtung Berggipfel. Als es das andere Ende des Fußballplatzes erreicht hatte, blieb es stehen, setzte zurück und fuhr den ganzen Weg über den Rasen rückwärts, bis es direkt vor Heiko und Paulina zum Halten kam, die noch immer in Unterwäsche dastanden. Wieder stieg der alte Mann mit seinem Bauchfrei-T-Shirt aus, dieses Mal jedoch in Begleitung eines jüngeren Herren, der das gleiche Shirt und die gleiche Jogginghose trug. Er war wesentlich schlanker als sein Kollege, weshalb sein Bauch von dem T-Shirt bedeckt wurde, obwohl es die gleiche Größe hatte. Anders als sein griesgrämiger Kollege besaß er die Fähigkeit, seine Mundwinkel bis über die Kniescheiben hinaus nach oben und sogar noch bis über die Wagerechte zu bewegen. Außerdem sprach er Englisch und ließ sich leichter vom Anblick einer halb nackten Frau beeindrucken als sein verbitterter Kollege. Heiko erklärte ihm unsere Reise, das damit verbundene Projekt und den Grund warum wir genau heute genau hier gelandet waren. Der junge Mann revanchierte sich dafür mit einer Erklärung des polizeilichen Standpunktes. Offensichtlich handelte es sich bei dieser verfallenen Vereinshaus-Baracke um ein Gebäude der Polizei, weshalb das Campern in unmittelbarer Nähe verboten war. Auch dann, wenn man keine bösen Absichten hatte und wenn man nur für eine Nacht hier bleiben wollte. Sogar dann, wenn man lieb schaute und nichts als einen BH und einen Tanga trug. Obwohl, naja, vielleicht konnte man ja doch eine Ausnahme machen. Für die nächste Viertelstunde waren Heiko und Paulina nur noch Zaungäste und wurden Zeuge einer hitzigen Diskussion zwischen dem jungen Polizisten und seinem älteren Kollegen. Am Ende gelang es dem jungen, sich durchzusetzen. Die Zelte durften bleiben und wir hatten die offizielle, polizeiliche Genehmigung, eine Nacht hier wohnen zu dürfen. Allerdings müssten wir am nächsten Morgen bis spätestens um 8:00Uhr das Feld räumen und wir mussten uns so hinter dem Haus positionieren, dass man uns von der Straße aus nicht mehr sehen konnte. Ein Ausweichen in den schattigen Seitenbereich um dort einen Film über Zucker zu schauen war also nicht gestattet.

Noch bevor die beiden Polizisten gingen tauchte ein weiterer Mann auf, der ebenfalls die gleiche Jogginghose trug. Langsam wurde Paulina die Sache doch etwas unangenehm und sie bereute, dass sie sich nicht die Zeit genommen hatte, wenigsten ihren Bikini anzuziehen.

Auch der dritte Mann war Polizist, befand sich jedoch nicht im Dienst und trug deshalb auch kein zu kurzes, blassblaues Kinder-T-Shirt. Er war lediglich um Urlaub machen mit seiner Familie hier und war möglicherweise der Vater von dem jungen Mann, mit dem ich mich genau in diesem Moment über meinen Erfolg bei der Nahrungssuche unterhielt. Als ich am Lager eintraf waren die beiden ersten Polizisten verschwunden und nur der dritte saß noch an die Wand des Häuschens gelehnt um mit Heiko und Paulina zu plaudern. Ich teilte das Käsebrot auf, dass ich zuvor bekommen hatte und bot auch dem Mann etwas davon an, was er jedoch ablehnte. Wenn er wirklich der Vater des Jungen war, dann hatte ich ihm ironischer Weise ein Brot von seiner Frau gebracht. So wie wir es verstanden, war die Polizei nicht einfach so aufgetaucht, sondern hatte einen Tipp bekommen, dass wir hier kampierten. Wahrscheinlich hatte eine der Frauen, die ich um Essen gebeten hatte, angst gehabt, ich könne ein Terrorist sein, der vor hat, den Jugoslawienkrieg wieder neu zu entfachen. Spannend an der Geschichte war aber noch eine andere Information, die uns die Polizisten nebenbei mit auf den Weg gaben. Es war zwar in Serbien verboten, neben Polizei- und Regierungsgebäuden zu zelten, überall sonst war es aber erlaubt. Wir machten also nichts verbotenes, wenn wir einfach irgendwo unsere Zelte aufschlugen.

Um unsere Stromreserven wieder etwas aufzutanken gingen Paulina und ich noch einmal in den Ort zurück, um uns in die kleine Bar zu setzen. Hier verbrachten wir mehr oder weniger den Rest des Nachmittages. Gegen 18:00Uhr kehrte Paulina zurück, um mit dem Kochen zu beginnen. Ihr Glück, denn kurz darauf kamen die letzten verbliebenen Männer, die noch immer im Ort lebten, um mit dem Saufen anzufangen und unterhielten mich von da an für den Rest des Abends mit dem Gegröle von serbischen Saufliedern.

In dieser Zeit waren die Polizisten noch einmal in unser Camp zurückgekehrt. Dieses Mal jedoch nicht, um uns zu rügen oder zu vertreiben, sondern um uns eine Tüte mit Essen vorbeizubringen. Das war wirklich eine der schönen Eigenschaften der Menschen hier. So schwierig ein Start auch manchmal sein konnte, wenn sie einen erst einmal in die Kategorie „Guter Mensch!“ gepackt hatten, dann unterstützten sie einen, wie es nur ging.

Spruch des Tages: Zelte nie neben einem Polizeigebäude

Höhenmeter: 330m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 10.569,27 km

Wetter: sonnig

Etappenziel: Zeltplatz zwischen den Serpentinen, Šavnik, Montenegro

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare