Tag 603: Baden im Bergsee

von Heiko Gärtner
16.09.2015 11:50 Uhr

Von unserem Geisterdorf aus ging es noch einmal ein gutes Stück bergauf, bis wir den Kamm eines langgezogenen Berges erreichten. Auf diesem hielten wir uns für die nächsten 16km und konnten bereits nach wenigen Metern hinunter ins Tal auf einen strahlend blauen See blicken. Es war ein Stausee, der sich auf einer unüberschaubar großen Fläche in mehreren Tälern entlang schlängelte. Einer seiner Ausläufer führte zu einem Naturphänomen, das sicher auf der Erde kaum ein zweites Mal zu finden war. Es war ein Fluss der sich in engen Serpentinen durch ein schmales Tal schlängelte. Ursprünglich hatte ich geplant, dass wir auch dort einen Abstächet vorbei machen, doch der Weg dahin stellte sich als zu schwer und vor allem zu lang heraus. Wenn wir in diesem Tempo weiter wandern, müssen wir aufpassen, dass wir es vor Wintereinbruch bis nach Griechenland schaffen. Wir sind zwar bereits jetzt deutlich südlicher als im letzten Winter, müssen aber immer wieder Pässe überqueren, bei denen wir bis auf 1000 Höhenmeter und mehr emporsteigen müssen. Wenn uns dann eine Kaltfront mit reichlich Schnee erwischt sind wir geliefert, denn dafür sind wir nicht ausgerüstet. Also müssen wir es in eine Region schaffen, in der das Risiko, eingeschneit zu werden deutlich kleiner ist. Die Mittelmeerküste zum Beispiel.

Doch auch, wenn der Serpentinenfluss sicher ein Highlight geworden wäre, war auch dieser Anblick seine Reise wert. Wir fanden eine Bank oben auf einem Aussichtspunkt und setzten uns dort nieder, um das Panorama auf uns wirken zu lassen. Wenige Kilometer weiter hatten wir selbst die Höhe des Sees erreicht und konnten sogar darin baden. Das Wasser war zwar erfrischend aber im Vergleich zum Wasserfall angenehm warm, so dass man gut darin schwimmen konnte.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees befand sich zur Rechten de Staumauer und zur Linken die Schnellstraße. Hier gab es auch einige Cafés, Bars, Restaurants und sogar ein Hotel. Der Oberkellner, der mich eigentlich zu seinem Chef bringen sollte, entpuppte sich jedoch als nicht besonders hilfreich und deutete nur immer wieder auf die Preisliste für die Zimmer. Anders als sonst, wenn ich eine Absage bekam, verließ ich das Hotel jedoch nicht gleich, sondern stellte mich in einen Seitengang um am Handy nach über zehn Tagen zum ersten Mal wieder unsere Mails abrufen zu können. Dabei konnte ich hören, wie sich der Mann vor seinen Kollegen über mich und meine Frage lustig machte, von der er zuvor behauptet hatte, er hätte sie nicht einmal verstanden. Es war eindeutig einer, dieser Momente, in denen es schwer ist, in Liebe zu bleiben, ohne dass einem Gedanken wie „So ein dummes Arschloch! Wenn er doch keinen Bock hat, warum sagt er es dann nicht einfach und zieht stattdessen so eine Show ab um dann vor seinen Kollegen einen auf großen Hengst zu machen!“ durch den Kopf schießen. Und ich kann ganz ehrlich zugeben, ich habe es nicht geschafft.

Da die Strandgegend ganz offensichtlich auch eine Partygegend war, mussten wir uns heute wieder besonders viel Mühe geben, unser Lager so aufzuschlagen, dass es nicht gesehen wurde. Leider war das bei den Umgebungsbedingungen unmöglich und so suchten wir uns schließlich einfach einen Platz am Waldrand und hofften auf das beste. Eine Hoffnung die erfüllt wurde, ohne dass es einen Zwischenfall gab.

Während meines Besuchs im Hotel hatten Paulina und Heiko ein längeres Gespräch geführt, bei dem wieder einmal einige Themen aufgekommen warne. Ich war nicht dabei, deshalb kann ich nicht genau sagen, worum es geht. Was ich jedoch mitbekam war, dass die Stimmung von da an wieder einmal mehr als nur leicht gedrückt war. In beiden brodelte es wie in zwei alten Vulkanen, die kurz vor dem Ausbruch standen. Und in diesem Fall war es der Vulkan Gärtner, der als erste Ausbrach. Den Auslöser bekam ich dabei nicht mit und war dementsprechend überrascht, als Heiko begann, Paulina anzuschreien. Die schrie daraufhin zurück und es begann einer dieser üblichen Tiraden, die wir ja bereits kannten. Ich schreibe das hier jetzt etwas gelangweilt und flapsig, weil ich es in diesem Moment auch wirklich so wahrgenommen habe. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht seine Berechtigung hatte. Jeder Streit, der ausbricht, bricht ja aus einem bestimmten Grund aus und ist daher auch wichtig. Menschen, die einen Hang zur Harmoniesucht haben wie ich, neigen dazu, derartige Auseinandersetzungen vermeiden und unterdrücken zu wollen, was jedoch nichts bringen kann, denn dann bleiben auch die Kernthemen unterm Tisch und es löst sich nichts. Sich gegenseitig anzuschreien ist natürlich meist auch nicht besonders hilfreich, aber wenn man sich gerade so verletzt fühlt, dass das Herz in einem schreien will, dann muss man diesen Schrei auch nach außen geben. Das was ist, ist! Und es ist auch richtig so. Paulina hat also richtig gehandelt, als sie durch irgendetwas die Wut in Heiko ausgelöst hat und Heiko hat richtig gehandelt, als er ihr nachgab. Paulina wiederum hat richtig gehandelt, als sie sich verteidigte und so weiter. Schließlich erinnerten sich jedoch beide daran, dass sie derartige Situationen ja bereits kannten und dass sie meist zu nichts führten. Deshalb zog sich Paulina schließlich zurück und verschwand im Wald, während Heiko bei mir blieb bis er sich wieder beruhigt hatte. Anschließend ging er ihr hinterher, um noch einmal in Ruhe mit ihr zu sprechen. Das Ergebnis, das dabei herauskam, war dann wiederum wirklich hilfreich für beide. Das Problem lag in der Kommunikation. Seit wir gemeinsam reisten, galt auch für Paulina die Abmachung, dass jeder alles aussprach, was er dachte und fühlte, in dem Moment, in dem er es dachte und fühlte. Jeder hat jedoch seine eigenen Kommunikationsschwierigkeiten, vor allem wenn es um das Ansprechen von schwierigen Themen geht. Ich neige zum Beispiel dazu, herumzudrucksen oder zu Schwallen und Themen nicht direkt sondern eher von hinten herum durch die Blume anzusprechen. Heiko hat hingegen eher die Tendenz etwas zu direkt und daher taktlos zu wirken, auch wenn er es nicht so meint. Diese beiden gegensätzlichen Methoden führten dazu, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis wir uns irgendwann soweit eingespielt hatten, dass wir uns verstanden, auch wenn wir nicht astrein kommunizierten. Paulina hingegen ist nun neu und hat ihre eigenen Methoden. Ihre Lieblingsstrategie ist es, Themen, die sie sich von der Seele reden möchte, die ihr aber schwer fallen, nur kurz anzuschneiden und ohne Erklärung in den Raum zu stellen. Dies wiederum kam bei Heiko als Verurteilung und Angriff an, vor allem, weil sie einen Punkt traf, mit dem er stark in Resonanz ging. Dass sie etwas ganz anderes meinte, wurde ihm erst später bewusst und dann konnte er es auch verstehen. Ähnlich ist es auch, wenn wir versuchen Paulina etwas zu erklären, das sie dann als Angriff wahrnimmt, so dass sie es nicht mehr annehmen kann. Es geht also im Grunde um nichts weiter als um Startprobleme beim Wahrheitssprechen.

Um nach 11 Tagen wenigstens einmal den Blog wieder auf Vordermann zu bringen, kehrte ich noch einmal ins Hotel zurück um dort den Internetzugang zu nutzen. Auch Paulina schnappte sich ihren Computer um einige Mails zu beantworten. Dabei kam schließlich einer der Kollegen des Mannes auf mich zu, der mich am Nachmittag hatte abblitzen lassen. Nun war er plötzlich doch interessiert und wollte alles über unsere Reise wissen. Aus irgendeinem Grund hatte ich jetzt aber nicht mehr so viel Lust, ihm davon zu erzählen.

Spruch des Tages: Es gibt nichts erfrischenderes als ein Bad in einem klaren Bergsee.

Höhenmeter: 350m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 10.581,27 km

Wetter: bewölkt, teilweise sonnig

Etappenziel: Zeltplatz auf einer Obstwiese, Donja Bijela, Montenegro

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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