Die Sprache der Tiere

von Franz Bujor
04.03.2014 21:41 Uhr

Nach den leichten Startschwierigkeiten in Sachen Kommunikation wurde es dann doch noch ein richtig schöner Abend. Unser Gastgeber hieß Yves. Gegen acht Uhr kam seine Frau Françoise nach Hause und konnte von da an für uns alle übersetzen. Wir aßen zusammen zu Abend und bekamen diesmal ein veganes Essen, dass nach der Kunst des Ayurveda zubereitet worden war. Es war nicht nur unglaublich lecker, sondern auch das erste wirklich gesunde Essen seit langer Zeit. Später zeigte uns Yves dann noch seine neuste Errungenschaft, einen Raum, den er Speziell für Meditation und für Yoga eingerichtet hatte. Alles war sehr liebevoll gestaltet und man konnte sich gut vorstellen, dass man hier viel Ruhe und Entspannung finden konnte.

Wer füttert hier wen? Heiko Gärtner den Esel, oder der Esel den Survivalexperten?

Wer füttert hier wen? Heiko Gärtner den Esel, oder der Esel den Survivalexperten?

 

Von Saint-Parize-le-Châtel wanderten wir heute weiter in Richtung Saint-Pierre-le-Moûtier. Jakobsweg war hierfür jedoch wieder einmal nicht die richtige Bezeichnung. Es war vielmehr ein Jakobsfluss durch den wir waten mussten. Da die Landschaft nicht viel Abwechslung bot verbrachten wir die Zeit damit, uns lustige Geschichten zu erzählen, die einen angemessenen Gegenpol zum Trüben Wetter bildeten. Ich kann hier nicht alle wiedergeben, aber die eine möchte ich euch nicht vorenthalten: Eine Freundin von mir war einst mit einer weiteren Freundin im Skiurlaub. Nennen wir sie einfach einmal Anne und Sonja. Sie waren oben auf der Piste, als Sonja pinkeln musste. Da es weit und breit keine Toilette gab, fuhr sie von der Piste ab in ein kleines Waldstück, um sich dort an einen Baum zu hocken. Allerdings war sie zu faul um sich ihre Skier abzuschnallen. Ein fataler Fehler, denn es kam, wie es kommen musste. Die Skier setzen sich in Bewegung und Sonja fuhr rückwärts mit dem nackten Hintern voran zurück auf die Piste. Völlig Panisch versuchte sie zu stoppen, stürzte dabei und verstauchte sich ein Handgelenk. Die beiden fuhren zusammen ins Krankenhaus und Sonja wurde verarztet. Kurz vor Ende des Urlaubs musste sie noch einmal zur Nachuntersuchung. Im Warteraum kamen sie ins Gespräch mit einem Mann, der sich das Bein gebrochen hatte. Als sie ihn fragten, was denn passiert sei, antwortete er folgendes: „Ihr werdet es mir eh nicht glauben, aber vor ein paar Tagen war ich oben auf der Piste. Als ich nach links schaute, kam gerade ein junges Mädchen rückwärts und mit splitternacktem Arsch aus dem Wald gefahren. Ich war so von der Rolle, dass ich das Gleichgewicht verlor, stürzte und mir das Bein brach.“ Die beiden Freundinnen sagten nichts dazu.

Die Drei von der Tankstelle

Die Drei von der Tankstelle.

 

Einige Zeit später kamen wir durch ein winziges Dorf, in dem es deutlich mehr Kühe als Einwohner gab. Hier wurden wir Zeuge einer ganz besonderen Unterhaltung. Bevor wir das Dorf erreichten, bellten uns bereits einige Hunde entgegen und kündigten unser Kommen dadurch an. Ihre Warnung wurde dann von einer Kuh Herde aufgenommen und weitergegeben. Die Kühe die uns am nächsten standen riefen als erstes, dann die hinteren und so weiter. Dann drehte sich der Leitbulle zu einer anderen Weide, die weiter hinten im Dorf lag und gab ein lautes und durchdringendes Muhen von sich. Es wurde sofort von Leitbullen der nächsten Herde erwidert. Als wir diese erreichten, wurden wir bereits erwartet. Wir kamen also nicht nur an Rinderherden vorbei, sondern durften Zeuge eines perfekt ausgeklügelten Warnsystems werden. Ein System, dass über zwei Spezies hinweg funktionierte. Erst gestern hatten wir einige Interessante Informationen über die Sprache der Vögel gelesen. Habichte beispielsweise haben eine ausgeklügelte Kommunikation um ihren Kindern mitzuteilen wann und wo es etwas zu Essen gibt. Wenn ein Elternteil eine Beute schlägt, dann gibt er sofort seinem Partner bescheid und beide erzählen es den Jungen, so dass sich diese bereit für das Abendessen machen können. Dies sind nur zwei Beispiele für eine Kommunikation unter Tieren, die weit über das hinausgeht, was wir ihnen zutrauen. Wenn man die Warnsysteme der Vögel und anderer Tiere betrachtet, stellt man außerdem fest, dass es so etwas wie eine universelle Sprache geben muss, die alle Lebewesen auf der Welt verstehen. Vom Menschen einmal abgesehen. Wir verstehen ja nicht einmal unsere Mitmenschen aus den Nachbarländern. Ein Tier, dass in ein anderes Land gelangt, in dem es zuvor noch nie war, muss die Sprache der Einheimischen verstehen, wenn es überleben will. Anders hat es überhaupt keine Chance. Von dem, was wir über Menschen wissen, die noch wirklich einheimisch in der Natur sind, ist es auch für uns möglich, diese Sprache zu erlernen und zu verstehen. Eine Herausforderung, die wir auf jeden Fall annehmen werden. Doch wenn es wirklich so ist, dass sich alle Lebewesen auf einer bestimmten Ebene miteinander verständigen können, wie konnte es dann soweit kommen, dass wir diese Art der Kommunikation komplett verlernt haben? Sinnvoll war das nicht, denn so sind wir gezwungen tausende von Vokabeln zu lernen, wenn wir uns nur mit den Mitgliedern unserer eigenen Spezies unterhalten wollen. Von anderen Wesen einmal ganz zu schweigen.

 
Eine Prachtente in Frankreich

Eine Prachtente in Frankreich.

 

Während wir so durch die Lande gingen, ertappte ich mich dabei, wie ich schon wieder nur in Gedankenkonzepten hing. Es war zum Mäuse melken! Gerade hatte ich doch noch beschlossen, aufmerksam zu sein und den Vögeln zuzuhören und schon dachte ich wieder darüber nach, wie ich all das heute Abend im Blog unterbringen würde. Das war eine Sache, die ich in letzter Zeit sehr gern tat. Während des Wanderns fielen mir immer die Besten Formulierungen ein und manchmal hatte ich den kompletten Text bereits fertig ausformuliert. Natürlich vergaß ich alles immer sofort wieder, weswegen nie auch nur ein einziger Satz meiner Gedankentiraden in den wirklichen Bericht einfloss. Warum haben Menschen nur diese ekelhafte Angewohnheit ständig zu denken. Außer in den Momenten, in denen es angebracht wäre. Noch schlimmer als die unproduktiven Gedankenketten sind zur Zeit jedoch die Ohrwürmer. Ich habe sie eigentlich pausenlos. Egal wann und wo ich gerade bin, immer geistert mir irgendein Lied im Kopf herum und will nicht verschwinden. Manchmal ist es ok, wenn es schöne Lieder sind, die ich zu Hause gerne gehört habe. Aber manchmal sind es auch wirklich ekelhafte Lieder, für die ich mich fast vor mir selber schäme, dass ich sie überhaupt kenne. Es reicht meist irgendein Stichwort oder der Hauch einer Erinnerung an irgendeine Melodie und schon hat man das Zeug im Kopf und wird es nie wieder los. Heute lief über 10km hinweg „Anton aus Tirol“ in Dauerschleife in meinem Kopf. Natürlich nicht das ganze Lied sondern nur kleine Fragmente und der Refrain. Grässlich! Überall zwitschern die Vögel, die Natur strahlt eine harmonische Lebendigkeit aus und ist vollkommen in Harmonie und ich singe in Gedanken die Melodie von Anton aus Tirol. Warum? Wenn das so weiter geht, kann ich bald meine eigene Band gründen und zwar nur aus Gedankenstimmen.

 
Diese Killerkatze verteidigt unsere Pilgerwagen

Diese Killerkatze verteidigt unsere Pilgerwagen.

 

Die Krux an der Geschichte ist folgende: Jedes Mal, wenn ich es schaffe, die Ohrwürmer auszublenden, kommen die Gedankenspiralen. Und jedes Mal wenn ich es schaffe, die Gedanken abzuschalten kommen wieder die Ohrwürmer. Wie will man da jemals Ruhe finden und seine innere Stimme hören? Falls ihr irgendwelche guten Ideen zu dem Thema habt, könnt ihr sie mir gerne schreiben.

 
Ausblick über endlose Felder

Ausblick über endlose Felder.

 

Noch zwei Dinge sind uns heute aufgefallen. Zum einen, das wir schon wieder alle möglichen, positiven Routinen haben schleifen lassen. Am Anfang haben wir uns noch täglich unterm Wandern Zeit genommen, um uns bei allem zu bedanken, was uns vom Leben geschenkt wurde. Ein Schlafplatz, gutes Essen, Wärme, ein Sonnenstrahl, eine schöne Landschaft, freundliche Menschen und so weiter. In der letzten Zeit ist das Reisen irgendwie immer mehr zur Normalität geworden. Die Tage verschwimmen ineinander und vieles, das nicht selbstverständlich ist, wird doch irgendwo zur Selbstverständlichkeit. Heute Abend haben wir dafür gleich einmal die Quittung erhalten. Wir haben uns einen gemütlichen, Schlafplatz mit Dusche und Internetzugang gewünscht, aber eine Heizung als selbstverständlich vorausgesetzt. Nix ist! Unsere Unterkunft ist zwar wirklich schön aber leider auch eiskalt. Anlass genug, um mit der regelmäßigen Danksagung wieder zu beginnen. Denn nichts ist besser, um sich selbst in eine positive Stimmung zu bringen, als sich auf die Dinge zu konzentrieren, für die wir Dankbar sind.

 
Fernwanderwege Frankreich

Fernwanderwege Frankreich.

 

Das zweite, was uns aufgefallen ist, sind die großen sozialen Unterschiede, die überall in Frankreich herrschen. Wir haben jetzt etwa die Hälfte von Frankreich durchquert und sind dabei durch viele unterschiedliche Gegenden gekommen. Wir haben große Städte und winzig kleine Dörfchen gesehen. Viele der Orte waren nahezu ausgestorben. Überall gab es halb verfallene und verbarrikadierte Häuser, die zum Teil leer standen zum Teil aber auch bewohnt wurden. Und dazwischen gab es die Chateus, die Villen und Schlösser, die von reichen Großstädtern als Wochenendresidenzen genutzt werden. Es scheint, als wäre der Reichtum hier auf etwa 10% der Bevölkerung verteilt. Weitere 30% teilen sich das Mittelfeld und der Rest sorgt dafür, dass es den anderen gutgeht. Das sind natürlich keine Statistiken, sondern unsere eigenen Schätzungen anhand unserer Beobachtungen. Dennoch wirkt es, als hätte sich an der Ressourcenverteilung nach der Abschaffung des Klassensystems nicht allzu viel verändert. Gedanklich verbannen wir Armut immer gerne in weit entfernte Länder und im internationalen Vergleich ist Frankreich ja auch eines der reichsten Länder, die es auf der Welt gibt. Aber ein Durchschnitt sagt eben nichts über die Extreme aus. In Deutschland sieht es da wahrscheinlich nicht viel anders aus. Auch da konnten wir beobachten, dass die kleinen Orte immer mehr ausstarben, dass die kleinen Firmen immer mehr zu kämpfen hatten und dass sich die Früchte der Arbeit in immer weniger Hände verteilte. Die Frage ist, wie lange das noch gut gehen will, bevor wir wieder Zustände wie im Mittelalter erreichen?

Tobias auf dem Jakobsweg.

Tobias auf dem Jakobsweg.

 

Spruch des Tages: Dankbarkeit ist der beste Weg um zu erkennen, wie reich man ist.

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 1312,37 km

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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