Tag 647: Hotelterror – Teil 1

von Heiko Gärtner
11.10.2015 00:22 Uhr

Gerade als wir unsere Zelte abbauten, kam unsere Gastgeberin noch einmal vorbei, um sich von uns zu verabschieden.

„Ihr habt einiges vor heute!“ meinte sie im Gehen, „der Weg nach Jabuka führt fast vollständig bergauf!“

Damit hatte sie nicht übertrieben. Der Weg schraubte sich immer weiter den Berg hinauf, wurde immer steiler und schien niemals ein Ende zu nehmen. Paulina hatten wir schon bald wieder aus den Augen verloren, doch an dieser Straße konnten wir nicht auf sie warten. Es gab einfach zu viel Verkehr und außerdem war uns klar, dass wir uns selbst kaum noch würden aufrappeln können, wenn wir erst einmal eine längere Pause eingelegt hatten.

Die Anstrengung wurde jedoch wieder einmal mit einer grandiosen Aussicht belohnt, zum einen auf die wunderschöne Landschaft zu unterer Rechten und zum anderen auf die sonderbaren Gewohnheiten der Menschen zu unserer Linken. Das Highlight des Tages in dieser Richtung war eine Feuerstelle die nicht aus brennendem Holz sondern aus brennenden Autoreifen und Plastikfolien bestand. Sie stank vier Kilometer gegen den Wind und die Rauchsäule die davon aufstieg sah auch nicht gerade gesund aus. Bis hierhin war es noch nicht weiter ungewöhnlich, doch bei dem Feuer handelte es sich nicht um eine Müllverbrennung, wie wir zunächst vermutete hatten, sondern um ein Grillfeuer. Heiko machte erst noch einen dummen Witz von Wegen „Schau mal, die brutzeln da bestimmt ihre Würstchen drauf!“ Aber dann blieb ihm das Lachen im Hals stecken als er erkannte, dass wirklich ein Grillrost über den Flammen aufgestellt worden war und dass der Hausher, der gleich neben dem Feuer in einem Liegestuhl saß, feinsäuberlich seine Cevapcici darauf verteilt hatte. Und da machen wir uns Sorgen über die Weichmacher in unseren Einkaufstüten…

Als wir den Gipfel der Anhöhe erreicht hatten, leuchtete uns bereits eine Klosterkirche entgegen, die wir als Treffpunkt mit Paulina und auch als potentiellen Schlafplatz erwählten. Heiko malte auf die kleine Tafel vorne an seinem Wagen zwei Strichmännchen, eine Kirche und einen Pfeil und wir stellten die Wagen so ab, dass sie auf jeden Fall gesehen werden mussten, wenn man die Straße hinauf kam. Dann machten wir erst einmal ein Picknick im Schatten eines Blechcontainers, den jemand elegant neben der Orthodoxen Kirche platziert hatte.

Die Nonne, die in dem kleinen Kloster lebte war nicht allzu hilfsbereit. Männern sei das übernachten im Kloster leider nicht gestattet und auch das Zelten auf dem gesamten Klostergelände sei verboten.

„Kein Problem!“ sagte ich, „Dann suchen wir uns irgendwo einen anderen Platz und nur Paulina schläft im Kloster! Darüber wird sie sich sicher riesig freuen!“

Doch auch das war nicht recht, denn jetzt, da die Nonne mitbekommen hatte, dass ihr Geschlechter-Argument leider nicht zog, fiel ihr plötzlich ein, dass es überhaupt niemandem gestattet war, im Kloster zu übernachten. Auch keiner Frau und wenn sie sich noch so sehr den Berg hinauf gequält hatte. Außerdem riet sie uns vom Zelten im Allgemeinen ab, da die Polizei damit sicher nicht einverstanden war. Warum diese jetzt etwas dagegen haben sollte, wo es ihr die letzten Wochen vollkommen egal war, wusste sie auch nicht. Die Frage führte aber dazu, dass sie das Gespräch beendete, weil es ihr langsam unangenehm wurde, nach Ausreden zu suchen, die keinerlei Bestand hatten. Sie wollte eben einfach nicht und das war ja auch in Ordnung. Dafür wollte der Besitzer des kleinen Hotels auf der anderen Straßenseite. Er gab uns zwei Zimmer und damit die Möglichkeit, uns nach langer Zeit wieder einmal zu duschen, unsere Kleidung zu waschen und einige Berichte einzustellen. Hätten wir jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst, was wir für einen Preis für diesen Luxus zahlen mussten, dann hätten wir dankend verzichtet und stattdessen lieber im Wald geschlafen. Denn das die Sache mit der Polizei gelogen war, merkten wir spätestens in dem Moment, als der einzige Polizist des Ortes völlig begeistert auf uns zu kam und uns auf einen Raki und einen Kaffee einladen wollte.

Seit wir das Plateau erreicht hatten, waren nun schon fast zwei Stunden vergangen und Paulina war noch immer nicht aufgetaucht. Wo steckte sie nur? So weit war der Weg doch gar nicht gewesen und selbst, wenn sie ihn mit halber Geschwindigkeit gegangen war, musste sie doch längst hier sein. War am Ende doch etwas passiert? Bevor wir die Einladung des Polizisten dankend ablehnten, erzählte er uns noch, dass er weiter unten am Berg eine Frau mit dem gleichen Wagen gesehen hatte, wie wir ihn hatten. So schlimm konnte es also nicht um sie stehen.

Als Paulina schließlich auftauchte, hatten wir bereits unser Zimmer bezogen. Kaum hatten wir sie erblickt, wurde sie auch schon von dem Polizisten entdeckt, der kein schlechter Kerl zu sein schien, aber auch nicht gerade ein sympathischer Zeitgenosse war. Auch Paulina wollte er gleich auf einen Raki einladen und sie war bereits kurz davor, ja zu sagen. Nicht, weil sie es wirklich wollte, sondern weil sie zu schüchtern, zu unsicher und zu fertig war um abzulehnen. Auch wenn es vielleicht eine harmlose Situation war, war dies bereits der erste Vorbote für das, was in der Nacht noch kommen sollte.

Gegen 20:00Uhr begann im Restaurant unseres Hotels eine Party. Man hörte laute Stimmen, die wild durcheinander riefen, stritten, sangen und grölten. Gläser klapperten, Füße stampften, Hände klatschten und alles wurde übertönt von einer lauten, basslastigen Balkan-Musik die aus den viel zu kleinen und daher maßlos übersteuerten Boxen drangen. Wir waren eine Etage über dem Geschehen doch es fühlte sich an, als hätten wir es und direkt unter dem Party-Tisch bequem gemacht.

Zunächst machten wir uns noch keine Gedanken. Es war Montag und morgen war kein Feiertag, deswegen dürfte es ja eigentlich nicht allzu lange dauern. Außerdem hatten wir eh noch genug zu tun, so dass an Schlafen nicht zu denken war, auch dann nicht, wenn es ruhig gewesen wäre.

Doch die Party hörte nicht auf. In Paulinas Zimmer war es etwas ruhiger, doch in unserem konnte man nicht einmal Fernsehschauen, weil man den Ton nicht verstand. Bis ich mit dem Einstellen und dem Raussuchen der neuen Strecke fertig war, war es kurz vor zwei. Bis jetzt ließ ich mir die Sache eingehen, doch nun wollte ich wirklich schlafen. Heiko hatte sich bereits zu Paulina ins Zimmer gelegt, doch auch da fanden die beiden keine Ruhe. Einige Male legte ich meinen Laptop beiseite, versuchte trotz des Lärms zu schlafen und scheiterte kläglich. Dann holte ich ihn wieder hervor und versuchte wenigstens an irgendetwas zu arbeiten, doch die Kombination aus Müdigkeit und Lärm führte einfach nicht dazu, dass ich produktiv wurde. Also löschte ich das Licht erneut und der Kreislauf begann von vorne.

Der Zeiger näherte sich der Drei und wanderte schließlich drüber hinaus, ohne dass sich etwas änderte. Um halb vier verlor ich dann die Geduld. Es konnte doch nicht angehen, dass man als Gast hier so terrorisiert wurde. Klar waren wir kostenlose Gäste, aber wir waren ja nicht die einzigen im Haus. Neben uns war eine Familie mit zwei kleinen Kindern eingezogen und die hatten sicher für die Übernachtung bezahlt. Und auch wenn wir nicht zahlten, dann gab dies den Besitzern des Hotels trotzdem nicht das Recht, uns so auf den Ohren herumzutanzen. Der Mann hatte schließlich Englisch gesprochen, wenngleich auch nicht besonders gut. Er hätte also am Nachmittag locker darauf hinweisen können, dass die Nacht aufgrund einer geplanten Party in diesem Hotel nicht an Schlaf zu denken wäre. Dann hätten wir die Einladung einfach abgelehnt.

„Es reicht!“ sagte ich mir, sprang aus dem Bett, zog meine Hose an und ging auf die Tür zu. Wenn hier sonst keiner für Ruhe sorgte, dann musste ich es eben selber machen. Doch genau in diesem Moment hörte die Musik auf und man hörte nur noch das Grölen, Lallen und Rufen. War vielleicht doch endlich Feierabend? Nein! Keine zwei Minuten begann die Musik von neuen, lauter als je zuvor. Dieses Mal wurde es mit endgültig zu viel. Ich riss die Tür auf und stapfte wutschnaubend die Treppe hinunter. Alle Türen, die den Restaurantbereich mit dem Hotelbereich verbanden, standen sperrangelweit offen, so dass der Partylärm durch nichts gebremst wurde. Als ich den Saal betrat fand ich entgegen meiner Erwartung jedoch keine feiernde, ausgelassene Meute vor. Der Raum war leer, bis auf einen einzigen Tisch, an dem vier Männer saßen. Die Tischplatte war unter den Bierflaschen, den dreckigen Raki-Gläsern und den Essenszeiten kaum mehr zu erkennen. Dazwischen lagen umgekippte Kaffeetassen, Servierten und allerlei anderes Zeug, das ich auf die Schnelle nicht identifizieren konnte. Auch der Boden um den Tisch herum war komplett vermüllt. Das war keine Party. Das war ein armseliges und mitleiderweckendes Saufgelage von Menschen, die weder Selbstachtung noch einen Sinn in ihrem Leben hatten. Jedenfalls war dies der Eindruck der sich mir aufdrängte.

Als mich die Trunkenbolde sahen, prosteten und jubelten sie mir zu, in der Hoffnung einen neuen Kumpanen gefunden zu haben. Doch ich hatte keine Lust auf irgendwelche Spielchen. Wütend und zielsicher ging ich auf den Hotelchef zu, der am Kopf des Tisches saß und sofort schuldbewusst aufsprang, als er mich sah. Er war ein armes, kleines Würstchen, dass sich vollkommen klar darüber war, wie daneben sein kleines Saufgelage war. Doch er hatte nicht den Mumm und auch nicht die Durchsetzungskraft um seine Freunde hinauszuwerfen. Sie machten, was sie wollten und duldeten ihn auf der Party hauptsächlich deshalb, weil er mit soff, die Schnauze hielt und die Räume zur Verfügung stellte.

„Wie lange wollt ihr den Scheiß hier noch abziehen?“ fragte ich dass Männchen wütend.

„Wie bitte?“ fragte er ängstlich.

„Eure Party! Wie lange soll das hier noch gehen?“ wiederholte ich meine Frage. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber du hast Gäste! Es ist gleich vier Uhr, wir müssen morgen 30km weit wandern und kriegen kein Auge zu. Wie stellst du dir das vor? Du musst deinen Gästen doch mitteilen, wenn du vor hast, so einen Radau zu machen!“

„Keine Ahnung!“ sagte er bloß, während sein Kumpel einen Raki für mich einschenkte und mit einen Stuhl anbot. Ich ignorierte beides.

„Was heißt ‚keine Ahnung‘?“ fragte ich scharf.

„Es dauert eben so lange es dauert!“ verteidigte er sich, „Die Leute gehen, wenn sie gehen! Setz dich und trink was mit!“

„Du spinnst doch!“ sagte ich nun noch wütender als zuvor, drehte mich um und ging wieder nach oben.

Hinter mir hörte ich noch das Gelächter und die herablassenden Kommentare, die auf meine Kosten gemacht wurden. Die Musik lief bereits wieder, noch ehe ich auch nur die Tür erreicht hatte.

„Toll gemacht, Tobi!“ dachte ich mir beim Hinaufsteigen der Treppe, „Denen hast du es ja wirklich gezeigt!“ So viel also zum Thema Durchsetzungsfähigkeit. Der Hotelchef mochte ein Schlappschwanz sein, aber ich war definitiv auch nicht besser.

Wieder legte ich mich in mein Bett und starrte an die Decke. Durch das Fenster fielen langsam die ersten Lichtstrahlen herein. Das konnte ja heiter werden!

Doch was war das? Ging da nicht wirklich die Musik aus? Eine Weile hörte man es noch grölen und rufen, dann wurde es stiller und schließlich war es wirklich ruhig. Ob meine Beschwerdeaktion letztlich doch Früchte getragen hatte oder ob sie einfach keinen Bock mehr hatten und ohnehin aufhören wollten weiß ich nicht. Aber es ist ja auch egal. Wichtig ist, dass es leise war und dass wir nun endlich zumindest noch ein kleines Bisschen Schlaf finden konnten.

Fortsetzung folgt ...

 

Spruch des Tages: Nicht einmal in einem Hotel hat man seine Ruhe!

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 18 km

Gesamtstrecke: 11.535,27 km

Wetter: morgens und abends bewölkt, dazwischen überwiegend sonnig

Etappenziel: Zeltplatz neben der Kirche, kurz vor 44100 Melissopetra, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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