Tag 668: Rückblicke – Teil 2

von Heiko Gärtner
31.10.2015 19:45 Uhr

Fortsetzung von Tag 667:

Sie suchten einen Platz mit guter Energie unter einem Olivenbaum (Tobi: „Hat nicht Buddha unter einem Olivenbaum seine Erleuchtung gefunden?“) Was ist ein Platz mit guter Energie? Schwer zu erklären. Jedenfalls war es für mich der einzige Platz dort im Umkreis an dem es sich gut anfühlte, länger zu verweilen. Er war nicht weit vom Dorf entfernt, so dass ich von weitem die Häuser sehen konnte und im Extremfall nur einem mit Sträuchern umsäumten Weg folgen musste um zurück unter Menschen zu gelangen.

Ansonsten befand sich um mich herum nichts als Sträucher, verdorrtes Gestrüpp, Fels und ein paar tierische Begleiter. Nach einem kurzen für mich neuen Ritual baten Heiko und Tobias für mich um Schutz für die Nacht an diesem Ort. Währenddessen kam Wind auf, der mir direkt ins Gesicht blies. Für mich ein Zeichen, dass ich willkommen war.

So faltete ich meine Isomatte, so dass man bequem sitzen konnte und begab mich auf meinen Platz für die nächsten ca. 20 Stunden. Ich war dabei sehr aufgeregt, konnte wenig sagen und so beobachtete ich Tobi der meinen Platz umkreiste mit einer Spur aus Naturreis. Nur eine kleine Öffnung blieb offen, damit ich zum pinkeln den Kreis verlassen konnte. Normalerweise nimmt man wohl Maismehl aber das hatten wir nicht zur Hand. Dieser Kreis sollte als Schutz vor negativen Energien und Tieren dienen.

1qm unter dem schönen Blätterdach eines Olivenbaums sollten nun mein Heim für die nächsten ca. 20 Std sein. Die Jungs verabschiedeten sich und wir machten aus, dass wir uns am nächsten Morgen am Schwimmbad träfen oder sie nach mir sehen werden, wenn ich nicht gegen 9:00 auftauche. Dabei hatte ich einen Kloß im Hals. Versuchte aber tapfer zu wirken.

Wunderbar. Paulina stellt sich ihrer nächsten großen Prüfung. Da ich es zuhause ja schon selten schaffe Zeit aufmerksam mit mir zu verbringen, stellen sich auch hier schnell erst Langeweile und Ungeduld ein. Ich zupfe an den Blättern um mich herum, sortierte meinen Schal und meine Socken um mich herum, zupfe an meiner Kleidung, etc... Bis ich mir dachte: Verdammt, wenn ich es keine 2 Std mit mir alleine aushalte, wie soll es dann irgendeine andere Person für womöglich längere Zeit?

Also wurde ich ruhiger und beobachtete erst mal was um mich herum da war: die drückende Wärme eines spanischen Nachmittags, ein großer Olivenbaum über mir, der mit einem Stacheldraht verletzt worden war, vor mir trocken bewachsene Hügel und hunderte kleiner schwarzer Arbeiter, die sich daran machten, meine Schutz-Reis-Mauer abzutragen. Fasziniert beobachtete ich sie. wie sie sich ohne sich beirren zu lassen, ihre Beute über Stock und Stein hievten.

Da mich das Thema Ameisen auch am darauffolgenden Tag noch verfolgen sollte las Tobi für mich die Bedeutung dieser kleinen Tierchen vor. Grob gesagt stehen sie sinnbildlich für eine zersplitterte Persönlichkeitsstruktur. Es ist für mich essentiell diese Facetten meiner Selbst wieder zu einem Bild zusammenzufügen. Sprich, die kleine verletzte Paulina der Kindheit mit der Erwachsenen die auf der Suche nach ihrer wahren Identität ist. Die große hat vergessen mit der Kleinen zu kommunizieren und überhört sie ständig. Diese Erkenntnisse fühlen sich erst oft schmerzhaft an, wenn ich ihnen Raum gebe um sie zu prüfen und zu spüren, was dran ist, weiß ich immer wieder, dass es ein Treffer ins Schwarze war.

Ich bewunderte weiterhin den Fleiß der Ameisen. Der Versuch, herauszufinden wohin sie die Reiskörner brachten blieb leider erfolglos. Da es mir doch etwas mulmig wurde, was denn mit mir passieren könnte, wenn dieser Kreis davonspaziert war, da er ja sinnbildlich für eine Schutzmauer stand, die negative Energien abhalten sollte begann ich zu meditieren und schaffte mir so einen gedanklichen Schutzraum. Ich visualisierte mir eine Lichtkuppel um mich herum in meinem Fall lila.

So hing ich meinen Gedanken nach, betrachtete was kam und ging, sah unter anderem viele Schmetterlinge. Für mich steht der Schmetterling sinnbildlich für ein Wesen, welches es geschafft hat sein Raupendasein durch einen Prozess abzustreifen und zu etwas viel Schönerem, luftig Leichtem zu werden. Ich strebe auch die Verwandlung zum Schmetterling an, also eine Entwicklung von der verpuppten Raupe, die noch nicht das gefunden hat, was ihr Sein zum Ausdruck bringt, bis hin zum schönen Schmetterling der frei seinen eigenen Weg fliegt.“

Sorry, dass ich den Bericht von Paulina hier kurz unterbrechen muss, aber mir wird gerade etwas bewusst, das mir zuvor noch nie aufgefallen ist und das ich euch nicht vorenthalten möchte. Paulina benutzt hier das Sinnbild des Schmetterlings als Zeichen der Transformation und beschreibt richtig, dass sich die kleinen Raupen verpuppen, bevor sie sich transformieren. Wusstet ihr aber, dass sich der Raupenkörper in der Verpuppung vollständig auflöst und flüssig wird? Er verwandelt sich nicht in einen Schmetterling in dem ihm plötzlich Flügel wachsen und ihm seine Beinchen abfallen. Er wird wieder zu einer Art Ursuppe, bei der sich die Zellen auflösen und wieder komplett neu bilden. Sinnbildlich könnte man sagen, dass die Raupe für einen kurzen Moment ihres Lebens sämtlichen Halt verliert und als vollkommen formloses Wesen in eine Art Nichts auflöst, um dann aus ihrer eigenen Asche neu zu entstehen. Ich finde das nur deshalb so spannend, weil wir oft genau vor diesem Prozess Angst haben, wenn wir uns wandeln wollen. Natürlich lösen sich bei einem Menschen, der sein wahres Sein erkennt nicht plötzlich alle Zellen in Wasser auf um sich dann wieder neu zu formieren. Aber das, was in unserem Geist passiert ist etwas ganz ähnliches. Wenn wir erkennen, dass wir bislang nur eine Maske, also ein Schauspielstück gelebt haben und dass auch unsere gesamte Umwelt nichts als eine Theaterinszenierung ist, dann löst sich unser gesamtes Weltbild in Wohlgefallen auf. Alles woran wir bislang geglaubt haben, entpuppt sich als Lüge oder Illusion und wir erkennen, dass etwas zu unserer Wahrheit wird, das wir uns bislang nicht einmal in unseren Träumen hätten ausmalen können. Das kann sehr beängstigend sein und ich weiß von mir selbst, dass ich mich noch immer in vielen Aspekten stark dagegen wehre. Auch Paulina hat uns oft vorgeworfen, dass wir ihr Weltbild zerstören und sie hatte große Angst davor, diesen Auflösungsprozess zuzulassen. Doch ohne ihn kann natürlich keine Wandlung stattfinden. Stellt euch nur einmal eine Raupe vor, die sich verpuppt, dann aber Angst vor der Auflösung bekommt und sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, weil sie nicht in den Prozess vertrauen kann. Es ist eine sensible Phase, denn wenn sie nun als halbflüssiges Wesen ihren Kokon verlässt, wird sie kaum eine Überlebenschance haben. Da wäre es schon sinnvoller, bereits vor dem Verpuppen kalte Füße zu bekommen und zu versuchen, immer eine Raupe zu bleiben, die sich von jeder Form des Kokons fernhält. Vielleicht fühlten wir uns auch deshalb so sehr verantwortlich für Paulina, weil wir ihr geholfen hatten, ihren Kokon zu bauen, den sie nun aus Angst wieder verlassen wollte. Ohne eine Idee davon zu haben, wie sie als flüssiger Raupen-Schmetterling-Mischlings-Brei in der Außenwelt zurechtkommen würde. Doch zurück zu ihrem Bericht von der Visionssuche vor einem Jahr:

„Plötzlich schüttelte es mich wie vom Blitz getroffen. Aus einem Tagtraum, den ich hier nun schon zum zweiten Mal hatte, wurde ich schlagartig zurück ins Bewusstsein gerufen. Mir war, trotz der immer noch hoch stehenden Sonne, kalt am ganzen Körper. Ich fing an zu weinen und wimmerte vor mich hin ‚Ich will nicht sterben!’ Im Traum hatte ich zum wiederholten Male die Situation durchlebt, dass ich mir mit den Händen durch die Haare fuhr und diese in großen Büscheln abnehmen konnte, bis nur mein kahler Kopf zurück blieb.

Zurück unter meinen Olivenbaum. Mittlerweile hatte ich mein Zeitgefühl endgültig verloren. Nachdem ich einige Zeit weinend da gesessen war, änderte sich die Situation ganz plötzlich und ich schrie ‚Ich will leben!’

Was bedeutet dieses Bild der ausfallenden Haare? Und was bedeutet es für mich? Zumal ich schon seit etwa 2-3 Jahren unter derart starkem Haarausfall leide, dass sich, wenn ich mir einen Pferdeschwanz binde, der Umfang dessen fast halbiert hat. Seit ich hier bin ist es sogar noch schlimmer geworden.

Zum Einen erfuhr ich von Tobi und Heiko, dass Haare unsere Antennen zur geistigen Welt sind, welche bei mir gerade dabei sind in Massen abzusterben. Das ist kein gutes Gefühl, vor allem wenn ich doch dabei bin und genau diese Verbindung stärken und sie sensibilisieren möchte.

Zum Anderen las Tobi mir aus einem Buch über Traumdeutung vor, dass die primäre symbolische Bedeutung von Haarverlust stellvertretend für die Vitalität steht. Ausfallende Haare stehen somit für einen Verlust dieser Vitalität. Soll dieser Traum mir zeigen, wie es um meine Vitalität, um Lebensenergie steht?

Wenn ich die letzten Jahre betrachte, gab es viele Momente in denen ich gegen mich gelebt und oft eine große Verzweiflung gespürt habe, die anfangs nicht erklärlich für mich war. Ich hatte doch offensichtlich alles: Eine mal recht mal schlecht funktionierende Partnerschaft, eine schöne Wohnung, einen Job, eine Familie, Freunde... Und doch war da immer diese Sehnsucht nach Veränderung, nach einem „echten“ Leben, wozu ich aber nie den Mut aufbrachte, da meine Vorstellungen zu unkonkret waren und ich nicht erkennen konnte, was mich so abhängig macht. Durch meine Jakobswege wurde diese Sehnsucht mich aus diesem Leben zu befreien nur noch stärker.

Ist daher dieser Traum so präsent? Fallen mir die Haare büschelweise aus weil sich meine Seele denkt, „Wenn du mich nun so lange nicht anhörst, nicht auf die stärksten Körpersignale, wie Schmerz und Krankheit reagierst, dann gehe ich eben?“

So saß ich da wimmernd mitten in der spanischen Nachmittagshitze und mir war immer noch eiskalt. Ich verließ meinen Kreis und setzte mich auf einen Fels in die Sonne. Durchatmen. Zur Ruhe kommen. Was ist da gerade mit mir und meinem Körper los?

Ich spürte, dass mich dieser Traum und das Weinen viel Energie gekostet hatte und ich diese benötigte um wieder klar denken zu können und mich aufzuwärmen. Intuitiv kam mir der Gedanke, mich auszuziehen, dort auf meinem Felsen Richtung Sonne gerichtet sitzen zu bleiben und meinen Körper zu spüren wie er gerade da war. Was war da? Wut, Trauer, Angst? Wut über Verletzungen die mir zugefügt wurden, Trauer um meine Seele, die sich mehr und mehr zurückzog und Angst davor, zu spät dran zu sein um etwas zu ändern.

Zurück auf der Matte versuchte ich ein paar Mentalübungen, unter anderem die, meinen Medizinkörper kennenzulernen und die Mittel der Tierkommunikation in die ich letztes Jahr Einblick erhalten durfte. Für die erste Übung setzte ich mich aufrecht in den Schneidersitz, atmete und begann mich zu entspannen. Heiko hatte mir nur erklärt, dass ich mir vorstellen soll, in sieben Stufen hinabzusteigen und dass ich auf jeder Stufe etwas zurücklassen soll, was ich ablegen möchte an Dingen die mich belasten. Eigene Verhaltensweisen zum Beispiel. Ich scheiterte, da ich mich nicht auf sieben Dinge konzentrieren konnte und so versuchte ich die zweite Übung. Da ich nun komplett vom meiner Ameisenarmee umzingelt war fragte ich mich, ob sie es ok fanden dass ich da so mittendrin lag. Leider gelang es mir nicht einen Kontakt herzustellen, weil ich nicht in mir ruhend bleiben konnte.

Enttäuscht durchsuchte ich meine Hosentaschen. Ich durfte nichts dabei haben, aber vielleicht befand sich ja trotzdem etwas Nützliches darin. Hier bemerkte ich schmunzelnd selbst wieder meine Ablenkungssucht. Nicht-am-Ball-bleiben-können und lieber 100 Sachen gleichzeitig anfangen, bevor man eine mal richtig fertig macht. Wie im richtigen Leben. Ich fand den Wunschstein, den Heiko mir am ersten Abend gab, damit ich jeden morgen und jeden Abend meine Wünsche und Ziele zum Ausdruck bringen konnte. Außerdem befanden sich zwei Zettel auf denen „Ja“ und „Nein“ geschrieben stand, die Heiko am Vorabend verwendete um mich auszutesten.

Ich begann Fragen zu stellen ans Universum.

„Werde ich meine Berufung finden?“ Ja.

„Wird das bedeuten, dass ich dafür Menschen vor den Kopf stoße oder sogar verlieren werde, die ich liebe?“ Ja.

„Wird es eine Herausforderung?“ Ja.

 

Um einige zu nennen. Das klang ja sehr vielversprechend.

Hiermit nehme ich die Herausforderung an.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie es werden wird, sobald es dunkel wird und verbrachte die Zeit bis dahin mit dämmrigem Bewusstsein, dem Beobachten von Vögeln die mich auf meinem Baum besuchen und meiner Ameisenarmee, die immer noch fleißig Reiskörner im Kreis in Richtung des Baumstamms des Olivenbaums trugen.

Ich war mir dabei nie ganz sicher ob ich wach war, in einem Tagtraum hatte oder eingeschlafen bin. Hunger spürte ich keinen. Hellwach wurde ich dann, als hinter mir der Lärm einer spanischen Fiesta zu hören war (bis spät in die Nacht). Anfangs fand ich es nicht so verkehrt, das Gefühl zu haben, es sind Menschen in der Nähe aber irgendwann nervte es mich, denn falls eine Notsituation auftreten sollte, hörte mich sowieso niemand mehr. Ich merkte, dass ich mich gestört fühlte beim Fokussieren meiner Gedanken.

Schließlich wurde ich erneut von einem Traum überrascht, welchen ich vor zwei Jahren schon einmal hatte. Ich traf in einem großen alten Herrenhaus auf meine mittlerweile verstorbene Großtante um mich von ihr zu verabschieden. ‚Du bist spät!’ sagte sie, wandte sich ab und bedeutete mir, ich solle mich zu ihr ans Fenster stellen. Wir blickten gemeinsam auf eine weite trockene Landschaft. Sehr ähnlich wie diese in der ich mich aktuell befand. Sie verabschiedete sich von mir mit den Worten: ‚Vergiss deine Gabe nicht!’ Als ich diesen Traum zum ersten Mal hatte, deutete ich das Bild als Bild vom Jakobsweg, auf welchem ich mich zu dieser Zeit befand und die ‚Gabe’ als mein kreatives Talent, das ich in meinen Beruf, den ich gelernt hatte, umsetzten sollte. Ich war zu dieser Zeit sehr unsicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin und ob ich nicht etwas anderes finden könnte. Heute nun kam mir der Gedanke, ob nicht das Bild der Landschaft gleichbedeutend mit der ‚Gabe’ war? War es eine Bestätigung, dass ich hinaus in die Welt gehen soll, unterwegs sein soll um zu lernen und um meine Berufung, meine Gabe, zu finden und zu leben?

Fasziniert betrachtete ich die währenddessen hinter den Hügeln verschwindende Sonne. Was kam nun? Das Unbekannte und alles was ich nicht sehen kann machte mir Angst. Da es kühler wurde zog ich nach und nach alles an, was ich dabei hatte, Heikos Stein fest in der Hand. Ich hatte das Gefühl, dass er mich schützte und mir Kraft gab.

Eine weitere Frage stellte ich dem Universum:

Werde ich diese Nacht durchhalten?

Ja.

Fortsetzung folgt...

 

Spruch des Tages: Was war noch vor einem Jahr?

Höhenmeter: 30 m

Tagesetappe: 29 km

Gesamtstrecke: 11.935,27 km

Wetter: bewölkt

Etappenziel: Kleines Gästezimmer beim Pfarrer, 72020 Erchie, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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