Tag 680: Ist das wirklich wahr? – Teil 2

von Heiko Gärtner
11.11.2015 23:36 Uhr

Fortsetzung von Tag 679:

Mit einem Mal ging mir ein Licht auf, dass ich so zuvor noch nie begriffen hatte. Wir richten fast unser ganzes Leben auf Grund von Gedanken und Überzeugungen aus, die wir für Wahr halten. Wir glauben, dass wir Arbeiten müssen, dass wir Geld brauchen, dass uns kalte Füße krank machen, dass man eine Schulbildung braucht. Wir glauben tausend Dinge und auf der Basis dieses Glaubens bauen wir unser ganzes Leben auf. Aber wenn wir wirklich ehrlich sind, dann wissen wir eigentlich nichts. Wir versuchen die Welt mit unserem Verstand zu erklären und bauen uns immer abstraktere Gedankenkonstruktionen auf, doch am Ende wissen wir dadurch immer weniger. Das musste es gewesen sein, was Sokrates vor ein paar tausend Jahren meinte, als er sagte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ Wir zitieren diesen Satz oft so flapsig daher, meist als Witz um sich über unser fehlendes Allgemeinwissen lustig zu machen oder als Spruch auf einem Abi-T-Shirt. Aber seine wirkliche Bedeutung erfassen wir eigentlich nie. Es stimmt natürlich nicht ganz, denn es ist ja nicht so, dass wir wirklich gar nichts wissen. Im Gegenteil, das allgegenwärtige Wissen des Universums, das alle Antworten auf alle Fragen enthält, die jemals gestellt werden können, ist fest mit unserem Unterbewusstsein verbunden, da wir ja lediglich ein Teil des Universums sind und alles andere somit auch ein Teil von uns ist. Aber das wissen wir in der Regel nicht. Wir glauben getrennt zu sein und bauen uns unser eigenes Wissen auf, das wir dann für wahr halten. Wir hinterfragen es zwar hin und wieder, aber nie richtig, nie in aller Konsequenz und nie in seinen Grundfesten. Wie viel von dem was ihr zu wissen glaubt bleibt noch sicher bestehen, wenn ihr euch wirklich offen und ehrlich fragt, ob ihr euch zu 100% sicher sein könnt, dass es wahr ist? Bleibt überhaupt noch etwas?

„Kommen wir also zur dritten Frage“, unterbrach Heiko meine Gedanken, „Gehe einmal davon aus, dass du diesen Gedanken nun tatsächlich für wahr hältst und ihn glaubst. Was macht das dann mit dir? Wie reagierst du? Wie fühlt es sich schon rein körperlich an, wenn du diesen Gedanken glaubst? Spür einmal wirklich in dich hinein. Was passiert, wenn du diesen Gedanken denkst oder ihn laut aussprichst und ihn dabei für wahr hältst. Löst er Spannung aus? Oder Druck? Enge, Stress, Ärger, Empörung, Nervosität, Unruhe, Schuld oder ähnliches?“

Ich ließ den Satz noch einmal einen Moment auf mich wirken und achtete dieses Mal ganz genau auf meine Empfindungen. Empörung war an erster Stelle mit dabei, gemeinsam mit Wut, Enttäuschung, Ärger und Unfrieden. Ich fühlte mich verspannt, gestresst und aufgewühlt und spürte, dass es mir mit diesem Gedanken einfach nicht gut ging.

Heiko fuhr fort: „Wenn du jetzt spürst, was dieser Gedanke mit dir macht, hast du dann das Gefühl, dass du liebevoll, mitfühlend und ermutigend mit dir selbst umgehst, wenn du diesen Gedanken für wahr hältst?“

„Um Himmelswillen Nein!“ schoss es aus mir hervor, „Ganz und gar nicht! Es fühlt sich schrecklich an, diesen Gedanken für wahr zu halten!“

„Ok!“ sagte Heiko, „lassen wir das mal für einen Moment so stehen und gehen weiter zur vierten Frage: Gehen wir einmal davon aus, dass du aus irgendeinem Grund überhaupt nicht in der Lage wärst, diesen Gedanken zu denken. Er kommt in deinem Geist einfach nicht vor, kam es nie und wird es auch nie. Er existiert nicht. Stell dir das nur einmal vor. Was macht das dann mit dir? Wie ginge es dir ohne diesen Gedanken? Wer wärst du ohne ihn? Spüre wieder in dich hinein und achte darauf, was dein Körper und dein Herz dir für eine Antwort geben. Fühlt es sich besser oder schlechter an? Fühlst du dich freier, entspannter, leichter und lockerer, oder nicht?“

Ich stellte mir nun also vor wie es war, den Gedanken „Paulina ist undankbar! Alles was wir für sie getan haben tritt sie mit Füßen!“ nicht zu denken und spürte sofort, wie ich mich dadurch leichter fühlte. Es war nichts großes, umwerfendes, kein Feuerwerk der Gefühle mit lauter wehenden Fahnen, die in meinem Geist herum tanzten. Es war einfach ein seichtes, angenehmes Gefühl von Leichtigkeit, das in mir aufkam. So als wäre mir ein kleiner Stein vom Herzen gefallen. Die Anspannung, der Ärger, der Stress, die Empörung und die Enttäuschung ließen sofort nach und ein Gefühl von Frieden kam in mir auf.

„Krass!“ sagte ich, „es fühlt sich wirklich sofort leichter an! Es ist ein richtig gutes Gefühl, den Gedanken nicht zu denken!“

„Erstaunlich, oder?“ stimmte Heiko mir zu, „das habe ich auch gedacht, als ich es das erste Mal gemacht habe. Aber wir sind noch nicht ganz fertig. Schau dir den Gedanken jetzt noch einmal an und drehe ihn in sein Gegenteil um. Wie würde er dann lauten?

Ich überlegte einen Moment und betrachtete den Satz auf meinem Computerbildschirm.

„Paulina ist undankbar! Alles was wir für sie getan haben tritt sie mit Füßen!“ Der umgekehrte Satz lautete also „Paulina ist dankbar! Sie begegnet all unseren Geschenken mit Wertschätzung und nimmt sie dankbar an!“

„Wie fühlt sich dieser Satz für dich an, wenn du ihn auf dich wirken lässt?“ fragte Heiko.

Wieder spürte ich in mich hinein, dieses Mal jedoch mit dem Gedanken an den positiv formulierten Satz. „Paulina ist dankbar! Sie begegnet all unseren Geschenken mit Wertschätzung und nimmt sie dankbar an!“

Es fühlte sich gut an. Ein Gefühl der Beklemmung, der Empörung oder der Enttäuschung tauchte nicht auf und ich spürte auch keine Enge, keine Schwere und keine Verspannung. Für einen Moment hielt ich den neuen Gedanken wirklich für die Lösung, doch sofort schaltete sich mein Verstand wieder ein.

„Naja, ganz so kannst du das jetzt aber auch nicht stehen lassen!“ meckerte der Plappermann in meinem Gehirn. „Der Satz klingt zwar schön und fühlt sich vielleicht auch gut an, aber er stimmt halt einfach mal nicht. Ich meine, klar wollte Paulina dankbar sein und das, was sie von euch bekommen hat als Geschenke annehmen, aber sie konnte es ja nicht wirklich. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Danke sagen und Danke fühlen und so wirklich angenommen hat sie eigentlich fast gar nichts, wenn du ehrlich bist.“

Sofort kamen wieder neue Verurteilungen in mir auf, die sich in das Bild des ursprünglichen Gedanken einreihten. Und mit ihnen kamen auch all die unangenehmen Empfindungen und Gefühle zurück. Als ich Heiko davon erzählte fing er sofort breit zu grinsen an.

„Erkennst du, wo der Fehler liegt?“ fragte er.

Ich überlegte, stand aber vollkommen auf dem Schlauch und begriff nicht, worauf er hinaus wollte.

„Das Problem ist“, klärte er mich schließlich auf, „dass du dir den umgedrehten Gedanken selbst nicht glaubst. Er hört sich zwar schön für dich an und wenn du ihn glauben würdest, würde er sich auch gut anfühlen, aber du glaubst ihn dir leider nicht. Es ist ein bisschen so, als würdest du dir vorstellen, dass du eine Million Euro auf dem Konto hast. Natürlich fühlt sich das gut an und wenn du dieses Gedanken denkst geht es dir sicher besser, als wenn du an die paar Flinsen denkst, die wirklich auf deinem Konto herumflattern. Aber du glaubst dir den Gedanken nicht und deshalb kann er dir auch nicht die Angst nehmen, dass du gerade nicht genug hast.“

„Ok,“ sagte ich, „das stimmt natürlich. Das bedeutet dann, dass ich einen Satz finden muss, der sich auf der einen Seite für mein Herz wahr anfühlt, den ich auf der anderen Seite aber auch mit dem Verstand glauben kann?“

„Ganz genau!“ bestätigte Heiko.

Noch einmal schaute ich mir meinen Satz an und drehte ihn ein weiteres Mal um: „Paulina ist uns stets mit der Dankbarkeit begegnet, die ihr möglich war! Sie hat immer versucht, das was wir ihr an Wissen, Erfahrungen und Materialien gegeben haben, so gut wie möglich anzunehmen und wertzuschätzen!“

Wieder ließ ich den Satz auf mich wirken. Er fühlte sich nicht schlecht an und auch mein Verstand konnte ihn akzeptieren. Er war vielleicht noch nicht optimal, aber er kam in die Richtung.

Heiko fuhr fort: „Den Satz ins Gegenteil umzudrehen ist eine Möglichkeit, noch etwas mehr über sich und seine Gedanken herauszufinden. Aber es ist nicht die einzige und in meinen Augen auch nicht die aufschlussreichste. Denn die Fragen zeigen dir ja erst einmal nur, dass die Gedanken an denen du dich festklammerst, weil du sie für wahr hältst, nicht unbedingt wahr sein müssen. Doch was ich mindestens genauso wichtig finde ist die Frage, warum du sie überhaupt denkst. Warum hältst du Paulina für undankbar? Warum kommen die Gedanken überhaupt in dir auf, wenn sie doch gar nicht wahr sind? Der Grund ist, dass du nicht eigentlich über sie nachdenkst und urteilst, sondern über dich selbst. Sie ist ja nur ein Spiegel, der dir zeigt, was in dir los ist. Wäre keine Undankbarkeit in dir selbst, würdest du auch keine im Außen finden. Das bedeutet, dass du entweder Paulina nicht als undankbar empfinden würdest, oder dass dich ihre Undankbarkeit nicht stört, weil du nicht damit in Resonanz gehst.“

„Oder“, fügte ich hinzu, „weil sie keine Undankbarkeit in sich hätte, weil ich sie ja nicht anziehen würde.“

„Jaah, naja, das kann man so nicht ganz sagen!“ widersprach Heiko, „Was in Paulina los ist, ist ihre Sache, damit hast du nichts zu tun. Wenn Undankbarkeit eines deiner Lebensthemen ist, dann wirst du es in ihr finden, ganz gleich, ob es ein Thema von ihr ist oder nicht. Das ganze ist ein klein wenig komplexer und ich schätze ich muss dazu noch ein bisschen ausholen.

Wenn man die Spiegelgesetze des Universums verstehen will, dann geht man am besten wie bei einem Pyramidensystem vor, bei dem man sich immer weiter nach unten in die Tiefe arbeitet.

Unser Leben ist im Endeffekt nichts anderes als ein Traum, den wir für real halten, weil wir uns nicht bewusst sind, dass wir träumen. Ähnlich wie wir auch unsere Träume im Moment des Träumens oft für real halten. In unseren Träumen sehen wir uns selbst in einer Welt, die der Wach-Welt entsprechen kann oder auch nicht. Wir sehen andere Menschen, die wir vielleicht kennen, vielleicht aber auch nicht. Und wir erleben dabei bestimmte Geschichten. Im Traum selbst haben wir dabei das Gefühl, diese Geschichten aus einer einzigen Perspektive zu erleben und zwar meist aus unserer eigenen, auch wenn unser Traum-Ich vielleicht vollkommen anders aussieht und reagiert als unser Wach-Ich. Betrachten wir unseren Traum jedoch von außen, dann erkennen wir, dass die gesamte Traumsituation von unserem eigenen Geist erschaffen wurde, während wir schliefen. Wir haben also vielleicht von anderen Menschen geträumt aber letztlich ist jede Person, die im Traum vorkommt nur eine Projektion unseres eigenen Unterbewusstseins. Auch wenn wir im Traum Personen begegnen, die wir aus der Wach-Welt kennen und wenn sich diese Personen vielleicht sogar genauso verhalten, wie sie es auch tagsüber tun würden, handelt es sich bei diesen Personen nicht um jemand anderen. Jeder Mensch, der uns im Traum begegnet, sind wir selbst, genau wie jeder Ort, jeder Baum und jeder Stein. Haben wir also im Traum Sex mit einem anderen Menschen, haben wir in Wirklichkeit Sex mit uns selbst. Genauer gesagt haben zwei Teile unserer Persönlichkeit, der wir selbst im Unterbewusstsein jeweils eine Rolle mit einem imaginären Körper gegeben haben, Sex mit einander. Streiten sich zwei Menschen in unserem Traum, streiten sich in Wirklichkeit zwei Aspekte unseres Seins. Werden wir in einem Alptraum von einem Kettensägen-Killer oder einem blutrünstigen Zombie gejagt, dann verfolgt uns unsere eigene Angst. Jeder, der uns also jemals in einem Traum begegnen kann, ist nichts weiter als ein Stellvertreter für einen bestimmten Aspekt unseres eigenen Selbst.“

„Ok“, sagte ich, „Aber was bedeutet das jetzt für den Wachzustand?“

„Auch wenn wir glauben, dass wir außerhalb unserer Schlafenszeit in einer physischen, realen Welt leben, handelt es sich bei dieser Welt nicht weniger um einen Traum als bei den nächtlichen Träumen. Alles besteht aus einer einzigen Energie, nämlich aus Liebe, die sich selbst in unterschiedlichen Formen manifestiert. Wir selbst sind nichts weiter, als ein Teil dieser Manifestation. Wir sind reine Liebe, die in die Rolle eines Menschen geschlüpft ist. Man könnte also sagen, wir sind alles Manifestationen des riesigen Unterbewusstseins von Gott also von der Liebe selbst. Dies ist unser kollektiver Traum.“

„Du meinst also“, unterbrach ich ihn, „es wäre durchaus denkbar, dass wir alle nur das Unterbewusstsein von irgendeinem Wesen sind, das gerade in irgendeiner Dimension vor sich hinschlummert?“

„Ja das ist es! Ob es sich dabei dann um einen träumenden Frosch oder um Gott handelt macht am Ende nicht allzu viel Unterschied. Wichtig ist zu verstehen, dass alles aus dem gleichen Stoff, also aus Liebe ist und dass wie in unseren nächtlichen Träumen alles nur unterschiedliche Facetten des gleichen Bewusstseins sind. Da alles eins ist, ist dieser kollektive Traum aber auch unser persönlicher Traum, den wir aus unserer eigenen Perspektive träumen. Das bedeutet, dass jeder Mensch, dem wir in unserem Lebenstraum begegnen eine Projektion unseres eigenen, göttlichen Selbst ist. Jeder Mensch, der uns begegnet ist also ein Stellvertreter für einen Aspekt von uns selbst. Da wir das Zentrum unseres eigenen Traumes sind, sehen wir die anderen Wesen, jeweils immer auf der Dimension, die zu unseren Gedankenmustern passt.“

„Ok, das ist jetzt ein bisschen zu kompliziert für mich!“ unterbrach ich.

„Das glaube ich gerne. Ich erkläre es noch einmal einfacher. Du selbst erschaffst dir deine Realität durch das was du über die Welt glaubst. Die Erfahrungen, die du in deinem Lebenstraum machst, sind also die Spiegel, der Gedanken, die du selber für wahr hältst. Wenn du jetzt also Problem A hast, sagen wir mal, du bist unstrukturiert, dann hast du diese Unstrukturiertheit aufgrund deiner Gedanken selbst erschaffen. Deine ganze Außenwelt muss dir nun also auch Unstrukturiertheit spiegeln, weil du deinen Traum ja mit dem Gedanken der Unstrukturiertheit erschaffst. Mein Problem, das ich mir jetzt aufgrund meiner Gedanken zurechtgelegt habe, ist aber nun beispielsweise Lautstärke. Daher bekomme ich diese permanent gespiegelt. Wenn wir nun beide am gleichen Ort sind und den gleichen Personen begegnen, dann bekommen wir aber trotzdem jeder das gespiegelt, was wir uns mit unseren Gedanken erschaffen haben. Es ist ein bisschen so, als würde jeder Mensch und jedes Wesen auf mehreren Ebenen existieren und wir können jeweils nur die Ebene erkennen, die zu unserem Lebenstraum passt.“

Fortsetzung folgt...

 

Spruch des Tages: Ich weiß, dass ich nichts weiß (Sokrates)

Höhenmeter: 350 m

Tagesetappe: 14 km

Gesamtstrecke: 12.093,27 km

Wetter: sonnig und herbstlich warm

Etappenziel: Kloster des Cappucciner-Ordens, 75024 Montescaglioso, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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