Tag 718: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

von Heiko Gärtner
21.12.2015 04:33 Uhr

Die Wolken lichteten sich allmählich und die Sonne schien immer wieder zwischen ihnen hindurch. Der Wind blies, als wollte er die Welt auseinanderreißen und mit seiner Kraft fegte er den Himmel frei, wie ein nasser Schwamm eine verschmierte Klassenzimmertafel.

Heiko wollte ein Foto machen um die Stimmung einzufangen, doch wie er feststellen musste, tauchte diese auf unserem Kamera-Display nicht auf.

„Was ist denn jetzt los?" fragte er erstaunt.

Sobald man das Display ausklappte, zeigte es kein Bild mehr. Irgendetwas stimmte nicht damit. Eine genauere Untersuchung ergab Folgendes: Das Display war über einen kleinen Kabelsatz mit der Kamera verbunden, der jedes Mal komplett zusammengeknickt wurde, wenn man das Display ein- oder ausklappte. Dadurch entstand eine Sollbruchstelle, an der sich nun die komplette Isolierung vom Kabel gelöst hatte. Klappte man das Display aus, dann entstand entweder ein Kurzschluss, oder aber, die Kontakte berührten sich überhaupt nicht mehr. So genau konnte man das nicht feststellen, weil alles so winzig klein war. Was man jedoch feststellen konnte war, dass es sich bei dem Problem um ein Hausgemachtes handelte. Es war kein Defekt, der durch einen Unfall entstanden war oder dadurch, dass wir die Kamera nicht pfleglich behandelt hatten. Es war ein Fehler, der bereits bei der Produktion eingeplant worden sein musste. Denn dass man ein Kabel nicht komplett knicken darf, wenn man nicht will, dass es dünn wird und zerbricht, dass weiß jeder, der auch nur in der Grundschule ein bisschen Werkunterricht hatte. Da wir die Kamera täglich mehrere Male verwendeten, tauchte das Problem bei uns schon nach recht kurzer Zeit auf, so dass wir noch immer eine Garantie auf die Kamera hatten. Normalerweise würde es wohl erst dann zu Problemen kommen, wenn die Garantie längst abgelaufen war. Damit konnte man die Kunden dann geschickt zum Kauf einer neuen Kamera überreden, denn eine Reparatur war im allgemeinen fast genauso teuer, wie ein neues Gerät.

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Doch wie sollten wir mit der Situation nun umgehen? Die Kamera funktionierte zwar noch, doch wenn wir abwarteten und das Display irgendwann gar nichts mehr anzeigte, dann schauten wir mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Das Beste war es wohl, sie nach Hause zu schicken und reparieren zu lassen.

In unserem Zielort konnten wir auch heute wieder keinen Pfarrer antreffen. Dafür fanden wir ein Kloster mit einigen Nonnen, in dem wir unser Glück versuchen wollten.

Auf mein Klingeln hin öffnete uns eine kleine, alte Frau, die sich wie ein Honigkuchenpferd über unseren Besuch freute und gleich zu ihrer Mutteroberin eilte, um uns anzukündigen. Während wir auf die Klosterchefin warteten, sollten wir in einem kleinen Raum Platz nehmen und bekamen von der kleinen Frau alles über die Heilige Gertrude erzählt, was es zu erzählen gab. Die Heilige Gertrude musste eine deutsche Frau gewesen sein, die irgendwann in der Geschichte gelebt und irgendetwas getan hatte, wofür sie irgendjemand zu irgendeiner Zeit heilig gesprochen hatte. Nach Meinung der kleinen Frau mussten wir die Heilige kennen, das sie ja ebenfalls aus Deutschland stammte. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir war die Dame kein Begriff.

Die Mutterobere freute sich über unsere Anwesenheit leider nicht so sehr wie ihre kleine Schwester. Sie schien sich ganz im Allgemeinen über nichts besonders zu freuen, auch nicht über konkrete Aussagen. Denn ihre Antwort auf unsere Frage war zunächst ein klares Jain. Einen Schlafplatz gäbe es vielleicht, vielleicht auch nicht, aber wir könnten erst einmal einen Happen essen.

Eine junge Frau kam zum Vorschein, die sich auch während des Essens mit uns unterhielt. Von ihr erfuhren wir, dass dieses Kloster ein sogenanntes „Casa Famiglia" war, ein Heim für Kinder, die entweder keine Eltern hatten oder aus irgendeinem Grund nicht bei ihnen Leben konnten. Sie selbst lebte seit ihrem achten Lebensjahr in Einrichtungen wie diesen und war nun bereits seit fünf Jahren hier im Haus. Es gab sechs Nonnen und sie war das einzige Kind, das noch betreut wurde. Ein Jahr brauchte sie noch, dann war sie volljährig und konnte ausziehen. Auf die Frage, wie es war, von Nonnen aufgezogen zu werden, antwortete sie nur gehalten, doch sie machte kein Geheiminis daraus, dass sie sich sicher war, dass uns die Mutterobere abweisen würde.

Das Essen, das uns in Plastiktellern serviert wurde, erklärte einen Großteil der verhaltenen Stimmung des Mädchens, den Nonnen gegenüber. Es gab das standardisierte Essen, das gemeinhin unter dem Begriff „Jugendherbergsfraß" bekannt geworden ist. Es bestand aus überweichen Nudeln mit einer geschmacksneutralen Sauce als ersten und einem schlabberigen Grünzeug mit einer undefinierbaren, panierten Masse als zweiten Gang. Dass es sich bei dem Grünzeug einmal um eine Pflanze gehandelt hatte, ließ sich noch erahnen, doch was sich unter der Panade der Frikadelle befand entzog sich jeglicher Definition. Heiko vermutete, dass es sich dabei um Kartoffelbrei handelte, ich hätte eher auf Fisch getippt. Aber wahrscheinlich war es weder das eine noch das andere.

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Nach dem Essen ließ man uns noch eine ganze Weile warten, bevor wir schließlich die Entscheidung bekamen. Es kam, wie uns das Mädchen prophezeit hatte. Wir konnten nicht bleiben. Warum? Angeblich, weil der Pfarrer nicht erreichbar war und er sein OK geben musste, wenn die Nonnen einen Gast aufnehmen wollten. Wäre die Frau Pinocchio gewesen, dann hätte sie uns mit ihrer Nase nun erstochen, denn noch auffälliger hätte sie uns nicht belügen können. Sie war die Mutterobere und dies war ihr Haus. Der Pfarrer hatte nicht das geringste damit zu tun, doch da er gerade nicht da war, ergab er einen großartigen Sündenbock. Mit einem traurigen Lächeln schaute uns das Mädchen an, so als wollte sie sagen: „Sorry, aber ich hab euch ja gesagt, dass die Alte eine Schreckschraube ist!"

Im nächsten Ort sah das Bild jedoch zunächst nicht viel anders aus. Auch hier trafen wir keinen Pfarrer, dafür aber Nonnen, die den ersten verdächtig ähnlich waren. Nur waren diese nicht so freundlich. Sogar die letzte Mutterobere kam uns verglichen mit dieser wie ein Goldstück vor. Langsam fragten wir uns, warum in Frauenklöstern oft die Mutterobere die größte Schreckschraube war, während der Superiore in den Männerklöstern häufig der besonnenste war.

Da es keinen Sinn machte, noch weiter zu wandern, vertrieben wir uns die Zeit bis der Pfarrer kam mit einigen Stadtspaziergängen. Bei unserem letzten Italienaufenthalt hatten wir herausgefunden, dass man häufig einen freien Internetzugang auf öffentlichen Plätzen hatte, für den man aber eine inländische Handynummer brauchte. Daher schauten wir uns nun nach einer günstigen Prepaied-Karte um, die uns bei unseren Internetbedürfnissen helfen konnte. Leider war das nicht so einfach wie gedacht, denn die ansässigen Händler vertrieben nur Verträge oder Aufladecodes. Nirgendwo aber konnte man eine Karte kaufen. Hinzu kam, dass die Handyladenverkäufer offensichtlich keine Ahnung von ihrem Geschäft hatten und meist nichteinmal wussten, was überhaupt eine Prepaied-Karte war.

Als wir den Pfarrer kurz vor Einbruch der Dunkelheit trafen, stellte er uns eine verlassene Wohnung zur Verfügung. Der einzige Haken war, dass es hier kein Wasser gab, so dass man leider nicht aufs Klo gehen konnte. Aber wer braucht so etwas auch schon? Als Ausgleich bekamen wir dafür eine Pizza geschenkt. Ein Deal, mit dem man leben konnte.

Am Abend konnten wir mit dem Wassermangel recht gut tanzen, doch am Morgen bahnten sich dringende Bedürfnisse an, die unweigerlich erledigt werden wollten. Dies war der Unterschied, wenn man in der Zivilisation ohne Wasser auskommen musste. Im Wald machte es nichts, da konnte man einfach an einen Baum kacken, aber hier mitten in der Stadt? Heiko suchte sich zu diesem Zweck einen Weg aus dem Ort hinaus ins Hinterland, ich entschied mich für die Bar, in der ich am Vortag das Internet nutzen durfte.

Nachdem jeder von uns sein persönliches Paket losgeworden war, machten wir uns auf die Suche nach der Post um von dort unsere Kamera wegzuschicken. Heiko hatte sie professionell in die Pizzakartons von gestern Abend eingepackt und darin sollte sie nun die Reise nach Deutschland antreten. Zu unserem Erstaunen war das Postamt vollkommen leer. Das war uns in Italien noch nie passiert. Normalerweise musste man immer mindestens eine Stunde anstehen, selbst wenn nur ein einziger Kunde vor einem in der Schlange stand. Sollte es heute vielleicht wirklich einmal schnell gehen?

Nein, so weit waren wir dann doch nicht. Alles wurde wieder einmal viel komplexer als gedacht.

„Welchen Tarif wollen Sie denn?" fragte der Beamte, als er unser Päckchen in der Hand hielt.

„Keine Ahnung?" antwortete ich, „welche gibt es denn?"

„Oh, Problem, Problem, Problem!" rief der Beamte bestürzt, dem jetzt auffiel, dass er kein Englisch sprach und dass er uns eine Verständigung auf Italienisch nicht zutraute. Schnell lief er in der ganzen Poststation umher, um einen englischsprachigen Kollegen zu finden, scheiterte jedoch kläglich und setzte sich wieder zu uns an den Tresen.

„Es gibt versicherten und unversicherten Versand", erklärte er uns.

„Was kostet was?" fragte ich.

„Vierzehn Euro!" antwortete er.

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„Nehmen wir!" sagte Heiko prompt und eröffnete damit den eigentlich komplexen Teil des Unternehmens. Denn jetzt ging es darum, die Sendeadresse auf das Paket zu bekommen. In Deutschland läuft das in aller Regel so: Man kommt aufs Postamt, nimmt sich einen der Aufkleber, die überall herumliegen, füllt ihn aus, klebt ihn auf das Paket und damit ist die Sache erledigt. Hier sah das anders aus. Es gab keine Aufkleber, die auslagen. Man bekam sie erst, wenn man am Schalter stand, damit alle anderen Kunden warten mussten, wenn man ausfüllte. Doch auch damit war die Sache noch nicht erledigt. Denn man klebte den Zettel nun nicht einfach aufs Paket. Der Postbeamte nahm ihn zu sich und schrieb ihn noch einmal komplett ab, wobei er sorgsam darauf achtete, die ordentliche und gut leserliche Schrift des Kunden wieder in eine chaotische Schmiererei umzuwandeln. Anschließend musste dann alles noch ein drittes Mal in den Computer eingegeben werden und erst dann war die Prozedur vorbei.

Zum ersten Mal seit wir Italien erreicht hatten, kam heute eine Strecke auf uns zu, die ein bisschen hügeliger war. Nicht viel, aber doch so, dass wir uns wieder daran erinnerten, wie anstrengend die Berge gewesen waren. Die höchste Erhebung hatte vielleicht fünfzig Meter, aber sie reichte aus, das man von hier aus über das komplette Land blicken konnte. Links wie rechts konnte man das Meer sehen und auf der rechten Seite erkannte man dahinter sogar wieder den Rest des italienischen Schuhs. Rings um uns herum gab es ansonsten nichts als flaches Land, Olivenplantagen und immer wieder einige Häuseransammlungen. Fast jede Stadt, die wir in Italien bereist hatten, konnte man von hier aus sehen.

Das Prinzip, im ersten Dorf keinen Pfarrer zu treffen und anschließend von Nonnen weitergeschickt zu werden, schien langsam eine Tradition zu werden. Heute jedenfalls war es wieder genauso. Der zweite Ort lag bereits so sehr in Hanglage, dass man sich genau überlegen musste, welche Straße man einschlagen wollte, um nicht alles wieder hinauflaufen zu müssen. Vor der Kirche traf ich auf die Mitarbeiter einer Pizzeria, die den Pfarrer für mich anriefen. Er verwies jedoch lediglich auf einen Dominikanerorden, der etwas weiter unten im Ort angesiedelt war.

Als ich dort an der Tür klingelte, öffnete sich über mir ein Fenster aus dem ein dunkelhaariger Mann mit Bart und Pfarrerkrause auf mich herabblickte. Ich musste meine Bitte also nach oben hinaufschreien und bekam die Antwort heruntergebrüllt.

„Wir haben keine Unterkünfte für Pilger!" rief er. Anbetracht des riesigen Komplexes zu dem das Fenster gehörte, aus dem er dort brüllte, lag die Betonung wohl eher auf „Nicht für Pilger", als auf „Keine Unterkünfte". Daher versuchte ich es mit allen Überredungskünsten, ihn dazu zu bringen uns trotzdem für eine Nacht aufzunehmen. Zumindest schaffte ich es, dass er sich von seinem Fenster hinunter zur Tür bewegte. Hier erklärte er mir dann noch einmal, dass die Zimmer nur für die Pfarrer und Brüder gedacht sind und dass sie leider keine zusätzlichen Räume für fremde Reisende besaßen. Daher täte es ihm Leid, wenn er uns abweisen müsse. Später fand ich heraus, dass es insgesamt noch vier Männer gab, die in dem Komplex lebten.

Während wir uns unterhielten tauchte ein zweiter Mann neben dem ersten in der Tür auf. Er war deutlich korpulenter als der erste und offensichtlich auch etwas mehr als sein Schneider es von ihm gedacht hätte. Denn sein Hemd reichte leider nicht komplett um seinen Körper, so dass er es nur von oben angefangen bis knapp unter die Brustwarzen zugeknöpft hatte. Der Rest war offen und wurde von seinem Bauch so sehr auf die Seite gedrückt, dass es den Blick auf sein prall gespanntes Unterhemd freigab. Um keinen Stilbruch zu begehen, hatte er sich auch bei den Beinkleidern für die gleiche Taktik entschieden. Die Hose gab sich sicher alle Mühe, über seinen Hintern zu passen und ich bin sicher, dass sie für ihre Arbeit einen Orden verdiente, doch auch sie hatte letztlich keine Chance. Was zu viel war, war zu viel! So wie auch das Hemd musste sie daher vorne offen bleiben. Das einzige, was wirklich um den Körper passte, war das Unterhemd. Es verdeckte sowohl den Bauch als auch den Hintern und schaute in einem langen Zipfel sogar noch vorne aus der offenen Hose heraus.

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Abgesehen von seinem etwas unorthodoxen Kleidungsstil war der Mann aber ein netter, freundlicher Kerl, der sich sofort auf meine Seite schlug und seinen Klosterbruder überredete, uns doch noch aufzunehmen.

„Komm schon, sie brauchen doch nur eine Nacht!" drängte er.

Nun wollte sein bärtiger Kollege unsere Ausweise sehen, was ja schon mal ein Schritt in eine vielversprechende Richtung war. Ich zeigte ihm bei der Gelegenheit gleich auch unseren Pilgerpass mit all den Stempeln von Rotenburg über Santiago und Fatimá bis Rom und Assisi. Zum ersten Mal war er beeindruckt und langsam bröckelte seine Wand der Ablehnung und sein Gesicht erhellte sich. Wer hätte gedacht, dass uns das Stempelsammeln doch noch einmal so nützlich werden konnte?

„Ok," sagte er schließlich, „ab wann braucht ihr das Zimmer?"

„Wenn möglich ab jetzt, denn wir haben noch einige Dinge, an denen wir gerne arbeiten würden."

„Oh, das ist schlecht! Das ist wirklich schwierig!" sagte er und begann bereits wieder die Stirn zu runzeln.

„Warum?" fragte ich, „Wo ist das Problem?"

Er führte einige Gründe auf und erzählte verschiedene, sich wiedersprechende Dinge über Besprechungen, Zusammenkünfte und allerleih Vorhaben. Sein Kollege schaute ihn verwirrt an und fragte: „Echt? So etwas haben wir heute vor? Davon wusste ich ja gar nichts!"

Etwas verärgert über so wenig Rückendeckung schaute der Bartträger den Hemdzipfelmann an. Dann wandte er sich wieder an mich und forderte mich auf, Heiko anzurufen, damit er herkommen konnte.

„Geht nicht", erklärte ich, „wir haben nur ein Telefon und das habe ich bei mir. Ich muss also kurz hinlaufen. Es dauert aber nur 10 Minuten."

„Nein, nein!" wandte der Mann ein, „das wird zu knapp, so viel Zeit haben wir vor der Besprechung nicht mehr!"

Wieder begann eine Diskussion, die etwa fünf Minuten in Anspruch nahm, bevor er mich dann doch losziehen ließ.

Zehn Minuten später standen wir nun gemeinsam vor der Tür und ich klingelte erneut. Dieses Mal öffnete der Dicke, der offenbar auf sein wenig gesellschaftsfähiges Äußeres aufmerksam gemacht worden war und seine Kleider nun geordnet hatte. Der Bartträger kam hinzu, jetzt in aller Ruhe weil die erfundene Besprechung wohl etwas nach hinten verlegt wurde. Er führte uns in einen Versammlungsraum und bat uns, die Wagen hier abzustellen.

„Nehmt alles mit, was ihr braucht, denn später kommt ihr nicht mehr hier rein!" sagte er mit Nachdruck.

Wir packten also alles aus, was wir vielleicht brauchen könnten und folgten den beiden Brüdern dann wie zwei überladene Packesel. Die Tür zum Verhandlungsraum blieb offen stehen und das änderte sich auch den Rest des Tages nicht mehr.

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Unsere Quartiere lagen im dritten Stock. Jeder von uns bekam sogar ein Einzelzimmer. Der Rest der Etage stand vollkommen leer. Wären wir nicht zu zweit, sondern mit je einem ganzen Fußballteam inklusive Ersatzspieler angereist, hätten wir noch immer kein Problem gehabt, alle unterzubringen.

„Müsst ihr noch einmal nach draußen?" fragte der Bartpfarrer, „das ist nämlich etwas problematisch, weil wir euch leider keinen Schlüssel geben können. Ihr könnt zwar jederzeit raus, aber ihr kommt dann vielleicht nicht wieder rein."

„Sie können doch einfach klingeln!" wandte der Dicke ein und setzte wieder seinen typischen, verwirrten Blick auf, den er immer zeigte, wenn sein Klostergenosse etwas erzählte, das er nicht nachvollziehen konnte.

„Das ist schon richtig, aber wir wissen ja nicht, wann wir da sind und wann nicht!" erklärte der andere seine Bedenken.

„Wieso dass denn?" fragte der Dicke, „Wir sind doch immer da!"

Langsam war die ganze Geschichte mit den erfundenen und widerlegten Problemen so paradox, dass wir uns ein breites Grinsen nicht mehr verkneifen konnten. Wir einigten uns darauf, dass wir bescheid geben würden, wenn wir noch einmal nach draußen mussten um nach Essen zu fragen. Als die beiden gegangen waren, fiel uns auf, dass der Skeptiker-Pfarrer seinen Generalschlüssel vor lauter Aufregung in unserer Tür hatte stecken lassen. Abgesehen davon befand sich an jedem der Zimmerschlüssel auf unserer Etage auch ein Schlüssel, mit dem man das Hauptportal öffnen konnte. Es gab also nicht den Hauch eines Problems.

Etwas später kamen die beiden noch einmal zu uns herauf und brachten uns Brötchen, Äpfel und Kuchen. Es schien, als hätte der Bartmönch seinen Widerstand gegen Gäste nun endgültig aufgegeben.

Spruch des Tages: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Höhenmeter: 1270 m

Tagesetappe: 33 km

Gesamtstrecke: 12.801,27 km

Wetter: bedeckt

Etappenziel: Zeltplatz in einer Sandkuhle, 600 Höhenmeter oberhalb von 89058 Solano Superiore, Italien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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