Tag 769: Sabotage im Kloster

von Heiko Gärtner
13.02.2016 01:50 Uhr

Wieder überspringen wir zwei Tage, denn über Silvester und Neujahr haben wir euch ja bereits Silvester und Neujahr berichtet. Es nun alo gleich mit den Erlebnissen der ersten Januartage weiter.

02.01.

Wir durften bei drei kleinen Nonnen übernachten, von denen eine die wahrscheinlich knuffelligste Frau war, der wir je begegnet sind. Sie war 77 Jahre alt, hieß Emilia und war ein zartes Persönchen von gerade einmal einem Meter und fünfzig. Man musste sie nur ansehen um sie ins Herz zu schließen, denn sie hatte ein so fröhliches, sonniges und lebensfrohes Gemüt, dass sie einen sofort zum Strahlen brachte. Auch die anderen beiden waren liebe Frauen, doch ohne Emilia hätten sie sich ihren Frohsinn niemals bewahren können. In den letzten Wochen waren wir zu so vielen Nonnenklöstern gekommen und hatten fast immer nur verbitterte, alte Damen getroffen, die sich hinter ihren Klostermauern versteckten und versuchten, jeden so gut es ging davon fernzuhalten. Es gibt keinen Zweifel, dass auch diese Nonnen freundlich und offenherzig gewesne wären, wenn es unter ihnen nur eine Emilia gegeben hätte, die ihnen die innere Fröhlichkeit vorgelebt hätte.

Mehr pantomimisch als mit Worten erzählten wir von meinem Missgeschick mit dem dafongeschwommenen Schuh und fragten, ob sie vielleicht eine Charitasstation hätten, in der ich einen neuen Schlappen finden könnte. Sofort nahm Emilia diese Bitte als eine persönliche Mission an und kümmerte sich für den Rest des Nachmittages immer wieder um Möglichkeiten, mir einen Schlappen zu organisieren. Als erstes führte sie uns zu einer alten Kapelle, die zu einem Spendenlager umgewandelt worden war. Doch sie konnte uns nicht hineinlassen. Aus irgendeinem Grund wollte der Schlüssel nicht ins Schloss passen. Wir untersuchten das Problem genauer und stellten fest, dass jemand Sekundenkleber in das Schlüsselloch geschmiert hatte, um es zu verkleben. Als wir später beim Essen darüber sprachen, hatten die Nonnen sofort einen Verdacht. Es musste hier ein paar junge Burschen geben, die sich vor kurzem darüber aufgeregt hatten, dass sie unter den Spenden nicht das gefunden hatten, was sie eigentlich wollten. Später hatte Emilia sie dann an der Kapelle herumlungern sehen, jedoch nicht verstanden, was sie dort genau anstellten.

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Zum Glück hatte die alte Dame eine schwarze Nonnenhaube auf dem Kopf, die mit Stecknadeln fixiert war. Mit Hilfe einer solchen Nadel konnten wir das Schloss wieder freikratzen und am Ende sprang das Schloss tatsächlich auf.

"Hier seht ihr eine großartige Unordnung!" sagte Emilia, als wir in den dunklen Raum traten. Damit hatte sie nicht ganz unrecht. An beiden Seiten standen große Regale die mit Worten wie "Kinderkleidung", "Schuhe", "Pullover für Damen" und so weiter beschriftet waren, doch in keinem der Fächer befand sich das, was darauf stand. Am Boden lagen große Tüten herum und alles wirkte als hätte hier gerade ein Vandale gehaust. Später sollte sich herausstellen, dass dies wahrscheinlich sogar wirklich geschehen war.

Schlappen in meiner Größe fand ich leider keine. Das einzige, was einigermaßen in die Nähe kam, waren Spiderman-Hausschuhe für Sechsjährige und hochhackige Damensandalen mit goldenen Riemchen. Eigentlich stand schon nach zwanzig Sekunden fest, dass wir hier nicht weiterkamen, doch Emilia wollte so schnell nicht aufgeben. Sie entschuldigte sich mehrfach dafür, dass sie nichts finden konnte und suchte immer weiter. Dabei ließ sie sich nicht durch unsere Worte irritieren, mit denen wir ihr versicherten, dass es kein Problem sei, wenn ich ein paar Tage ohne Schuhe auskommen musste.

Plötzlich tauchte ein junger Mann in der tür auf und fragte nach dem Pfarrer. Er musste so um die 20 Jahre alt gewesen sein und war kein gebürtiger Italiener. Dass der Pfarrer nicht da war, störte ihn wenig und er sah die offene Tür zur Charitas gleich einmal als Einladung an, um einzutreten und sich zu bedienen. Dabei ging er ohne jeden Respekt und ohne jede Achtung vor. Er riss Pullover und T-Shirts aus dem Regal und warf sie achtlos wieder irgendwo hin. Dann ging er weiter zum nächsten, stopfte irgendetwas in irgendeinen Sack, warf Dinge zur Seite die ihn nicht interessierten und riss alles heraus, was ihm irgendwie nützlich sein könnte. Emilia versuchte ihm zu helfen, das zu finden, was er suchte, doch er meckerte und moserte nur herum, und fuhr sie sogar einige Male an. Wir selbst waren so baff vom Verhalten dieses Mannes, dass wir nicht wussten, ob wir ihn zurechtweisen, rauswerfen oder einfach nur fassungslos weiter beobachten sollten. Wir waren ja nur Gäste und wussten nicht, was für ein Umgang hier normal war. Ehe wir uns jedoch versahen war die ganze Situation auch schon wieder vorbei und der Mann verschwand mit vier großen Scken voller Kleidung und Decken. In zwei der Säcke hatte er nicht einmal einen Blick geworfen. Er nahm erst einmal alles mit und warf dann das weg, was er nicht brauchte. Im dritten sack befand sich eine Decke. Emilia hatte ihm dabei geholfen, sie in eine Tüte zu stecken, doch er hatte sich so dämlich dabei angestellt, dass es nicht funktionieren konnte Stattdessen hatte er dann kurzerhand einen Sack mit Kleidern vom Boden genommen, ihn achtlos ausgekippt und seinen Inhalt durch den ganzen Raum verteilt, um dann den leeren Sack als Hülle für seine Decke verwenden zu können. Als er ging, drehte er sich nicht um, bedankte sich nicht und grüßte nicht einmal zum Abschied. Plötzlich konnten wir wieder verstehen, warum so viele Nonnen keine Lust mehr hatten, den Menschen zu helfen. Wenn das der Dank war, dann musste man ja irgendwann erkalten und verbittern.

Nicht aber Emilia. Sie schüttelte kurz den Kopf, entschuldigte sich noch einmal dafür, dass sie uns keine Schuhe geben konnte und war sofort wieder in ihrer gewohnten Fröhlichkeit angekommen. Später kam sie dann noch einmal in unseren Saal und brachte zwei Paar Turnschuhe mit. Sie hatte in der Ortschaft herumtelefoniert und gefragt, ob nicht irgendjemand Schuhe für uns hätte, die er spenden würde. Beide Paare waren alt, halb verfallen und viel zu klein. "Ich hab mir schon fast gedacht, dass es nichts für euch ist", meinte Emlia locker, "Aber einen Versuch war es wert!"

Am Nachmittag unternahmen wir noch einen kleinen Spaziergang zu einer Schule, die in dieser Woche zu einem Jugendcamp umgebaut worden war. Bevor wir die Nonnen getroffen hatten, haben wir mit dem Pfarrer telefoniert, der nicht im Ort war, uns als Schlafplatz aber einen Raum bei den Freiwilligen angeboten hatte. Daraufhin war eine junge Frau zu uns gekommen, die uns eingeladen hatte, sie und ihre Leute zu besuchen. Es war eine Gruppe von rund 150 Kindern und Jugendlichen aus ganz Italien, die normalerweise so eine Art Pfadfinder waren und hauptsächlich Missionsreisen nach Lateinamerika unternahmen. Um Geld für ihre Projekte zu bekommen hatten sie sich nun für eine Woche hier zusammengefunden und halfen bei der Orangenernte auf den Feldern. Das Angebot der jungen Frau war sehr nett gewesen, doch die Aussicht auf einen Gruppenschafsaal mit fünfzig Jungen zwischen 8 und 18 Jahren verlockte uns nicht ganz so. Deshalb hatten wir uns dann letztlich für die Nonnen entschieden. Doch einen kurzen Besuch wollten wir ihnen nun schon einmal abstatten. Als wir ankamen war die Schule jedoch leer. Alle befanden sich irgendwo im Umkreis auf den Feldern. Nur ein paar kleine Kinder, ein großer Berg an Rucksäcken und riesige Türme von übereinander gestapelten Essenskisten verrieten die Anwesenheit der Gruppe.

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03.01.

Der Himmel war bereits am Vormittag stark bewölkt gewesen und es sah immer wieder nach Starkregen aus. Doch als er dann schließlich kam, kam er so plötzlich, dass wir uns nicht darauf vorbereiten konnten. Innerhalb von nur dreißig Sekunden waren wir nass bis auf die Haut. Wir schafften es nicht einmal, unsere Regenkleidung überzuziehen, ehe wir durch waren. Eine halbe Stunde prasselte es dann auf uns ein, als wollte es uns erschlagen. Dann hörte es wieder auf und später kam sogar die Sonne wieder durch. Über den Bergen zeichnete sich ein prächtiger Regenbogen ab, der fast genau an der Stelle endete, an der sich unser Zieldorf befand.

Einen Goldschatz fanden wir dort leider nicht aber dafür einen warmen und trockenen Schlafplatz. Zum ersten Mal in Italien durften wir in einem Altenheim übernachten. Für uns war das eine super Sache, denn anders als die meisten Klöster und Gemeindesäle, sind die Altenheime sogar hier geheizt. Der Blick hinter die Kulissen dieser Einrichtung brachte uns dann aber auch noch aus einem anderen Grund ganz schön ins Schwitzen. Vergesst alles, was ihr jemals über irgendein Altenheim in Deutschland erfahren habt, von dem ihr glaubtet, die Zustände seien schlimm. Egal wie gräßlich die Verwahrung dort auch sein mag, hier ist es bedeutend schlimmer. Die Zimmer, waren keine Zimmer, es waren Zellen. Und zwar Zellen von der Art, dass es sogar ein Gefangener in einem Hochsicherheitsgefängnis noch gemütlich dagegen hatte. Wir bekamen eine Kammer am Rande des Flurs. Sie war so verwinkelt, dass man sich darin kaum bewegen konnte. Unser erster Gedanke war, dass es sich dabei um ein Notfallzimmer handelte, das vorübergehend an Menschen vergeben wurde, die spontan ankamen, obwohl noch kein Zimmer frei war. Doch als wir unsere stinkenden Schuhe wie üblich im Schrank verstecken wollten, damit wir nicht alle Anwesenden in den Erstickungstod trieben, stellten wir fest, dass der Schrank noch voller Kleider war. Unsere zweite Vermutung war es daher, dass die Bewohnerin unseres Zimmers vor kurzem verstorben war und dass ihre Angehörigen noch nicht dazu gekommen waren, ihre Habseligkeiten gänzlich abzuholen. Doch auch dies war ein Irrtum. Die Pflegerin erzählte uns kurz darauf, dass die Dame, die hier normalerweise lebte, eine Hüftoperation bekommen hatte und sich derzeit noch in der Reha-Klinik befand. Wir waren also in einem Zimmer, das noch immer fest bewohnt war. Jetzt kam es uns gleich noch viel trostloser vor. Die Wänder waren kahl und kalt. Bis zur Hälfte waren sie mit einer mitgrünen Lackfarbe gestrichen, die man verwendet, damit man Flüssigkeiten gut wieder abwischen kann. Das Bett war in drei Schichten mit Plastiplanen bezogen worden. Dass man Gummimattratzen verwendet, wenn ein Bewohner inkontinent ist, ist ja absolut nachvollziehbar, aber einem Menschen zuzumuten komplett in knisternder Plasitfolie zu schlafen, war schon etwas sehr herzlos. An der Wand gegenüber der Tür hing ein einziges kleines Bild mit einer betenden Maria darauf. Das war alles, was hier ein bisschen Farbe hineinbrachte. Die Tür selbst war vollkommen aufgequollen und ließ sich nur noch mit viel Druck öffnen und schließen, wobei es jedes Mal ein lautes Scharrgeräusch gab. Ein eigenes Badezimmer hatten die Bewohner nicht. Es gab Toiletten mit Duschen auf dem Gang, die sich aber nicht abschließen ließen. Eine alte Dame, die so gebrächlich war, dass sie sich nicht traute, die Tür zu schließen stand gerade mit heruntergelassener Hose vor der Kloschüssel und wischte sich den Hintern ab. Die halbe Bewohnerschaft schaute ihr dabei zu. Sonst gab es hier eh nicht viel zu sehen. Nicht einmal einen Fernseher hatten sie zur Verfügung. Im ganzen Haus gab es einen, der auf dem mittleren Flur in einer Ecke stand. Die Stühle davor waren so tief, das nicht einmal wir aus ihnen wieder hoch kamen. Wie musste es dann erst für die alten Herrschaften sein?

Bis spät in die Nacht hinein liefen einge Bewohner im Haus herum und redeten Laustark mit sich selbst. Viele Altsheimer-Patienten waren unter den Bewohnern und die Treppenaufgägne waren, sicherheitshalber mit einer Art Gartentor abgesperrt, damit niemand hinunterstürzte. Viele der Bewohner verhielten sich ähnlich wie die kleinen Kinder, die wir beim Kommunionsunterricht erlebt hatten. Doch einen Rentnerbonus gab es in diesem Land anscheinend nicht. Die Pflegerinnen empfahlen uns, uns vor allem in der hinteren Ecke des Flurs aufzuhalten, denn dadurch würden wir den Kontakt mit den Rentnern vermeiden. Wären es Kinder gewesen, hätte es nur geheißen: "Es sind ja nur Kinder", doch wenn sich alte Menschen genauso verhalten, dann sagt niemand "Es sind ja nur Rentner". Wieso eigentlich? Ist das nicht ungerecht?

Spruch des Tages: In diesen Roben kann man einfach nicht laufen, ohne ständig draufzutreten!

Höhenmeter: 220 m

Tagesetappe: 12 km

Gesamtstrecke: 13.689,27 km

Wetter: sonnig aber frisch

Etappenziel: Gemeindehaus der Kirche, 82018 San Giorgio del Sannio, Italien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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