Tag 789: Terrorverdacht

von Heiko Gärtner
28.02.2016 23:12 Uhr

08.02.2016

Die Kirschen blühten bereits, die Sonne strahlte und es wurde ein herrlicher Frühlingstag. Nur wenn der Wind ging, wurde es etwas frisch. Heydi war begeistert von dem Bergpanorama, das uns umgab und an das wir uns bereits so sehr gewöhnt hatten, dass wir es kaum noch richtig wahrnahmen. Auch uns freute es jeden Tag, doch wir sahen es nicht mehr als etwas besonderes an. Das änderte sich nun schlagartig durch unseren neuen Gast. Es war schön, alles noch einmal so zu erleben, als wäre es etwas vollkommen neues. Und es tat gut, dass auch sie von den aggressiven Hunden angebellt wurde und bereits nach geringer Zeit kurz vorm Durchdrehen war, was die Biester anging. Manchmal glaubten wir schon, dass es nur an uns lag und dass wir einfach so viel Wut in uns trugen, dass wir die Hunde magisch anzogen. Das stimmte natürlich auch, denn sie waren ja nichts anderes als Spiegel. Doch in Italien waren die Hunde schon besonders deutliche Spiegel und reagierten wirklich auf jeden so krass, nicht nur auf Heiko und mich.

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Unser Zielort war ein kleineres Bergdorf, in dem wir einige Schwierigkeiten hatten, einen Schlafplatz zu finden. Der Pfarrer war ein alter Griesgram, der sogar Don Luca eine Abfuhr erteilte, als er sich am Telefon für uns einsetzte. Dafür trafen wir auf eine sehr nette und hilfreiche Rathausmitarbeiterin, die sich für uns ins Zeug legte, wie es nur ging. Als erstes rief sie in einem Franzikanerkloster auf der anderen Hangseite an. Prinzipiell waren die Mönche Gästen nicht abgeneigt, doch sie waren alt und ängstlich und trauten sich nicht, jemanden aufzunehmen, den sie nicht kannten. Wir könnten ja schließlich auch von der ISIS sein.

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Wieder diese ISIS! Es war nun bereits das sechste oder siebte Mal, das man uns mit der Begründung ablehnte, diese Welt sei nicht mehr sicher, wegen der Terroristen, die überall herumlaufen. Liebe ISIS, ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich nicht auf dem Laufenden bin, was die Terroranschläge in letzter Zeit anbelangt. Ich weiß nicht ob es sie überhaupt gab, ob ihr etwas damit zu tun habt, oder nicht, ob es euch überhaupt gibt oder ob alles mal wieder nur ein geschicktes Schauspiel der Elite und unserer Regierungen ist. Wer immer ihr auch seit, ihr habt bestimmt gute Gründe, um das zu tun, was ihr da tut. Vielleicht seit ihr wegen irgendetwas mächtig sauer auf die Menschheit und wollt eurer Wut irgendwie freien Lauf lassen. Das kann man ja alles irgendwie verstehen. Aber was überhaupt nicht in Ordnung ist, ist dass ihr mit euren Aktionen alle armen alten Mönche von Italien verängstigt und Wanderern damit das Leben unnötig schwer macht! So etwas macht man einfach nicht! Hört auf damit und entschuldigt euch!

War das jetzt unangebracht?

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Ok, Sarkasmus beiseite! Fakt ist auf jeden Fall, dass die Angst hier geschürt wird wie ein Hochofen und dass das für uns überhaupt nicht hilfreich ist. Für die Menschen aber auch nicht. Als wir neulich zu Gast bei der Misericordia, dem italienischen Rettungsdienst waren, lag dort eine Vereinszeitschrift auf dem Tisch. Normalerweise stehen dort Artikel drin wie "Nächstes Landestreffen findet am 16.07.2016 in Bari statt" oder "Vorsitzender der Misericordia zu Gast beim Papst". Die Titelstory dieser Ausgabe lautete jedoch "Terrorismus! Wie er unser Alltagsleben beeinflusst" Die gesamte Berichterstattung ist auf Angstpropaganda ausgerichtet und das merkt man den Menschen hier wirklich an. Es ist unglaublich schade, denn dadurch nehmen sie sich selbst so viel Lebensfreude, dass sie kaum noch richtig als Menschen erkennbar sind. Und es hilft ja auch niemandem weiter. Im Gegenteil! Die Gefahr wird dadurch sogar noch etwas größer. Angenommen wir wären wirklich drei wanderne Terroristen, die mit ihren Pilgerwagen voller Waffen durch die Lande ziehen, bekleidet mit himmelblauen Regenjacken und einem neonpinken Plastikregencape, um in den italienischen Bergen die Klöster von alten Mönchen heimzusuchen und mit Selbstmordattentaten genau jene alten Säcke in die Luft zu sprengen, die wenige Tage später ohnehin gestorben wären. War es dann wirklich sinnvoll, uns zu verärgern? Wenn wir doch auf einem solchen Kreuzzug waren, dann suchten wir uns wohl kaum jene Klöster aus, die uns freundlich begegneten. Wenn dann sprengten wir doch eher die, die uns ablehnten. Oder sehe ich das falsch?

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Zum Glück fand unsere Ansprechpartnerin von der Stadt die ganze Terroristenkiste genauso lächerlich wie wir selbst und so hatten wir gleich einen guten Einstieg in ein lockeres Gespräch. An dessen Ende organisierte sie uns eine Übernachtungsmöglichkeit in einem kleinen Nachbardorf, in dem ihre Schwester wohnte. Vor einiger Zeit war hier die Mutter der Frau verstorben, der die Bar gehörte und seither wurde es nur noch für Gäste oder Feiern genutzt. Heute wurden wir hierher eingeladen. Das Dorf umfasste insgesamt 40 Einwohner, von denen wir die meisten bereits bei unserer Ankunft kennenlernten. Abgesehen von dem etwas sonderbaren Mann, der plötzlich und unvermittelt in unserem Wohnzimmer stand und den Fernseher auf volle Pulle anschaltete, waren die meisten umgängliche und freundliche Leute. Wir bekamen etwas zum Essen und sogar ein paar Scheite Holz, damit wir uns ein Feuer im Kamin machen konnten. Der einzige Haken war, dass es in der Küche kein Fenster und zur Küche keine Tür gab. Es wurde also recht schnell wieder kalt, was ungünstig war, da Heydi nur einen dünnen Schlafsack und eine Yogamatte zum Schlafen dabei hatte. Dafür gab es aber ein lustiges Diskolicht mit dem man fast so etwas wie eine Lasershow erzeugen konnte. Genau die richtige Stimmung also, um sich für eine erste Lektion in Sachen Fußreflexzonenmassage vorzubereiten. Dieses Mal waren Heiko und ich an der Reihe, um uns gegenseitig zu massieren. Gestern hätte ich noch nicht gedacht, dass Heydi bei ihrer Massage im Vergleich zu Heiko so sanft war. Man muss allerdings auch dazu sagen, dass die Füße am zweiten Tag auch weitaus sensibler werden.

Spruch des Tages: Immer dieser Terrorismus

Höhenmeter: 90 m

Tagesetappe: 20 km

Gesamtstrecke: 14.056,27 km

Wetter: sonnig und warm aber windig

Etappenziel: Gemeindesaal in der Kathedrale, 76012 Canosa di Puglia, Italien

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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