Tag 864: Heydi ist zurück

von Heiko Gärtner
15.05.2016 17:40 Uhr

25.04.2016

Spätestens am Abend waren wir heilfroh, dass wir ein Dach über dem Kopf hatten. Denn so ereignislos und ruhig der Tag bisher verlaufen war, so turbulent und heftig wurde der Abend. Von einer Minute auf die nächste verdunkelte sich der Himmel und ein Unwetter der Extraklasse brach über uns hinein. Wir sind wirklich nicht empfindlich oder ängstlich, was Gewitter anbelangt, aber einige der Donnerschläge waren so heftig, dass wir unvermittelt zusammenzuckten. Gleichzeitig kam ein eisiger Wind auf, der uns sofort ins Innere unserer kleinen Hütte trieb. Durch das zerbrochene Fenster schauten wir hinaus und beobachteten den Weltuntergang. Doch am nächsten Morgen ging die Sonne trotzdem wieder auf. Wir packten unsere sieben Sachen zusammen und machten uns auf den Weg. Ich hielt noch einmal bei dem freundlichen Mann, der uns den Schlüssel gegeben hatte, um selbigen wieder zurück zu bringen und um etwas Wasser aufzutreiben. Heiko setzte sich währenddessen auf eine Bank und telefonierte mit seinen Eltern. Kaum hatte er Platz genommen, da kam auch schon eine Frau auf ihn zu und schimpfte wie ein Rohrspatz auf ihn ein. Heiko verstand kein Wort und er wollte es auch gar nicht, denn er war ja am Telefonieren. Doch die Alte hörte nicht auf.

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„Kruzifix! Siehst du nicht, dass ich telefoniere?“ platzte es irgendwann aus ihm heraus. Doch der Frau war das egal. Durch ihre Gesten verstand Heiko nun auch, was sie von ihm wollte. Sie beschuldigte ihn, das Vorhängeschloss von ihrem Gartentor gestohlen zu haben, dass sie kurz zuvor selbst beiseite gelegt und dann vergessen hatte. Heiko hatte keine andere Wahl, als zu gehen und sich einen Platz auf dem Boden zu suchen, denn die Frau hörte und hörte nicht auf. Sie war eine von den Personen, die einem den Aufenthalt hier in Griechenland vermiesen konnten. Es war einfach keine angenehme Art, vollkommen rücksichtslos auf jemanden einzureden, obwohl dieser gerade mitten in einem Gespräch war. Und dass sie einen dabei noch des Diebstahls beschuldigte, nur weil man fremd war, machte die Sache nicht gerade besser. Da war uns die Natur außerhalb der Ortschaften doch deutlich lieber. Obwohl auch hier auffällig war, dass von der sonst üblichen Harmonie hier auch nicht mehr allzu viel übrig war. Es wirkte, als würde die gesamte Natur die innere Unausgeglichenheit und den Unfrieden der Menschen spiegeln. Grillen, Spatzen, Schwalben, Frösche, Hunde, sie alle verhielten sich vollkommen unnatürlich, so als wären sie in Panik oder in einer Wutspirale gefangen. So als führten sie einen aggressiven Krieg gegeneinander. Zunächst war uns dies nur in Ortsnähe aufgefallen, aber nun schien es fast die ganze Landschaft zu erfüllen. Erst als wir auf schmalen Waldwegen hinter die Bergspitzen gelangten, wurde es etwas stiller.

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Der Regen von gestern hatte den Boden aufgeweicht und ihm die ideale Struktur gegeben, um Fußabdrücke in sich aufzunehmen. Und genau das hatte er getan. Er war übersät von den unterschiedlichsten Fußspuren. Sofort war unser Forscherdrang gepackt und wir mussten jeden Fußabdruck untersuchen und deuten. Da waren Spuren von Schnecken, von Schildkröten, von Wildschweinen, einem Marder, einem Dachs, einigen Schlangen und sogar von Elchen. Moment! Von Elchen? Elche gibt es hier doch gar nicht! Aber wo kommen dann diese Spuren her? Sie sahen aus wie Rehspuren, aber sie waren Riesig. Wirklich riesig. Wenn man von Ihnen und von den Trittabständen auf die Körpergröße schloss, dann kam man bei einer Schulterhöhe an, die fast auf unsere eigenen Körperhöhe lag. Wahrscheinlich war es ein Rothirsch, aber einer der mächtigsten, die wir je gesehen hatten. Oder besser: gesehen hätten, denn zu Gesicht bekamen wir ihn leider nicht. Nur seine Spuren. Unten im Tal lag ein mittelgroßes Dorf, in dem es eine Bushaltestelle gab, die diesen Ort direkt mit Thessaloniki verband. Normalerweise waren solche Details für uns ja eher uninteressant, aber heute war dies der Grund, warum wir genau diesen Ort ausgewählt hatten. Denn gegen Abend würde Heydi mit einem der Busse genau hier ankommen und uns dann wieder für einige Tage begleiten. Zunächst mussten wir nun also ein Schlafgemach finden, dass für drei Personen ausgelegt war. Die Aussichten standen recht gut, denn kaum hatten wir den Ort betreten, da wurden wir auch schon von einem Pärchen im Auto auf Deutsch angesprochen und gefragt, ob wir irgendeine Art der Hilfe brauchten. Sie empfahlen uns, den Pfarrer aufzusuchen, der einige Gästezimmer für Reisende besaß. Doch der Pfarrer hatte keine Lust auf Besuch und verleugnete die Existenz dieser Zimmer, obwohl wir sie bereits kannten. Im Rathaus hatten wir jedoch mehr Glück. Dort trafen wir eine Dame, die mit dem Besitzer des Minimarktes verheiratet war, der gleichzeitig auch Vorsteher des Kulturvereins war. Er lud uns zu einer Brotzeit vor seinem Laden ein und sorgte für einen Schlafplatz in einem Mehrzweckraum der Gemeinde. Früher wurden hier Malkurse und viele andere Dinge angeboten. Doch heute standen die Räumlichkeiten fast immer leer. Trotzdem lagen noch immer die Farbbecher mit den eingetrockneten Farben überall herum.

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Das spannendste an der Begegnung war jedoch eine Sache, die uns unser Gastgeber beim Mittagessen erzählte. Dass die griechischen Nachrichten zu reinen Propagandawerkzeugen verkommen waren, die vor allem Angst und Panik schüren sollten, das hatten wir ja bereits mitbekommen. Doch nun waren sie sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Seit fünf Tagen berichteten sie überhaupt nicht mehr. Der angegebene Grund war ein Großstreik, der alle Reporter von allen Medienanstalten betraf. Sowohl die öffentlich rechtlichen Sender als auch die Privaten, einfach alle waren lahmgelegt. Aber nicht vollkommen. Das Programm lief noch, nur eben vollkommen ohne Nachrichtensprecher und andere Moderatoren. Sogar bei Fußballspielübertragungen gab es nun keinen Kommentator mehr. Die Spieler spielten, der Ball rollte über das Feld und ansonsten herrschte Stille. Für unseren Gastgeber stand fest, dass dies nichts mit einem normalen Streik zu tun hatte und wir teilten seine Meinung. Für einen Fernsehsender war es ein leichtes, irgendeinen Deppen vor die Kamera zu setzen und Nachrichten vorlesen zu lassen. Irgendein Streikverweigerer fand sich immer, das war bei jedem Streik so. Vor allem, wenn es so viele unterschiedliche Unternehmen betraf. Wenn alle Privatsender streikten oder alle staatlichen, dann konnte man das vielleicht noch glauben. Aber beide? Sehr unwahrscheinlich! So ein Streik kostet den Sender Millionen, wenn er keine Notfalllösung findet. Und wenn 9 Sender keine finden, der zehnte aber schon, dann bringt es ihm ein Vermögen ein, weil plötzlich jeder zu ihm schaltet. Irgendetwas war also faul an der Sache. Und zwar gewaltig. Vor allem in diesen Zeiten und mit dieser Vorarbeit. Erst wird ordentlich Panik geschürt und dann herrscht plötzlich Funkstille. Wenn da nichts im Busch ist, dann weiß ich auch nicht. Unsere persönliche Vermutung ist ja, dass auf politischer Ebene auf diese Weise neue Gesetze und Freiheitseinschränkungen durchgesetzt werden können, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt. Ob das wirklich so ist, wird sich wohl schon bald zeigen.

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Gegen 18:30 Uhr kam Heydis Bus an und mit ihm stieß unser bislang treuester Weltreisegast wieder zu uns. Doch sie kam nicht allein. Auf ihrem Rücken trug sie einen riesigen Rucksack voller spannender Dinge, die uns von nun an beggleiten werden und für die wir uns gleich zu beginn einmal herzlich bedanken möchten! Zunächst einmal ein herzliches Danke an Handheld und Panasonic für die großartigen und megastabilen Outdoor-Laptops. Zum ersten Mal seit Reisebeginn brauchen wir uns nun keine Sorgen mehr darüber zu machen, dass unsere Computer den Geist auf geben, denn diese Varianten sind wirklich grundsolide und sogar für einen Schussel wie mich unzerstörbar. Das gleiche gilt auch für unsere neuen Outdoor-Handys von Cyrus und CATphone. Nicht nur, dass sie unendlich viele tolle und praktische Funktionen haben und wirklich schick aussehen, sie sind auch noch wasserdicht und so robust, dass man sie gefahrlos in den Dreck werfen kann. Wir haben es aber trotzdem noch nicht ausprobiert. Danke auch an Ortlieb für die neuen T-Shirts und an pedag für die neuen Einlegesohlen. Und natürlich wieder ein fettes Danke an Heikos Eltern für die Erbswurstsuppe, die Gewürze und alles andere, das ihr uns noch mitgegeben habt.

Spruch des Tages: Willkommen zurück, Heydi!

Höhenmeter: 620 m Tagesetappe: 22 km Gesamtstrecke: 15.195,27 km Wetter: größtenteils Sonnig, abends heftiger Regen Etappenziel: Jugendherberge, 5km hinter 4824 Borino, Bulgarien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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