Tag 882: Keine Späße mit dem Wetter

von Heiko Gärtner
29.05.2016 16:21 Uhr

11.05.2016 "Dann sperren wir mal das böse Wetter aus!" sagte scherzhaft und schloss die Tür von unserem Zelt. Draußen hatte es bereits wieder zu regnen begonnen und außerdem war es ordentlich kalt geworden. Ich hatte also wirklich das Gefühl, die Ungemütlichkeit mit dem Schließen der Tür auszusperren und uns im inneren des Zeltes ein warmes Nest zu errichten. Warum ich die Tür jedoch nicht einfach schloss sondern die ganze Aktion mit diesem dummen Spruch kommentierte hatte einen Grund. Vor einigen Wochen hatten wir wieder einen neuen Buchauftrag bekommen, bei dem es um die natürliche Heilkraft der Wälder ging. Seither schrieb ich fast täglich daran und beschäftigte mich daher auch selbst noch einmal intensiver mit den Themen Wahrnehmung und einheimisch werden in der Natur. Eines der letzten Kapitel, die ich fertiggestellt hatte, handelte davon, wie wir uns als Menschheit von der Natur entfernt hatten und welche Folgen das mit sich bracht. Und in diesem Kapitel ging es genau um diesen einen Satz: "Dann sperren wir die böse Natur mal aus!"

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Irgendwann haben wir Menschen angefangen, immer dickere Wände zwischen uns und die Natur zu ziehen. Als Steinzeitmenschen lebten wir fast immer im Freien und auch unsere Kleidung war so, dass wir Wind und Regen dadurch mitbekamen. Wir schützen uns schon zu einem gewissen Grad vor den Umweldeinflüssen, so wie es Enten mit ihrem eingefetteten Gefieder oder Rehe mit ihrem Gespür für gut geschützte Schlafplätze auch machen. Doch wir blieben in einem ständigen Kontakt. Wind und Regen zu spüren bedeutete auch ein Teil der Natur zu sein. Es sind nicht einfach Wetterphänomene, sondern Mächte, die auf ihre Art auch einen eigenen Willen und ein Bewusstsein haben, auch wenn wir es nicht verstehen können. Je mehr wir also begannen, unsere eigene Parallelwelt mit Häusern und Städten, mit Landwirtschaft und Großindustrie zu erbauen, desto mehr verloren wir den Kontakt zur Natur und damit auch zu uns selbst. Heute ist ein Wind einfach nur noch ein Wind und ein Regen nur noch ein Regen. Wir verstehen vielleicht ihre physikalischen Gesetze, doch ihre Seelen können wir nicht mehr wahrnehmen.

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Wir sind zu Fremdkörpern geworden, zu Alliens auf unserem eigenen Planeten, die keinen Bezug mehr zu ihrer Umwelt haben. Die Erde ist für uns nur noch ein Rohstoffspender und Wind und Wetter sind lästige Begleiterscheinungen, mit denen man sich irgendwie arrangieren muss. Doch je weniger wir die Natur begreifen, desto weniger begreifen wir auch uns selbst. Wir merken, dass wir krank werden, verstehen aber nicht warum und wir wissen auch nicht mehr, was unser Platz auf dieser Erde und unsere Aufgabe in diesem Leben ist. Weil wir vergessen haben, dass wir selbst ein Teil der Natur sind, ist es uns überhaupt nur möglich, dass wir sie derart ausbeuten und zerstören. Gein Lebewesen, das einigermaßen bei Verstand ist käme auf die Idee, sich selbst den Arm abzuhacken, nur um sein Ego oder seine Profitgier zu befriedigen. Nur weil wir vergessen haben, dass alles eins ist, und das jeder Baum den wir zerheckseln gewissermaßen nichts anderes ist als unser eigener Arm, können wir überhaupt auf die Weise handeln, die für uns zur Normalität geworden ist. Alle modernen Probleme, seien es nun Krankheiten, Seuchen, Umweltkatastrophen, Wirtschaftskrisen, Existenzängste, Armut, Nahrungsmangel oder Überbevölkerung verdanken wir direkt oder indirekt diesem einen Satz, den wir knallhat in die Tat umgesetzt haben: "Sperren wir die Natur aus unserem Leben aus."

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Durch mein Kommentar dem Regen gegenüber wollte ich ironisch auf genau diesen Sachverhalt anspielen und gleichzeitig zum Ausdruck bringen, dass ich die frühen Zivilisationsmenschen schon irgendwie verstehen konnte, wenn sie keine Lust auf den Regen hatten. Was mir zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht klar war, war dass die Regengeister mein gefrozel durchaus mitbekamen und mit ihrem ganz eigenen Humor darauf reagierten. Denn nach dem Abendessen begann es gleich wieder zu regnen und dieses Mal kräftiger als je zuvor. Die Tropfen prasselten so laut auf die Zeltplane, dass wir nicht einmal mehr einen Film schauen konnten. In mir machte sich das Gefühl breit, dass ich irgendetwas vergessen hatte, was man bei einem solchen Regen unbedingt beachten sollte. Ich kam nur nicht darauf, was es war. Alle üblichen Fehler war ich bereits durchgegangen und ich konnte sie alle ausschließen. Die Wagen waren zu, wir hatten nichts draußen stehen lassen und die Plane war sorgfältig unter das Zelt geschoben worden. Vielleicht stimmte also doch alles und während ich noch darüber nachdachte, schlief ich einfach ein. Mitten in der Nacht schreckte ich plötzlich wieder aus dem Schlaf hoch. Irgendetwas stimmte nicht. Es dauerte nur Sekundenbruchteile bis ich realisierte was es war. Ich hatte einen nassen Arsch. Und zwar ordentlich. Für einen Moment glaubte ich, ich hätte mich vielleicht eingepinkelt, doch dafür war es eindeutig zu kalt. Ich setzte meine Brille auf und nun wurde alle Klarer. Oben auf unserem Zelt hatte sich eine Pfütze gebildet, die so groß geworden war, dass sie auf das Innenzelt drückte. Von dort lief nun entweder das Kondenzwasser zusammen, oder aber das Pfützenwasser tropfte langsam hindurch. Ganz allmählich war das Wasser nun nach unten auf meinen Schlafsack und meine Isomatte getropft, genau an der Stelle, an der sich mein Hintern befand. Ich huschte nach draußen, beseitigte die Pfütze vom Zeltdach und machte mich mit Heiko daran, das gesammte Zelt nachzuspannen. Das war es also gewesen, woran ich am Abend denken wollte. Wenn es regnete und ein Wind ging, dann lockerten sich die Schnüre und oben entstand eine Kuhle auf dem Zeltdach. Das hatte ich schon oft beobachtet und jedes Mal hatte ich sie beseitigt und das Zelt nachgespannt, Dieses Mal war ich aber nicht darauf gekommen und weil ich bereits im Zelt lag, hatte ich die Kuhle nicht sehen können.

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Wir legten uns wieder hin und waren schon fast wieder eingeschlafen, als Heiko plötzlich mein Satz wieder einfiel. "Ich sperre das böse Wetter aus!" sagte er. "Wie bitte?" fragte ich. "Das hast du gesagt. Vorhin, erinnerst du dich? Du hast gesagt, du willst das böse Wetter aussperren. Wie es aussieht hat es sich das nicht gefallen lassen. Man verarscht die Spirits eben nicht." Bis zu diesem Moment hatte ich einfach nur an einen Zufall gedacht und daran dass unser Zelt langsam immer mehr seine Stabilität verlor. Doch der Gedanke war nicht abwegig und plötzlich gab alles noch einmal ein neues Bild. Im ersten Moment fühlte ich mich gekränkt und war etwas sauer auf die Wettergeister. Es war ja nur ein Witz gewesen und so einen kleinen Spaß mussten sie doch verstehen! Dann aber fiel mir auf, dass ich nun genau das nicht tat, was ich von ihnen verlangte. Sie hätten uns auf tausend Arten foppen können und wenn sie gewollt hätten, dann wäre unser Zelt kein Hinderniss gewesen, um uns komplett nass werden zu lassen. Aber stattdessen hatte es nur eine kleine Pfütze gegeben, die genau auf meinen Arsch getropft hatte. Wenn der Regen Humor hatte, dann hätte er ihn nicht besser zum Ausdruck bringen können. Jetzt musste ich grinsen. "Wer austeilt muss auf einstecken können!" dachte ich mir im Stillen. Und wenn ich ehrlich war, dann gefiel mir der Humor sogar. Wäre ich der Regen gewesen und hätte die Möglichkeit gehabt mich mit irgendeinem beliebigen Spaß an einem Menschen zu rächen, der mir einen dummen Spruch ins Gesicht schleudert und denkt, er könne mich mit ein bisschen Zeltstoff aus seinem Leben fernhalten, dann hätte ich wahrscheinlich genau den selben gewählt. Mit den Spirits scherzt man nicht! Nicht, wenn man ihre Retourkutsche nicht verträgt. Sie lassen sich nicht verarschen und wenn man es versucht, dann zeigen sie einem gerne, welchen Platz man in der Ranglister der Mächte hat.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Wenn du das Wetter verarschst, musst du auch die Retourkutsche vertragen können!

Höhenmeter: 230 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 15.519,27 km Wetter: sonnig und verdammt heiß Etappenziel: Vacation Complex OASIS, kurz vor 5159 Asenovo, Bulgarien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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