Tag 899: Brennende Autoreifen

von Heiko Gärtner
18.07.2016 21:57 Uhr

23.05.2016

Am nächsten Morgen schien dann doch entlich mal wieder die Sonne. Nicht nur wir hatten sie sehnsüchtig erwartet, sondern auch alle anderen Wesen in unserer Umgebung. Gleich beim Losgehen sahen wir eine Smaragdeidechse, die sich mit offenem Maul auf einem Stein sonnte und die Strahlen regelrecht in sich aufzusaugen schien. Unser kleines Gebirgssträßchen stieß schließlich auf eine große Straße, die mitten durch eine abstrakte Stadt fühte. Sie schien keinerlei System zu haben und hatte einfach alle Aspekte wild zusammengewürfelt, die man irgendwo auf der Welt in einer Stadt finden konnte. Entlang der Hauptstraße befanden sich halb verfallene Ruinen neben kostspieligen Villen, heruntergekommenen Wohnblocks, großen Parkanlagen, Slums und Kuhwiesen. Viele neue Gebäude waren fast vollkommen unbewohnt, während in den einsturzgefährdeten Ruinen noch immer Menschen lebten. Direkt an der Staße verbrannten ein paar Männer alte Autoreifen und von weitem sah es so aus, als würden sie ihren kompletten Wohnblock abfackeln. Auch die verfallenen Industriegebäude wurden teilweise noch immer genutzt. Anders als in den kleinen Dörfern gab es hier nun unzählige Minimärkte, in denen man einkaufen konnte. Irritierender Weise gab es aber dennoch in allen genau das gleiche. Das man hier in einer größeren Stadt wohnte bedeutete also nicht, dass man deswegen auch mehr Vielfalt oder Luxus hatte. Der einzige Vorteil den es hier wahrscheinlich gab war, dass einige Schilder auf große Supermarktketten wie Kaufland und Lidl hinwiesen. Dennoch leuchtete es uns nicht ein, warum wir Menschen bewusst auf diese Weise lebten. Wenn man in einer Stadt wenigstens noch Ablenkungshighlights wie Kinos, Einkaufszentren und Schwimmbäder hatte, dann konnte man es ja noch irgendwo verstehen. Aber nur die Nachteile der Zivilisation zu haben, ohne die Leckerlis nutzen zu können? Was machte das für einen Sinn?

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An einer Kreuzung kamen wir dann an einer Tennisplatz-Anlage vorbei. Hier mitten an der Hauptverkehrsstelle, wo es laut, stickig und ungemütlich war, machten die Menschen plötzlich Sport. Sonst hatten wir im ganzen Land noch niemanden gesehen, der sich auch nur mit dem kleinen Finger sportlich bewegte. Im Park schoben die Frauen ihre Kinderwägen direkt an der Hauptstraße entlang. Als wir die kleinen Kinder sahen, fragten wir uns, was sie wohl darüber dachten, dass sie an einem solchen Ort aufwachsen mussten. Was dachten sich auch die jungen Paare, die hier ihre Kinder großzogen? Jeden Tag, wenn sie nach hause kamen, mussten sie durch ein müllverseuchtes, eingefallenes und grafittibeschmiertes Eingangsportal in ein Treppenhaus gehen, das nach Urin roch und von dem sie in eine Wohnung kamen, deren Fenster im Takt der vorbeifahrenden LKWs klapperten. Konnte man sich da wirklich himisch fühlen? Ein Mann hielt mit seinem Auto neben uns an und stellte uns die üblichen Fragen. Kurz darauf kamen wir an seinem Haus vorbei und er sprach uns erneut an, um uns auf ein Glas Wasser einzuladen. Als wir ablehnten, weil der Platz einfach wirklich nicht zum verweilen einlud, versuchte er uns an den Wägen in sein Grundstück zu zerren. Es war nicht böse oder aggressiv gemeint, sondern sollte einfach seiner Einladung Nachdruck verleihen, doch er ging damit eindeutig über unsere persönliche Grenze. Heiko machte ihm dies mit einem schnellen Schlag auf die Finger deutlich und er verstand die Botschaft sofort. Nun zwang er seinen verschüchterten Sohn, auf Englisch mit uns zu sprechen. Der arme Junge hatte es definitiv nicht leicht, unter diesem Vater aufzuwachsen. Von der Hauptstraße aus führte ein Steiler weg den Berg hinauf in den Luxusteil der Stadt. Hier befanden sich nun teure Häuser und teure Autos, zwischen denen aber noch immer die verwahrlosten Sinti-Kinder spielten. Sie taten niemandem etwas, aber die Hausbewohner hatten dennoch Angst um ihr Hab und Gut (Was ich nach meiner Aktion von vor zwei Tagen gut verstehen konnte, denn mir ging es ja nicht anders) Aus diesem Grund waren fast ale Häuser von hohen Zäunen und Mauern umgeben, hinter denen sich die Einheimischen verbarrikadierten. Wieder fragten wir uns, warum sie ausgerechnet hier lebten. Der Platz musste deutlich teurer sein, als die meisten anderen Baugrundstücke im Land und er war weder besonders schön, noch brachte er andere Vorteile.

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Nachdem wir die Stadt hinter uns gelassen und ein kurzes Picknick unter einem Baum gemacht hatten, folgten wir einer schmalen Asphaltstraße. Für einen kurzen Moment schien sie die schönste Straße zu sein, die wir in diesem Land überhaupt erwischt hatten. Doch dann erreichten wir eine Luxusvilla für Feriengäste und die Straße endete abrupt. Kurz zuvor waren wir an einer Sinti-Kommune vorbei gekommen, die außerhalb der Ortschaft im Grpnen lag. Es war ein altes Haus mit einem großen Garten und wirkte zwas insgesamt etwas schäbig, dafür aber auch sehr gut organisiert. Mitten im Garten gab es eine Großküche, die ein bisschen an die Infrastruktur von alternativen Festivals erinnerte. Nur einen Kilometer entfernt lag das nächste Dorf und die Straße, auf der wir uns befanden stellte die direkte Verbindung dar. Trotzdem endete sie einfach auf halber Strecke und führte zunächst als Waldweg, dann als Rüttegasse und schließlich nur noch als grasverwachsener Trampelpfad weiter, bis wir die ersten Häuser erreichten. Auch hier gestaltete sich die Zeltplatzsuche wieder schwierig und so nahmen wir letztlich einen halbidealen Platz vor dem Tor eines verlassenen Waldgrundstücks. Kaum hatten wir aufgebaut, kam ein LKW an uns vorbei (Was auch immer der auf dieser Straße zu suchen hatte, die ja bekannter Maßen im Sande verlief) und wies uns darauf hin, dass genau an dieser Stelle immer das Wasser von den Bergen zusammenlief, wenn es zu regnen begann. Falls es also wirklich regnen sollte, hatten wir mitten in einem Fluss aufgebaut. Aber nachdem es bereits so viel geregnet hatte, beschlossen wir nun, dass es damit erst einmal vorbei war und wir hier entspannt schlafen konnten.

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Bei meiner Essenssuche im Ort stieß ich dann sogar tatsächlich auf ein Hotel, in dem man vielleicht sogar nach einem Zimmer hätte fragen können. Allerdings waren die Angestellten bereits bei der Bitte um ein wenig Gemüse so unfreundlich, dass dies wohl kaum Erfolg gehabt hätte. Tatsächlich stellte sich heraus, dass der einzig wirklich freundliche Mensch in diesem Ort ein zugereister Franzose war, der gerade sein neues Heim renovierte. Wie sich aber zeigen sollte, wurden wir für unsere Schlafplatzwahl nicht bestraft und es blieb die ganze Nacht trocken.

Spruch des Tages: Auf meinen Reisen traf ich einen alten, weisen Mann und fragte ihn: "Was ist wichtiger, lieben oder geliebt zu werden?" Er sah mich an und sagte: "Welchen Flügel braucht ein Vogel zum fliegen, den rechten oder den linken?"

Höhenmeter: 260 m Tagesetappe: 26 km Gesamtstrecke: 15.877,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz in der Donau-Aue, kurz vor 907265 Seimeni, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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