Tag 901: Der Dauerregen hört nicht auf

von Heiko Gärtner
19.07.2016 20:17 Uhr

26.05.2016 Langsam wurde das Wetter unglaubwürdig. Auch in der Nacht prasselte es wieder auf unser Zelt herab, als wollte es uns erschlagen. Wo kam all dieses Wasser her, das ständig vom Himmel fiel? Irgendwie musste es doch auch nach oben kommen und irgendwann musste der Himmel doch auch einmal leer sein. Doch der Himmel sah das anders. Es regnete bis zum Morgen durch und wir mussten eine kurze Pause abwarten, um in aller schnelle unser Zelt zusammenzupacken, damit wir eine chance hatten, zumindest einigermaßen trocken zu bleiben. Nicht das nicht ohnehin bereits alles klamm war, aber noch war eine Steigerung möglich und es sah aus, als würde der Wettergott alles daran setzen um sie auch zu erwirken. Auf der kleinen Straße vor unserem Zelt schoss das Wasser ins Tal hinab, so stark, dass wir darin abwaschen konnten. Man muss sagen, so ein Asphaltbelag gibt ein erstaunlich gutes Waschbrett ab.

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Auf dem Weg in den kleinen Ort kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es war erst wenige Stunden her, dass ich diesen Weg schon einmal gegangen war und doch hatte sich fast alles verändert. Dicke Steine waren aus der Felswand gespühlt worden und überall shoss das Wasser in heftigen Wasserfällen die Böschung hinunter. Gestern hatte es nur einen einzigen kleinen Wasserfall gegeben und der war nicht besonders spektakulär gewesen. Am meisten beeindruckte mich jedoch der Bach unten im Tal. Er war bereits gestern Abend zu einem beachtlichen Wildwasserfluss angeschwollen doch nun hatte er seine Größe locker noch einmal verdoppelt. Das Wasser war komplett braun vor Schlamm und schoss ins Tal hinab, als wäre der Teufel hinter ihm her. Spannend war, dass es in Intervallen ankam, so dass der Wasserstand immer mal höher und mal seichter war. Heiko vermutete, dass dies mit den böenartigen Regengüssen vom Vortag zusammenhing und tatsächlich stimmte das Muste ziemlich gut mit dem anschwellenden und abflachenden Regen überein, den wir am Vortag und in der Nacht erlebt hatten. Wenn es stimmte, dann konnte man am Wasserstand tatsächlich genau ablesen, wie das Wetter wenige Stunden zuvor gewesen war und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hatte.

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Mit Ausnahme eines kurzen Stücks an einer Hauptstraße führte uns der Weg heute über hügelige Kleinstraßen mit wenig Verkehr aber passablem Asphalt. So war das Wandern am schönsten. Zugegeben, die gestrige Schlammaction war cool und hatte viel Spaß gemacht. Aber auf lange Zeit betrachtet waren diese Schlammwege zum Wandern definitiv nicht geeignet. Wie schön wäre es, wenn die ganze Welt, oder zumindest der von Menschen bewohnte Teil davon, mit solchen kleinen Sträßchen durchzogen wäre. Passend zu der schönen Straße landeten wir schließlich in einem ebenso schönen Ort. Das also war auch ein Teil von Bulgarien, den wir schon längst nicht mehr vermutet hätten. Hier waren die Uhren wirklich vor 100 Jahren stehen geblieben. Es war ein idyllisches kleines Bauerndorf, mit hübschen gärten und alten, leicht verfallenen aber gut gepflegten Häusern. Oft war es nur ein bisschen Farbe auf einem alten, morschen Holzbalken, der den Unterschied ausmachte, ob ein Haus charmant und antik oder einfach nur alt und schäbig aussah. Doch obwohl dieses Dorf das zweifelsfrei schönste war, das wir bislang in Bulgarien gesehen hatten, war es so gut wie ausgestorben. An fast jeder Tür hing die Trauerurkunde des verstorbenen Besitzers und die Erben waren in die Städte gezogen. Die Frage war nur warum? Was bewog uns Menschen dazu, all die schönen Wohnorte aufzugeben und grungsätzlich dorthin zu ziehen, wo es hässtlich, laut und ungemütlich war. Rund 6km zuvor hatten wir einen größeren Ort durchquert, der direkt an der Hauptstraße lag. Er war vollkommen belebt gewesen, obwohl man sich von der ersten Sekunde an unwohl fühlte. Überall lungerten die frustrierten Alkoholiker herum und die meisten Menschen, denen wir begegneten, stahlten keinerlei Leben mehr aus. Und doch wählten sie lieber dieses Leben als das an einem schönen Ort.

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Wir jedenfalls entschieden uns, den Ort zu nutzen und noch einmal ein kleines Picknick zu machen. Dann wanderten wir noch ein Dorf weiter, füllten unsere Wasservorräte auf und bekamen als Tageshighlight sogar eine Tüte mit Nüssen geschenkt. Die letzten zwei oder drei Stunden hatte der Regen nachgelassen und dann sogar ganz azfgehört. Doch jetzt wo wir uns einen Zeltplatz suchen wollten, fing er bereits wieder an. Offenbar war es uns wohl nicht vergönnt, jemals wieder trocken zu werden.

Spruch des Tages: Wieso kann es nicht zwei Tage in Folge regnen? Weil die Nacht dazwischen ist.

Höhenmeter: 250 m Tagesetappe: 18 km Gesamtstrecke: 15.916,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz unter ein paar Bäumen, direkt hinter 907141 Closca, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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