Tag 903: Smaragdeidechse im Zelt

von Heiko Gärtner
21.07.2016 17:17 Uhr

28.05.2016

Heute wurden wir endlich mal wieder von der Sonne geweckt! Wir hatten schon fast vergessen, wie sie sich anfühlte und nun konnten wir ihre warmen Strahlen richtig genießen. Mit jedem Schritt, den wir weiterzogen, begannen unsere Sachen wieder zu trocknen und ganz allmählich kehrte wieder ein Normalzustand ein. Jedenfalls für einen Moment, denn wie sich zeigte gab es hier nur zwei verschiedene Zustände, was das Wetter anbelangte: Sonne aus und Sonne an. Es war, als hätte jemand im Himmel einen riesigen Schalter umgelegt und mit einem Schlag war es nun Hochsommer. Binnen weniger Stunden war es so heiß, dass wir nun alles, was zuvor getrocknet war, wieder nass schwitzten. Kurz hinter einer kleinen Ortschaft wurden wir von einem Mann angesprochen, der ein bisschen Deutsch sprach und sie freute, es einmal anwenden zu können. Im Nachhinein erkannten wir, dass er uns mit seinen Worten eigentlich zu einem Dorffest einladen wollte, doch der Weg, den er dafür wählte war etwas irritierend.

[AFG_gallery id='885']

“Hi Jungs!” rief er, “seht ihr das Dorf da oben? Da wohnen einige bulgarische Moslem, aber nicht so komische Moslem wie woanders, sondern richtig coole! Sie sind offen und freundlich und halten die Traditionen in unserem Land noch richtig hoch! Heute abend gibt es sogar ein Dorffest und es ist sicher spannend für euch, dort einmal vorbeizuschauen.” Als er gegangen war, fragten wir uns, was ein Reisender von einer solchen Unterhaltung wohl halten würde, wenn man sie in Deutschland führte. Stellt euch vor, ein Amerikaner oder Australier oder meinet wegen auch ein Bulgare kommt mit seinem Rucksack nach Nürnberg und ihr sprecht ihn an, um mit ihm in Kontakt zu kommen. Und das erste und einzige, was euch dabei einfällt ist zu sagen: “Die Ausländer, die bei uns in der Stadt leben, sind in Ordnung! Alle anderen sind scheiße, aber die hier sind echt prima Leute!” Wie kommt man auf so einen Gesprächseinstieg? Und was soll ein Reisender damit anfangen? Trotz der Trockenheit war die Suche nach einem Schlafplatz auch heute wieder eine enorme Herausforderung. In diesem Land gab es einfach keine abgelegenen, versteckten Zeltplätze. Langsam begannen wir die wilde unberührtheit des Balkans zu vermissen. So viele Nachteile wie die Ex-Jugoslawischen Länder auch hatten, so viele Vorteile hatten sie auch. Und dazu gehörte zweifelsfrei auch, dass man immer und überall an frisches Wasser und frisch geerntetes Gemüse kam, sowie dass man mit Leichtigkeit gute Zeltplätze finden konnte. Quellen hatten wir nun schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und wenn, dann lagen sie umringt von Agrarflächen, so dass das Wasser nur so vor Pestiziden wimmelte. Auch schienen die meisten Einheimischen nichts selber anzubauen, sondern alles aus den kleinen Minimärkten zu beziehen. Die waren für uns natürlich ein Segen, doch hin und wieder einmal etwas frisches wäre auch nicht schlecht gewesen. Am schwersten aber war wie gesagt die Suche nach Zeltplätzen, denn überall wo es Schatten gab, gab es auch Ortschaften und Straßen. Die meisten Menschen waren freundlich und wirkten, als würden sie einen Reisenden im Zelt sowohl akzeptieren als auch in Ruhe lassen. Doch es gab immer auch ein oder zwei unangenehme Zeitgenossen, die betrunken oder einfach nur unheimlich und aufdringlich waren. Diese reichten aus, um einem den Zeltplatz oder auch nur das Warten in der Ortschaft zu vermiesen.

[AFG_gallery id='886']

Nach langer Suche bauten wir unser Zelt in einem kleinen Wald direkt neben dem Ort auf und hofften, dass wir hier zumindest einigermaßen unentdeckt bleiben würden. Lange ging der Wunsch nicht in erfüllung denn schon bald kam wieder ein seltsamer Mann in Form eines Schäfers, der sich zu uns gesellte und eine Unterhaltung begann, die wir nicht verstanden. Irgendwo unter der unangenehmen und aufdringlichen Oberfläche war er aber ein feiner Kerl und schließlich schenkte er uns sogar noch einen Laib Brot zum Abschied. Eigentlich hatten wir ihm einen schenken wollen, weil wir mehr als genug hatten, doch das hatte er wohl irgendwie missverstanden. An diesem Nachmittag wurde Heiko mit der Korrektur meines ersten Buchentwurfs fertig, womit die finale Reise hin zu meinem Mönchsein begann. Bereits jetzt, zeigten mir die Tiere, dass sie mich auf diesem Weg unterstützen und begleiten wollten und ich bekam die ersten wirklich großen Hinweise von ihnen, dass ich mich in einer Zeit des Umbruchs befand. Doch wirklich wahrnehmen wollte ich es noch nicht. Ich freute mich darüber, dass uns eine Smaragdeidechse direkt in unserem Zelt besuchte und mir wenig später draußen am Baum beim Schreiben zuschaute. Ich freute mich auch über die Ringelnatter, also die Botin der spirituellen Wandlung, die vorsichtig angeschlängelt kam, und an meinem Zeh schnupperte. Doch mehr machte ich nicht. Ich regestrierte es, notierte es und machte weiter wie bisher, ohne mir großartig Gedanken darüber zu machen.

Spruch des Tages: Alles was gegen die Natur ist hat auf Dauer keinen Bestand.

Höhenmeter: 340 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 15.954,27 km Wetter: sonnig und heiß, teilweise schwül und bewölkt Etappenziel: Zeltplatz in einem Miniwald voller Mücken, kurz hinter 907221 Almălău, Rumänien

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare