Tag 924: Republik Moldau

von Heiko Gärtner
23.08.2016 04:23 Uhr

26.06.2016 Die Grenze nach Moldawien, oder wie es offiziell heist, zur Republik Moldau, war schnell erreicht. Wir überquerten den Fluss und verließen damit nun ein weiteres Mal die Europäische Union. Sowohl die Grenzbeamten als auch die Moldawier, die wir hier trafen, waren freundliche, nette Leute. Eine Frau, die mit ihrem Mann gerade kontrolliert wurde, als auch wir an der Reihe waren, schenkte uns sogar eine ganze Kiste voller Kekse. Dass diese Kekse so ziemlich das einzige werden sollten, das wir demnächst in Moldawien an Nahrung finden würden, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Hinter der Grenze ging es dann noch einmal gut 10km durch die Felder, bevor wir mit Cahul unsere erste Moldawische Stadt erreichten. Es war sogar wirklich eine richtige Stadt, wenn auch eine kleine, und wir waren insgesamt sehr positiv überrascht. Es wirkte natürlich ärmlich und schlicht, aber es war nicht unangenehm, nicht übertrieben laut und auch nicht hässlich oder eklig. Als wir das Zentrum erreichten, kamen wir sogar gerade rechtzeitig für ein kleines Volksfest und konnten ein paar Kindern und Jugendlichen bei ihrer Aufführung eines traditionellen Volkstanzes zusehen. Besonders ästhetisch war es nicht und wir verstanden auch nicht so recht den Sinn der ganzen Aktion, aber es war beeindruckend, was die Kids bei dieser Affenhitze leisteten. Sie standen in der prallen Sonne und warfen in einem irren Tempo ihre Arme und Beine synchron in alle Richtungen, wärend im hintergrund eine übersteuerte und nervenaufreißende Musik dudelte. Warum die Musik dabei so laut sein musste, dass sich der härteste Zuschauer in einem Abstand von gut 40m zur Bühne befand verstanden wir nicht so ganz. Nach den Tänzern folgte ein kleines Mädchen in einem Gewand, das wie ein japanischer Kimono aussah. Sie stand vor einem Mikro und sang ein Lied, wobei ihre Stimme elektrisch so verzerrt wurde, dass man sie kaum mehr erkennen konnte. Auch der Gesang klang sonderbar japanisch und wenn man hätte raten sollen, aus welcher Tradition diese Aufführung stammte, hätte man sicher nicht auf einen osteuropäischen Kleinstaat getippt. Irgendwie kam uns die ganze Inszenierung so vor, als wäre sie einmal aus einer soliden und gut durchdachten Tradition entstanden, die dann jedoch verloren gegangen war, bis nur noch die Musik und die Bewegungen übrig geblieben waren. Später stellten wir fest, dass dieser Eindruck auf das ganze Land übertragbar war. Es musste einmal eine stolze und reiche Kultur gewesen sein, doch heute war nur noch ein Schatten davon übrig. Wahrscheinlich hing es mit dem Verfall der Sovjetunion zusammen, denn seit rund dreißig Jahren schien alles sich selbst überlassen zu sein. Die meisten Straßen, auf denen wir wanderten waren einmal echte Asphaltstraßen gewesen, doch weil man sie nicht gepflegt hatte, waren sie so sehr verfallen, dass am Ende nur noch Schotter und Schlamm übrig geblieben war. Auch die Gebäude zeigten noch deutlich den alten Prunk, den es hier einmal gegeben hatte. Heute aber waren es Ruinen, die seit Jahren leer standen und immer mehr verfielen.

Kurz bevor wir die Stadt verließen, hielt plötzlich ein Auto neben uns an und ein junger Mann sprang heraus. "Hier, für euch!" rief er und drückte uns eine Tüte mit Mirabellen in die Hand. Es waren die ersten saftigen und guten Früchte, die wir in diesen Ländern bekommen hatten und für einen Moment glaubten wir, dass es Obsttechnisch nun wirklich wieder bergauf gehen würde. Leider war diese Mirabellenfuhre die einzige, die wir in Moldawien erhalten sollten. Der Weg aus der Stadt heraus war leider nicht mehr ganz so angenehm. Es war eine große Hauptstraße und, wie wir später herausfanden, eine der wenigen, die noch über Asphalt verfügten. Dementsprechend viel wurde sie genutzt. Nach gut vier Kilometern konnten wir auf eine Nebenstraße abbiegen, die zunächst ebenfalls ganz passierlich aussah, dann aber immer schlechter und schlechter wurde, bis sie schließlich nur noch eine Dirtroad war. Hier gab es nun keinen Verkehr mehr und da die einzigen Wälder im Umkreis wieder einmal aus Rubinien bestanden, bauten wir unser Zelt direkt neben der Straße unter einem Nussbaum auf. Der einzige Nachteil an diesem Platz war, dass sich genau in der Mitte unter meiner Liegefläche ein riesiger Huckel befand. Ich fühlte mich beim Schlafen daher ein bisschen wie Sit in Ice Age, als er versucht, es sich auf einem Stein gemütlich zu machen.

Um den Erste-Hilfe-Artikel abzuschicken, wanderte ich noch einmal ins Tal zu einer kleinen Ortschaft hinab. Ein alter Mann, den ich nach dem Weg zur Bar fragte, begleitete mich dorthin und hörte bis zum Schluss nicht mehr auf, mir immer wieder die gleichen Dinge zu erzählen, die ich nicht verstand. Vor der Bar traf ich zwei Frauen mit einem Kinderwagen, die Englisch sprachen und daher für mich übersetzen konnten. Sie erklärten mir, dass der Mann eine Flasche Wein von mir forderte, weil er mir den Weg gezeigt hatte. Er war in diesem Ort offenbar als aufdringlicher und unangenehmer Wiederling bekannt, denn die junge Frau schnauzte ihn danach dermaßen an, dass er sofort die Flucht ergriff. Ich muss ehrlich zugeben, dass sie mir damit vollkommen aus der Seele sprach. Internet gab es in der Bar leider nicht, doch sie hatte einen Handy-Tarif, bei dem sie ihr G4-Netzt so freischalten konnte, dass ich es vom Computer aus nutzen konnte.

Anschließend nutzte ich den Strom der Bar um dort zu arbeiten, bis sie schloss. Der ruhigste und angenehmste Ort war es nicht, was auch kein Wunder war, denn hier traf sich die gesamte Dorfjugend zum Saufen. Mehrfach wurde ich dazu eingeladen und mit gespielt enttäuschten Gesichtern konfrontiert, als ich ablehnte. Als die Bar um 00:00 Uhr schloss und ich wieder ins Freie trat, fand ich mich umgeben von lauter Betrunkenen in vollkommener Dunkelheit wieder. Im ganzen Ort gab es keine einzige Straßenlaterne und so fühlte es sich schon etwas mulmig an, als ich mich nun wieder auf den Heimweg machte.

Spruch des Tages: Wieder einmal ein neues Land!

Höhenmeter: 140 m Tagesetappe: 31 km Gesamtstrecke: 16.410,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz im Rubinienwald, nahe Prăjeni, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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