Tag 927: Leben ohne Geld

von Heiko Gärtner
30.08.2016 03:31 Uhr

Fortsetzung von Tag 926: (Hier geht es zum Gesamtartikel)

Eine weitere derartige Situation tauchte auf, als ich es nach Wochen endlich geschafft hatte, meine Bucheinleitung und den ersten Teil so zu überarbeiten, dass ich ihn für einigermaßen brauchbar hielt. Bereits beim Schreiben hatte ich schon Angst gehabt, dass auch er sich wieder als Kuhmist erweisen würde, doch ich hatte auch keine Ahnung, wie ich es hätte anders machen sollen, so dass er wirklich gut wurde. Also gab ich ihn Heiko zum Korrigieren und bereits nach den ersten Seiten wurde klar, dass meine Angst vollkommen berechtigt war. Der Text passte vorne und hinten nicht. Wichtige Fakten und Erklärungen hatte ich vergessen, andere vollkommen falsch verstanden oder so unverständlich rübergebracht, dass niemand etwas damit anfangen konnte. Ich hatte Informationen in den Text verarbeitet, die nicht hilfreich oder zielführend, sondern eher demotivierend waren und hatte an anderen Stellen wieder einmal geschwafelt, ohne überhaupt eine Aussage zu treffen. So wie er war, war der Text also wieder einmal nahezu unbrauchbar. Heiko gingen nun langsam die Ideen aus, was er noch mit mir machen konnte, damit ich irgendwie wieder ins Leben und damit auch in die Produktivität zurückfinden konnte und mich nicht mehr verhielt wie ein Toastbrot. Nach dem klärenden Gewitter fragte er mich, was ich mir selbst für meine Arbeit bezahlen würde, wenn ich mein eigener Auftraggeber wäre. Die Antwort fiel mir nicht schwer, denn zurzeit waren die Texte keinen Pfifferling wert. Plötzlich aber wurde mir bewusst, dass es mir genau darum ging. Ich fühlte mich vollkommen unter Druck gesetzt, weil ich für das Geld arbeitete. Es ging mir nicht darum, ein Buch zu schreiben, in das ich mein Herz steckte, sondern darum, einen Verlag zufrieden zu stellen, der mich mit Geld versorgen sollte. Was aber genau war dieses Geld eigentlich für mich? Was für eine Bedeutung hatte es in meinem Leben? Auf der einen Seite spürte ich eine undeffinierte Ablehnung gegen dieses unbrauchbare Zeug, dem alle Welt so viel Wert beimaß. Auf der anderen Seite richtete ich aber auch mein ganzes Leben danach aus. Hatte ich wirklich studiert, weil ich Kulturpädagoge werden wollte, oder nur weil ich einen Kompromiss finden musste, mit dem man irgendwie Geld verdienen konnte? Hatte ich mich wirklich dafür entschieden, als Erlebnispädagoge mein Leben in Jugendherbergen zu verbringen und zu versuchen gelangweilte Kinder für die Natur zu begeistern, weil dies meine Lebensbestimmung war, oder war es nur ein Kompromiss, bei dem ich mir einreden konnte, meinen Traum zu leben und trotzdem zumindest einigermaßen Geld zu verdienen? Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich Geld nicht mit Reichtum, Wohlstand und Leichtigkeit verband, sondern mit etwas ganz anderem. Geld war für mich ein Mittel, meinen Eltern zu beweisen, dass ich doch erfolgreich mit meinem ungewöhnlichen Weg war. Und dieses Beweisen-Wollen war ein innerer Zwang, der mich vollkommen eingenommen hatte. In mir steckten die folgenden Gedankenmuster: “Ich darf nur dann meinen eigenen Lebensweg gehen, wenn ich damit finanziell erfolgreich bin, so dass alle sehen können, dass ich Recht hatte! Ich darf nicht einfach meinen Weg gehen, weil es mein Weg ist und ich Bock darauf habe. Wenn ich ihn gehe, dann muss ich beweisen, dass es der richtige Weg ist. Er muss also so sein, dass auch alle anderen ihn gehen wollen würden, dass sie zu mir aufschauen, stolz auf mich sind, vor Neid erblassen und sagen: “So wie der das macht, so ist es richtig! Wenn ich nur den Mut hätte, das gleiche zu tun!” Ich kann also nur dann zu mir selbst und zu meinem Weg stehen, wenn ich damit auch erfolgreich bin.

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Erst jetzt, wo ich es genauer betrachtete, wurde mir bewusst, wie paradox das war: Nur wenn ich so war, wie mich die Menschen sehen wollten, konnte ich auch zu mir stehen. War ich jedoch einfach ich, so wie ich es wirklich war, konnte ich es nicht. Wie absurd war das denn! Doch woher kam dieses Gefühl und dieser Glaube? Gleich zu Beginn meines Lebens habe ich gelernt, dass ich nur dann geliebt werde, wenn ich etwas gut gemacht habe. Ich sollte stets der perfekte Sohn einer perfekten Familie sein. Immer wenn ich ein braver, guter Junge war, habe ich ein Leckerli in Form von Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen, das mir das Gefühl gab, geliebt zu werden. Seither suche ich nun ständig nach diesem Lekerli und versuche dabei immer wieder etwas gut und richtig zu machen, damit ich Liebe und Anerkennung bekomme. Es geht mir also nie darum, was sich für mich gut und richtig anfühlt, sondern nur, was andere für gut und richtig halten, so dass ich ein Lob ergattern kann. Ich bin also ein kleiner Anerkennungsjungkie, der stets all sein Handeln nach dem nächsten Schuss der dröhnenden Dosis Liebe ausrichtet. Alles was ich tue, tue ich nur für das Leckerli der Anerkennung. Als mir dies bewusst wurde, erschrak ich zunächst einmal vor mir selbst. War ich wirklich so erbärmlich? Doch wenn ich ehrlich zu mir war, war es genau so. Noch immer hoffte ich, dass meine Mutter einsehen würde, dass sie sich geirrt hatte und dass sie eines Tages doch anerkennen würde, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand. Sie musste doch sehen, dass ich ein toller Hecht war! Doch damit sie das erkennen konnte, musste ich mit meinem Weg reich werden. Dass hatte sie mir bereits zu Laufzeiten unserer Wildnisschule gezeigt und zu verstehen gegeben. Damals war ich stolz nach hause gekommen, hatte von dem vollen Kursprogramm berichtet, davon, dass wir nun bereits mit dem fünften oder sechsten Fernsehsender gearbeitet hatten und dass wir zu den extremsten Anbietern in Deutschland gehörten. Doch zu meiner Enttäuschung bekam ich keine Anerkennung dafür, sondern nur die Frage, wie es denn mit meinem finanziellen Erfolg aussehen würde. Denn letztlich gehörte die Wildnisschule ja Heiko und ich war nur ein freier Mitarbeiter. Weder meine geistigen Entwicklungsschritte, noch unser Bekanntheitsgrad noch sonst irgendetwas zählten. Einzig und allein die Zahlen auf meinem Konto spielten eine Rolle. Folglich musste ich also reich werden, um die Anerkennung von meinen Eltern zu bekommen, die ich mir erhoffte. Wieder war ich beim gleichen Prinzip. Ich wollte von meinen Eltern, dass sie mich so annahmen wie ich war und versuchte dabei genau so zu sein, wie sie mich sehen wollten. Ich war nicht ich selbst und stand um jeden Preis zu mir. Ich konnte nicht sagen: “Seht her, ich bin was ich bin, akzeptiert das oder lasst es bleiben!” Ich verbog mich schon wieder wie ein Zirkusakrobat und sagte: “Schaut her, obwohl ich versuche, meinen eigenen weg zu finden bin ich doch eigentlich genau so, wie ihr mich haben wollt, also liebt mich doch endlich!” Schon wieder war ich dabei, nichts für mich selbst zu tun, sondern rein aus der Anerkennungssucht und dem verzweifelten Betteln nach Liebe.

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Spannend ist dabei ein Aspekt, der nicht nur in meinem Fall eine wichtige Rolle spielt, sondern der ganz allgemein in unserer Gesellschaft vorherrscht. Solange wir uns an den Gesellschaftsweg, bzw. an den Weg unseres Gegners halten, wen wir hart arbeiten, uns selbst kaputt machen, gegen unsere Seele und unser Herz leben und einen “anständigen” Job bekleiden, ist es vollkommen in Ordnung, wenn wir am Ende einer gewissen Zeitspanne mit leeren Händen darstehen. Wenn wir ordentlich verdienen, dabei aber auch ordentlich ausgeben, weil wir uns permanent Ablenkungshighlights erschaffen müssen, um die Hölle des Jobs zu überstehen, dann ist das in Ordnung. Gehen wir aber unseren eigenen Weg und leben dabei ohne Geld und einen geregelten Job, so dass wir am Ende ebenfalls nichts haben, dann ist es plötzlich nicht mehr ok. Dann hat man seine Zeit verplämpert, war ein Tunichtgut und hätte sich viel mehr Gedanken über seine Zukunft machen müssen. Die Frage, die mir meine Mutter damals stellte lautete: “Was ist wenn Heiko und du sich einmal trennen? Dann stehts du doch mit leeren Händen dar!” Genau das wäre passiert. Aber warum war das ein Problem? Die Zeit in der wir zusammen gearbeitet haben, war eine großartige Zeit in der ich gut gelebt und aus der ich viel mitgenommen habe. Selbst wenn ich am Ende keinen einzigen Cent mehr hatte als am Anfang, war es doch ein voller Erfolg. Es war ein wenig wie bei einem Autokauf. Wenn wir einen Wagen für 30.000€ kaufen, ihn fünf Jahre fahren und dann für das gleiche Geld wieder verkaufen können, dann haben wir damit ja kein Verlustgeschäft gemacht. Wir hatten für fünf Jahre ein tolles Auto und haben im Endeffekt nichts dafür bezahlt. Nicht anders war es bei meiner Zeit als Teil der Wildnisschule. Ich stieg mit 0€ ein, konnte einige Jahre gut lernen, arbeiten und leben und stieg mit 0€ wieder aus. Doch hier war das ein Problem. Hier hieß es plötzlich: “Wenn du nicht mindestens 3500€ für deinen gebrauchten Wagen bekommst, dann hat sich der Deal nicht gelohnt. Dann hast du dich übers Ohr hauen und ausnutzen lassen. Im wirtschaftlichen Bereich, in dem wir wirklich ausgebeutet werden, ist diese Ausbeutung in Ordnung, weil wir ja Geld dafür bekommen. In den Bereichen in denen hingegen keine Ausbeutung stattfindet, weil wir das tun, was uns beflügelt, sehen wir die Ausbeutung und fordern ein was uns nicht zusteht. Ist das nicht paradox? Bei mir war Geld also in erster Linie ein Symbol dafür, ein toller Hecht zu sein, wodurch ich endlich geliebt und anerkannt werden würde. Je mehr Geld ich besaß, desto mehr Anerkennung würde ich auch bekommen und dann würde es mir endlich gut gehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass dieses Prinzip nicht nur für Geld, sondern auch für Frauen galt. Als Jugendlicher hatte ich stets das Gefühl, dass ich keine Freundin haben durfte, da ich dadurch meine Mutter verletzen würde. Eine Freundin zu haben und damit eine Partnerin, die ich liebte, war für meine Mutter gleichbedeutend damit, dass ich sie aus meinem Leben verdrängen und abschieben würde. Ihre Angst, von allen, die sie liebte verlassen zu werden, spiegelte sich also auch hier. Eines Tages, als ich sie vor der Schule zum Abschied umarmte sagte sie mir dies sogar sehr deutlich ins Gesicht. Es war nur ein einziger, flappsiger Satz, doch er brannte sich wie ein Brandeisen in mein Gehirn und ließ mich von da an nicht mehr los: “Irgendwann hast du ja eh eine Freundin und dann umarmst du deine alte Mutter nicht mehr!” An diesem Morgen schwor ich mir: “Das wird nicht geschehen! Ich halte mich von Frauen vollkommen fern und werde niemals eine Freundin haben, denn diese Schmach will ich meiner Mutter nicht antun. Ich will auf keinen Fall, dass sie sich ungeliebt und weggestoßen fühlt!” Für eine lange Zeit zog ich diesen Beschluss knallhart durch. Als alle anderen Jungs anfingen, sich für Mädchen zu interessieren und erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln, hielt ich mich ganz bewusst fern und setzte sowohl auf der bewussten als auch auf der unbewussten Ebene alles daran, dass ich niemals für eine Frau infrage kommen konnte. Ich machte mich so unattraktiv, wie ich nur konnte, wurde picklig und bucklig trug eine schreckliche Brille und furchtbare Klamotten, die ich von meiner Mutter auswählen ließ. Dabei verhielt ich mich auf eine Art, die jede Frau abstoßend finden musste. Ich war der Looser, den niemand mochte, nicht einmal als sympathisch, trotteligen Kumpelfreund. Für lange Zeit war mir dies auch recht, denn so war sicher, dass ich meine Mutter nicht enttäuschen würde. Die Angst davor, dass ich sie durch das Vorhandensein einer Freundin verletzen könnte, holte mich sogar beim Wichsen ein. Klar hat jeder Junge irgendwo Angst davor, von seinen Eltern beim Ornanieren erwischt zu werden. Doch bei mir war es anders. Meine Angst bestand nicht nur darin, erwischt zu werden, sondern vor allem, dass sie daraus schließen könnte, dass ich mich in ein bestimmtes Mädchen verliebt hätte, an das ich dabei dachte. Wenn ich einfach nur wichste, dabei Phantasien hatte oder mir Pornos anschaute, dann wäre das peinlich, geworden, aber kein Weltuntergang gewesen. Was aber war, wenn sie glaubte, dass ich es machte, weil ich mir Sex mit einer Frau vorstellte, mit der ich dann vielleicht wirklich zusammen sein konnte? Das durfte nicht passieren!

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Später änderte sich das Muster dann. Irgendwann wurde klar, dass man als guter erwachsener Sohn auch eine passende Freundin mit nach Hause bringen musste, denn schließlich sollte es ja eines Tages perfekte Enkel geben. Nun aber stand mir natürlich meine abgrundtiefe Unatraktivität und meine bewusst gewählte Unbeholfenheit im Umgang mit Frauen komplett im Weg, so dass ich zwar immer wieder verschiedenen Frauen hinterher schmachtete, sie jedoch niemals erreichen konnte. Ich versuchte nun auch bei den Frauen das gleiche Prinzip anzuwenden, mit dem ich mir als Kind die Liebe meiner Eltern erkaufen wollte: Ich verbog mich, verkaufte und verdrehte mich und versuchte immer genau so zu sein, wie ich vermutete, dass die Frauen mich sehen wollten. Leider war ich ein verdammt schlechter Beobachter und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was eine Frau von einem Mann wollte, weshalb ich einfach immer das Tat, was man mir sagte. Ich wurde also ein Hund, der einem hinterherlief und bereits von der ersten Sekunde an als Partner ausgeschlossen wurde, weil er keine eigene Persönlichkeit besaß. Mit dem Switch zum Arschlochwesen kam dann noch ein weiterer Aspekt hinzu. Plötzlich waren Frauen für mich ein Mittel zur Rebellion mit dem ich mir selbst beweisen konnte, dass ich doch kein reiner Arschkriecher war, sondern ein toller Hengst und ein geiler Macker, der es verdient hatte, dass er sich selbst mochte und anerkannte. Meine Mutter war nun nicht mehr die einzige Instanz, von der ich mir Anerkennung wünschte. Nun kamen auch Freunde, Mitschüler und andere Menschen hinzu vor denen man sich als Weiberheld profilieren konnte. So wie ich mir mit Geld die Liebe und Anerkennung meiner Eltern erkaufen wollte, wollte ich mir nun mit Frauen und Sex die Anerkennung und Achtung der anderen und auch von mir selbst erkaufen. Mein Gedanke war: Je mehr Sex ich habe, desto mehr bin ich wert und desto mehr Anerkennung bekomme ich. Jede Beziehung und jede Affaire, jede Nähe und jede Intimität zu einer Frau, die ich jemals in meinem Leben hatte, diente also stets nur dazu, mein Ego aufzupolieren, mich selbst besser zu fühlen, mich zu loben und mir das Leckerlie der Anerkennung zu verschaffen. Es ging nie wirklich um die Frau, sondern immer nur um mein Ego. Oftmals war mir dies bereits in diesen Momenten schon bewusst und weil ich schon als Kind gelernt hatte, dass man so etwas nicht tut, fühlte ich mich deswegen schlecht, verurteilte mich und verbog mich noch mehr, in der Hoffnung, den Frauen auf irgendeine Weise ein gutes Gefühl zu geben. Es gehört sich nicht, eine Frau einfach nur zu ficken und dann fallen zu lassen. Wenn du Intimität eingehst, dann musst du sie auch lieben. Und wenn du sie nicht liebst, dann musst du ihr wenigstens das Gefühl geben, dass es so ist, damit sie sich nicht schlecht fühlt. Das aber war nicht leicht für mich, weil ich mich ja dafür entschieden hatte, überhaupt nichts zu fühlen und so machte ich diesen Mangel an echter, gefühlter Zuneigung mit Arschpuderei und Speichellecken wett. Erst jetzt im Nachhinein wird mir bewusst, dass ich Frauen durch diesen geistigen Zwiespalt unbewusst in zwei unterschiedliche Kategorien einteilte. Es gab Freundinnen und Nutten. Ich weiß, das klingt hart und ich konnte mir selbst auch sehr lange nicht eingestehen, dass dies so war, doch genau so war es. Sex hatte für mich immer etwas negatives, anrüchgies, verbotenes. Auch wenn ich als Junge keine Freundin haben wollte, hatte ich doch viele sexuellen Fantasien. Es waren jedoch nie Phantasien mit realen Personen und meist kam ich nicht einmal selbst darin vor. Sex war für mich so negativ behaftet, dass ich nicht einmal in meiner eigenen Fantasie mit inbegriffen sein wollte. Ich war natürlich schon mit daran beteiligt, aber meist ohne Gesicht, also nicht direkt als ich selbst, sondern als eine Figur oder einen Charakter aus dessen Sicht ich die erotische Geschichte erlebte, die ich mir da ausdachte. Um eine Liebesbeziehung ging es dabei jedoch nie, sondern immer um abstrakte Situationen, oft in Verbindung mit Gewalt oder Gefangenschaft und fast immer mit einer sehr dominant-devoten Rollenverteilung. Für diese Fantasien schämte ich mich so sehr, dass ich sie sogar vor mir selbst verleugnete. Zuzugeben, dass ich sie hatte, wäre für mich vollkommen unmöglich gewesen. Dementsprechend negativ war also auch mein Bezug zur Sexualität im allgemeinen. Ich konnte nicht einfach zu einem Mädchen gehen und ihr sagen, dass ich sie heiß finde. Allein eine Andeutung in diese Richtung wäre zu viel gewesen, denn damit hätte ich sie in meinen Augen beleidigt und wäre für immer bei ihr unten durch gewesen. Ich musste also subtiler vorgehen und mich so verhalten, dass sie sich in mich zunächst einmal als Freund annahm, in der Hoffnung, dass sie dann später vielleicht ein sexuelles Interesse an mir entwickelte. Drei Mal dürft ihr raten, wie gut das geklappt hat. Denn die Krux an der Sache war, dass meine Angst es mit der Frau zu verpatzen, umso mehr stieg, je mehr ich sie mochte. Schließlich war ich dann soweit, dass ich mir selbst einredete, nichts mehr von ihr zu wollen, weil ich sonst ja unsere Freundschaft gefährdete. Während ich auf der bewussten Ebene vollkommen übervorsichtig vorging, strahlten mein Körper und meine ganze Aura auf der unbewussten Ebene natürlich reine Geilheit und den Wunsch endlich einmal Sex zu haben aus. Mit dieser Kombination aus verklemmter Zurückhaltung und Sexgier musste ich natürlich jede Frau verschrecken.

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Die wenigen Male, in denen ich die Frauen nicht so sehr verschreckte, dass es am Ende doch zu einer Form der Intimität kam, geriet ich sofort in die nächste Zwickmühle. Auf der einen Seite stellte ich fest, dass ich mich mit ihnen in der Regel nicht besonders gut verstand, dass ich mit der Beziehung selbst eigentlich nicht umgehen konnte und dass ich nicht wirklich gerne Zeit mit ihnen verbrachte. Es war einfach nicht locker, nicht frei, nicht authentisch und damit auch nicht angenehm. Doch ich hatte Angst, dass ich niemals wirklich Sexualität leben konnte, wenn ich die Beziehungen nur aufgrund meiner Gefühle sofort wieder beendete. Der Drang, mir selbst und meinem Umfed durch Sex meine Männlichkeit zu beweisen, war einfach zu groß. Also musste ich zumindest so lange mit den Frauen zusammen bleiben, bis es zu einem sexuellen Erlebnis kam. Doch sobald es das gab ertönte sofort wieder die Moralstimme in meinem Kopf: “Du kannst jetzt nicht Schluss machen! Denn wenn du das tust, warst du nur mit ihr zusammen, um sie flachzulegen und so etwas tun nur Arschlöcher! Willst du ein Arschloch sein? Nein, das willst du nicht! Du willst ein guter Mensch und vor allem ein guter Sohn sein, auf den deine Mutter stolz sein kann! Also reiß dich gefälligst zusammen und fang an die Frau zu lieben, damit du mit ihr zusammen sein kannst! So schwer kann das doch nicht sein!” Ich versuchte also stets, nicht nur den Frauen etwas vorzumachen, wie es normale Männer tun, sondern vor allem auch mir selbst. Sobald ich also die Möglichkeit hatte, mit einer Frau intim zu werden, herrschte ein Krieg zwischen zwei unterschiedlichen Parteien in mir. Die eine Stimme war die meines Schwanzes, die sagte: “Geil, wir haben endlich was zum ficken! Ist doch vollkommen gleich, wer die alte ist, Hauptsache sie hat ein Loch!” Die andere war die Moralstimme, die mich für genau dieses Triebdenken verurteilte und versuchte, die Frau als guten Freund zu betrachten und ihr aufgrund des schlechten Gewissens den Arsch hinterher zu tragen. Dass mein höheres Selbst hier irgendwann einen Strich gezogen und gesagt hat: “Wenn das deine Vorstellung von Beziehung ist, dann haben Beziehungen in deinem Leben nichts verloren! Von nun an lebst du in Enthaltsamkeit und im Zöllibat!” ist also kein Wunder. Doch kommen wir noch einmal zum Geld zurück. Denn die Anerkennungssucht durch finanziellen Erfolg war nicht das Einzige, das ich mit Geld verband und noch immer verbinde. Für Heiko ist Geld ein Rohstoff, aus dem man verschiedene Projekte und Lebensbestandteile bauen kann, durch die er sowohl dienen als auch seinem Erwachen näher kommen kann. Der Wunsch erfolgreich zu sein kommt bei ihm also aus dem Herzen, da er spürt, dass der Erfolg dazu führt, dass er noch hilfreicher sein kann und der Schöpfung somit noch besser dient. Bei mir hingegen ist der Wunsch nach Geld ein reiner Verstandeswunsch. Mein Verstand sagt: “Wenn du Geld hast, dann kannst du aufs Universum scheißen und auch auf die Welt, aufs Leben, auf Gott, auf dein Gottbewusstsein! Du brauchst das alles nicht, denn du hast ja das Geld und mit dem kannst du dir alles kaufen: Frauen, Anerkennung, Sicherheit, Liebe, Wohlstand, Gesundheit, Essen, Abenteuer und Bequemlichkeit. Du bekommst nun die Anerkennung von den Eltern, die du so sehr wünschst. Was also willst du mehr? Das Einzige, was du im Leben brauchst ist echt viel Geld. Dann brauchst du auch kein Urvertrauen mehr! Dann passt alles! Du musst dich nicht mehr selber finden, du musst dich nicht wandeln, nicht erkennen, wer du wirklich bist und niemals ins Erwachen kommen. Du kannst weiterhin ein unaufmerksames, nerviges Arschloch sein! Du kannst sogar ein Trottel und Tollpatsch bleiben und stets alles kaputt machen, da du es dir dann ja einfach neu kaufen kannst. Hab also einfach Geld und dann passt es!”

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Als ich erkannte, dass dies meine Einstellung zu Geld war, erschrack ich wieder einmal zu tiefst vor mir selbst. Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich wirklich eine vollkommene Geldnutte war. Mein Verstand pochte so sehr auf der Universallösung Geld, dass ich alles was ich tat nach diesem Zahlungsmittel ausrichtete. Ich schrieb das Buch, um damit Geld zu verdienen und fragte mich daher, was ich schreiben musste, damit es mir dieses Geld einbrachte. Ich schrieb den Blog in der Hoffnung, damit Geld zu verdienen und ich hatte mit der gleichen Motivation auch alle Kurse als Erlebnis- und Wildnispädagoge gegeben. Bislang hatte ich immer geglaubt, dass es mein Verstand und meine Angst war, die mich davon abhielt, wirklich erfolgreich und damit auch reich zu werden. Aber das stimmte nicht. Es war genau anders herum. Mein Verstand und meine Ängste drängten mich regelrecht dazu. Was mich davon abhielt waren mein Herz und der Hüter meines Gottbewusstseins, die auf diese Weise verhindern wollten, dass ich vollkommen zum Arschloch mutierte. Denn sowohl das Buch als auch der Blog und vieles andere, das ich in meinem Leben getan habe, waren am Anfang echte Herzensprojekte gewesen, die dann von meinem Verstand korrumpiert worden waren. Hätte ich meinem Verstand vollkommen die Oberhand gelassen, dann hätte ich nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium gemacht mit dem ich irgendeinen wissenschaftlichen oder mathematischen Job in einem stabilen Großunternehmen bekommen hätte. Meine Noten und auch die Kurse, die ich in der Schulzeit belegt hatte, hätten durchaus dafür gesprochen und es wäre sicher keine Schwierigkeit gewesen, einen gutbezahlten, sicheren Job zu bekommen, der mich mein Leben lang versorgt und der mir die Anerkennung meiner Eltern gesichert hätte. Doch mein Hüter und mein Herz waren aktiv genug gewesen, um dies zu verhindern. Und so verhinderten sie auch nun wieder, dass ich mit dem Buch erfolgreich werden konnte, indem ich zunächst einmal alles in den Sand setzte. Solange ich unerfolgreich blieb und kein Geld zur Verfügung hatte, wurde auch mein Verstand einigermaßen im Zaun gehalten und ich musste aus der Notwendigkeit meiner Lebenssituationen heraus immer weiter in Richtung Urvertrauen und erwachen gehen. Doch uns allen war klar, dass mein Verstand zu mächtig war, als dass ich ihn noch in die Schranken weisen konnte, wenn er erst einmal genügend Mittel hatte, um seine Egopläne umzusetzen. Also musste mein höheres Selbst frühzeitig verhindern, dass es soweit kam. Solange wir das nicht erkannten, litt natürlich das ganze Projekt darunter und dies durfte nicht sein. Es konnte einfach keine Lösung sein, dass tausende von Lesern kein hilfreiches Werk in die Hände bekamen, nur weil ich nicht mit Geld umgehen konnte. Und es konnte auch nicht sein, dass Heiko in seinem Erfolg blockiert wurde, weil wir uns beide in dieser Hinsicht über einen Kamm scherten. Jetzt wo uns dies bewusst wurde, war der nächste Schritt klar und deutlich: Genau wie sexuelle Beziehungen hatte auch Geld in meinem Leben nichts verloren. Bereits auf unserer Obdachlosentour vor vier Jahren hatte ich gespürt, dass sich das Leben ohne Geld für mich zum ersten Mal frei und leicht anfühlte. Und auch auf unserer Reise lebten wir ja nun bereits seit zweieinhalb Jahren größtenteils ohne Geld. Dennoch war Geld für mich stets ein präsentes Thema und ich machte mir wesentlich mehr Gedanken darüber, wie ich ins Verdienen kommen konnte, als über meine eigene geistige und gesundheitliche Entwicklung. Ich sah das Thema vollkommen verbissen an und versuchte alles zu erzwingen, so dass nichts funktionieren konnte. Die ganze Zeit über versuchte ich irgendwie finanziell erfolgreich zu werden und fragte mich stets, warum es mir einfach nicht gelingen wollte. Jetzt wurde mir klar, dass es nicht klappen konnte, weil es überhaupt nicht mein Weg war. Es war Heikos Weg, aber eben nicht meiner. Ich beschloss also, auf meinen Anteil des Buches zu verzichten und es von nun an nur noch als Herzensprojekt zu schreiben. Schritt für Schritt würde ich dann auch mein Konto und alles andere auflösen, so dass ich von nun an wirklich vollständig ohne Geld leben konnte.

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Zunächst schien es nun so, als wäre der Knoten damit gelöst und als könne ich nun endlich frei und unbeschwert am Buch schreiben, Fortschritte machen und einen wertvollen Beitrag leisten. Doch schon sehr schnell stellte sich heraus, dass sich nichts verändert hatte. Ich war noch immer genauso blockiert wie zuvor und ich lieferte noch immer die gleiche Scheiße ab. Die Erkenntnis über das Leben ohne Geld war wichtig gewesen, aber sie war im Vergleich zu dem, was es zu erkennen galt so gering, dass sie kaum ins Gewicht fiel. Es dauerte nicht lange und der Druck wurde sogar noch stärker als je zuvor. Ich war nun nur noch als Assistent am Buch beteiligt und hatte die Aufgabe, Korrektur zu lesen, zusammenzufassen, Doppelungen und Ausschweifungen einzukürzen und einen Fluss reinzubringen, der den Lesern das Lesen leicht und angenehm machte. All dies waren Aufgaben, die ich früher sehr gut konnte und die keine große Sache hätten sein dürfen. Und doch verpatzte ich alles, was ich in die Finger bekam. Jeder Text, den Heiko mir zum korrigieren gab, war im Anschluss schlechter als zuvor und so musste Heiko ein weiteres mal drübergehen um ihn wieder ins Reine zu bringen. Das Heiko davon tierisch angenervt war, lässt sich leicht nachvollziehen und was mich selbst betraf, so verstand ich die Welt nicht mehr. Ich versuchte stets mein Bestes und es kam nur gequirlte Scheiße dabei heraus. Wie konnte das sein? Nach einem weiteren Donnerwetter begriff ich etwas, das ich zuvor noch nie begriffen hatte. Ich hatte schon unzählige Male geschrieben, gehört und gesagt, dass es wichtig war, eben genau die Rolle anzunehmen, die man in seinem Lebenstraum gerade innehatte. Alles war stets genau so richtig, wie es war. Wenn ein Mensch gerade die Rolle eines Mörders, Kinderschänders oder Vergewaltigers hatte, dann war dies richtig so und um ins Erwachen zu kommen, musste er diese Rolle annehmen und ehren. Wenn man einen Text über diese Dinge schrieb, dann tippte sich dies recht einfach. Nimm einfach alles an und dann passt der Lack. Doch nun erkannte ich, wie schwer das in Wirklichkeit war. Wieder einmal war ich ein besserwisserischer Großkotz gewesen, der über etwas lammentierte, von dem er keine Ahnung hatte. Also half mir das Leben, bzw. mein höheres Selbst dabei, dieses fehlende Verständnis zu bekommen. Ich wurde zwar nicht zum Mörder und auch nicht zum Kinderschänder, aber ich erkannte zum ersten Mal wirklich, was für ein Parasit, Schmarotzer und Nervenbeutel ich war. Bislang hatte ich es immer soweit im Rahmen halten können, dass es zwar immer mal wieder durchblitzte, den Meisten und vor allem mir selbst, aber nie wirklich auffiel. Eigentlich war ich doch ein netter, freundlicher junger Mann, der sich stets bemühte und der immer nur das Beste für alle wollte. Nein! Das war das Bild, das ich präsentierte. Fakt aber war, dass ich ein unnützer, gefühlstoter Robotter war, der niemandem wirklich half, der nur an sich selbst dachte, stets auf seinen eigenen Vorteil pochte und sich dabei aber immer wieder selbst sabotierte. Ich war eine feige, nervige Arschgeige, die versuchte, es immer allen Recht zu machen, dabei aber auf den Gefühlen derjenigen herumtrampelte, die ihm am nächsten standen. Genau dies war die Rolle, die ich im Moment in meinem Lebenstraum einnahm und die es anzunehmen und zu lieben galt. Liebe dich dafür, dass du ein Arschloch bist, denn genau in diesem Moment ist es wichtig und richtig, dass du es bist! Super Sache! Das schreibt und sagt sich echt einfach, wenn man nicht in der Situation steckt, aber in diesem Moment erschien es mir absolut unmöglich. Ich wollte verdammt nochmal kein Schmarotzer und kein parasitäres, nichtsnutziges Arschloch sein, das niemand leiden konnte und das jedem auf den Sack ging. Ich wollte kein herablassender Besserwisser sein, der alles verurteilte und abwertete, das er nicht verstand. Ich wollte ein wertvolles und geliebtes Mitglied der Erdengemeinschaft sein, dass sein Darma lebte und auf dass ich und andere Stolz sein konnten. Doch genau darum ging es! Um die Liebe auszudehnen braucht es sowohl den Heiler, als auch den Zerstörer. Und nur wenn man den Zerstörer ebenso lieben konnte, wie den Heiler, hatte man wirklich begriffen, dass alles eins ist und dass alles nur eine Illusion ist. Den Tobias, der die Rolle des Arschlochs überahm um so die Reibung und die Spannung zu erschaffen, durch die sich die Liebe ausdehen konnte, gab es überhaupt nicht. Er war eine Illusion, ein Gedankenkonzept, eine Spiegelung in der Matrix. Und doch identifizierte ich mich mit ihm und ich hasste ihn für alles was er tat und war. Er war für mich kein Liebesausdehner, sondern ein widerliches Geschöpf, für das ich mich schämte und das ich am liebsten sofort vernichtet hätte. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich in der Rolle des Zerstörers nicht lieben. Genauso wenig, wie ich die Zerstörer in Form der Elite, der Großkonzerne und der Zivilisationsmenschen an sich lieben konnte. Ich verachtete sie und sah sie als das personifizierte Böse an, obwohl ich selbst von mir glaubte, dass ich sie achten und ehren würde. Doch dies war nichts als eine leere Floskel. Genauso wie ich jetzt selbst zu mir sagte, dass ich mich trotz meiner Arschloch-Rolle mochte. Es war nicht authentisch und ich konnte mir selbst nicht glauben. Folglich konnte ich die Rolle aber auch nicht ablegen, da ich mich ja weigerte, mir überhaupt einzugestehen, dass ich sie innehatte. Heiko war hier einen Schritt weiter. Nachdem er mich ein weiteres Mal ordentlich zusammengeschriehen hatte, sagte er: “Du weißt, ich mag dich auch, obwohl du ein Arschloch bist!” Und anders als ich, meinte er diese Worte ernst. Sie waren authentisch und wahr und sie berührten mich so tief, dass ich für einen Moment die kalte, tote Fassade meiner Gegnersfratze fallen ließ und zu weinen begann.

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Später wurde mir klar, dass ich nicht nur die Arschloch-Rolle nicht annehmen konnte, sondern überhaupt keine Rolle, die ich in meinem Leben spielte. Erst jetzt wurde mir bewusst, was es bedeutete, sein Dharma, also seine Lebensmission zu erkennen. Wenn Gott alles ist was Existiert, also das gesamte Universum mit all seinen Facetten, und wenn alles gemeinsam wie ein einziger, riesiger Organismus ist, dann sind wir alle gewissermaßen Körperzellen von Gott. Jedes Wesen im Universum ist eine solche Zelle und es ist seine Lebensaufgabe, die Arbeit zu erledigen, die ihm als diese eine spezifische Zelle vorgegeben ist. Wenn ich eine Hautzelle im kleinen Zeh bin, dann ist es meine Aufgabe, mich mit den Hautzellen in meiner Umgebung zu verbinden und so ein festes, wiederstandsfähiges Gewebe zu bilden, das dem Druck des Körpers auf den Boden standhält. Bin ich hingegen eine Leberzelle, dann ist es meine Aufgabe, die Enzyme herzustellen, die der Körper für die Entgiftung und zur Aufschlüsselung der Nahrung benötigt. Wenn ich als Leberzelle hingegen versuche, ein Außenhautgewebe aufzubauen, mache ich mir und meinen Nachbarzellen das Leben damit nicht nur unsagbar schwer, ich schädige auch den gesamten Organismus. Um also überhaupt hilfreich sein zu können, musste man wissen, welche Körperzelle man war und sich auch dementsprechend verhalten. Normalerweise sollte dies kein Probem sein, denn als göttliches Wesen bekommen wir immer das Wissen über unser wahres Sein und damit auch über unsere Aufgabe als Gotteszelle mit auf unseren Lebensweg. Jedes tier weiß instinktiv, was seine Lebensaufgabe ist und bei vielen Spezies benötigen sie dafür nicht einmal Eltern, die ihnen den Weg zeigen. Sie schlüpfen irgendwo aus einem Ei, laufen los und erfüllen ihr Dharma. Bei uns Menschen ist das etwas anders, weil wir einen Verstandesgegner haben, der uns verwirrt und von unserem Lebensweg abbringt. Um zu erkennen, was unsere Aufgabe ist, müssen wir also tief in uns hineinfühlen und spüren, was uns unser Herz zu diesem Thema sagt. Auch dies habe ich schon oft gehört, geschrieben und gesagt und doch wurde mir nun klar, dass ich selbst nichts davon verstanden hatte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, was meine Lebensaufgabe war und da ich mich als Kind dafür entschieden hatte, ein funktionierender Robotter ohne Gefühle zu werden, half mir auch das In-Mich-Spüren nie wirklich weiter. Klar, es hatte irgendetwas mit Reisen, Heilen und Wissen zusammentragen zu tun, aber was das genau bedeuten sollte, wusste ich nicht im Geringsten. Stattdessen hatte ich mich einfach an Heikos Lebensaufgabe gehängt und mir gedacht: “Irgendwie passt sie ja zu meiner, wenn ich also alles so mache, wie er, dann werde ich damit wohl nicht so falsch liegen!” Doch genau das Tat ich. Ich lag so falsch wie ich nur liegen konnte. Denn nur, weil sich zwei Dharmas ergänzten und weil sie Hand in Hand ineinander griffen, bedeutete dies nicht, dass sie auch gleich waren. So gibt es beispielsweise eine perfekte Partnerschaft zwischen Aligatoren und kleinen Putzervögeln, die mehr oder weniger auf ihren Köpfen leben. Die Aligatoren treiben die meiste Zeit ihres Lebens entspannt im Wasser umher und obwohl sie zu den gefährlichsten Beutegreifern der Welt gehören, wissen die kleinen Vögel, dass sie vollkommen unbesorgt bei ihnen leben können. Sobald ein Alligator sein Maul öffnet, hübfen die Vögel sogar hinein und picken ihm die Fleischreste aus den Lücken zwischen den messerscharfen Zähnen. Ein einziger kurzer Haps vom Alligator würde ausreichen, um den Vogel selbst zu einem solchen Fleischrest zu machen, doch sowohl Vogel als auch Reptil wissen, dass dies nie passieren wird, weil beide von der Beziehung profitieren. Dies funktioniert aber nur, weil jeder seine Aufgabe hat und diese auch annimmt. Würde der kleine Vogel nun anfangen, seine eigene Rolle abzulehnen, weil ihm sein Ego sagt, dass es erniedrigend ist, die Fleischreste aus dem Maul eines anderen zu fressen, würde er sich damit automatisch das Leben zur Hölle machen. Er würde nun vielleicht versuchen, selbst ebenfalls ein Krokodil zu sein, weil er dies deutlich cooler findet, als sein wahres Sein als Putzervogel. Wenn er nun jedoch versucht, über mehrere Stunden hinweg reglos im Wasser zu treiben, bis er nahe genug an einem trinkenden Gnu ist, so dass er blitzschnell zuschnappen und es mit seinem winzigen Schnabel reißen kann, dann kann das nur tragisch enden. Das Gnu merkt wahrscheinlich nicht einmal, dass ihm ein kleiner Vogel im Fell hängt und selbst wenn es der Vogel schaffen würde, ihn mit seinem Schnabel zu verletzen, wäre er mit der Tötung und dem Verzehr vollkommen überfordert. Andersherum denkt sich nun vielleicht das Krokodil, dass sein Leben als Beutegreifer sehr anstrgengend und gefährlich ist. Sein Verstand redet ihm ein, dass er sich fürchten und Angst haben muss, denn wie leicht kann es passieren, dass er sich bei einer Todesrolle selbst verletzt oder den Huf seines Beutetiers in die Augen bekommt. Also versucht nun das Krokodil stattdessen die Fleischreste aus den Zähnen seine Artgenossen zu picken, wenn diese zufällig den Mund aufmachen.

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Im Tierreich wird sehr schnell deutlich, dass dies vollkommen lächerlich und sinnlos ist. Doch wir Menschen tun genau das. Wir übernehmen nicht die Rollen, die uns von unserem eigenen höheren Selbst zugedacht wurden, sondern versuchen die zu übernehmen, die wir für besonders cool oder angesehen halten. So will jeder der Star, der König der Chef oder der Meister sein, ganz egal, ob dies sein Ding ist oder nicht. Doch ein Organismus, der nur Herzzellen hat, weil alle Zellen dies am coolsten finden, kann nicht funktionieren. Er ist nur dann lebensfähig, wenn jede Zelle die Rolle übernimmt, die ihr zugedacht ist. In meinem Fall bedeutete dies, dass ich immer unbewusst davon ausging, dass ich genauso sein müsste wie Heiko und auch mehr oder minder die gleichen Rollen und Aufgaben übernehmen müsste. Daher kam ich mir oft unzulänglich vor, wenn ich merkte, dass ich mit vielem vollkommen überfordert war. Ich war kein Organisationstalent, das stets den Überblick behielt und immer genau wusste, was wann wie geschehen musste, damit alles am Laufen blieb. Ich war kein Seher, der immer sofort erkannte, welche Krankheiten oder Probleme ein Mensch hatte, so dass er ihm dann den passenden Stupser für die Heilung geben konnte. Ich war auch nicht derjenige, der aus tausend verschiedenen Büchern die versteckten Erkenntnisse herausfiltern konnte, die nicht einmal den Autoren selbst bewusst waren, um so Zusammenhänge zu erkennen, die ein vollkommen neues Licht auf die Dinge warfen. All dies war Heikos Dharma aber nicht meins. Doch das war mir nie aufgefallen, weil ich zum einen keine Ahnung hatte, was mein Ding war und weil ich zum anderen glaubte, dass wenn Heiko oder irgendjemand anderes von etwas begeistert war, dass die gleiche Sache wahrscheinlich auch die gleiche Begeisterung in mir auslösen würde. Doch das war natürlich Blödsinn. Zum ersten Mal in meinem Leben begriff ich nun, was es wirklich bedeutete, seinen Platz im Leben zu finden und auch anzunehmen. Ich wusste zwar noch immer nicht genau, was dieser Platz war, aber ich kam der Sache nun schon etwas näher.

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: You have enough. All you need is less (Thich Nhat Hanh)

Höhenmeter: 180 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 16.461,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Zeltplatz am Flussufer, nahe Brehuieşti, Rumänien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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