Round-Up

von Franz Bujor
04.04.2014 16:27 Uhr

Noch 7 Tage bis zum 100-tägigen Jubiläum unserer Weltreise!

 

Nach dem Abendessen saßen wir noch lange zusammen und unterhielten uns über unterschiedliche Themen. Claire erzählte uns von verschiedenen Wallfahrtsorten, die noch auf unserem Weg lagen und die wir unbedingt besuchen mussten. Außerdem hatte sie Freunde und Bekannte überall auf der Welt, deren Adressen sie uns gab, für den Fall, dass wir irgendwo einen Schlafplatz brauchten. Eine ihrer Töchter studierte zurzeit in München, eine andere lebte in China, Freunde wohnten in Lissabon und eine befreundete Nonne wohnte in der Nähe von Avignon. Bei den Pilgerorten war es vor allem spannend, wie unterschiedlich sie sich entwickelt hatten. An jedem Ort hatte es irgendwann einmal eine besondere Begegnung zwischen einem Menschen und Maria, Jesus oder Gott gegeben. Die Menschen hatten später von ihrem Kontakt berichtet und zum Teil Bücher geschrieben oder die erhaltene Nachricht auf andere Weise verbreitet. Einige Orte waren daraufhin zu pompösen Heiligtümern gemacht worden, die schon bald wahre Touristenmagneten wurden. Heute sind es florierende Städte, mit vielen Geschäften, Souvenirläden und Tausenden von Besuchern, von denen fast niemand mehr weiß, warum dieser Ort überhaupt bekannt wurde. Andere Plätze hingegen blieben weitgehend unbekannt und sind heute eher Geheimtipps für Menschen, die nach einem Ort der inneren Einkehr und der Verbindung zu Gott und/oder sich selbst suchen.

Später kamen wir dann zu weniger heiligen Themen. Den ganzen Tag über hatten wir wieder jede Menge Felder gesehen, die komplett rot oder braun waren. Auch hier hörte die Verfärbung wieder so präzise an den Rändern der Felder auf, dass es keinen Zweifel an der Ursache des Pflanzensterbens gab. Auch unsere Gastgeber sahen dem großzügigen Giftgebrauch in ihrer Region mit Bedauern und Sorge entgegen. „Es ist unglaublich, wie dumm wir Menschen sind, dass wir so mit unserer eigenen Nahrung umgehen! Ich weiß wirklich manchmal nicht, was ich noch kaufen soll!“

Wie wir bereits vermutet hatten, handelte es sich bei dem Gift um Round-Up, ein Pflanzenvernichtungsmittel von Monsanto. Es ist ein Gift, das alles tötet, was nicht zuvor über Genveränderung resistent gemacht wurde. Fast alles, denn ein paar wirklich hartnäckige Wildkräuter waren selbst auf diesen Feldern noch immer grün. Was uns jedoch noch mehr schockierte, war, dass das gleiche Gift auch von Privatpersonen eingesetzt wurde, um ihre Einfahrten, Zäune oder selbst die Gräben um ihre Grundstücke von Unkraut zu befreien. Dass ein Bauer ein Pflanzengift verwendet, um seinen Absatz zu steigern oder weil er zuvor eingeredet bekommen hat, dass dies die beste Art der Landwirtschaft sei, das war ja noch irgendwo zumindest ein bisschen nachvollziehbar. Aber dass Menschen das Gift in ihre eigenen Gärten sprühen, dorthin wo ihre Kinder spielen und ihre Hunde nach Mäusen jagen, das wollte einfach nicht in unseren Kopf. Wie kam jemand auf solch eine Idee? Und dann auch noch in der Menge? Wenn es ein oder zwei Landwirte gewesen wären, hätte man sagen können: ‚ok, die hatten eben noch Gift vom Feld über und das musste ja irgendwo hin.’ Aber es gab Dörfer, in denen fast jeder seinen Garten mit einem roten Streifen der Verwüstung eingerahmt hatte.

Auch Claire und ihr Mann waren ratlos, was dieses Thema betraf. Schließlich kamen wir dann auch noch auf die Problematik mit den Weichmachern im Kunststoff, die dafür sorgen, dass die Fruchtbarkeit der Männer stetig weiter abnimmt. Wir erzählten von den Forschern in Dänemark, die Studien mit Hochrechnungen erstellt hatten, nach denen die Fruchtbarkeit der Männer in zwanzig Jahren gegen null gehen würde, wenn wir so weitermachten wie bisher. Es war kein besonders fröhliches Thema und so wechselten wir später wieder zurück zu lustigen Anekdoten von unserer Reise.

Heute Morgen zeigten uns die beiden dann noch die Turbine, mit der sie seit zwei Tagen ihren eigenen Strom produzierten. Der Fluss führte im Moment etwas zu viel Wasser, sodass das Gefälle zu gering war. Dadurch wurde weniger Strom produziert, als möglich wäre, aber im Sommer würde es deutlich ertragreicher sein. Wir fanden heraus, dass auch in Frankreich die Energiekonzerne keine großen Freunde von Menschen waren, die sich selbst mit Energie versorgen wollten. Die Familie hatte ein Jahr kämpfen müssen, bis sie die Turbine in Betrieb nehmen konnten. Und auch hier war es so, dass man mehr Geld dafür bekam, wenn man den Strom ins Netz einspeiste als man für den gekauften Strom bezahlen musste. Ein gutes Prinzip, wenn man verhindern wollte, dass die Menschen wirklich autark leben. Denn wer würde es ablehnen, Geld mit seinem selbst produzierten Strom zu verdienen? Auch wenn die Stromkonzerne mehr Probleme mit der Integrierung dieses Stroms ins allgemeine Netz haben, als es ihnen nutzt, können sie auf diese Weise trotzdem die Kontrolle behalten.

Eine der Freundinnen von Claire lebte gut 25 Kilometer von ihrem Haus entfernt am Jakobsweg und sagte zu, uns für die Nach aufzunehmen. Unser Weg führte diesmal auf einer ehemaligen Bahnstrecke entlang. Sie verlief kerzengerade durch den Wald, und zwar so lange, dass man das Ende nicht sehen konnte, obwohl es vor einem lag. Es dauerte nicht lange und wir hatten das Gefühl in einem unendlichen Tunnel aus Bäumen gefangen zu sein. Weder nach vorne noch nach hinten gab es irgendeine Veränderung, egal wie weit wir auch gingen. Diese Strecke war 11 Kilometer lang, kam uns aber noch bedeutend länger vor. An ihrem Ende kamen wir nach Captieux. Dort fragten wir im Rathaus nach der exakten Adresse von Claires Freundin und baten um eine Landkarte. Von hier bis zu ihrem Haus waren es noch gut 8 Kilometer und wir waren mit unserer Energie schon ziemlich am Ende. Hinzu kam, dass Heikos Lunge seit gestern noch deutlich schlimmer geworden ist und so sehr brannte, dass er kaum atmen konnte. Die Frau im Rathaus musste uns unsere Erschöpfung angesehen haben, denn sie schlug vor, dass wir auch hier bleiben könnten. Nach kurzem Zögern sagten wir zu und gaben der Dame Bescheid, dass wir heute nicht mehr kommen würden. Nachdem wir uns in der Herberge eingerichtet hatten, fiel Heiko ins Bett und wollte nicht einmal mehr etwas essen. Zumindest nicht innerhalb der ersten Viertelstunde. Dann wurde es langsam wieder besser und auch der Appetit nahm zu. Jetzt sitzt er links von mir, mit einem Handtuch auf dem Kopf und hält seinen Schnufel über einen Topf mit heißem Inhalierwasser. Spannenderweise ist dies die erste Pilgerherberge auf unserer Reise, in der eine große Packung mit Taschentüchern auf dem Tisch steht. Fast so, als hätte sie uns heute hier erwartet.

Spruch des Tages: Alles was sich lohnt getan zu werden, lohnt sich auch unperfekt getan zu werden.

 

Tagesetappe: 17 km

Gesamtstrecke: 1914,97 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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