Tag 966: Einfach ruhig und entspannt unterwegs sein

von Heiko Gärtner
07.09.2016 03:57 Uhr

10.08.2016

In einer Arbeitspause, während die Computer mit dem kopieren der Dateien beschäftigt waren, testeten wir noch einmal mein Sanktionskonto aus und mit erschrecken stellte ich fest, dass sich schon wieder eine immense Summe angesammelt hatte. Dieses Mal jedoch, hatte ich überhaupt keinen großen Scheiß gebaut und für einen Moment konnte ich mir nicht erklären, wie es dazu kam. Dann aber wurden mir die unendlich vielen Kleinigkeiten bewusst, die mir ununterbrochen passierten. Als wir noch einmal genauer nachtesteten, kam heraus, dass ich pro Tag rund 50 Mal gegen mein Herz verstieß. Es ging nicht darum, dass mir hin und wieder ein Missgeschickt passierte, sondern darum dass ich diese Pannen unterbewusst willentlich provozierte, weil ich noch immer das Muster in mir trug, mich dadurch an meiner Mutter rächen zu wollen. Es war noch immer die gleiche Trotzrebellion, die ich mir schon in meiner Jugend angewöhnt hatte. Obwohl ich den Kontakt zu meiner Mutter vollkommen abgebrochen hatte und sie als Person keinen Einfluss mehr auf mich hatte, hatte sich daruch für mich also noch immer nichts verändert. Es ging nicht um meine Mutter an sich, sondern um die Personifizierung, die ich von ihr noch immer in meinem Kopf präsent hatte. Vom Verstand her hatte ich kapiert, dass ich für alles in meinem Leben selbst verantwortlich war, doch ein anderer Teil in mir gab ihr noch immer an allem die Schuld, was ich als nicht ideal ansah. Ich hatte noch immer Wut auf sie und glaubte noch immer, eine offene Rechnung mit ihr zu haben. Solange ich meinen Frieden nicht geschlossen und wirklich verstanden hatte, dass ich und nicht sie für mein Leben verantwortlich war, konnte ich dieses alte Rebellenverhalten nicht lösen und arbeitete weiter Tag für Tag gegen mich.

In der Früh fühlte ich mich nach der kurzen Nacht wie gerädert. Auch Heiko ging es nicht viel besser, da er zwar früher ins Bett gegangen ist, jedoch kaum schlafen konnte, weil er sich ständig den Hals verbog und die Zehen an der viel zu kurzen Bettkannte anschlug. Die ersten Kinder waren bereits wieder bei ihrem Ferienprogramm eingetroffen und wir nahmen uns noch einen Moment Zeit, uns die anlage etwas genauer anzuschauen. Sie war wirklich liebevoll un schön gemacht und wurde nicht nur von den Kindern gut angenommen. Auch die Tiere schienen sich hier wohl zu fühlen, denn Heiko entdeckte mehrere Erdmännchen, die uns neugirig aus ihren Höhlen heraus anschauten. Unser erstes Etappenziel an diesem Tag war die Poststation, bei der wir nun das Paket mit dem kaputten Computer wieder abgaben. Dieses gestaltete sich etwas schwieriger als das Abholen am Vortag und insgesamt brauchten wir genauso viel Zeit wie in Italien, aber im Endeffekt hatten wir Erfolg. Nachdem wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, kamen wir wieder auf einen kleinen Feldweg, der uns weiter nach Norden führte. Hier trafen wir einen Rennradfahrer, der gerade seine Runden drehte und sich einen Moment Zeit nahm, um mit uns zu quatschen. Spannend war, dass er zwar fast täglich die gleiche Runde fuhr, dabei aber nie die Abzeigung bemerkt hatte, die wir nun in die nächste Ortschaft nehmen mussten. So viele Vorteile ein Fahrrad auch haben mochte, es war damit definitiv leichter, alles mögliche zu übersehen. Hinter der Abzweigung überquerten wir eine Autobahn und kamen dann noch einmal in ein abgelegenes Waldstück, wo wir uns eigentlich den Sanktionen zuwenden wollten. Gerade als ich die Brennesseln erntete, kam jedoch ein alkoholisierter Mann auf mich zu, der in einer Hütte lebte, die wir für verlassen gehalten hatten. Er war so neugierig, dass wir nun unmöglich eine Brennessel-Therapie machen konnten, denn auch wenn sie heilsam und wichtig war, sah sie für einen Außenstehenden doch immer etwas seltsam aus und man konnte nicht erwarten, dass er meine Gefühlsausbrüche dabei verstehen und richtig deuten konnte.

Nach diesem Waldstück kamen wir in einen Ort. Eigentlich hatte ich anhand der Karte befürchtet, dass der erste Feldweg ein wenig problematisch werden würde und dass wir mit Erreichen der Ortschaft wieder auf sicheren Straßen unterwegs waren. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Feldweg war astrein asphaltiert, aber hier im Ort gab es nur Sandstraßen, die kaum passierbar waren. Wie die Menschen damit zurecht kamen, blieb uns ein Rätsel. Erst zwei Ortschaften weiter kamen wir wieder auf gewöhnliche Straßen und hier gab es nun auch eine Kirche. Der dazugehörige Pfarrer sprach weder deutsch noch englisch, war aber die Unkompliziertheit in Person. Ein Blick auf unsereren Erklärungszettel reichte ihm aus und er führte uns in einen Gemeinderaum, brachte uns etwas zum Essen und das Passwort für das Internet und überließ uns dann wieder uns selbst.

Spruch des Tages: Wenn es doch nur immer so schön unkompliziert wäre!

Höhenmeter: 1100 m Tagesetappe: 33 km Gesamtstrecke: 17.500,27 km Wetter: überwiegend sonnig und warm Etappenziel: Zeltplatz im Wald, kurz hinter Raszówka, Polen

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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