Tag 979: Internationaler Tag des Lärms

von Heiko Gärtner
11.09.2016 17:36 Uhr

23.08.2016

Als wir aufwachten stand Johanna bereits wieder in der Küche und bereitete Würstchen für uns zu. Eines musste man den Polen lassen. Wenn es hier in diesem Land an etwas keinen Mangel gab, dann waren es Würste. Diese hier stammten aus dem Reportoir des Pfarrers und hatten bereits ein paar Tage auf dem Buckel, weswegen Heiko etwas vorsichtig mit ihnen war. Wieder wurde deutlich, dass sein Geschmackssinn deutlich feiner ausgebildet war als meiner, denn für mich schmeckten sie einfach nach Würstchen und ich machte mir keine weiteren Gedanken. Dazu gab es Brot, Senf und Omlette. Das Omlette musste ich allerdings selber braten, weil Johanna Angst hatte, dass sie es vielleicht falsch machen könnte.

Nach dem Frühstück machten wir noch einmal ein paar Erinnerungsfotos, sowie Fotos für die Ahnengalerie der Kirche. Dabei lernten wir auch einen Guide kennen, der normalerweise Touristen durch die Kirche führte. In unserem Fall war das nicht nötig, denn wir hatten unsere Privatführung ja bereits am Vortag von Johanna bekommen. So ruhig und entspannt, wie der Tag begonnen hatte, ging er leider nicht weiter. Zunächst einmal wurde es anstrengend, da uns die Straße immer weiter und immer steiler nach oben führte. Doch das war an sich noch nicht das Problem. Problematisch wurde es dann mit dem Verkehrsbruch. Bis hier her war es noch relativ Ruhig gewesen, aber dann bogen wir um eine Kurve un plötzlich befanden wir und in einem Verkehrschaos, wie wir es das letzte Mal in der Ukraine erlebt hatten. Wieder einmal waren wir beim gleichen Prinzip angelangt. Die schmalen Canyons boten genug Platz für genau eine Straße und hier schoss nun alles durch, was irgendwie von A nach B wollte. Genau an dieser Straße stand die Kirche, bei der wir eigentlich nach einem Platz hätten fragen wollen. Doch man musste kein Genie sein um zu erkennen, dass wir keine einzige, ruhige Minute haben würden, wenn wir hier einen Schlafplatz fanden. Also ließen wir die Kirche hinter uns und zogen weiter an der Lärmstraße entland. Das einzig positive an dieser Straße war, dass es einen kleinen Laden gab, in dem man unter anderem auch Hotdogs bekommen konnte. Ich weiß, dieses Fastfood ist ein künsliches Highlight, das nur dazu dient, einen von Lebenshemen und Unzufriedenheiten abzulenken, aber genau das war es, was wir in diesem Moment wollten.

Nach gefühlt endlosen Kilometern konnten wir dann auf eine Nebenstraße abbiegen, die jedoch wieder fast im freien Fall nach oben führte. Langsam hatten wir das Konzept in diesem Land verstanden. Es gab entweder Lärm oder extreme Anstrengung und gelegentlich auch beides in Kombination. Direkt nach dem Anstieg ging es wieder steil Bergab und kaum hatten wir wieder ebenen Boden unter den Füßen, begann auch schon wieder der Verkehrslärm.

Für den Rest des Nachmittages durchquerten wir nun eine Art Wohnsiedlung, in der es schien, als hätte man alle Lärmquellen dieser Welt genau hier eingepfercht, um herauszufinden, welche die schlimmste von ihnen war. Auch wenn die Straßen nun wieder kleiner wurden, waren doch alle befahren, als gäbe es einen Preis dafür. Doch das ständige Autorauschen war den Anwohnern offenbar noch nicht genug und so sorgten sie mit Freischneidern, Hunden, Rasenmähern, Kettensägen und tausend anderen Sachen für eine Steigerung. Einer hatte sich sogar einen Papagei auf dem Balkon, der permanent laut "Aaar! Aaar!" schrie. Bis zum Abend wurde es nicht besser und dann erreichten wir wieder einige Straßen, die den Lärm durch Ansträngung ersetzten. Als wir oben auf dem Pass waren, erkannten wir auch, was der Auslöser für dieses ganze Spektakel war. Wenige Kilometer weiter, am anderen Ende des Tals lag eine große Stadt, die den Namen Novi Sacz, also Neues Sace trugt. Wir waren also im Außenbereich und hier spielten die Leute ja fast immer verrückt. Schließlich kamen wir in eine kleinere Stadt, mit dem Namen Stari Sacz, was soviel wie "Altes Sacz" bedeutet. Beim Bau der neuen Stadt hatte man also noch einmal gazn von vorne angefangen und die Altstadt so gelassen wie sie war. Dies kam uns nun zugute, dennn zum einen war die Altstadt deutlich angenehmer, als alles im Umkreis und zum anderen gab es hier mehrere Kirchen und ein Kloster, die Hoffnung auf einen Schlafplatz machten. Die Hoffnung wurde erfüllt, jedoch von einer ganz anderen Seite, als wir es vermutet hätten. Kurz vebor wir das Kloster erreichten, wurden wir von einem jungen Paar angesprochen, die einen Stadtbummel machten. Sie waren ebenfalls nur Gäste in der Stadt und konnten uns daher zunächst nicht weiterhelfen. Als ich im Kloster dann jedoch den ersten Mönch ausfindig machte, waren die beiden zufällig wieder in der Nähe und halfen mir bei der Übersetzung. Letztlich stellte sich heraus, dass der Mönch ein unsympatischer Griesgram war, der keinesfalls die Absicht hatte, uns zu helfen.

Bei unserem Übersetzer jedoch war das etwas anderes. Sofort zückte er sein Telefon und nach nur zwei Minuten hatten wir einen Platz. er und seine Familie waren mit einer Kirchengruppe angereist und wohnten für ihren Aufenthalt in einem katholischen Seminarhaus, etwas unterhalb der Stadt. Eine der Familien hatte in letzter Sekunde wieder abgesagt und so war nun noch ein Zimmer frei, das bereits bezahlt war. Dieses konnten wir für die Nacht bekommen. Es gehörte sogar ein Abendessen und ein Frühstück dazu, wobei wir jedoch auf das Abendessen verzichteten. Der Speisesaal war riesig und voll gefüllt mit Familien, die sich alle miteinander unterhielten. Nach dem ganzen Lärm, dem wir uns den Tag über ausgesetzt hatten, wollten wir uns dies nun nicht auch noch antung. Stattdessen gingen wir wieder in die Stadt, schländerten ein wenig in den Gassen umher und machten es uns schließlich mit einer Pizza auf einer Parkbank gemütlich. Wirklich ruhig war es auch hier noch immer nicht, aber das war auch kaum zu erwarten gewesen.

Bei unserem Rundgang durch die Stadt entdeckten wir auch zum ersten Mal seit Italien wieder die blauen Muscheln und gelben Pfeile, die auf den Jakobsweg hindeuteten. Wir waren nun also wieder für einen Moment lang Pilger. Leider erfuhen wir zunächst nicht, wohin der Pilgerweg führte. Erst später fanden wir heraus, dass es sich dabei um die Via Misericordia handelte, die Krakau mit Rom verband. Der einzige Haken war, dass sie nicht durch Tschechien sondern durch die Slowakei führte und dass es auf Deutsch leider kein Kartenmaterial dafür gab.

Spruch des Tages: Gibt es denn hier niemals Ruhe?

Höhenmeter: 470 m Tagesetappe: 15 km Gesamtstrecke: 17.784,27 km Wetter: morgens sonnig, dann regen ohne Ende bis zum nächsten Morgen Etappenziel: Zur Pension umgebaute Schule, 739 11 Janovice, Tschechien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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