Tag 980: So schön und doch so schrecklich

von Heiko Gärtner
11.09.2016 17:48 Uhr

24.08.2016

Zu unserer Hoteleinladung gehörte auch ein Frühtück im Speisesaal. Anders als gestern Abend war er zu unserer Ankunftszeit vollkommen leer und so nahmen wir das Essensangebot dieses Mal an. Die Kellnerin führte uns einmal komplett durch den Saal hindurch in einen kleinen hinteren Raum, in dem es noch einmal einen Tisch für Gäste gab, die mit der Religionsgruppe nichts zu tun hatten. Hier saß bereits ein älteres Pächrchen und kaute angestrengt auf einem Brot herum. Jeder eines, nicht beide zusammen auf dem gleichen. Der Raum wurde von einem gedämpften Brummen erfüllt, das von der Capuccinomaschine ausgelöst wurde. Die Maschine gehörte zu den Privilegien, die man nutzen durfte, wenn man hier im hinteren Raum speiste und gleichzeitig war sie der Grund dafür, warum es auch hier einfach nicht angenehm sein wollte. Für uns persönlich war das Frühstück ein netter Bonus zu unserer geschenkten Übernachtung und wir waren sehr dankbar dafür, uns vor der Wanderung noch etwas stärken zu können. Doch für die zahlenden Hotelgäste war es eher eine Beleidigung.

Als wir selbst einen Bissen vom Brot nahmen, verstanden wir sofort die angestrengten Gesichter unserer Tischnachbarn. Es war nahezu unkaubar. Die Brötchen waren etwas besser, doch auch sie waren gnietschig und pappig und gehörten eigentlich nicht in den Speisesaal eines Hotels. Kurz darauf kam die Kellnerin zurück und brachte jedem von uns zwei Würstchen mit etwas Ketchup. Es war eine nette Geste und zunächst freuten wir uns auch darüber, aber mit dem ersten genaueren Blick darauf verschwand diese Freude bereits wieder. Sie waren blass mit einem leicht grünlichen Schimmer und man konnte sogar noch den Aufdruck der Plastikhüllen erkennen, in die sie eingewickelt gewesen waren. Der Geschmack war leider sogar noch etwas schlechter, wobei man sagen muss, dass der Ketchup einiges wieder gut gemacht hat. Mein Versuch, die Würstchen dadurch aufzupeppen, dass ich sie in eine Scheibe Käse wickelte, ging leider auch nach hinten los, denn der Käse bestand aus reiner Formmasse, hatte noch nie einen Tropfen Milch gesehen und schmeckte so neutral, dass ich mich fragte, ob ich ihn tatsächlich aß, oder es nur wollte, dann aber doch vergessen hatte. Die größte Frechheit war jedoch die heiße Schokolade, die unsere Kaffeemaschine ausspukte. Nicht nur, dass die Maschine einen heiden Radau machte, um etwas heißes Wasser und einige Krümel Kakaopulver in eine Tasse tropfen zu lassen, das Ergebnis schmeckte auch so wenig nach Schokolade, dass es mich sofort wieder an den Formkäse erinnerte. Wie gesagt, für ein geschenktes Frühstück war das alles in Ordnung und es war super, dass wir uns hier noch hatten stärken können, bevor wir uns wieder hinaus in das Straßenchaos stürzten. Aber für die anderen, die hierfür bares Geld gezahlt hatten, war es durchaus eine Frechheit.

In der Zwischenzeit hatte sich nun der Speisesall neben uns mit den Familien der Kirchengruppe gefüllt. Durch die geschlossene Tür bekam man davon zunächst nur wenig mit, aber dann begann ein Mann in ein Mikro zu sprechen und zu singen und dieses war auch mit einem übergroßen, blächernen Lautsprecher in unserem Raum verbunden. Spätestens jetzt war uns klar, dass es an der Zeit war, das Frühstück zu beenden und uns auf die Socken zu machen. Wir verabschiedeten uns von dem netten Pärchen, dass uns den Aufenthalt hier ermöglicht hatte und ließen das Hotel hinter uns. Für die ersten Kilometer konnten wir dabei sogar wirklich dem Jakobsweg folgen. Das machte den Weg aber leider nicht angenehmer, denn sobald wir die Altstadt verlassen hatten, befanden wir uns wieder in dem gräßlichen Einzugsbereich der Neustadt und auch der Jakobsweg hatte keine angenehme Lösung gefunden, um die Pilger hier durchzulotsen. Als es schließlich wieder angenehmer wurde, trennte sich der Jakobsweg von unserer eigenen Wegführung und ohne Karten und Wanderführer wollten wir nicht riskieren, ihm einfach blind zu folgen. Wir hatten die Flachebene nun verlassen und kamen wieder tiefer ins Gebirge, Die Wege wurden nun teilweise so steil, dass sie mit den Wagen kaum noch bezwingbar waren, doch die Landschaft war nun ein Traum und zum ersten Mal kam nun auch wieder eine angenehme Stille auf.

Oben auf dem Pass stießen wir wieder auf eine Hauptstraße und mit ihr auch auf eine kleine Raststätte, in der wir ein Schnitzel mit Pommes geschenkt bekamen. Die Krux an dieser Gegend war nur, dass zwar alles Besiedelt war, so dass man keine ungestörten Zeltplätze finden konnte, es aber zeitgleich auch so gut wie keine Infrastruktur gab. Die wenigen Kirchen, die wir finden konnten, lagen immer an den großen Hauptstraßen abseits unseres Weges. Einmal versuchten wir unser Glück, bissen dabei jedoch auf Granit, da der Pfarrer abwesend war und uns sonst niemand helfen wollte. Wieder einmal mussten wir machtlos zu sehen, wie die Stunden an uns vorrüber zogen, die wir eigentlich zum Organisieren und Aufholen benötigt hätten. Stattdessen wurde es wieder einmal ein Lauftag, an dem wir fast 40km zurücklegten. Es war, als würden wir nun, ein Jahr nach dem Besuch von Paulina, jeden Kilometer nachholen müssen, den wir damals nicht gegangen waren, um auf sie zu warten. Es war zum Verrückt werden. Auf der einen Seite gab es so unendlich viele Dinge, die erledigt werden wollten, zu denen wir aber nicht kamen und auf der anderen Seite schrien unsere Muskeln nach Entspannung und Erholung, die wir ihnen aber nicht geben konnten. Und wieder schien es, als würden die Menschen alles in ihrer Macht stehende tun, um sich das Leben so unangenehm wie möglich zu gestalten. Alles Häuser in dieser Gegend waren moderne Neubauten von Familien, die sich hier einen Platz gesucht hatten, weil es hier so schön war.

Doch dadurch, dass nun jeder hier lebte, war fast die ganze Schönheit zerstört worden. Es erinnerte mich ein bisschen an ein paradoxes Bauprojekt, über das ich mich damals in meiner Heimatstadt amüsiert hatte. Damals hatte ein großer Bauunternehmer Werbung für einen neuen Wohnkomplex mit Eigentumswohnungen im Grünen gemacht. Der Slogan lautete: "Wohnen im Eichenpark!" Doch tatsächlich hatte man für den Wohnkomplex den gesamten Eichenpark abgeholzt und zugebaut. Es war nun also nichts mehr übrig und das Haus stand vollkommen ungrün an der Hauptstraße zwischen mehreren Firmengebäuden. Hier war das gleiche passiert. So viele Menschen hatten sich ein Haus in der ruhigen Idylle der Berge gebaut, dass von Ruhe und Idylle nun nichts mehr übrig war. Wieder wimmelte es vor Lärmquellen, die fast alle vollkommen unnötig waren. Die Höhe bildete ein Bauer, der wieder und wieder im gleichen Kreis um sein Fels fuhr, um das Heu zu wenden. Dabei hatte er seine Aparatur so eingestellt, dass sie das Heu wie eine Fontaine im hohen Bogen in die Luft schleuderte. Seien gesamte Familie saß neben dem Feld und schaute ihm dabei zu.

Nach einer weiteren Hauptstraße versuchten wir, die Privatpersonen und die Besitzer der Minimärkte um Unterstützung bei der Schlafplatzsuche zu bitten. Nachdem wir aber vier Mal nur von einem zum nächsten geschickt wurden, gaben wir auch diese Taktik wieder auf. Schließlich entdeckten wir ein kleines Waldstück, das einigermaßen eben war. Den Straßenlärm hörte man auch hier, aber es war dennoch der beste Platz, den wir hätten finden können. Am Abend bekamen wir dann noch Besuch von zwei Rehen, die um unser Zelt streunerten. Ihnen ging es wie uns. Es gab so gut wie keine Rückzugsorte und die die es gab, musste man sich schnel unter den Nagel reißen.

Spruch des Tages: Wie kann etwas so schön und gleichzeitig so schrecklich sein?

Höhenmeter: 230 m Tagesetappe: 19 km Gesamtstrecke: 17.803,27 km Wetter: Regen von morgens bis abends Etappenziel: Museum, 73946 Hukvaldy, Tschechien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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