Tag 983: Kloster Kalwaria

von Heiko Gärtner
12.09.2016 01:13 Uhr

29.08.2016

Der Tag begann gleich mit einem Power-Work-Out. Direkt hinter der Kirche befand sich ein Pfad, der steil den Berg hinauf führte. Zunächst war es noch eine Straße, dann wurde es ein Weg und kurz darauf war es ein Flussbett mit Kinderkopf großen Steinen, über die wir unsere Wagen wuchten mussten. Wenn das Flussbett vor uns noch ausgetrocknet war, dann führte es hinter uns nun wieder ordentlich Wasser, so sehr rann uns der Schweiß von der Stirn. Meine Augen brannten wie der Teufel und ich erkannte noch einmal mehr, das Haare durchaus auch einen praktischen Nutzen hatten. Sonst hatten sie das Wasser von meinem Kopf immer etwas zurückgehalten, nun konnte es ungebremst in mein Gesicht fließen.

Innerhalb von nicht einmal einem Kilometer hatten wir schließlich einen Höhenunterschied von 200 Höhenmetern überwunden. Nur unsere Lungen lagen noch irgendwo auf halber Strecke, denn für sie war der Anstieg einfach zu viel gewesen.

Kaum waren wir oben angekommen, ging es auch schon wieder bergab. Fast alles was wir uns hochgekämpft hatten rutschen wir nun wieder hinunter, nur um dann gleich noch ein zweites Mal aufzusteigen. Die härteste Passage hatten wir hinter uns, aber das Grundprinzip blieb den Rest des Tages gleich.

Unser heutiges Etappenziel war das Kloster Kalwaria, ein berümter Pilgerort, an den Jährlich tausende von Menschen strömten. Naiv wie wir waren, glaubten wir, dass es dafür sicher irgendeinen Grund gab und so hatten auch wir uns diesen Pilgerort als besonderes Etappenziel auserkoren. Wie zu erwarten gewesen war, lag das Kloster natürlich ebenfalls auf einem Berg und obwohl wir uns bereits Kilometer zuvor auf der gleichen Höhe befanden, gab es keien Möglichkeit ans Ziel zu gelangen, ohne zuvor noch einmal tief hinunter ins Tal zu gehen. Hier unten bekamen wir dann einen Anruf vom Neumarkter Tagblatt, um ein Interview für einen neuen Pressebericht zu geben. Der Artikel wurde bereits veröffentlicht und wenn ihr wollt, könnt ihr ihn euch hier unter www.mittelbayerische.de ansehen.

Als wir das Kloster erreichten, braute sich über uns bereits ein heftiges Gewitter zusammen. Umso dankbarer waren wir darüber, dass unsere Hoffnung erfüllt wurde, und die Klosterverwaltung wirklich einen kostenlosen Schlafplatz für Fußpilger anbot. Insgesamt lässt sich sagen, dass der komplette Klosterbetrieb erfrischend unkompliziert war und man uns überall ohne bürokratischen Aufwand weitergeholfen hat. Das mag auf den ersten Blick nicht so klingen, als wäre das bei einem Kloster etwas besonderes. Vor allem von Italien waren wir es ja gewohnt, dass man in einem Kloster relativ schnell zu hause war, wenn man einmal als Gast akzeptiert wurde. Doch in diesem Fall war es etwas anderes. Kalwaria ist kein Kloster im klassischen Sinne.

Es ist ein Freizeit-Erlebnis-Spaß für die ganze Familie. Mönche haben wir hier nicht kennengelernt. Sie streunen zwar hin und wieder als eine Art Statisten im Hintergrund umher, halten Gottesdienste und geben Führungen, aber ansonsten wird alles von gewöhnlichen Angestellten geregelt. Das Pilgerhaus ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Einer davon ist ein Hotel, ganz so, wie man sich ein Hotel eben vorstellt. Der andere ist eine Pilgerherberge mit Massenunterkünften und Duschen auf dem Gang. Hier bekamen wir ein Zimmer, das normalerweise für gut 20 Personen ausgelegt war. Zu unserem Glück waren wir darin aber für uns alleine.

Kurz nachdem wir unser Zimmer bezogen hatten, fing es auch schon zu regnen an. Eine Außenbesichtigung des Geländes mussten wir also erst noch einmal nach hinten verschieben. Stattdessen schauten wir uns die Kirche und das dazugehörige Museum an. Beides war nett, als weder hässlich, noch besonders eindrucksvoll oder spektakulär. Später stellte sich heraus, dass dies auch für das Außengelände galt. Ein Großteil des Klostergeländes wurde von dem Pilgerhaus und von einem angegliederten Restaurant eingenommen. Ansonsten gab es ein Wohngebäude, das für die Öffentlichkeit gesperrt war, sowie die Kirche, das Museum und natürlich einige Souvernierläden. Das einzig bemerkenswärte war der Altar, für dessen kunstvolle und pompöse Verzierung man sich ordentlich Mühe gegeben hatte. Viel spannender als das Kloster selbst war jedoch die Art und Weise, wie es sich für seine Gäste präsentierte. Es war kein Ort der Stille, der Einkehr oder der Verbindung zu Gott.

Es war ein Show-Room, in dem rund um die Uhr ein Bespaßungsprogramm für jedermann stattfand. Die Gottesdienste liefen fast am laufenden Band und ununterbrochen ströhmten Massen von Menschen in die Kirche und auch wieder hinaus. Ein Muster für dieses Treiben konnten wir nicht ausmachen. Überhaupt fiel es uns schwer, den Massenandrang nachzuvollziehen, da wir nichts besonderes oder außergewöhnliches an diesem Ort ausmachen konnten.

In Italien hatten wir Klöster gesehen, die weitaus imposanter waren und die nicht einmal die Mönche selbst als beachtenswert eingestuft hatten. Spanned war noch einmal zu beobachten, dass es bei Touristenattraktionen niemals darauf ankommt, was sich dahinter verbirgt, sondern viel mehr, wo es sich befindet und wie es vermarktet wird. Die gleiche Kirche in Rom, hätte wahrscheinlich nicht einmal einen Eintrag auf dem Touristenstadtplan bekommen, hier aber reisten die Menschen sogar aus Spanien an, um sich das Kloster anzuschauen.

kalwaria pilgerort

Am meisten faszinierten uns jedoch die Fotos, die im Kreuzgang ausgehängt waren. Zum einen zeigten sie den Papst in allen Facetten, Formen und Lebenslagen. Hin und wieder tauchte der gute alte Ratzinger auf und ein oder zwei Bilder waren sogar vom Francesco zu sehen. Doch beide hatten hier so gut wie keine Bedeutung. Der einzig wahre Papst, den es je gab, war Papa Johannes Paul der Zweite, denn der stammte schließlich von hier. Für einen Deutschen war es lustig zu lesen, dass Johannes auf Ponisch "Jana" hieß.

Es hingen also überall Plakate mit dem Papst herum, die mit "Papst Jana Pavlo II" untertitelt waren. Ein bisschen passte dies ja auch zu dem femininen Touch, den der weiß-violette Dress mit sich brachte. Ob dieser Papst nun etwas besonderes geleistet hatte oder nicht, spielte hier keine Rolle. Für die polnischen Christen war er ein Heiliger. Daran ließ sich nichts rütteln!

Die übrigen Bilder zeigten die Jungmönche in ihrem alltäglichen Klosterleben, bzw. bei dem, was hier als das alltägliche Klosterleben präsentiert werden sollte. sie hüpften grinsend in ihrem Kutten herum und wirkten dabei viel mehr wie Pfadfinder, denn wie Mönche. Es waren Bilder, die zeigen sollten: "Komm hier zu uns ins Kloster und du wirst nichts als Spaß, Freude und Abenteuer erleben!" Besonders authentisch wirkte es leider nicht, aber es war sicher eine Strategie, die funktionierte. Vielleicht sollten sich die italienischen Klöster davon eine Scheibe abschneiden, denn so könnten sie vielleicht das Problem des Aussterbens lösen.

Nach der Besichtigung machten wir einen Abstecher hinüber ins Restaurant, dass sich als eine Art Kantine entpuppte. Ein kurzes Gespräch mit der leitenden Angestellten genügte und wir bekamen jeder ein Schnitzel mit Pommes und Salat. Obwohl niemand wusste, wer oder was wir waren und obwohl wir keinerlei Kontak zu den Mönchen hatten, bekamen wir also trotzdem eine Vollverpflegung. Besser hätte es an sich nicht laufen können.

In der Nacht, bevor wir dieses Kloster erreichten, hatte ich es endlich geschafft, meinen Bericht über mein Ritual und meinen Wandel zum Mönch fertig zu stellen. Heute war es nun also soweit, dass ich ihn online stellen und damit nach außen geben konnte. Ein Schritt, der mir schon seit über einem Monat stetig auf der Seele brannte. Ob es wohl ein Zufall war, dass ich ausgerechnet in einem Franziskanerkloster landete, um diesen Schritt zu gehen?

Spruch des Tages: Ist das jetzt ein Kloster oder eine Hüpfburg?

Höhenmeter: 460 m Tagesetappe: 39 km Gesamtstrecke: 17.891,27 km Wetter: Sonnig und extrem heiß Etappenziel: Zeltplatz im Gebüsch neben dem Fahrradweg, kurz vor 750 02 Přerov, Tschechien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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