Tag 984: Schlafmangel mit Folgen

von Heiko Gärtner
12.09.2016 01:53 Uhr

30.08.2016

Irgendwann morgens gegen sechs wurden wir von einem lauten Rumoren geweckt, denn nun waren die ersten Besichtigungspilger bereits wieder auf die Beine und sie machten einen Radau, wie eine Horde Holzfäller. Erst als sie unseren Teil des Gebäudes verlassen hatten, brachten wir wieder ein Auge zu. Auch die Verabschiedung aus dem Kloster war nicht persönlicher als der letzte Tag. Ein kurzer Gang zur Rezeption, ein flüchtig hingeworfenes "Danke" und ein allgemeines "Danke für den Besuch und gute Fahrt!" war alles. Man merkte auch hier, dass Kalwaria kein Kloster, sondern eine Touristenstätte war. Für unsere Belange war das ja auch vollkommen ausreichend.

Vom Kloster aus führte die Straße steil hinunter in den Ort, der so aufgebaut war, dass man hier nur noch der Hauptstraße folgen konnte, wenn man ans andere Ende wollte. Hier begann dann eine kleinere, aber noch immer stark befahrene Straße, die aus dem Gebirge in ein flacheres Hügelland führte. Weniger Höhenmeter machten wir an diesem Tag aber dennoch nicht. Wir hatten sogar im Gegenteil das Gefühl, dass wir nun nur noch rauf und runter wanderten und dass es gerade Streckenabschnitte überhaupt nicht mehr gab. Dafür aber nahm der Verkehr zusehends ab und die Wege wurden immer schöner. Zum ersten Mal seit wir Ungarn verlassen hatten, kamen wir nun durch ein Gegiet, in dem es eine friedliche Grundstimmung gab und man nicht das Gefühl hatte, dass auch einer unterschwelligen Ebene permanent Krieg herrschte.

Der Schlafmangel und die damit verbundene Unaufmerksamkeit rächten sich auch heute wieder und so mussten wir aufgrund von Verlaufen zwei kleinere Umwege in Kauf nehmen. Der erste davon führte uns allerdings einen steilen Trampelpfad hinab in ein abgeschottetes Tal, den wir anschließend wieder hinauf mussten. Hier machte Heiko dann die Bekanntschaft mit einigen Power-Brennnesseln, die ihm ordentlich die Beine verbrannten. Ich hatte dabei gleich doppelt Glück. Zum einen machte sich mein Zeitmangel zum ersten Mal bezahlt, denn da meine kurze Hose noch immer kaputt war, musste ich die Lange anziehen und war daher gegen die Brennnesseln geschützt. Zum zweiten war gerade nicht der richtige Zeitpunkt für eine Sanktion, denn andernfalls hätte ich mit diesen Kandidaten wohl für mehrere Wochen nicht mehr schlafen können.

In unserem geplanten Zielort machten wir wieder einmal die Bekanntschaft einer griesgrämigen, alten Haushälterin, die sich um das Anwesen des Pfarrers kümmerte. Der Pfarrer selbst war leider nicht da und sein Hausdrache weigerte sich mit Händen und Füßen ihn anzurufen. Also mussten wir weiter ziehen und trafen im nächsten Ortauf ein deutschsprachiges Pärchen, das gerade seine Familie beschte. So freundlich und hilfsbereit wie die Menschen in Frankreich waren sie bei weitem nicht, aber sie versuchten trotzdem ein bisschen dabei, uns zu helfen. Spannend war, dass vor allem die Frau, keine Ahnung vom Unterwegssein hatte. "Dieser Ort ist zu klein!" meinte sie, "geht doch einfach die 5km bis in die Stadt und versucht es dort! Fünf Kilometer sind doch ein Katzensprung!"

Dass fünf Kilometer eine komplette Stunde Wanderung bedeuteten und dass es unmöglich war, eine solche Strecke von der Route abzugehen, ohne zu wissen, ob man dann etwas findet oder nicht, wollte ihr nicht einleuchten. Ihr Mann nutzte die Erklärungszeit und rief en Pfarrer der besagten Stadt an. Dieser ließ uns jedoch eiskalt abblitzen. Es wäre also eine wahrhaft dumme idee gewesen, den Umweg in die Stadt zu machen. So blieben wir also auf unserer Route und kamen dabei mitten durch eine Seenplatte, die uns auch an den Folgetagen noch begleiten sollte.

Schließlich erreichten wir einen Ort, in dem es wieder eine Kirche gab. Hier trafen wir gleich zwei Pfarrer, die gemeinsam in einem Pfarrhaus lebten und in dem auch für uns noch genug Platz war. Wir bekamen sogar ein deftiges Abendessen, das aus Krakhauer-Würstchen mit reichlich Senf und Brot bestand. Insgesamt fühlte es sich bei den Beiden weniger wie in einem Pfarrhaus, sonern viel mehr wie in einer Männer-WG an.

Spruch des Tages: Kein Schlaf ist auch keine Lösung!

Höhenmeter: 390 m Tagesetappe: 41 km Gesamtstrecke: 17.932,27 km Wetter: Sonnig und extrem heiß Etappenziel: Zeltplatz auf einem Feld, kurz hinter 798 07 Brodek und Prostejova, Tschechien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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