Tag 989: Hostel am See

von Heiko Gärtner
17.09.2016 23:50 Uhr

03.09.2016

Heute ist es genau ein Jahr her, seit wir uns von Paulina getrennt haben. Wenn man das bedenkt, war es gleich noch einmal bemerkenswerter, dass wir ausgerechnet heute in einem Backpackerhostel gelandet sind, das von seiner ganzen Aufmachung her so war, wie sich Paulina damals das Leben als Weltreisende ursprünglich vorgestellt hatte. Es war ein Hostel, wie ich es auch oft in Guatemala gesehen hatte. Auf den ersten Blick war es eine kleine Traumblase der Abenteuerlust und der Freiheit.

Es war ein Platz, wie man sich den Wohnort von Peter Pan und seinen Gesellen vorstellt. Direkt an einem See gelegen, in dem man Angeln konnte, lauter kleine Hütten und Häuschen zum Übernachten, viele Naturmaterialien, die verwendet wurden, ein Swimmingpool mit Sprungturm, ein riesiges Schild über der Einfahrt, große Wiesen zum in die Sonne flacken und vieles mehr. Unter unserem Übernachtungshäuschen gab es eine Bar, in der man im Sommer sitzen konnte und davor war eine große Freifläche für allerleih Aktivitäten. Ein wirklich schöner und ansprechender Platz also! auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass es hauptsächlich Fassade ist. Der Platz verspricht eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten und eine Fülle an Menschlichkeit, die nicht existiert. Der Besitzer hatte nicht das geringste mit einem großherzigen Hippie zu tun. Er war ein knallharter Geschäftsmann, nicht mehr und nicht weniger.

Die einladende und gleichzeitig rustikale Optik des Hostelgeländes waren bewusst gewählt, gleichzeitig aber auch mit den einfachsten Mitteln zusammengeschustert. Allein unsere Hütte hatte mehr und größere Spalte und Lücken im Holz, als ein schweizer Käse, so dass die Kälte und die Mücken nach Belieben ein und ausgehen konnten. Der Swimmingpool war nicht gereinigt und sein Wasser war daher vollkommen grün. An der Wand in unserem Schlafzimmer hing eine tote Fledermaus, die bereits im letzten Winter hier verendet sein musste. Die Betten waren voll mit Mäusekod und unsere Küche war nach Angaben des Bauarbeiters, der uns die Führung und die Einweisungen für unseren Aufenthalt gab nicht zu benutzen.

Das galt für den Wasserkocher und auch für den Gasherd. Der Strom auf dieser Seite des Raumes sollte insgesamt nicht verwendet werden, weil er für nichts garantieren könne, was dann passiert. Kaum waren wir in unser Häuschen eingezogen, begannen die Bauarbeiter damit, mit einer Flex und einem Freischneider zu hantieren, was ärgerlich war, da unsere Fenster leider auch keinen Schallschutz hatten. Oberflächlich betrachtet war es ein Traumplatz, doch in Wirklichkeit war es eine Absteige für gestrandete Seelen, die nicht wussten, wohin sie sollten und die diese Scheinblae deshalb für wahre Freiheit hielten. Es war ein Ort, wie wir ihn schon oft kennengelernt hatten, ein Ort an dem man strandete um zu kiffen, zu feiern und zu trinken, bis man vollkommen vergessen hatte, warum man eigentlich unterwegs war.

Heute in der Früh schien der Besitzer dann aber trotzdem ein klein Wenig ein schlechtes Gewissen wegen der Verfassung seiner Räume gehabt zu haben, denn wir bekamen nun ein Frühstück hingestellt, das einem Kaiser würdig war. Es bestand zu einem Großteil aus Würsten, von denen wir auch einige mitnehmen konnten.

Bis zum Mittag war die Wanderung genau so, wie man sie sich vorstellt. Es gab fast nur kleine Straßen in einer schönen Seenlandschaft, nur sehr wenig Verkehr, wenige Kettenhunde und dazu war es nun sogar relativ flach. Kurz vor unserem Zielort trafen wir einen Radfahrer, der uns auf eine Apfelschorle in eine Bar einlud. Den Umstand, dass er mit seinem Rad deutlich schneller unterwegs war als wir zu Fuß, nutzte er, um im Ort schon einmal nach dem Pfarrer zu fragen. Er erreichte einen jungen, evangelischen Pastor, der versprach, mit seinem Vorgesetzten zu sprechen und dann telefonisch eine Rückmeldung zu geben. Als wir nun bei einer Apfelschorle zusammen saßen, kam dann die Antwort. Der Oberpastor hatte nein gesagt.

Doch noch warf unser Biker nicht die Flinte ins Korn. Gemeinsam mit uns ging er zur katholischen Konkurenz und fragte dort nach. Der Ortspfarrer war ausgeflogen und so war nur eine vorübergehende Vertretung anwesend.Dieser wäre zwar gewillt gewesen uns einen Raum anzubieten, konnte jedoch den passenden Schlüssel dafür nicht finden. Wir standen zu viert eine halbe Stunde vor dem Schloss und bekamen es nicht auf. Schließlich mussten wir einsehen, dass wir hier buchstäblich vor verschlossener Tür standen.

Der Radfahrer startete noch einen letzten Versuch und hoffte, jemanden von der Feuerwehr aufzutreiben, doch auch hiermit kam er nicht weiter. Ihn selber fuchste dies sogar noch weit mehr als uns. Gerne hätte er gezeigt, wie hilfreich und freundlich die Leute seiner Heimat waren, doch nun zeigte sich, dass dies nicht stimmte. Für uns war das kein großes Problem, aber der Mann war von seinen Landsleuten am Ende doch sehr enttäuscht.

Für uns bedeutete dies, dass wir noch einmal ein ordentliches Stück weiterziehen mussten. Im nächsten Ort gab es gerade eine Hochzeit. Als wir ankamen, waren es nur noch ein paar Minuten bist zur Trauung und bei meinem Versuch, den Pfarrer noch davor sprechen zu können, landete ich ausversehen auf einigen der Hochzeitsbilder. Den Pfarrer erreichte ich jedoch nicht. Stattdessen traf ich einen Jungen, der mich durch den Ort führte und versuchte etwas für uns aufzutreiben. Leider hatte auch er damit keinen Erfolg. Nach nicht einmal 15 Minuten war die Trauung beendet, doch der Pfarrer wollte und trotzdem keinen Platz geben. Wieder einmal wanderten wir weiter, doch bevor wir den Ort verließen, kam der kleine Junge hinter uns her gerannt und brachte jedem von uns ein Stück Pizza.

Von hier aus waren es nun nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze, wobei der Grenzübergang mitten in einer Stadt lag. Einen Zeltplatz vor der Stadt zu finden war unmglich und so steckten wir plötzlich mitten drin. Unsere Rettung für diesen Tag war ein großes Nonnenkloster in dem wir aufgenommen wurden. Mit Abendessen, Duschen, Haare schneiden und einem längeren Gespräch mit einer Nonne und einem Pfarrer war es wieder einmal fast zehn Uhr als wir mit dem Arbeiten beginnen konnten, Auf diese Weise konnte unser Zeitkonzept einfach nicht aufgehen.

Spruch des Tages: Es ist nicht immer wie es scheint

Höhenmeter: 70 m Tagesetappe: 15 km Gesamtstrecke: 18.051,27 km Wetter: Sonnig und extrem heiß Etappenziel: Gemeindesaal des Pfarrhofs, 2164 Wildendürnbach, Österreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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