Tag 997: Eine eigene Wohnung

von Heiko Gärtner
26.09.2016 01:08 Uhr

11.09.2016

Die letzte Stunde meiner Stehaufgabe wurde mir plötzlich kalt und ich begann sogar zu zittern.

Als der Wecker dann schließlich klingelte freute ich mich wie ein Honigkuchenpferd auf meinen warmen Schlafsack und ich hüllte mich sogar in meine lange Unterhose und meinen Fleece-Pulli, um wieder aufzutauen. In der Früh wurde es dann wieder so heiß, dass es kaum vorstellbar war, dass ich je hatte frieren können.

Bei der Wanderung merkten wir heute was wir in den letzten Tagen geleistet hatten. Die Schönheit der Wanderwege machten das laufen angenehm und anders als in der Ukraine hatten wir hier nicht mehr das Gefühl, ständig auf der Flucht zu sein. Dennoch waren unsere Tagesetappen in den letzten Tagen mindestens genauso lang gewesen, wie in der Ukraine und dieses forterte nun seinen Tribut.

Heikos Hüfte schmerzte und durch die extreme Hitze, die ständig dafür sorgte, dass wir nassgeschwitzt und klebrig waren, hatte er sich die Haut an der Innenseite seiner Beine wundgescheudert. Ein Blasenpflaster schaffte eine kurzzeitige Linderung, half aber nicht wirklich, das der nachkommende Schweiß es sofort wieder löste. Bei mir waren es vor allem die Wassereinlagerungen in den Beinen, die mir zu schaffen machten. An den Knien und den Unterschenkeln bildeten sich bereits mehrere Blasen und Eiterpusteln, ähnlich wie es vor eineinhalb Jahren in Italien an meinen Händen aufgetreten war.

Der erste Abschnitt der heutigen Wanderung verlief noch relativ eben. Dann, urplötzlich nach einer Biegung in einem Dorf befanden wir uns wieder mitten in einem Hügelland. Gegen Mittag erreichten wir dann die Stadt Vyscov, in die uns der Weg wieder einmal mit einer unübertroffenen Präzession hineinleitete.

Erst direkt im Zentrum stießen wir das erste Mal auf eine Straße mit Verkehr, doch von dieser konnte man sofort wieder in einen Stadtpark abbiegen. Noch einmal versuchten wir, einen Indoorschlafplatz von der Kirche aufzutreiben und dieses Mal hatten wir mehr Glück.

Der Pfarrer war natürlich auch hier nicht auffindbar, aber in der Kirche traf ich auf eine Frau, die gut Deutsch sprach und die uns einen Platz bei sich zuhause anbot. Sie und ihr Mann hatten eine komplette Etage in ihrem Haus für die Kinder ausgebaut, die dann jedoch nie eingezogen waren. Diese durften wir heute bewohnen.

Es gab in diesem Land wirklich nur zwei Möglichkeiten. Entweder man bekam überhaupt nichts, oder man bekam einen Top-Platz, wie man ihn sich nicht hätte vorstellen können.

Spruch des Tages: An einem Tag ist man wie ein Ausgestoßener, am nächsten bekommt man eine komplette Wohnung!

Höhenmeter: 30 m Tagesetappe: 23 km Gesamtstrecke: 18.209,27 km Wetter: sonnig und warm Etappenziel: Treffpunkt der Anonymen Alkoholiker, Tulln an der Donau, Österreich

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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