Tag 262: Toilettentraditionen

von Heiko Gärtner
20.09.2014 19:54 Uhr

Abgesehen davon, dass wir heute wieder von einigen Leuten genervt wurden, ist nicht viel passiert. Von Montserrat aus wollten wir eigentlich in einen Ort namens Los Felipes wandern. Doch aus irgendeinem Grund war dieser Ort den Einheimischen hier vollkommen unbekannt. Und das, obwohl er nur 12,1km entfernt liegen sollte. Wir versuchten unsere Richtung daher zunächst auf eigene Faust über Himmelsrichtungsbestimmung zu finden, doch das scheiterte nach kurzer Zeit daran, das jede Straße nach wenigen Metern einfach in irgendeine Richtung abbog und einen aus dem Konzept brachte. Schließlich landeten wir in einem Ort namens Turis. Dort trafen wir auf den Bruder unseres Obst-Fachverkäufers vom Vortag, der uns wieder mit einigem Essen versorgte. Außerdem konnten wir etwas Fisch abstauben. Schlafplatztechnisch funktionierte jedoch gar nichts. Die Polizistin rief unmotiviert beim Bürgermeister an und stellte die Frage so, dass er nur „Nein“ sagen konnte. Der Pfarrer war nicht da und die Nonnen wollten auch nicht helfen. Also blieb uns nichts anderes übrig als weiterzuziehen, was mit unseren Blasen an den Füßen, nicht wirklich für Begeisterung bei uns sorgte. Beim Verlassen der Stadt stellten wir dann fest, dass die Straße einmal außen um alle Häuser herumführte um dann schließlich genau an dem Punkt zu landen, an dem wir sie betreten hatten.

5km später kamen wir nach Godelleta. Dort hatte die Polizeidienststelle geschlossen und der Pfarrer war nicht da. Zum Glück trafen wir auf einen netten Jungen, der uns zum Bürgermeister führte. Der trieb eine Polizistin auf und schließlich bekamen wir dann doch einen Raum im Sportzentrum. Die arme Polizistin benötigte fast eine halbe Stunde, bis sie den richtigen Schlüssel fand und dann noch einmal genauso lange, bis sie uns erklärt hatte, wo wir die Toiletten finden.

Damit hätten wir dann so ziemlich alle Highlights des Tages beisammen. Da ich euch eh noch ein bisschen was über Toilettenpapier erzählen wollte, trifft sich das jedoch ganz gut. Denn anders als erwartet ist dieses Thema doch recht umfangreich.

Heute haben wir uns dabei mit der Frage beschäftigt, warum wir unseren Hintern überhaupt mit Klopapier oder auf eine andere Weise reinigen müssen. Denn schließlich gibt es auf der Welt keine andere Spezies, die ein solches Hilfsmittel für die Analhygiene erfinden musste, um sich sauber zu fühlen. Und ich kenne auch keine Tiere, die für die Notdurft Dinge wie eine mobile Chemietoilette erfunden hätten.

 

Wenn unsere Haustiere einen verklebten Hintern haben, dann ist dies für uns ein deutliches Zeichen dafür, dass sie krank sind. Ein Hund kackt normalerweise auf die Straße oder ins Gebüsch und das war’s! Sei Kot ist fest, leicht eingeschleimt, so dass er gut flutscht und so dass keine Reste an seinem Hintern kleben bleiben. Kaninchen, Rehe, Hirsche und Schafe produzieren Köttel, kleine Scheiße-Kügelchen, die einfach so auf den Boden purzeln. Auch hier bleiben keine Rückstände am After oder am Fell haften. Ich erinnere mich jedoch an Situationen aus meiner Kindheit zurück, in der mein kleines Kaninchen Hoppel plötzlich keine Köttelchen mehr gemacht hat. Stattdessen schiss er nun eine klebrige Wurst, in der noch die Ansätze von kleinen Kugeln zu erkennen waren. Diese klebrige Masse verklebte sein Fell und wir mussten ihn damals baden und reinigen, was weder ihn noch uns besonders freute. Was war passiert? Er hatte Verdauungsprobleme aufgrund der Nahrung bekommen, die wir ihm gegeben hatten. Irgendetwas musste darunter gewesen sein, dass er nicht vertrug. Heute kann ich nicht mehr genau sagen, was es war aber rein Intuitiv würde ich einmal auf Maiskolben oder auf Bestandteile des Trockenfutters tippen.

In Spanien und auch in Frankreich haben wir viele hochgezüchtete Runder gesehen, die ebenfalls einen komplett verklebten Hintern hatten. Die ursprünglichen, nicht gezüchteten Rinder, die wir auf einer Exkursion in der Eifel betrachten durften, hatten jedoch ein komplett sauberes Fell.

Nicht anders ist es beim Menschen. Am Ende des Mastdarms wird der nun verdaute Nahrungsbrei eingedickt und mit einer dünnen Schleimschicht überzogen. Dazu wird dem Brei das Wasser entzogen, dass dann über die Harnblase ausgeschieden wird. Bei einer gesunden Verdauung bleibt also am Ende ein Produkt übrig, dass mit einem leichten Flutsch, ohne Anstrengung und starkes Pressen, ohne Blähungen und vor allem ohne Rückstände am Hintern einfach in die Toilette oder auf den Waldboden plumpst. Wären wir also wirklich gesund, würden auch wir keinerlei Toilettenpapier benötigen. Leider ist das zumindest in der westlichen, zivilisierten Welt kaum noch der Fall. Unsere Nahrung ist unnatürlich geworden und somit ist auch unsere Verdauung aus dem Gleichgewicht geraten. Viele unserer Lebensmittel enthalten Schleimstoffe, die ähnlich funktionieren wie ein Flüssigkleber. Milchprodukte, Getreideprodukte mit Gluten sowie Schweinefleisch sind dafür die prominentesten Beispiele. Wenn unser Mastdarm mit einem wässrigen Brei gefüllt ist, und diesem das Wasser entzieht, dann wird der Brei dadurch fest und lässt sich leicht ausscheiden. Bekommt er stattdessen jedoch einen klebrigen, schleimigen Brei, dem er das Wasser entzieht, so entsteht eine zähe, noch klebrigere Masse, die sich an den Darmwänden und natürlich auch am Darmausgang festsetzt. Anstatt sie achtlos mit einem Fetzen Klopapier wegzuwischen, sollten wir uns daher eigentlich ernsthafte Gedanken über unsere Ernährung und über die Gesundheit unseres Verdauungssystems machen, wenn wir merken, dass unser Hintern nach dem Kacken nicht komplett sauber ist. Doch für uns ist es bereits so zur Normalität geworden, dass wir nicht einmal im Ansatz mehr darüber nachdenken.

Die andere Variante, die ebenso verbreitet ist, wie der Klebschiss, ist der Durchfall. Das Wasser im Stuhlgang wird gar nicht oder nur teilweise entzogen und unsere Scheiße kommt als der Brei ans Tageslicht, der sie auch im inneren unseres Körpers war. In diesem Fall ist unser Darm aus irgendeinem Grund nicht mehr in der Lage, seine Verdauungsaufgaben vollständig zu erledigen. Auch hier bleibt natürlich einiges hängen und auch hier sollten wir uns die Frage stellen, was mit unserem Darm los ist. Liegt vielleicht eine dauerhafte Funktionsstörung aufgrund einer Systemschwächung vor? Oder ist es vielleicht ein Entgiftungsprozess, der darin besteht, dass unser Körper die Toxin haltige Nahrung so schnell wie möglich loswerden will?

Ihr seht also, dass nicht nur das Toilettenpapier selbst bedenklich ist, sondern auch die bloße Tatsache, dass wir es überhaupt brauchen.

Unser Darm ist die Wurzel unseres Lebens. So wie eine Pflanze mit Hilfe ihrer Wurzeln die Nährstoffe aus dem Boden aufnimmt, so verarbeitet unser Darm die Nährstoffe aus der Nahrung, die wir ihm selbst zuführen. Damit ist unser Kot eine Art Fingerabdruck, der verrät, wie gesund wir uns ernähren und wie gut unsere Verdauung ist. Für viele Tiere ist der Kot ihrer Artgenossen einer der wichtigsten Informationsträger überhaupt. So kacken beispielsweise Füchse immer an exponierte Plätze, also auf Steine, Baumstämme, kleine Hügel oder Felsvorsprünge, damit ihr Kot weithin sichtbar und riechbar ist. Nichts enthält mehr Pheromone als der Kot und somit ist es der Wirkungsvollste Stoff um Rivalen zu vertreiben und Weibchen anzulocken. Denn der Kot zeigt, wie groß die sexuelle Kraft, die Gesundheit, die allgemeine Stärke und die Vitalität seines Produzenten ist. Ein kraftvolles Tier ist daher auch besonders Stolz auf seinen Kot. Mit Urin ist es ähnlich. Jeder kennt Hunde, die ihr Bein an jeder Ecke heben um zu markieren, dass die Ecke noch zu ihrem Revier gehört. Wenn sich zwei Hunde begegnen, dann schnüffeln sie sich oft gegenseitig am Hintern um über die dort verbliebenen Geruchsstoffe Informationen über ihren neuen Bekannten zu sammeln.

Die Exkremente sind damit also eine Art Repräsentant für das Tier selbst. Sie werden so verteilt, dass man an ihnen erkennen kann, wer hier lebt und was er alles drauf hat. Eine Toilette zu erfinden in der man diesen wichtigen Stoff einfach hinunterspült und damit das Produkt seiner Lebenswurzel zu vernichten, wäre für Tiere also der blanke Hohn. Es wäre in etwa so, als würden wir nach einem Monat harter Arbeit als erstes unseren Gehaltscheck verbrennen, damit niemand sieht, was wir wirklich verdienen.

Doch wie gehen wir mit dem Thema Verdauungsprodukte um? Als kleine Babys ist es noch eine riesige Leistung, wenn wir ein Häufchen machen. Wir werden gelobt und unsere Eltern freuen sich. Zumindest die ersten drei Mal. Dann wird das Windeln-Wechseln irgendwann zur Routine und verliert irgendwie seinen Reiz. Später sind unsere Assoziationen zu unseren Exkrementen dann fast nur noch negativ. Wir verdrängen sie so gut wie möglich aus unserem Leben. Unseren eigenen Kot empfinden wir als ekelhaft, als widerwertig und schmutzig. Wir schämen uns dafür und versuchen so gut es geht zu verbergen, dass wir überhaupt einen Darmausgang haben, durch den die verdaute Nahrung wieder zum Vorschein kommt. Warum haben wir so eine Angst vor unserer eigenen Scheiße? Warum schämen wir uns für das, was unser Körper aus dem Essen produziert, dass wir ihm ganz bewusst für diesen Zweck gegeben haben?

Kann es sein, dass auch wir noch immer unbewusst die Informationen lesen können, die unser Kot über uns aussagt? Wissen wir vielleicht noch immer, dass wir selbst und auch andere an den Gerüchen und Pheromonen im Stuhl und im Urin erkennen können, wie gesund wir sind? Das Problem dabei ist, dass wir leider gar nicht gesund und vital sind. Wir schaufeln bereits jede Menge Scheiße in uns hinein und dementsprechend kann auch nichts anderes aus uns herauskommen. Unser Kot stinkt vor allem deswegen so stark, weil wir keine gesunde Verdauung mehr haben. Doch das wollen wir nicht sehen, riechen oder fühlen. Wir möchten diesen Spiegel nicht, der uns zeigt, wie sehr wir unseren Körper mit unserer Lebensweise vergewaltigen. Wir möchten nicht erkennen, dass unser Verdauungssystem ihm wahrsten Sinne des Wortes im Arsch ist, dass wir Gärgase produzieren, die unseren ganzen Unterleib aufblähen und die mit ihrem Gestank manchmal sogar ganze Vogelschwärme abstürzen lassen. Wir möchten nicht wahrnehmen, dass unser Kot nicht mehr als festes aber leicht zerfallendes Würstchen aus uns herausflutscht sondern als Hartwurst oder Brei eine Konsistenz hat, die völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wir möchten die Gift- und Schadstoffe nicht riechen, die wir mit unserem Essen zu uns nehmen und die unser Körper irgendwie wieder loswerden will.

All dies würde uns verraten, dass wir nicht so gesund und stark sind, wie wir selbst von uns glauben. Es würde verraten, dass die kleinen Sünden, das harmlose Glas Bier, das eine unbedeutende Stück Kuchen, die Portion Schweinefleisch und das unschuldige Glas Milch, sehr wohl ihren Effekt auf unseren Körper haben.

Früher haben wir uns zum Kacken einen Platz an einem Baum gesucht. Wenn wir fertig waren, sind wir aufgestanden und konnten das Ergebnis unserer Sitzung genau beobachten. Wir konnten sehen ob alles in Ordnung war, oder ob mit unserer Verdauung irgendetwas nicht stimmte. Nach jeder Mahlzeit konnten wir uns durch die Sitzung am stillen Örtchen auf diese Weise unser Feedback abholen. Wenn es nötig war, dann hat man sich seinen Hintern mit etwas Moos, Gras oder Blättern abgewischt.

Heute hingegen lassen wir unsere Verdauungsreste in eine dunkle Schüssel plumpsen und schmeißen in der Regel das Klopapier darauf, noch bevor wir die Chance haben, einen Blick auf unser Darmprodukt zu werfen. Wir wollen es auch gar nicht sehen! Lieber schnell zudecken und dann wegspülen. Wenn etwas in der Schüssel hängen bleibt, dann zaubert sich meist der Ausdruck von unverhohlenem Ekel auf unser Gesicht, während wir zur Klobürste greifen.

Doch dann kommt erst der eigentlich schlimme Teil! Denn was ist, wenn ein anderer nach uns den Raum betritt und die ganzen Faulgerüche wahrnimmt, die unser Toilettengang verursacht hat? Jene Gerüche, die zeigen wie schwach und ungesund wir in Wirklichkeit sind? Gerüche, die wir selbst als so unangenehm empfinden, dass wir sie nicht riechen können. So schnell und so effektiv wie Möglich müssen diese Gerüche vertrieben werden. Ein offenes Fenster, eine rauschende Luftfilterungsanlage oder noch besser ein Raumduftspray, das den Gestank übertönt. Ich will damit nicht ausdrücken, dass ich es als negativ empfinde, wenn jemand nach dem scheißen das Fenster öffnet. Ganz im Gegenteil! Wir haben ja recht damit, dass der Gestank oftmals unerträglich ist und dass man ihm einem Nachbesucher nicht zumuten kann. Wir selbst stellen da definitiv keine Ausnahme dar! Aber merkt ihr, wie weit wir bereits entfremdet sind, dass so etwas überhaupt nötig ist?

Du bist was du isst! Darin steckt wieder einmal mehr Wahrheit, als man vermuten möchte. Und somit ist das, was wir ausscheiden ebenfalls ein Abbild unserer Selbst.

Doch es geht noch einen Schritt weiter. Im Tierreich gibt es ähnlich wie bei uns immer auch bestimmte Hierarchiefolgen. Der Alfa-Wolf, kann sich aufgrund seiner Stärke auch das beste Essen ergattern und hat somit auch die intensivsten Pheromone im Stuhl. Jeder kann erkennen dass er der Boss ist und alle anderen Tiere zeigen ihre Positionen durch die Informationsträger im Kot und Urin ebenfalls.

Unsere Hierarchien und Rangordnungen sind jedoch komplett künstlich. Weder auf beruflicher, noch auf familiärer, partnerschaftlicher oder gesellschaftlicher Ebene, haben die vitalsten, kraftvollsten und potentesten Menschen auch die höchsten Machtpositionen. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur einmal Angela Merkel anzuschauen und sich die Frage zu stellen, ob so wohl ein Alpha-Weibchen der Menschen aussieht, also eine Frau, die vollkommen in ihrer weiblichen Kraft steht, die vital, gesund und voller Lebensenergie ist.

Wenn wir also zulassen, dass jemand anderes unseren Stuhlgeruch riecht und die Informationen, die darin enthalten sind lesen kann, dann kommt bei uns automatisch die unbewusste Angst auf, dass unsere Machtposition übernommen werden kann. Wir wissen, dass wir viel schwächer sind, als wir zugeben und müssen die Anzeichen dieser Schwäche daher vor anderen verbergen. Da unsere Rangordnungen künstlich sind, müssen wir sie auch künstlich erhalten, indem wir die natürlichen Kriterien komplett überdecken. Das gilt nicht nur für unsere Exkremente sondern für alle Körpergerüche, die wir aussenden. Unser natürlicher Geruch wird mit Parfüm überdeckt, unser Schweiß mit Deo unsere Atemluft mit Kaugummi und Zahnpasta. All diese Gerüche zeigen, wer wir wirklich sind und wie es uns in diesem Moment gerade geht. Sie zeigen unsere Stärken aber auch unsere Schwächen an. Und weil wir uns für diese Schwächen schämen, versuchen wir, sie zu verbergen. Sogar die Räume in denen wir leben, werden mit Raumsprays parfümiert um zu verbergen, dass es sich dabei um unser Territorium handelt. Dementsprechend müssen natürlich Scheiße und Pisse als stärkste Informationsträger sofort nach ihrer Entstehung vernichtet werden. Wir sehen sie nicht als wertvolles Produkt unseres Körpers, sondern als verräterische Spuren seiner Unzulänglichkeit an und müssen sie daher schnellstmöglich entsorgen.

 

Spruch des Tages: Heilige Scheiße!

Höhenmeter: 150 m

Tagesetappe: 19 km

Gesamtstrecke: 5180,87 km

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare