Die Toskana Deutschlands

von Franz Bujor
25.01.2014 11:36 Uhr
 

Urlaub in der Toskana Deutschlands

Erst in unserem Nachtquartier in Schweigen-Rechtendorf merkten wir, das wir seit Bad Bergzabern in die falsche Richtung gelaufen sind. Wir waren zwar noch immer auf dem Jakobsweg, aber auf dem nach Süden nicht nach Westen. Laien mögen jetzt sagen: „Na und, Jakobsweg ist Jakobsweg!“ aber die Sache hat ein paar Haken. Zunächst einmal haben wir für den Südlichen Weg kein Kartenmaterial und auch keinen Wanderführer. Ok alle, die jetzt sagen: „Na und, ihr habt euch doch bislang auch ständig verlaufen und musstet immer nach dem Weg fragen!“ haben auf gewisse Weise Recht. Doch das führt uns zu Punkt zwei: Unsere Französischkenntnisse sind noch immer so mager, dass wir nur schwer nach dem Weg fragen können. Im Moment wissen wir nicht einmal, was links, rechts und geradeaus heißt. Von Worten wie Herberge, Übernachtungsmöglichkeit und Jakobsweg ganz zu schweigen. Im Bereich Essen sieht es dafür besser aus. Doch zurück zum Thema. Wir freuen uns zwar bereits riesig auf Frankreich, sehen dem neuen Land aber auch mit einem gewissen Respekt entgegen. Daher ist und die ursprüngliche Route, die uns noch ein Stück in der Toskana Deutschlands hält und dann sicher durch Frankreich leitet irgendwie lieber. Auch wenn’s spießig klingt.

Nach der Toskana Deutschlands kamen wir erstmals in Frankreich an

Nach der Toskana Deutschlands kamen wir erstmals in Frankreich an

Ein ganz besonderes Highlight erwartete uns

Doch wie so oft waren unsere Sorgen wieder einmal völlig unbegründet. Das Pärchen, dass uns am Vorabend den Schlüssel zum Gemeindesaal gegeben hatte, hatte uns für heute zum Frühstück eingeladen. Als wir dort ankamen, hatte der Mann bereits eine genaue Wegbeschreibung mit kopierten Kartenausschnitten und rot eingezeichneter Wegbeschreibung vorbereitet. Die Frau hingegen versorgte uns mit einem erstklassigen Frühstück, etwas Proviant für den Weg und einem ganz besonderen Highlight: Selbstgemachte Feigenmarmelade mit Feigen aus dem eigenen Garten. Ja, richtig gelesen! In dieser Region gibt es Feigen! Und nicht nur das, sondern auch Mandeln und Kiwis. Einige Straßen weiter haben wir sogar eine Palme in einem Vorgarten stehen sehen. Nicht umsonst wurde diese Gegend von den Einheimischen die Toskana Deutschlands genannt. Und tatsächlich präsentierte sich diese Toskana von ihrer schönsten Seite. Hatte es noch am Vortag ausgesehen, als wäre der Himmel bis in alle Ewigkeit ergraut, strahlte nun die Sonne vom Himmel und verlieh der Umgebung ein geradezu mediterranes Flair.

Sie wird auch die Toskana Deutschlands genannt, die Region rund um die deutsche Weinstrasse in der Pfalz. Mit der Toskana verbindet man Sonne, Wein und vor allem Urlaub. All das, kann man entlang der von uns beschriebenen Weinstrasse im Westen Deutschlands erleben. Zwischen Weinreben und Feigenbäumchen findet sich ein kleines mediterranes Paradies mitten in Deutschland. Die italienische Toskana hingegen, lässt sich mit der Bahn problemlos erreichen. Aus vielen europäischen Städten fahren Züge in die Toskana. Vor allem Florenz gilt als Knotenpunkt. Im Zug müsst ihr euch nicht um den Stau auf der Autobahn kümmern. Auch die teils engen Straßen und das chaotische Straßengewirr der mittelalterlichen Städte sind nicht für jeden geeignet. Wer mit der Bahn anreist, kann dem gemütlich entgehen und denkt auch an die Umwelt.
heiko gaertner tobias krueger

Hier sind wir in der Toskana Deutschlands unterwegs

Der offizielle Beginn der deutschen Weinstraße

Bis zum Ortsausgang wurden wir noch vom Herren des Hauses begleitet. Von ihm erfuhren wir auch noch einige sehr spannende Details über unseren Aufenthaltsort. Etwa hundert Meter von seinem Haus entfernt, befand sich das Deutsche Weintor. Es war das Wahrzeichen der Region und der offizielle Beginn der deutschen Weinstraße. Auch wenn sich seine Erbauer ansonsten nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatten. Das Tor war nämlich von einem Bauleiter Hitlers in Auftrag gegeben worden. Es war eine Art Marketingstrategie für deutsche Weine gewesen, die auch recht gut aufgegangen ist. Bis vor 10 Jahren führte der gesamte Verkehr über die alte Weinstraße und mitten durch das Tor. In einer Touristenregion wie dieser, war das zur Hauptsaison natürlich eine logistische Katastrophe. Eine Kamelkarawane durch ein Nadelöhr wandern zu lassen, musste weniger stressig gewesen sein. Also hatte man schließlich eine Umgehungsstraße gebaut um die Nerven der Anwohner und die Bausubstanz des Tores zu schonen. Beim Tor hat das ganz gut funktioniert, bei den Anwohnern war es jedoch eher nach hinten losegegangen.

Das deutsche Weintor - das Wahrzeichen der Region

Das deutsche Weintor - das Wahrzeichen der Region

Warum ist der Flüsterasphalt so unbeliebt?

Denn aus einem Grund, den wir noch immer nicht verstanden haben, ist Flüsterasphalt bis heute bei Straßenbauern absolut unbeliebt. Die neue Straße führte daher zu schnellerem und noch stärkerem Verkehr und damit zu einer immensen Lärmbelästigung. Die Stadt sah ein, dass das blöd ist und subventionierte den Anwohnern der Weinstraße neue, schallisolierte Fenster. Natürlich nur an den Frontseiten der Häuser. Nach hinten hinaus nicht, denn dort war ja keine neue Straße und für Schallwellen die sich dorthin verirrten, konnte man schließlich nichts. Um festzustellen ob ein Anwohner auch wirklich vom Lärm belästigt wurde und nicht nur so tat, musste natürlich ein Gutachten erstellt werden. Und da sich ein einzelner Gutachter schon mal verhören konnte, kamen gleich vier. Mit einem Chauffeur, denn man soll ja nicht geizen. Nachdem die Gutachter einstimmig entschieden hatten, dass es wirklich laut war, bekam unser Gastgeber neue Fenster. Doch jetzt begann erst der eigentliche Hohn in der deutschen Toskana.

Er durfte sich den Glaser nicht selbst aussuchen, sondern musste sich für einen von der Stadt gestellten nehmen. Dieser hatte das Glück oder die Beziehungen gehabt, einen besonders lukrativen Vertrag mit der Stadt abschließen zu können. Allein für das Vermessen der Fenster bekam er 2000 €. Wenn er also an einem Tag bei acht Weinstraßenbewohnern die Fenster vermaß, konnte er sich danach für 8 Monate auf den Bahamas ausruhen. Nicht das man dass dem Mann nicht gönnte, aber auf der anderen Seite lebten in dieser Region jede Menge Menschen, die für 3 € die Stunde in den Weinbergen schufteten, bis ihre Hände bluteten. Für eine Gesellschaft die von sich behauptet, sie würde sich seit 2000 Jahren in Richtung Humanität, Freiheit und Gerechtigkeit entwickeln, ist das ein sehr mageres Ergebnis. Unser Stadtführer erzählte uns jedoch auch, dass diese große Ungleichheit ein absoluter Fluch für die Gegend war. Die Weinbergarbeiter, die größtenteils aus Polen oder Rumänien kamen, um hier für einen Hungerlohn den Suchtstoff der Genießer zu produzieren, nutzten nicht selten jede Gelegenheit um ihr Gehalt etwas aufzubessern. Daher war die Kriminalitätsrate hier in der Toskana Deutschlands vor allem was Einbrüche und Diebstähle betraf relativ hoch. Mit Öffnung der Grenzen war sie sogar noch stärker angestiegen, denn die Grenzregion in Frankreich ist ebenfalls eine der ärmsten des Landes.

Die öffentliche Karte des Pfälzer Jakobwegs

Die öffentliche Karte des Pfälzer Jakobwegs

 

Auch wir spürten diese permanente Angst vor kriminellen Übergriffen in den Menschen. Noch vor ein paar Tagen wurden wir überall mit offenen Armen empfangen. Hier jedoch herrschte eine starke Grundskepsis vor, die wir erst einmal durchbrechen mussten. Doch dazu später mehr.

Ein Grenzgang mit positiven Überraschungen

Um wieder auf unseren ursprünglichen Jakobsweg zu gelangen, mussten wir nach der Toskana Deutschlands ein kleines Stück durch Frankreich gehen. Wir durchquerten Wissembourg und liefen dann an der Grenze entlang in die Berge hinein. Obwohl wir nur 50 m von Deutschland entfernt waren, konnte man sofort eine Veränderung sehen. Es ist immer wieder faszinierend, wie sehr wir Menschen unsere Umgebung prägen. Auch in Wissembourg gab es hässliche Wohnblocks, doch diese wirkten aus irgendeinem Grund südländisch und damit deutlich lebendiger und einladender, als die die wir gestern in Bad Bergzabern gesehen hatten. Auch die Menschen wirkten irgendwie freundlicher und offener. Auch wenn der Abstecher nur kurz war, fühlten wir uns in Frankreich jedenfalls sehr willkommen.

Der weitere Weg führte uns an einem kleinen Bachlauf entlang in Schlangenlinien zwischen den Bergen hindurch. Steigungen gab es fast keine, dafür ausgedehnte Waldflächen, urige Bäume, Graureiher und absolute Stille. Was gestern noch wie ein Fehler und ein unnötiger Umweg ausgesehen hatte, schenkte uns heute eine der schönsten Wegpassagen seit unserem Reisebeginn.

briefkasten gelb post

Ein knallgelber Briefkasten

kirche fischbach

Die Kirche in Fischbach

Zu Fuß bedeutet, ohne Auto unterwegs zu sein!

Einen Schlafplatz aufzutreiben war jedoch heute noch schwieriger als gestern. In Bundenthal gab es wieder einmal keine kirchlichen Gebäude mehr. Die Kirche selbst natürlich ausgenommen. Wir wurden also in den nächsten Ort weitergeschickt. Hier gab es ein Rathaus mit Gemeinderäumen, ein Veranstaltungshaus der Lebenshilfe und ein Gebäude, das nach Gemeindehaus aussah. Ein Pfarrhaus konnte ich jedoch nicht entdecken. Ich klingelte daher beim Haus neben der Kirche, wo mir eine dickliche Frau öffnete und mich mit der bereits erwähnten Skepsis musterte. Sie beschrieb mir den Weg zum Pfarrhaus mit folgenden Worten: „Da müssen sie runter auf die Ortsstraße und dann fahren sie etwa 500 Meter weit und dann auf der linken Seite!“ Ich machte sie vorsichtig darauf aufmerksam, dass ich zu Fuß unterwegs war, aber sie beschrieb mir auch in der zweiten und dritten Wiederholung den Weg mit „fahren“. Vorgestern in der Toskana Deutschlands erst, hatte ich ein ähnliches Erlebnis gehabt. Nachdem ich einem Mann 10 Minuten lang erklärt hatte, wie wir von Neumarkt hier her gewandert waren, fragte er mich, ob ich zu fuß oder mit dem Auto da wäre.

Die Frau heute gab mir außer der Pfarrerinnenadresse noch die Adresse der Bürgermeisterin und die der Frau vom Touristenverband in der Toskana Deutschlands. Alle drei suchte ich auf, alle drei waren nicht da. Am Ende fing ich wieder von vorne an und klingelte erneut beim Pfarrhaus. Diesmal öffnete mir der Mann der Pfarrerin und erklärte mir, dass er zwar nichts entscheiden könne, da er ja nicht der Pfarrer sei, das es aber eher schlecht aussähe. Denn alle von mir erwähnten Gebäudlichkeiten gehörten inzwischen der Stadt. Die Kirche mietete sie nur noch für Veranstaltungen in der Toskana Deutschlands. Dann kam die Pfarrerin und erklärte mir das gleiche. Dies sei zwar eine Gemeinde am Jakobsweg, aber den Stempel erhalte man im Gasthaus und Pilger müsse man nach Fischbach weiterverweisen. Langsam bekam ich wirklich etwas Angst um die Kirche. Wenn das so weiter ging, war sie tatsächlich kurz vorm aussterben.

Die Kirche in Rumbach

Die Kirche in Rumbach

jakobsweg fluss

Ein Fluß direkt am Jakobsweg

Die Angst um die Kirche!

Die Idee mit Fischbach war ja nicht schlecht, doch Fischbach lag nochmals 10 km von hier entfernt und wir hatten bereits 24 km hinter uns. Doch da wir augenscheinlich keine Wahl hatten, rief sie den Pfarrer in Fischheim an.

Der bot uns zwar einen Platz im Gemeindehaus an, meinte jedoch dass er in einer halben Stunde fort müsse und erst spät in der Nacht wiederkam. Wann könne er nicht sagen.

Auf meine Frage hin, ob es im Ort vielleicht eine Privatperson gab, die bekannt dafür war, dass sie gerne Pilger aufnahm, rief die Pfarrerin bei zwei Damen an, die Zimmer vermieteten. Die Erste wollte zwar, konnte aber nicht, da die Zimmer renoviert wurden.

Die Zweite konnte zwar, wollte aber eigentlich nicht, da sie Geld sehen wollte. Mit einigen Überredungskünsten der Pfarrerin, ließ sie sich dann aber doch breitschlagen.

Das Geschenk der Freude, muss von Herzen kommen

Diese Übernachtungsmöglichkeit ersparte uns also den Weg nach Fischbach. Wir bekamen ein Doppelzimmer mit Dusche und Aufenthaltsraum, was deutlich mehr war, als wir in den letzten Tagen zur Verfügung hatten. Und trotzdem haben wir uns in den Räumen der Gemeindehäuser und selbst im Altenheim deutlich wohler gefühlt. Auch hier in der Toskana Deutschlands sind unsere Gastgeber freundlich und zuvorkommend, doch an der ganzen Atmosphäre lässt sich deutlich spüren, dass sie uns nicht aufgenommen haben, weil sie es vom Herzen her wollten, sondern weil sie sich dazu verpflichtet gefühlt haben. Wie groß dieser Unterschied ist, war uns zuvor nicht bewusst gewesen. Auch wenn wir den beiden sehr Dankbar für ihre Opferbereitschaft sind, haben wir eines heute daraus gelernt. Nur wenn aus freiem Herzen gegeben wird, bringt das Geschenk auf Freude. Für die Zukunft haben wir daher beschlossen, Hilfe grundsätzlich abzulehnen, wenn sie nicht von Herzen kommt. Natürlich hätten uns die 10 km angenervt, aber wer weiß, vielleicht hätten wir dort jemandem wirklich weiterhelfen können...

Spruch des Tages: Geben ist bekommen.

Tagesetappe: 24 km

Gesamtstrecke: 486,27 km

 

Franz Bujor
Franz Bujor ist Wandermönch, Web-Nomade und Autor. Nach einem Studium in Kulturwissenschaften, bei dem er unter anderem bei einem Maya-Volk in Guatemala gelebt und in einem Kinderheim in Serbien gearbeitet hat, war er zunächst als Erlebnispädagoge und Wildnismentor tätig. 2014 ließ er sein bürgerliches Leben hinter sich und reist seither zu Fuß und ohne Geld um die Welt. Neben seinem eigenen Entwicklungsweg schreibt Franz besonders gerne über geschichtliche und gesellschaftliche Themen.

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