Traumberuf Bürgermeister


05.11.2017
Auf der einen Seite ist es ja schön zu sehen, wie gut diese Sache mit dem Visualisieren klappt, auf der anderen Seite wäre es aber schon schön, wenn auch die eigenen, bewusst gewählten Bilder wahr werden würden, und nicht irgendwelche implizierten.
Gestern nachdem wir die Austestungen gemacht und ich einen Teil meiner Schuld mir selbst gegenüber durch die Sanktion abgebaut hatte, versuchte ich mich noch einmal wieder mit dem Visualisieren. Eigentlich sollte dies ja Teil der täglichen Routinen sein, um so die Grundlagen für einen entspannten und angenehmen nächsten Tag zu schaffen. Doch leider hatte ich es nun schon seit Monaten nicht mehr geschafft, die Konzentration lange genug zu halten, um ein Bild vor meinem inneren Auge entstehen zu lassen. Heute hatte ich das Gefühl, dass es vielleicht wieder klappen könnte. Ich schloss die Augen und versuchte mir einen schönen trockenen und ruhigen Tag vorzustellen, an dem wir am Fluss entlang wanderten und schließlich in einer hübschen kleinen Ortschaft anlandeten, wo wir entspannt einen Platz fanden. Doch gerade als die ersten Bilder auftauchen wollten, wurden sie von anderen Bildern überlagert, die ich zwar klar, deutlich und lebendig sehen konnte, die aber definitiv nicht von meinem Bewusstsein erzeugt wurden. Ich sah Heiko und mich, wie wir durch tiefe Häuserschluchten und entlang großer Straßen wanderten. Es war laut und ungemütlich, doch wir kamen nicht von den Hauptstraßen weg, weil alles andere für uns gesperrt war. Ich versuchte diese Bilder aus meinem Kopf zu bekommen, indem ich sie weg radierte oder mit etwas positivem überschrieb, doch es wollte einfach nicht gelingen. Nun tauchten stattdessen Bilder auf, bei denen wir durch kleine Dörfer zogen, die allesamt an unverhältnismäßig riesigen Hauptstraßen entlang führten und diese bekam ich bis zum Schluss nicht mehr aus dem Kopf.
Die Macht der Überzeugung
Und genau so kam es dann auch. Obwohl wir uns noch immer auf dem Fernradweg befanden, kamen wir heute fast nur über Hauptstraßen. Schlimmer noch! Die Straßen auf denen wir wanderten, ganz gleich, ob klein oder groß, waren hier nun bereits von derselben Beschaffenheit wie in Großbritannien. Es konnte noch nicht alt sein, aber man hatte nun auch hier großflächig auf den normalen und zum Teil völlig intakten, zumindest aber leisen Straßen flüssigen Asphalt gegossen, um anschließend groß körnigen Kies darüber zu streuen. Dieser soll dann kleben bleiben und mit der Zeit eine neue Oberfläche bilden. Theoretisch klingt das vielleicht ganz nett, aber praktisch endet es in einem Desaster der Baukunst, denn das Ergebnis ist genau das, was man vermuten könnte: eine dicke Schicht Kies, der am Bode verklebt war.
Auch mit dem Ankommen wurde es nicht leichter. Im ersten Dorf traf ich überhaupt niemanden an, der hätte hilfreich sein können. Im zweiten war es so grausam, dass wir nicht einmal fragen wollten und das dritte hatte seine ganz eigenen Hürden.
Keine Arbeit am Sonntag
Die Krönung in Sachen Dreistigkeit und Unverfrorenheit machte der Bürgermeister dieses Ortes. Seine Antwort auf meine Frage lautete allen ernstes: „Es ist mir egal, was du von mir willst! Heute ist Sonntag und da arbeite ich nicht. Ich werde dir nicht helfen, was immer du auch brauchst.“
Ich hakte noch einmal nach, um sicherzugehen, ob ich ihn richtig verstanden hatte: „Sie sagen also, weil heute Sonntag ist, wollen Sie uns keinen Platz zum Schlafen geben, obwohl sie es könnten und sagen pennt doch einfach an der Bushaltestelle?“
„Wenn ihr an der Bushaltestelle pennen wollt, dann macht das! Ist mir scheiß egal! Ich habe damit heute nichts zu tun.“ erwiderte er.
Sofort fiel seine Frau mit ein und versuchte die Situation zu retten, in dem sie Lügenausreden erfand: „Wir sind ein kleines Dorf und haben hier leider keine Möglichkeiten, jemanden unterzubringen!“ fing sie an, doch ihr Mann fuhr ihr über den Mund:
„Nein! Darum geht es nicht! Ich hab einfach keinen Bock, dass jemand am Sonntag hier auftaucht und irgendetwas von mir will obwohl ich keinen Dienst habe!“
Was man dem Mann lassen muss ist, dass er als einziger seit langem mal wirklich ehrlich war. Diese geheuchelten Ausreden seiner Frau kannten wir zu genüge und sie gingen uns tüchtig auf den Geist. Aber diese Ehrlichkeit war neu und auch, wenn mich der Mann in diesem Moment tierisch aufregte, hatte es doch etwas Erfrischendes. Leider gelang es mir nicht, auf Französisch eine Diskussion zu beginnen darüber, dass man einen Beruf nicht einfach an den Nagel hängen kann, wenn man Feierabend hat. Ein Arzt kann ja schließlich auch nicht sagen, dass er grundsätzlich niemandem außerhalb der Dienstzeiten hilft, wenn ein Unfallopfer vor ihm liegt. Er müsste sogar ins Gefängnis, wenn er es versuchte.
Lustigerweise traf ich auf dem Rückweg zu unserem Treffpunkt den Stellvertretenden Bürgermeister, der mit seiner Familie einen Spaziergang machte. Er hatte nichts gegen ein bisschen Arbeit am Sonntag, vor allem nicht, wenn er sich damit vor der Verwandtschaft drücken konnte. Er musste nur noch den obligatorischen Nachmittagsspaziergang beenden und kam dann mit dem Schlüssel zu unserer Halle. Da es zu kalt war, um in dieser Zeit einfach nur auf der Bank zu sitzen, nutzten wir die Gelegenheit um unsere Frisbee wieder einmal auszupacken. Es musste weit über ein Jahr her sein, seit wir dies das letzte Mal getan hatten.
Spruch des Tage: An Sonntagen helfe ich grundsätzlich nicht! (Bürgermeister von Confladey, Frankreich)
Höhenmeter 70 m / 30 m
Tagesetappe: 12 km / 16 km
Gesamtstrecke: 27.228, 27 km
Wetter: Kalt, windig, sonnig
Etappenziel 1: Haus der Begegnung, Velen, Deutschland
Etappenziel 2: Gemeindehaus, Winterswick, Niederlande
