Fernwanderwege durch Tschechien

von Heiko Gärtner
20.09.2016 03:20 Uhr

04.09.2016

Nach dem Frühstück zogen wir weiter ins Innere der Stadt. Leider war heute Sonntag, so dass alle Geschäfte geschlossen hatten, denn die Stadt bot einige Dinge, die wir hätten gebrauchen können und sie war bedeutend angenehmer und ruhiger zum Schlendern, als alle Städte, die wir in letzter Zeit durchquert haben. Das einzige, was offen hatte war der Kaufland, aber dessen Angebot war so mickrig, dass wir unser restliches Polnisches Geld einfach nicht loswerden konnten. Nicht einmal Unterwäsche war im Sotiment und neue Unterhosen brauchten wir wirklich dringend. Da hat man schon mal Geld und kann es einfach nicht ausgeben! Das einzige, was wir dann schließlich doch fanden waren Rasierklingen für unseren Rasierhobel, sowie ein USB Stick zur Datensicherung. Man weiß ja nie was kommt.

 

Direkt im Zentrum gab es einen großen Flohmarkt, auf dem allerleih Ramsch und Plunder verhökert wurde, ansonsten gab es nicht allzu viel zu sehen. Spannend war lediglich die Grenze. Mitten durch die Stadt führte ein Fluss und sobald man die Brücke überquert hatte, war man in Tschechien. Diese Seite der Stadt war jedoch bei weitem nicht so schön wie die polnische. Sie bestand hauptsächlich aus Betonplattenbauten und sogar die Kirche war aus Betonplatten errichtet worden. Trotzdem war es auch hier nicht unangenehm. Es war definitiv kein Ort an dem man leben wollte, aber zum Durchwandern war er in Ordnung. Mit dem Verlassen der Stadt gelangten wir das erste Mal auf den "Greenway", einen Fernradwanderweg, der von Krakau nach Wien führt und auf dem wir in den folgenden Tagen bleiben wollten. Wie sich herausstellen sollte, ist der Greenway wirklich einer der schönsten Rad- und Wanderwege, die wir in Europa überhaupt betreten haben. Die europäische Union und der tschechische Staat haben hier nicht gegeizt, um einen durchgängigen, komplett ausgebauten und perfekt gelegten Fernweg zu erschaffen, der selbst in größere Ortschaften und Städte so geschickt hinein führt, dass man sie bewandern kann, ohne großartig mit dem Verkehr in Beführung zu kommen. Vor allem am Wochenende wird dieser Weg auch unglaublich gut angenommen. Weniger jedoch von Fernreisenden, als mehr von den Einheimischen, die immer ein kurzes Stück bis zum nächsten Biergarten und wieder zurück fahren.

In einer Pause an einem Picknickplatz testeten wir wieder einmal Sanktionen aus. Dieses Mal kam ich auf 24 Minuten Karzerstehen. Im Klartext bedeutete dies, dass ich mich für 24 Minuten mit dem Rucksack auf dem Rücken in der Sonne in die Hocke stellte, so dass meine Beinmuskulatur vollkommen angespannt war. Heikos Aufgabe bestand nun darin, darauf zu achten, dass ich nicht schummelte, denn meine Tendez ging ständig dazu, dass ich mich möglichst aufrecht stellen wollte, um meine Beine zu entlasten. Auch diese Aufgabe war wieder so gestellt, dass ich permanent das Gefühl hatte, sie nicht durchstehen zu können. Wenn ich umgefallen wäre oder aufgegeben hätte, hätte ich sie noch einmal von vorne beginnen müssen, wobei es sicher noch eine zusätzliche Strafzeit gegeben hätte. Dies war das einzige, was mich durchhalten ließ, denn wenn ich es beim ersten Mal nicht schaffte, war ein zweites Mal sicher vollkommen unmöglich. Ungefähr in der Hälfte der Zeit kam ein Jogger vorbei und inspizierte neugierig unsere Wagen. Er griffelte sie sogar an und machte mit meinem einige Probemeter. Dabei plapperte er wild drauflos und wollte allerlei Fragen beantwortet haben. Es sprach mich direkt an und schien nicht einnmal zu bemerken, dass ich mich mitten in einer Kraftübung befand. Ich schwitzte wie ein Bär, zitterte vor Anstrengung am ganzen Körper, hatte einen puterroten Kopf und konnte kaum sprechen. Doch der Mann bemerkte nichts davon und redete einfach weiter. Als er schließlich verschwand, mussten wir beide lachen, weil die Situation einfach zu absurd war. Trotz der wunderschönen Wege bereitete uns die Gegend doch einige Probleme. Die Dörfer waren noch immer so zersplittert wie in Polen und es gab nahezu keine Infrastruktur. Durch das Wochenende hatten die Rathäuser geschlossen, Kirchen gab es so gut wie keine und auch die Privatpersonen machten nicht den Anschein, als wären sie gute Anlaufstellen.Oberflächlich waren sie freundlich, vielleicht sogar ein bisschen zu sehr, denn oft hatte es einen Touch von Scheinheiligkeit, wie sie einem begegneten. Hilfreich waren sie zumindest an diesem Nachmittag jedoch nicht allzu sehr. So standen wir wieder vor dem guten alten Problem, von dem wir dachten, dass wir es längst hinter uns gelassen hatten. Es gab zu viel Zivilisation zum Zelten und zu Wenig für einen Schlafraum. Also blieb nur das Wandern, bis es dunkel wurde.

Vollkommen erschöpft und kaputt erreichten wir ein kleines Restaurant am Wegesrand, das uns zumindest mit etwas Wasser versorgte. Leitungswasser allerdings und wie sich herausstellte war dieses in dieser Region gechlort. Zum Schlafen blieb uns letztlich nur ein schräges Feld, das durch einen dichten Grünstreifen zumindest einigermaßen vor den Blicken der vielen Touristen geschützt war. Eigentlich hatten wir uns den ganzen Tag schon darauf gefreut, endlich unser Abendessen zelebrieren zu können, denn von unseren letzten Gastgebern hatten wir noch einiges an Würsten geschenkt bekommen, zu denen wir eine Dose mit Sauerkraut und ein Glas Senf auftreiben konnten. Doch als wir unsere Speisekammer nun lüfteten, mussten wir feststellen, dass die Würste komplett verdorben waren und dass sich sogar schon eine ekelhafte Schleimschicht an der Oberfläche befand. So blieb uns also nur das Kraut ohne die Wurst.

Spruch des Tages: Das sind mal echte Radwege!

Höhenmeter: 160 m Tagesetappe: 16 km Gesamtstrecke: 18.067,27 km Wetter: Sonnig und extrem heiß Etappenziel: Gemeindesaal des Pfarrhofs, 2162 Falkenstein bei Poysdorf, Österreich

Hier könnt ihr uns und unser Projekt unterstützen. Vielen Dank an alle Helfer!

Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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