Udine - Unser Urlaub in Italien beginnt!

von Heiko Gärtner
23.04.2019 23:39 Uhr

Vor verschlossenen Türen

Völlig durchnässt erreichten wir das Zentrum von Udine, wo wir bereits in der "Chiesa Madonna della Grazie" erwartet worden. Unsere letzten beiden Gastgeber hatten hier im zugehörigen Kloster angerufen und unser Kommen angekündigt.

"Keine Sorge wir haben jede Menge Platz und nehmen gerne Gäste auf!" hatte es geheißen. Doch jetzt da wir im Empfangsbereich standen, sah die Sache schon ganz anders aus.

 

"Leider gibt es hier im Kloster keinen Platz für Gäste mehr! Aber das ist kein Problem. Ich werde etwas anderes für euch auftreiben", sagte die Dame am Empfang. Eine halbe Stunde später hatte sie so ziemlich jede Kirche in der Stadt erfolglos angerufen. Niemand wollte uns aufnehmen.

 

Also mussten wir die Sache noch einmal neu durchdenken. Noch einmal betonten wir, dass wir eine komplette Ausrüstung zum Übernachten dabei hatten.

"Ach so, ihr braucht gar keine Betten!", rief die Frau überrascht, "Na, wenn das so ist, könnt ihr ja auch einfach bei uns in den Unterrichtsräumen übernachten."

 

Polizeilich verhaftet

Nachdem die Schlafplatzsituation geklärt war, machten wir uns auf die Suche nach einem Mittagessen. Dabei dachten wir jedoch nicht daran, unsere Ausweise mitzunehmen und gerieten prompt in eine Polizeikontrolle. Die Jungs fackelten nicht lange und steckten uns sofort in ihren Streifenwagen, um uns wie zwei Schwerverbrecher abzuführen. Es ging allerdings nicht direkt in den Knast, sondern lediglich zurück zur Kirche, wo wir unsere Ausweise herauskramen und vorlegen mussten. Nachdem auf diese Weise sichergestellt war, dass wir keine Terroristen, Verbrecher oder Hochverräter waren, brachte man uns allerdings höflicherweise genau an die Stelle zurück, an der man uns aufgelesen hatte. Hier konnten wir nun sogar noch das Sandwich essen, dass ein freundlicher und inzwischen sehr verwirrter Café-Betreiber für uns vorbereitet hatte.

 

Schöne Tanzmusik

Als ich in einem Obstladen nach etwas zu Essen fragen wollte, stand vor mir in der Schlange ein älterer, grauhaariger Mann um die 80. Der Obst-Verkäufer hatte im Hintergrund ein Radio mit moderner, elektronischer Musik laufen, die dem Mann offensichtlich gefiel. Ganz allmählich begann er langsam mit dem Kopf zu nicken. Unvermittelt zuckte seine rechte Hand dazu. Dann wippte er mit der linken. Schließlich begann er mit seinen Schultern, die nun rhythmisch im Takt hin und her schwangen. Der Fuß wippte zunächst leicht mit und bewegte sich dann immer stärker.

 

Sekunden später war daraus ein leichtes Tänzeln geworden und der Mann bewegte sich das Tanzbein sich schwingend und summend durch den Raum. Er ging vollkommen in seinen Bewegungen und im Lauschen der Musik auf. Plötzlich aber hob er seinen Kopf und blickte mich direkt an. Erschrocken darüber, dass ihn jemand beobachtete, blieb er abrupt stehen, setzte den seriösesten Blick auf, den er finden konnte und sagte: "Mir gefällt die Musik!"

Ich lache freundlich und meinte nur knapp: "Ja, das habe ich mir schon gedacht!"

 

Udine bei Nacht

Anders als von unserem Gastgeber angekündigt, waren wir in unserem Übernachtungshaus nicht den ganzen Tag alleine. Gegen Abend, gerade als wir beschlossen hatten, mit unserer Arbeit zu beginnen, tauchte plötzlich eine Gruppe auf, die sich als Chor entpuppte. Kurz darauf begannen sie mit einem mehr als zweistündigen Probetraining, das erst gegen 23 Uhr Ende sollte. Da die Wände dünn wie Pappe waren, beschlossen wir die Zeit zu nutzen, einmal die Stadt unsicher zu machen.

Im Nachhinein müssen wir dem Chor sogar dankbar sein, für diesen Motivationsschub, denn wenn ihr uns fragt, ist Udine in der Nacht wirklich deutlich schöner als am Tag. Der Verkehr hatte deutlich nachgelassen und alle Sehenswürdigkeiten waren nun beleuchtet. Dadurch sahen sie noch einmal viel beeindruckender aus.

Um diese Zeit begann auch das echte Leben in den Straßen. Die Leute trafen sich zum Bummeln, Wein trinken, gemeinsamen Abhängen und um den Tag ausklingen zu lassen. Viele der Läden hatten noch offen und so machten auch wir uns ans Schlendern durch die Einkaufsmeilen. Vor allem Trödelläden und Gemischtwarenhändler waren spannend zu verfolgen, da sie die unterschiedlichsten und verrücktesten Waren im Schaufenster liegen hatten. Allein das Sortiment an iPhone 12 Hüllen war beeindruckend. Ich hätte nicht gedacht, dass man diese Dinge heute sammeln könnte, wie früher Briefmarken. Aber auch andere Souvenirs und Nützlichkeiten schafften es, unsere Stimmung zu heben. Als wir dann zur Krönung des Tages noch ein paar Kugeln von dem italienischen Eis geschenkt bekamen, das uns den ganzen Tag über schon von jeder Ecke her angelacht hatte, waren wir fürs Erste wunschlos glücklich. Von der Polizeiaktion einmal abgesehen hatte unser Start in Italien doch sehr gut geklappt und langsam kam die Vorfreude auf die nächsten Monate mediterranes Sommer- und Urlaubsfeeling in uns auf. Wenn es so weiter ging, dann konnte das hier noch ein richtig schönes Jahr werden.

 

Spruch des Tages: Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird. (Bertolt Brecht)

Höhenmeter: 85 m Tagesetappe: 19 km Etappenziel: Kommunionsräume im Kloster Basilica Santuario della Beata Vergine delle Grazie, Udine, Italien  
Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

Schreibe einen Kommentar:

Speichere Namen, Email und Webseite im Browser fur zukunftige kommentare