Tag 831: Nahrungsknappheit

von Heiko Gärtner
13.04.2016 21:23 Uhr

27.03.2016

Auch wenn wir es am Anfang nicht erwartet hätten, wird essen langsam zu einem echten Problem. Es gibt eigentlich nur zwei Phasen, entweder jemand Füttert einen bis man platzt, oder man bekommt überhaupt nichts. Heute hatten wir eher das zweite Problem. Nach dem ersten Eindruck, denn wir nun hier im Land gewonnen haben, können wir sagen, dass es das abstrakteste und ambivalenteste ist, das wir bisher bereist haben. Die Schere zwischen den Menschen geht hier soweit auseinander, dass es sie fast zerreist. Und das in allen Bereichen. Wir haben hier die freundlichsten und die abartigsten Menschen getroffen, die man sich vorstellen kann. In einer Minute wird man strahlend begrüßt und wie ein Held gefeiert, in der nächsten wird man als Merkel-Freund beschimpft und man bekommt nicht einmal die Gelegenheit noch etwas dazu zu sagen. Heute wollte ich an einem Kiosk nach etwas Wasser fragen und als der Mann hörte, dass wir aus Deutschland sind, hat er nur noch laut "Merkel! Merkel!" geschrien und seinen Kiost vor mir geschlossen. Ich hätte also nicht einmal mit Geld etwas bekommen. In einer Bar haben wir von dem Besitzer erst eine Zusage für ein Mittagessen bekommen. Dann ließ er uns eine halbe Stunde warten und meinte, dass er leider doch nichts für uns tun kann. Gerade als wir uns aufregen wollten, trat ein Gast auf uns zu und schenkte uns das Essen einfach so aus seiner eigenen Tasche. Man weiß also nie richtig, ob man dieses Volk verfluchen oder sich darin verlieben soll.

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Was man auf jeden Fall sagen kann ist, dass hier Flachebenen und größere Städte genauso unangenehm sind wie überall sonst auch. Gut, dass es morgen wieder in die Berge geht. Obwohl wir uns auch etwas davor fürchten. Denn auf den Berggipfeln liegt Schnee und für die kommenden Tage und Nächte sind eisige Temperaturen und viel Regen angesagt. Wer hätte gedacht, dass wir Ostern in Griechenland im Schnee verbringen würden? Was immer mit dem Wetter auch los ist, natürlich ist das so nicht. Übernachten durften wir nach einigem Hin und Her in einem Frauenkloster etwas außerhalb der Ortschaft. Wir bekamen ein kleines Zimmer im Hof, das von unserem freundlichen und bärtigen Nachbarn zur Begrüßung einmal ausgeräuchert wurde, um den Muff und die alten Geister zu vertreiben. Eine wirklich nette Geste. Osterstimmung kam hier bislang noch nicht auf. Laut der Aussage eines jungen Mannes, der immer zum Beten ins Kloster kommt, liegt das aber wohl vor allem daran, dass Ostern hier in Griechenland erst in ein oder zwei Wochen ist.

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Am Abend wurden wir von unserer Gastgeberin zur Messe eingeladen. "In einer halben Stunde in der Kirche!" sagte sie. Seit Italien waren wir von Messen nicht mehr allzu begeistert, aber eine orthodoxe kannten wir noch nicht und so beschlossen wir, zumindest einmal für einen Moment vorbei zu schauen. Als wir ankamen strömten die Menschen jedoch bereits alle ins Freie. Wir hatten die Frau also missverstanden. Sie hatte nicht "in einer halben Stunde" sondern "für eine halbe Stunde" sagen wollen. Wir waren jedoch nicht böse darüber, denn die Klosterbewohner freuten sich, dass wir da waren und wir hatten uns den Trubel gespart. Als letztes verließ ein Mann im Rollstuhl die Kirche. Er war in ein schwarzes Gewand gehüllt und trug einen langen, grauen Bart. Dieser Mann war Pater Ignatius, das Oberhaupt des Klosters. Er war ein lustiger, brummeliger alter Mann, der schon vor langer Zeit aufgehört hatte, sich Gedanken über die Meinung anderer zu machen. Nach der Messe wollte ihm jeder die Hand geben, doch das wurde ihm nach kurzer Zeit zu viel. Also hielt er so, wie er es bei Jugendlichen beobachtet hatte und klatschte jeden nur noch mit einem High-Five ab.

Spruch des Tages: Hunger!

Höhenmeter: 250 m Tagesetappe: 17 km Gesamtstrecke: 14.733,27 km Wetter: sonnig und heiß Etappenziel: Umkleidekabine des Fußballplatzes, 50100 Mavrodendri, Griechenland

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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