Tag 887: Ekel geht durch den Magen

von Heiko Gärtner
11.06.2016 01:04 Uhr

14.05.2016

Bereits beim Abendessen beschlich uns ein leichtes Schlechtigkeitsgefühl. Der anstrengende Tag hatte uns jedoch ausgemergelt und so beschlossen wir, es zunächst einmal zu ignorieren. Eine wirklich blöde Idee, wenn ihr mich jetzt im Nachhinein fragt. Denn so ein Magen ist nicht dumm. Wenn er einem sagt, dass er gewisse Einwände gegen irgendetwas hat, das man in ihn hineinfüllt, dann hat das meist seinen Grund. So auch dieses Mal. Heiko war als erster dran und musste gleich nach dem Essen sprunghaft aufs Klo, bzw. an seinen Klobaum rennen. Später folgte auch noch ein Brechreiz und kurz nachdem wir unsere Filmnacht beschlossen hatten, war es dann auch bei mir soweit. Die ganze Aktion entwickelte sich zu einer Art Wettstreit, wobei man ganz klar sagen muss, dass Heiko in der Kategorie Kotzen gewann, während ich beim Scheißen in Führung ging. Es war fast wie bei einem Staffellauf. Kaum war einer von uns von seinem Baum ins Zelt zurückgekehrt, war der andere von wieder in den Schuhen und eilte nach draußen. Als die Sonne aufging hatten wir jeden Tropfen Wasser aus underem Körper und den gesamten Inhalt unseres Magen-Darm-Traktes gleichmäßig in der Umgebung verteilt. Man konnte also sagen, es ging uns beschissen. Die Frage war nur: Warum? Was hatte diese kleine Unpässlichkeit in unserem Verdauungssystem ausgelöst? Was fanden wir so zum Kotzen und so beschissen, dass unser Körper es gleich auf so drastisch weise zum Ausdruck bringen musste? Und "Ausdruck" ist dabei wörtlich gemeint. Mögliche Ursachen gab es reichlich und schließlich kamen wir auf den Schluss, dass es sich um eine Kombination aus mehreren Dingen handeln musste. Auf Platz eins lag das Wasser, das Heiko am Nachmittag von der Quelle abgezapft hatte. Wir waren die letzten Tage in den Bergen unterwegs gewesen und dort hatte es immer sauberes, frisches und klares Wasser gegeben.

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Doch nun waren wir wieder in der Flachebene und hier wimmelte es von Pestiziden, Giftstoffen, Müll und anderem Zeug, mit dem das Wasser verunreinigt wurde. Bakterien und Keime schieden dabei aus, denn wir hatten das Trinkwasser mit dem SteriPen gereinigt und den Rest gut abgekocht. aber Giftstoffe konnte man natürlich weder mit UV-Strahlung noch mit Hitze abtöten. Darum hatte Heiko es auch schon vor mir gemerkt, denn er hatte bereits an der Quelle etwas getrunken. So richtig schlimm war es dann aber mit dem Essen geworden, das komplett mit diesem Wasser zubereitet worden war. Hinzu kam, dass wir in letzter Zeit viele chemieverseuchte Lebensmittel gegessen hatten. Die Billigwurst mit dem Fertigbrot und dem Formkäse hatten insgesamt nicht gerade dazu beigetragen, dass unser Körper besonders belastbar wurde.

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Ohne diese Vorbelastung hätten wir das Giftwasser vielleicht verkraftet, aber so war unser Körper damit dann doch etwas überfordert. Doch die körperliche Ebene war nur ein Teil des Ursachengeflechtes. Auch die Situation mit dem Slum vom Vortag und die Sorge, vielleicht für Monate keinen sicheren Schlafplatz mehr zu finden, hat ihren Teil dazu beigetragen. Der Magen reagiert nicht nur auf reale, physische Gifte, sondern auch auf unser Gefühl von Verschmutzung, Unreinheit und Ekel. Das Wasser zu trinken und babei zu wissen, wo es herkam löste selbst ohne eine reale Vergiftung eine akute Entgiftungsreaktion unseres Körpers aus. Gleichzeitig ist Durchfall auch eine Schutzreaktion des Körpers auf eine Stresssituation. Ich kenne das noch aus der Schulzeit und aus der Uni, wenn wichtige Vorträge oder Reverate anstanden, dass ich jedes Mal Probleme mit meiner Verdauung bekam. Dies ist eine ganz natürliche Reaktion des Kröpers. Unser Organismus befindet sich in einem Zustand der Alarmbereitschaft und versucht gewissermaßen Balast abzuwerfen, um schneller und effektiver reagieren zu können. Die Aussicht, vielleicht über Wochen hinweg durchwandern zu müssen, um einer Region ohne sichere Schlafplätze zu entfliehen, war genau so eine Art von Situation in der das nötig sein könnte. Doch in Kombination mit der Vergiftung war der Effekt leider genau der Gegenteilige. Am Morgen waren wir so schwach und ausgelaugt, dass wir uns kaum mehr auf den Beinen halten konnten. Jede Auf- und Abbewegung beim Zeltabbau führte dazu, dass uns sofort schwindelig und übel wurde und wir uns am liebsten gleich wieder hingelegt hätten. Mühsam schleppten wir uns Kilometer für Kilometer voran und ausgerechnet heute herrschte eine unerträgliche Schwüle, die uns das Wandern selbst ohne die Magen-Darm-Geschichte schon schwer gemacht hätte. Trotzdem half uns das Wandern ein wenig. Es war zu einer Art Allheilmittel geworden. Egal was einen plagte oder belastete, wandern machte es immer ein wenig besser. Nicht ganz so hilfreich war die riesige Müllhalde an der wir vorbeiwanderten und die eine Menge Gerüche aussonderte, durch die einen auch im Normalzustand schon schlecht wurde. Gut das wir ohnehin nichts mehr im Bauch hatten, denn sonst hätten wir sicher gleich noch einmal kotzen müssen. Tausende von Vögeln kreisten über dem Müllberg und anders als wir schienen sie die Verrottungs- und Verwesungsgerüche sogar appetitlich zu finden. Dass diese Müllhalde wieder einmal direkt neben einem Fluss lag und dass die Sicherheitsmatten, die die Giftstoffe eigentlich davon abhalten sollten, in den Boden zu gelangen, in großen Stapeln daneben aufgebart worden waren, zeigte uns noch einmal, dass wir uns von fließendem Wasser hier lieber fernhalten sollten. So ungern wir das Wasser aus den Plastikflaschen auch verwendeten, hier war es definitiv die beste Alternative.

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Als wir die nächste Ortschaft erreichten, entspannten wir uns wieder und merkten, wie wir spürbar aufatmeten. Es war ein ganz normales, friedliches, kleines Bauerndorf, ohne Slum und ohne aggressive Grundstimmung. Offenbar war also doch nicht die ganze Flachebene zum Wildcampen ungeeignet. Dieser Ort hier wirkte nicht bedrohlich, sondern viel mehr so, als wäre er vor vielen Jahrhunderten ausgestoben. Er war tot und das obwohl hier noch immer Menschen lebten. So richtig positiv mag sich das jetzt vielleicht auch wieder nicht anhören, aber in diesem Moment war uns das sehr sympatisch. Der nächste Ort war ähnlich, obwohl er etwas weniger tot und gleichzeitig auch etwas größer war. Um ihn zu erreichen mussten wir eine lange Kopfsteinpflasterstraße entlangwandern. Auch auf dieser herrschte ein reger Verkehr, den wir nicht vermutet hätten und der uns noch immer verwundert. Immer wieder kamen die gleichen Autos an uns vorbei, nicht nur in den Bergen sondern auch hier. Warum fuhren die Menschen hier so elendig viel herum? Hatten sie nichts besseres zu tun?

Fortsetzung folgt...

Spruch des Tages: Langsam dürfte doch eigentlich nichts mehr drin sein!

Höhenmeter: 250 m Tagesetappe: 21 km Gesamtstrecke: 15.612,27 km Wetter: erst sonnig, dann zunehmend bewölkt Etappenziel: Zeltplatz unter einem Pflaumenbaum, kurz vor 7456 Krivitsa, Bulgarien

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Heiko Gärtner
Heiko Gärtner ist Wildnismentor, Extremjournalist, Survivalexperte, Weltreisender und einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Antlitz- und Körperdiagnostik. Nachdem er einige Jahre als Agenturleiter und Verkaufstrainer bei einer großen Versicherungsagentur gearbeitet hat, gab er diesen Job auf, um seiner wahren Berufung zu folgen. Er wurde Nationalparkranger, Berg- und Höhlenretter, arbeitete in einer Greifenwarte und gründete schließlich seine eigene Survival- und Wildnisschule. Seit 2014 wandert er zu Fuß um die Welt und verfasste dabei mehrere Bücher.

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